Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerweiterbildungsanspruch. Parteivereinbarung über nachträgliche Lohnfortzahlung nach gerichtlicher Klärung
Normenkette
BGB §§ 133, 157; AWbG NW §§ 1, 5 Abs. 1, § 7
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 21.04.1988; Aktenzeichen 4 (9) Sa 1581/86) |
ArbG Herford (Urteil vom 26.06.1986; Aktenzeichen 1 Ca 1841/85) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21. April 1988 – 4 (9) Sa 1581/86 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Lohnfortzahlungsanspruch nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Die am 4. Februar 1965 geborene Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft Textil-Bekleidung. Sie wird seit 1982 in dem Herforder Betrieb der Beklagten als Näherin beschäftigt. Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 13. August 1985 mit, daß sie für die Zeit vom 15. September bis 21. September 1985 an einem „Kursus für jugendliche Vertrauensleute” in der Werner-Bock-Schule der Gewerkschaft Textil-Bekleidung in Beverungen teilnehmen wolle. Die Beklagte äußerte sich zunächst mit einem Schreiben vom 29. August 1985 ablehnend. Mit Schreiben vom 3. September 1985 erneuerte die Beklagte ihre Ablehnung, unterbreitete der Klägerin jedoch folgendes Angebot:
Bei einer Anerkennung sind wir bereit, entgegenkommenderweise unbezahlte Freizeit zu gewähren. Wie Sie wissen, haben die Arbeitgeberverbände eine verfassungsrechtliche Klage gegen das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz eingeleitet.
Die Klägerin nahm daraufhin an der vom Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen am 5. August 1985 auf Antrag der Gewerkschaft Textil-Bekleidung gem. § 9 Satz 1 Buchst. d) AWbG genehmigten Bildungsveranstaltung vom 15. September 1985 bis 21. September 1985 teil. Infolge der Weigerung der Beklagten, den Lohn fortzuzahlen, entstand der Klägerin ein Lohnausfall in Höhe von 449,20 DM brutto.
Mit der am 11. Dezember 1985 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 449,20 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Dezember 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat bestritten, daß der von der Klägerin besuchte Kurs allgemeinzugänglich gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Fortzahlung des Lohnes für die Zeit vom 15. September bis 21. September 1989 zu.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gem. § 7 AWbG, da die beklagte Arbeitgeberin die Klägerin nicht zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung für die von ihr besuchte Bildungsveranstaltung von der Arbeit freigestellt hat.
Ebenso wie § 7 Abs. 1 BUrlG (BAGE 59, 154, 161 = AP Nr. 22 zu § 11 BurlG) räumt § 1 Abs. 1 AWbG dem anspruchsberechtigten Arbeitnehmer kein Recht zur Selbstbeurlaubung ein. Es bedarf vielmehr einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers (Senatsurteil vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 – zur Veröffentlichung auch in der amtlichen Sammlung vorgesehen). Erklärt der Arbeitgeber die Freistellung für die gem. § 5 Abs. 1 AWbG mitgeteilte Bildungsveranstaltung, so ist der Arbeitgeber gem. § 1 Abs. 1, § 7 AWbG gegenüber dem Arbeitnehmer zur Lohnfortzahlung verpflichtet.
Im Streitfall enthalten weder das Schreiben der Beklagten vom 29. August 1985 noch 3. September 1985 eine den Lohnfortzahlungsanspruch voraussetzende Freistellungserklärung zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung. Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, hat die Beklagte nach dem Inhalt ihres Schreibens vom 3. September 1985 ein Angebot auf Abschluß einer Vereinbarung über die Gewährung unbezahlter Freizeit abgegeben. Dieses Angebot hat die Klägerin durch konkludentes Handeln angenommen, als sie ohne weitere Erklärung in der Zeit vom 15. September bis 21. September 1985 der Arbeit fernblieb.
2. Entgegen der Auffassung der Revision steht der Klägerin auch kein Lohnfortzahlungsanspruch aus einer daneben konkludent geschlossenen Freistellungsvereinbarung zu.
Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen seiner Auslegung entscheidend darauf abgestellt, daß im Schreiben vom 3. September 1985 nur von „unbezahlter Freizeit” die Rede ist. Die Revision rügt zu Recht, daß das Landesarbeitsgericht den Auslegungsstoff nur unvollständig berücksichtigt hat. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts erweist sich im Ergebnis jedoch als richtig.
Dem erkennenden Senat ist die Überprüfung der einzelfallbezogenen Willenserklärung der Beklagten vom 3. September 1985 schon deshalb möglich, weil die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts auch die Berücksichtigung des wesentlichen Auslegungsstoffes zum Inhalt hat (Senatsurteil vom 26. Mai 1992 – 9 AZR 27/91 – AP Nr. 63 zu § 74 HGB).
Der erkennende Senat ist auch selbst zur abschließenden Auslegung befugt, da es um die Auslegung einer Urkunde geht, und außerhalb der Urkunde liegende Umstände, die der Auslegung eine bestimmte Richtung geben könnten, von den Parteien nicht vorgebracht worden sind (BAG Urteil vom 12. Juli 1957 – 1 AZR 418/55 – AP Nr. 6 zu § 550 ZPO; BAGE 21, 237, 244 = AP Nr. 8 zu § 75 b HGB). Auch bei Berücksichtigung der vom Landesarbeitsgericht nicht gewürdigten Umstände kann das Schreiben der Beklagten vom 3. September 1985 nicht gem. den §§ 133, 157 BGB dahin ausgelegt werden, daß die Beklagte sich verpflichtet habe, für den Fall der ministeriellen Anerkennung der von der Klägerin besuchten Bildungsveranstaltung und der Verfassungskonformität des AWbG den ausgefallenen Lohn nachzuzahlen. Nach dem klaren Wortlaut des Schreibens der Beklagten ist vielmehr die Führung eines Nachweises über die ministerielle Anerkennung zur Bedingung für die Bereitschaft gemacht worden, „entgegenkommender Weise unbezahlte Freizeit zu gewähren”. Dieses Angebot war aus der subjektiven Sicht der Beklagten ein „Entgegenkommen”, wie sich aus ihrem Hinweis auf das noch laufende Normenkontrollverfahren ergab. Objektiv hatte dieser Hinweis auf das laufende Normenkontrollverfahren den Erklärungswert, daß die Beklagte davon ausging, wegen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes weder zu einer bezahlten noch zu einer unbezahlten Freistellung verpflichtet zu sein. Dafür, daß die Beklagte mit ihren Schreiben vom 29. August und 3. September 1985 eine weitergehende Regelung bezweckt hat, gibt es keine Anhaltspunkte. Es wäre nach Erhalt des Angebots auf unbezahlte Freistellung Aufgabe der Klägerin gewesen zu klären, ob die Beklagte im Fall der gerichtlichen Feststellung der gesetzlichen Freistellungsvoraussetzungen für die besuchte Bildungsveranstaltung den Lohn „nachgewährt”.
3. Fehlt es somit sowohl an einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers als auch an einer abweichend vom AWbG getroffenen besonderen Vereinbarung der Parteien über die „Nachgewährung” von Arbeitsentgelt für eine bereits besuchte Bildungsveranstaltung, so kommt es auf die vom Landesarbeitsgericht und der Revision erörterte Frage der Allgemeinzugänglichkeit der von der Klägerin besuchten Bildungsveranstaltung nicht an.
II. Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Unterschriften
Dörner, Düwell, zugleich für den durch Urlaub an der Unterschrift verhinderten Richter Dr. Wißmann, Winterholler, Dr. Klosterkemper
Fundstellen