Entscheidungsstichwort (Thema)
Mögliche Prozeßunfähigkeit einer Universitätsangestellten
Orientierungssatz
Frage der Prozeßfähigkeit einer als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem universitären Rechenzentrum beschäftigten Diplom-Mathematikerin; Frage der Verwirkung sich auf die angebliche Unwirksamkeit einer fristlosen Kündigung zu berufen.
Normenkette
BGB §§ 242, 626; ZPO § 56 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 02.11.1984; Aktenzeichen 5 Sa 2336/83) |
ArbG Siegen (Entscheidung vom 18.10.1983; Aktenzeichen 3 Ca 975/83) |
Tatbestand
Die im Jahre 1950 geborene Klägerin ist Diplommathematikerin. Seit dem 2. Oktober 1978 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität-Gesamthochschule S beschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 2. Oktober 1978 finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Vorschriften des BAT und die diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträge Anwendung. Die Klägerin war zuletzt in die Vergütungsgruppe II a BAT eingruppiert; ihre monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt ca. 3.400,-- DM.
Im Sommer des Jahres 1982 kam es zu Belastungen des Arbeitsverhältnisses. Der Vorgesetzte der Klägerin vertrat dabei die Auffassung, die Klägerin erledige die ihr übertragenen Arbeiten nicht in zufriedenstellendem Umfang. Es fanden mehrere Gespräche mit der Klägerin statt, an denen auch der Personalrat beteiligt war. Mit Schreiben vom 5. August 1982 bat der Gründungsrektor der Universität-Gesamthochschule S die Klägerin, sich amtsärztlich auf ihre Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen. Den hierfür vorgesehenen Termin vom 3. September 1982 nahm die Klägerin ohne Angabe von Gründen nicht wahr. Das Verhalten der Klägerin und die hierüber geführten Gespräche waren Gegenstand einer Sitzung des Personalrates für wissenschaftliche Mitarbeiter vom 27. September 1982. Mit Schreiben vom 28. September 1982 wandte sich der Gründungsrektor der Universität-Gesamthochschule S erneut an die Klägerin und wies darauf hin, daß sie den Untersuchungstermin nicht wahrgenommen habe, obwohl nach § 7 BAT eine entsprechende Verpflichtung bestehe. Er teilte der Klägerin mit, daß er das Gesundheitsamt S erneut gebeten habe, zu einem Untersuchungstermin einzuladen. Zugleich drohte er ihr an, daß er sich gezwungen sehe, falls die Klägerin diesen Termin ohne zwingende Hinderungsgründe nicht wahrnehmen werde, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos zu kündigen. Eine Ablichtung dieses Schreibens erhielt auch der Personalrat für die wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter der Hochschule. Der erneuten Einladung des Gesundheitsamtes kam die Klägerin nicht nach, sondern blieb ohne Entschuldigung dem Untersuchungstermin fern. Der Personalrat gelangte aufgrund der ihm vorliegenden Informationen zu der Annahme, daß die Klägerin möglicherweise erkrankt sei. Er bat die Klägerin deshalb schriftlich, bis etwa Mitte Oktober 1982 einen Antrag auf Vertretung durch den Personalrat zu stellen. Die Klägerin stellte einen solchen Antrag jedoch nicht.
Der Klägerin wurde in der Folgezeit Gelegenheit gegeben darzulegen, weshalb sie der Vorladung zu der amtsärztlichen Untersuchung nicht gefolgt war. Sie machte hiervon keinen Gebrauch. Einen für den 2. November 1982 vereinbarten Gesprächstermin mit dem Kanzler der Hochschule (in Vertretung des Rektors) sagte sie ohne Hinderungsgrund unter Hinweis darauf ab, wenn der Kanzler mit ihr in Kontakt treten wolle, möge er dies schriftlich tun. Am 16. November 1982 suchte der Kanzler der Hochschule die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz auf, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen bzw. sich mit ihr über die weitere Entwicklung zu unterhalten. Die Klägerin lehnte jegliches Gespräch ab und forderte den Kanzler der Hochschule auf, ihren Raum zu verlassen. Einen weiteren Gesprächstermin vom 26. November 1982 mit dem Rektor der Hochschule sagte die Klägerin ebenfalls ohne Angabe von Gründen ab.
Mit Schreiben vom 29. November 1982 - der Klägerin am selben Tage zugegangen - erklärte das beklagte Land die fristlose Kündigung. Das vom Kanzler der Universität-Gesamthochschule S unterzeichnete Kündigungsschreiben lautet wie folgt:
"Sehr geehrte Frau M ,
hiermit kündige ich das mit Ihnen bestehende Be-
schäftigungsverhältnis gemäß § 54 BAT aus fol-
genden Gründen fristlos:
1. Einmal liegt eine langanhaltende Nichterfüllung
bzw. Schlechterfüllung Ihrer Dienstaufgaben vor.
Insoweit verweise ich auf die Vielzahl von Ver-
merken und Schreiben seitens des Leiters des
Hochschulrechenzentrums. Sie haben auch die Er-
ledigung Ihnen übertragener Arbeiten abgelehnt.
Mit Schreiben des HRZ vom 24.11.1982 wurden Sie
zu einer Rücksprache gebeten, in der Sie zum
wiederholten Male wegen mangelnder Arbeitslei-
stung bzw. Nichtleistung befragt werden sollten.
Diesen Termin haben Sie ohne Hinderungsgründe
nicht wahrgenommen.
2. Zum 26.11.1982 waren Sie beim Kanzler, Herrn
Dr. H , als Vertreter des Dienstvorge-
setzten zu einer Rücksprache gebeten. Diesen
Termin haben Sie ohne Hinderungsgründe nicht
wahrgenommen. Zu einem früheren Rücksprache-
termin beim Kanzler sind Sie ebenfalls nicht
erschienen. Am 16.11.1982 hat Sie Herr Dr. H
als mein Vertreter in Ihrem Dienstzimmer
aufgesucht. Sie haben jegliches Gespräch ab-
gelehnt und ihn gebeten, den Raum zu verlassen.
Mit Schreiben vom 24.11.1982 habe ich Ihnen
mitgeteilt, daß Ihr Nichterscheinen einen Grund
zur fristlosen Kündigung darstellt.
3. Zweimal haben Sie Termine beim Gesundheitsamt
des Kreises S , welches von mir gebeten
worden war, Sie auf Ihre Dienstfähigkeit hin
zu untersuchen, grundlos nicht wahrgenommen.
Mit Schreiben vom 28.09.1982 habe ich Ihnen
mitgeteilt, daß hierin ein Grund zur frist-
losen Kündigung zu sehen ist.
Noch in Ihrem Besitz befindliche dienstliche Gegen-
stände bitte ich sofort den zuständigen Stellen aus-
zuhändigen."
Mit einem am 20. Juni 1983 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten hat sich die Klägerin gegen die fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 29. November 1982 gewandt, die sie wegen unterlassener Mitwirkung des Personalrats und deswegen für unwirksam hält, weil sie von einer nach dem Wissenschaftlichen Hochschulgesetz nicht zuständigen Person ausgesprochen worden sei. Die Klageschrift enthält eine Bezugnahme auf eine von der Klägerin verfaßte Erklärung vom 15. Juni 1983, in der sie in längeren Ausführungen darlegt, aus welchen Gründen sie an der Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG gehindert gewesen sei.
Den von der Klägerin im Gütetermin vom 8. Juli 1983 gestellten Antrag, die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen, hat das Arbeitsgericht durch Beschluß vom 26. Juli 1983 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin keine sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß durch die Kündigung der Be-
klagten vom 29. November 1982 das zwischen den
Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht
aufgelöst worden ist.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, eine Beteiligung des Personalrats sei bei außerordentlichen Kündigungen wissenschaftlicher Mitarbeiter nicht erforderlich. Im übrigen sei der Personalrat von der Kündigungsabsicht durch Übersendung des Schreibens der Universität- Gesamthochschule S an die Klägerin vom 28. September 1982 unterrichtet worden. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei der Kanzler der Universität-Gesamthochschule S zur Vertretung des Dienstherrn befugt, wie sich aus § 19 Abs. 2 Satz 2 des WissHG ergebe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin könne sich nach Treu und Glauben nicht mehr auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beide Parteien haben sich gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision des beklagten Landes war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zwecks Prüfung der Frage, ob und gegebenenfalls seit welchem Zeitpunkt die Klägerin prozeßunfähig geworden ist, an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
I. Gegen die Prozeßfähigkeit der Klägerin bestehen insbesondere aufgrund des Inhalts ihrer Erklärung vom 15. Juni 1983 begründete Bedenken. Dies macht die Aufhebung des angefochtenen Urteils erforderlich, ohne daß sachlich darüber entschieden werden kann, ob die Revision begründet ist. Da die Prozeßfähigkeit der Klägerin nur aufgrund weiterer Tatsachenfeststellungen geklärt werden kann, war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
1. Nach § 56 Abs. 1 ZPO hat das Gericht den Mangel der Prozeßfähigkeit von Amts wegen zu beachten. Das bedeutet nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs, daß Zweifel an der Prozeßfähigkeit einer Partei in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu überprüfen sind und auch noch in der Revisionsinstanz neu vorgebracht und berücksichtigt werden können (BAG 6, 76, 78 = AP Nr. 1 zu § 56 ZPO, zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 28. Februar 1974 - 2 AZR 191/73 - AP Nr. 4 zu § 56 ZPO und das Urteil vom 15. September 1977 - 3 AZR 410/76 - AP Nr. 5 zu § 56 ZPO; BGHZ 31, 279 = NJW 1960, 523 und BGH NJW 1969, 1574; vgl.auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 56 Rz 4 sowie Stein/Jonas/Grunsky, aaO, § 561 Rz 11).
Der Mangel der Prozeßfähigkeit ist zwar von Amts wegen zu beachten, aber der Sachverhalt ist nicht nach dem Untersuchungsgrundsatz von Amts wegen aufzuklären. Vielmehr ist es Aufgabe der Parteien, entsprechende Tatsachen und Beweisangebote für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Prozeßfähigkeit in den Prozeß einzuführen (BAG 6, 76, 78 = AP Nr. 1 zu § 56 ZPO, zu 1 der Gründe; Stein/Jonas/Leipold, aaO, § 56 Rz 7). Dabei ist zu berücksichtigen, daß bei einer erwachsenen Person grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Geschäfts- und Prozeßfähigkeit spricht (vgl. BGHZ 18, 184, 189; Stein/Jonas/Leipold, aaO, § 56 Rz 10). Bestehen begründete Bedenken gegen die Prozeßfähigkeit einer Partei, dann trägt sie die Darlegungs- und Beweislast für ihre Prozeßfähigkeit.
2. Im vorliegenden Fall liegen Umstände vor, aus denen sich begründete Bedenken gegen die Prozeßfähigkeit der Klägerin ergeben. Das Verhalten der Klägerin vor Ausspruch der Kündigung war für das beklagte Land Anlaß, an der Dienstfähigkeit der Klägerin zu zweifeln. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Inhalt des Schreibens vom 5. August 1982, in dem der Gründungsrektor der Universität-Gesamthochschule S die Klägerin bat, sich amtsärztlich auf ihre Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen. Den vorgesehenen Untersuchungstermin beim Amtsarzt vom 3. September 1982 nahm die Klägerin ohne Angabe von Gründen nicht wahr. Eine nochmalige Aufforderung zur Vornahme einer amtsärztlichen Untersuchung erfolgte durch Schreiben des Gründungsrektors der Universität-Gesamthochschule S vom 28. September 1982. Trotz einer in diesem Schreiben enthaltenen Androhung einer fristlosen Kündigung blieb die Klägerin ohne Angabe von Gründen dem erneuten Untersuchungstermin beim Gesundheitsamt fern. Auch der Personalrat für wissenschaftliches und künstlerisches Personal ging aufgrund des Verhaltens der Klägerin vom Vorliegen einer psychischen Erkrankung aus. Diesen Standpunkt verdeutlichte der Vorsitzende des Personalrats für wissenschaftliches und künstlerisches Personal in seinem Schreiben vom 7. September 1983 wie folgt:
"Wie bereits in meinem Schreiben an Sie vom
19. Juli 1983 dargestellt, hat der Vorsitzende
des PRwiss. im Spätsommer 1982 mehrere Ge-
spräche mit Frau M geführt, nachdem
er von ihrem Vorgesetzten, Herrn Dr. Mü ,
darüber informiert worden war, daß Frau
M die ihr übertragenen Arbeiten nicht
in zufriedenstellendem Umfang erledigt haben
soll. Über diese Gespräche und über ein wei-
teres Gespräch, zu dem der Vertreter des
Kanzlers, Herr Dr. B , eingeladen hatte,
ist der Personalrat auf seiner Sitzung vom
27. September 1982 vom Vorsitzenden infor-
miert worden.
Aus dem ganz und gar ungewöhnlichen Verhalten
der Frau M in diesen Gesprächen sowie
aus den Beschreibungen der Art und Weise, wie
sie die ihr übertragenen Aufgaben erledigte
und sich an ihrem Arbeitsplatz benahm, zog der
Vorsitzende des Personalrates den Schluß, daß
Frau M möglicherweise erkrankt sei, be-
ziehungsweise sich in einem Zustand der Konfusion
befand. Der Personalrat machte sich diese Auf-
fassung zu eigen und zog daraus den Schluß, daß
Frau M im besonderen Maße schutzbedürftig
sei.
Frau M wurde daher schriftlich gebeten,
bis etwa Mitte Oktober 1982 beim PRwiss. einen
Antrag auf Vertretung durch den Personalrat zu
stellen. Dieses geschah in der Annahme, daß ein
derartiger Antrag gemäß LPVG § 72 Abs. 1 Satz 2
erforderlich sei. Inzwischen war nämlich Frau
M sowie in Durchschrift auch der PRwiss.
durch das Schreiben des Kanzlers vom 28. Sep-
tember 1982 informiert worden, daß Frau M
gegebenenfalls eine fristlose Entlassung ins
Haus stünde. Diesen Antrag hat Frau M
nicht gestellt.
Über die tatsächliche fristlose Kündigung ist
der Personalrat nicht offiziell informiert worden.
Er hat vielmehr von dritter Seite davon erfahren
und auf seiner Sitzung vom 30. Nov. 1982 be-
schlossen, Widerspruch gegen die fristlose Kün-
digung einzulegen, was mit Schreiben vom 1. De-
zember 1982 an den Rektor und den Kanzler der
Universität-Gesamthochschule-S geschehen
ist. Der PRwiss. ging nach wie vor von einer
möglichen Erkrankung der Frau M aus
und begründete damit seinen Widerspruch. Mit
Schreiben vom 13. Dezember 1982 an den PRwiss.
vertrat der Rektor die Auffassung, daß eine Be-
teiligung des Personalrates nicht gegeben sei,
da es sich weder um eine zustimmungs- noch an-
hörungsbedürftige Maßnahme gehandelt habe.
Der Vorsitzende des PRwiss. hatte Frau M
mit Schreiben vom 1. Dezember 1982 über den
Widerspruch gegen die fristlose Kündigung in-
formiert. Darauf hat Frau M mit Ein-
schreiben vom 2. Dezember 1982 dem Personalrat
untersagt, sich in ihre Angelegenheiten einzu-
mischen, so daß sich der PRwiss. genötigt sah,
in dieser Angelegenheit nicht weiter tätig zu
werden. Dieses wurde dem Rektor und dem Kanzler
am 22. Dezember 1982 schriftlich mitgeteilt."
Das Verhalten der Klägerin nach Ausspruch der fristlosen Kündigung läßt ebenfalls darauf schließen, daß zu diesem Zeitpunkt möglicherweise eine psychische Erkrankung vorgelegen hat. Für eine derartige Annahme spricht der Inhalt ihres an den Gründungsrektor der Universität-Gesamthochschule S gerichteten Schreibens vom 30. November 1982, in dem die Klägerin es als unter ihrer Würde bezeichnet, auf "die dargelegten Themen und den dort angesprochenen Mitteilungen des Leiters des Hochschulrechenzentrums auch nur mit einem Wort einzugehen". Als ungewöhnliche Reaktion ist auch das Verhalten der Klägerin gegenüber dem Personalrat zu verstehen. Nachdem die Klägerin trotz einer schriftlichen Aufforderung des Personalrats bereits vor Ausspruch der fristlosen Kündigung keinen Antrag auf Vertretung gestellt hatte, untersagte sie ihm mit Schreiben vom 2. Dezember 1982, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen.
Auch der Umstand, daß die Klägerin über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten keine Klage gegen die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29. November 1982 erhoben hat, läßt sich möglicherweise aus einer zu diesem Zeitraum bestehenden psychischen Erkrankung der Klägerin erklären. Daß jedenfalls zum Zeitpunkt der Klageerhebung begründete Bedenken hinsichtlich der Prozeßfähigkeit der Klägerin vorgelegen haben, ergibt sich aus dem Inhalt der Erklärung vom 15. Juni 1983, in der sie darlegt, weshalb sie an der Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG gehindert gewesen sei. Darin führt die Klägerin u.a. folgendes aus:
"Zum Nachweis, daß die Gründe nicht ursächlich
in der Person des Gekündigten liegen, sondern
in erheblichen Maße auch an der Situation, wie
sie dem Gekündigten an der Arbeitsstelle und
im Wohnbereich erstellt wurde, wurden von mir
seit 6.12.1982 negativierende Verbalisierungen
entsprechend der Erhebung von Grundraten nach
Wendlandt/Hoefert: Selbstsicherheitstraining,
Praktische Übungen, Abschnitt VII: Gedanken-
training als Rohdaten erhoben.
Der Zusammenhang der dabei erhaltenen Wortmenge
und dem während der Anstellungszeit Geschehenen
läßt mich vermuten, daß es sich bei diesen Ver-
balisierungen nicht, wie bei Wendlandt darge-
stellt, um Selbstverbalisierungen handelt,
sondern z.B. um eine sprachliche Umsetzung
der Faktoren, die während des Anstellungs-
zeitraumes zu einer Situation in bezug auf
meine Person führten, die die Entstehung der
angegebenen Gründe zur Folge hatte, sofern
die Richtigkeit der Gründe anerkannt werden
kann.
Die Erhebung einer Feststellungsklage nach dem
Kündigungsschutzgesetz innerhalb von drei Wochen
nach dem Kündigungstermin hätte meiner Auffassung
nach die Art der erhobenen Rohdaten verändert
und damit würde eine Auswertung z. B. mittels
statistischer Methoden zu Erkenntnissen führen,
die die eigentlichen Faktoren für die der Kün-
digung zugrundegelegten Situation verwischen,
so daß eine Widerlegung der Richtigkeit der
behaupteten die Kündigung bedingenden Gründe
für mich nur in erschwertem Maße möglich ge-
wesen wäre.
Eine vorläufige Häufigkeitsverteilung kenn-
zeichnet für den Bereich Anfang Februar 1983
eine erhebliche Verringerung in der Auf-
tretenshäufigkeit dieser Verbalisierungen.
Vom Inhaltlichen her könnte dieser Zeitraum
dem Kündigungstermin zugeordnet werden. Als
groben Überlick über den bisherigen Zeitraum
würde ich sagen, daß inhaltlich die Verbalisie-
rungen gehaltvoller geworden sind und auch
damit ihr negativierender Charakter gemildert
wurde.
Neben der Erhebung der Verbalisierungen als Roh-
daten zu oben genanntem Zweck ging damit einher
auch eine Be- und Verarbeitung der durch die
im Umfeld der Überreichung des Kündigungsschrei-
bens aufgetretenen Vorfälle."
Diese Ausführungen deuten darauf hin, daß sich die akademisch vorgebildete Klägerin jedenfalls zum Zeitpunkt der Klageerhebung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden haben könnte.
II. Da im vorliegenden Fall bislang noch keine Beweismittel für oder gegen die Prozeßfähigkeit der Klägerin vorliegen, erscheint es sachgerecht, die Frage einer etwaigen Prozeßunfähigkeit der Klägerin durch das Landesarbeitsgericht klären zu lassen.
1. Der Senat wäre an sich befugt, diese Prüfung selbst vorzunehmen, denn es geht um die Anwendung von Verfahrensrecht, das für alle Instanzen gilt und dessen Voraussetzungen auch noch in der Revisionsinstanz aufgeklärt werden können. Das bedeutet jedoch nicht, daß eine entsprechende Verpflichtung besteht. Vielmehr hat das Revisionsgericht einen Ermessensspielraum, ob es den Sachverhalt selbst aufklären will oder die erforderlichen Feststellungen dem Tatrichter überlassen will (BAG Urteil vom 28. Februar 1974 - 2 AZR 191/73 - und vom 15. September 1977 - 3 AZR 410/76 - AP Nr. 4 und 5 zu § 56 ZPO; Senatsurteil vom 12. Dezember 1984 - 7 AZR 541/83 -, zu I 2 a der Gründe, unveröff.; Stein/Jonas/Grunsky, aaO, § 561 Rz 26). Eine eigene Beweisaufnahme ist nur dann zu empfehlen, wenn allein bereits vorhandene Aussagen, Gutachten oder Urkunden zu würdigen sind.
2. Diese Voraussetzungen für eine Sachaufklärung durch das Revisionsgericht liegen im Streitfall nicht vor. Um die Frage einer etwaigen Prozeßunfähigkeit der Klägerin zu klären, wird es erforderlich sein, das von der Klägerin im Revisionsverfahren beantragte fachärztliche Sachverständigengutachten einzuholen. Dabei genügt es nicht, die Frage der Prozeßfähigkeit der Klägerin zur Zeit der Beweisaufnahme zu klären. Es ist vielmehr auch festzustellen, ob und gegebenenfalls seit wann die Klägerin prozeßunfähig geworden ist.
III. Sollte das Landesarbeitsgericht im erneuten Berufungsverfahren zu dem Ergebnis gelangen, daß die Klägerin bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung (Juni 1983) prozeßunfähig gewesen ist, so wäre die Klage als unzulässig abzuweisen. Der Mangel der fehlenden Prozeßfähigkeit kann aber geheilt werden, sofern ein für die Klägerin zu bestellender Vormund oder Pfleger (§ 1910 BGB) den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Vollmacht erteilt und deren Prozeßführung genehmigt (vgl. Stein/Jonas/Leipold, aaO, § 56 Rz 3). Bei der zuletzt genannten Fallkonstellation könnte sich ergeben, daß die fristlose Kündigung gegenüber einer geschäftsunfähigen Arbeitnehmerin erklärt worden ist. Da es sich hierbei um einen sonstigen Nichtigkeitsgrund i.S. von § 13 Abs. 3 KSchG handelt (vgl. KR-Friedrich, 2. Aufl., § 13 KSchG Rz 294 m.w.N.), steht einer entsprechenden gerichtlichen Feststellung nicht entgegen, daß die Klägerin die dreiwöchige Klagefrist (§ 4 KSchG) versäumt hat. Bei einer etwaigen Geschäftsunfähigkeit der Klägerin in der Zeit zwischen dem Zugang der fristlosen Kündigung (29. November 1982) und dem Klageeingang (20. Juni 1983) kommt auch keine Verwirkung in Betracht, da der Klägerin in diesem Falle ihr Verhalten nicht zugerechnet werden könnte.
IV. Sollte das Landesarbeitsgericht dagegen zu der Feststellung gelangen, daß die Klägerin sowohl zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs voll geschäftsfähig als auch während der gesamten Dauer des Rechtsstreits prozeßfähig gewesen ist, so müßte nochmals in der Sache entschieden werden. Dies gilt ebenso für den Fall, daß bei Vorliegen einer Prozeßunfähigkeit der Klägerin ein zu bestellender Vormund oder Pfleger den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Vollmacht erteilen und deren Prozeßführung genehmigen sollte.
1. Bei einer erneuten Sachentscheidung wird das Landesarbeitsgericht das angefochtene Urteil nicht bestätigen können, da die Klägerin nach Ablauf von ca. 6 1/2 Monaten ihr Recht, sich auf die angebliche Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29. November 1982 (insbesondere aus personalvertretungsrechtlichen Gründen) zu berufen, verwirkt hat.
a) Die Verwirkung eines Rechts ist ein Sonderfall des Verbotes der unzulässigen Rechtsausübung (vgl. statt aller Staudinger/Schmidt, BGB, 12. Aufl., § 242 Rz 479 m.w.N.). Verwirkt ist ein Ausspruch oder die Berufung auf eine günstige Rechtsstellung dann, wenn der Berechtigte längere Zeit hindurch untätig geblieben ist, dadurch den Eindruck erweckt hat, er wolle sich auf die für ihn günstige Rechtsfolge nicht mehr berufen, sein Vertragspartner sich auf den dadurch geschaffenen Vertrauenstatbestand eingestellt hat und es ihm deshalb nicht mehr zugemutet werden kann, dem verspäteten Begehren des Berechtigten zu entsprechen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. z.B. Urteile vom 28. Juli 1960 - 2 AZR 105/59 - und vom 18. Dezember 1964 - 1 AZR 88/64 - AP Nr. 17 und 36 zu § 242 BGB Verwirkung sowie BAG 26, 161 = AP Nr. 3 zu § 9 MuSchG 1968).
b) Die Anwendung dieser Grundsätze führt im Streitfall zu dem Ergebnis, daß die Klägerin - im Falle der Bejahung ihrer Geschäftsfähigkeit in dem maßgeblichen Zeitraum vom Zugang der fristlosen Kündigung bis zur Klageeinreichung - ihr Recht, sich auf die angebliche Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung zu berufen, verwirkt hat.
aa) Das Zeitmoment der Verwirkung ergibt sich aus der Tatsache, daß sich die Klägerin auf die angebliche Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29. November 1982 erstmals mit der am 20. Juni 1983 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage berufen hat. Es liegt im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien, daß möglichst bald gerichtlich geklärt wird, ob eine fristlose Kündigung seitens des Arbeitgebers wirksam ist oder nicht. Dies gilt auch bei sonstigen Nichtigkeitsgründen i.S. des § 13 Abs. 3 KSchG, deren Vorliegen der unter den Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes fallende Arbeitnehmer auch noch nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG gerichtlich geltend machen kann. Ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten stellt im Streitfall angesichts des Verhaltens der Klägerin nach der Kündigung eine unter dem Aspekt der Verwirkung erhebliche Zeitspanne dar.
bb) Im vorliegenden Fall durfte das beklagte Land auch darauf vertrauen, die Klägerin werde sich auf die angebliche Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29. November 1982 (insbesondere aus personalvertretungsrechtlichen Gründen) nicht mehr berufen. Es liegen besondere Umstände vor, aus denen sich für das beklagte Land ein Vertrauenstatbestand ergeben hat, die Klägerin werde die fristlose Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses hinnehmen.
Die Klägerin ist nach der fristlosen Kündigung vom 29. November 1982 nicht untätig geblieben, sondern hat sich in mehreren Schreiben an das beklagte Land sowie an den Personalrat gewandt. In dem an den Gründungsrektor der Universität-Gesamthochschule S gerichteten Schreiben vom 30. November 1982 hat die Klägerin in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, daß sie die fristlose Kündigung für unwirksam hält und gegebenenfalls eine entsprechende Feststellungsklage erheben werde. Dem Personalrat hat die Klägerin mit Schreiben vom 2. Dezember 1982 untersagt, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen. Über diese Reaktion der Klägerin hat der Personalratsvorsitzende mit Schreiben vom 22. Dezember 1982 den Gründungsrektor sowie den Kanzler der Universität-Gesamthochschule S unterrichtet. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1982 hat die Klägerin das beklagte Land aufgefordert, ihr zur Vervollständigung der Kündigungsunterlagen die Lohnsteuerkarte, das Versicherungsheft und ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu übersenden. Auch aus diesem Schreiben geht in keiner Weise hervor, daß die Klägerin Bedenken gegen die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29. November 1982 (insbesondere aus personalvertretungsrechtlichen Gründen) hat. Nach seinem Wortlaut kann das Schreiben vom 21. Dezember 1982 zwar nicht als Verzicht der Klägerin auf ihre kündigungsschutzrechtliche Position ausgelegt werden. Das Verlangen nach Aushändigung der Arbeitspapiere unter Hinweis auf die fristlose Kündigung vom 29. November 1982 sowie die Bitte um Ausstellung eines qualifizierten Zeugnisses ohne Hinweis auf einen anderen Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses waren dazu geeignet, bei dem beklagten Land den Eindruck zu erwecken, die Klägerin habe keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29. November 1982. Dieser Eindruck mußte sich bei dem beklagten Land noch durch die Mitteilung des Vorsitzenden des Personalrats für wissenschaftliches und künstlerisches Personal vom 22. Dezember 1982 verstärken. Die in diesem Schreiben enthaltene Unterrichtung über das ablehnende Verhalten der Klägerin gegenüber dem Personalrat stellte für das beklagte Land insofern ein weiteres Vertrauensmoment dar, als es davon ausgehen konnte, die Klägerin habe sich zwischenzeitlich mit der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 29. November 1982 abgefunden. Die Nichterhebung einer Feststellungsklage innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG, die Nichtgeltendmachung eines Weiterbeschäftigungsbegehrens sowie die unterlassene Geltendmachung von Vergütungsansprüchen für die Zeit nach der fristlosen Kündigung stellen für das beklagte Land weitere Vertrauensumstände dar. Jedenfalls durfte das beklagte Land nach Ablauf einer Zeitspanne von ca. 6 1/2 Monaten davon ausgehen und sich darauf einrichten, daß sich die Klägerin nicht auf sonstige Nichtigkeitsgründe i.S. des § 13 Abs. 3 KSchG berufen werde.
cc) Angesichts des von der Klägerin geschaffenen Vertrauenstatbestandes und der vom beklagten Land hierauf vorgenommenen Neubesetzung der Stelle war es dem beklagten Land unter Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht zuzumuten, auf die erstmals in der Klageschrift und damit nach Ablauf von ca. 6 1/2 Monaten geäußerten formellen Bedenken der Klägerin hinsichtlich der angeblichen Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung einzugehen.
2. Da bei einer gegebenenfalls zu bejahenden Geschäftsfähigkeit der Klägerin in der Zeit zwischen Zugang der fristlosen Kündigung (29. November 1982) und Klageeinreichung (20. Juni 1983) Verwirkung eingetreten ist, kann es dahingestellt bleiben, ob die vom Landesarbeitsgericht im angefochtenen Urteil vorgenommene Würdigung der personalvertretungsrechtlichen Fragen zutreffend ist.
Dr. Seidensticker Dr. Steckhan Dr. Becker
Dr. Johannsen Kordus
Fundstellen