Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers
Orientierungssatz
Schäden, die ein Arbeitnehmer bei gefahrgeneigter Arbeit nicht grob fahrlässig verursacht hat, sind bei normaler Schuld in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen; dabei sind die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolgen nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen. Bei geringer Schuld des Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber solche Schäden allein zu tragen.
Normenkette
BGB §§ 254, 276-277, 280, 286, 611, 823
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 29.09.1982; Aktenzeichen 15 Sa 678/82) |
ArbG Herne (Entscheidung vom 17.03.1982; Aktenzeichen 1 Ca 2481/81) |
Tatbestand
Die Beklagte war bei der Klägerin als Taxifahrerin beschäftigt. Ihr Arbeitsverdienst betrug von Januar bis Juni 1981 durchschnittlich 700,-- DM netto im Monat. Am 17. Juli 1981 war die Beklagte in Ausübung ihrer Tätigkeit mit einem Mercedes 200 D der Klägerin in R unterwegs. Nachts gegen 1.10 Uhr geriet sie auf regennasser Fahrbahn am Ende einer Linkskurve ins Schleudern, kam nach links von der Fahrbahn ab und prallte frontal gegen einen Baum.
Mit der Klage hat die Klägerin Ersatz ihres gesamten Unfallschadens in Höhe von 14.219,10 DM und die Herausgabe der den Tageslohn der Beklagten übersteigenden Einnahmen des Unfalltags in Höhe von 83,30 DM verlangt. Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte sei mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 65 Stundenkilometern und damit zu schnell gefahren. Die Straße sei übersichtlich und die Straßenbeleuchtung eingeschaltet gewesen. Die Strecke sei der Beklagten - auch von Nachtfahrten her - bekannt gewesen. Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
14.302,40 DM nebst 18 % Zinsen seit
dem 7. Oktober 1981 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, ihre Geschwindigkeit habe nicht einmal 40 Stundenkilometer betragen. Der Unfall beruhe auf einem nicht vorhersehbaren Ausfallverhalten des Fahrzeugs, das auf einen - unstreitigen - früheren Unfall zurückzuführen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 1.459,27 DM verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin der Klage in Höhe weiterer 356,50 DM stattgegeben. Es hat angenommen, der Beklagten sei mittlere Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Da ihre Tätigkeit gefahrgeneigt gewesen sei, habe sie nur die Hälfte des Schadens zu tragen. Für den in der Schadensaufstellung enthaltenen Fahrzeugschaden und die Sachverständigenkosten stünden der Klägerin jedoch nur 1.000,-- DM zu. Die Klägerin müsse sich entgegenhalten lassen, daß ihr Fahrzeug nicht mit einer Selbstbeteiligung in dieser Höhe kaskoversichert gewesen sei. Mit der Revision macht die Klägerin die Hälfte des Fahrzeugschadens in Höhe von 4.336,27 DM abzüglich der zugesprochenen 1.000,-- DM und die Hälfte der Sachverständigenkosten in Höhe von 185,75 DM, insgesamt also weitere 3.522,02 DM des abgewiesenen Teils der Klageforderung geltend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Haftung der Beklagten übersteigt hinsichtlich des in der Revisionsinstanz allein streitig gebliebenen Fahrzeugschadens, zu dem auch die Sachverständigenkosten gehören (vgl. BGH Urteil vom 12. Januar 1982 - VI ZR 265/80 -, DB 1982, 1057), nicht den vom Berufungsgericht der Klägerin zugesprochenen Betrag von 1.000,-- DM.
I. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, ist die Beklagte aus positiver Forderungsverletzung (§§ 280, 286 BGB analog) und unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB) zum Ersatz des an dem Fahrzeug der Klägerin entstandenen Schadens verpflichtet.
II. Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Beklagte für den Schaden nur eingeschränkt haftet, weil dieser in Ausübung einer gefahrgeneigten Arbeit entstanden ist und die Beklagte nicht grob fahrlässig gehandelt hat.
1. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß das Führen des Kraftfahrzeugs im Unfallzeitpunkt als gefahrgeneigte Arbeit anzusehen war. Das Berufungsgericht ist damit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt, nach der die Arbeit eines Kraftfahrers in der Regel gefahrgeneigt ist, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen können (vgl. BAG Urteile vom 3. März 1960 - 2 AZR 377/58 - AP Nr. 22 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; vom 13. März 1968 - 1 AZR 362/67 - AP Nr. 42 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; vom 7. Juli 1970 - 1 AZR 507/69 - AP Nr. 59 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; vom 23. März 1983 - 7 AZR 391/79 - BAGE 42, 130 = AP Nr. 82 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers und vom 21. Oktober 1983 - 7 AZR 488/80 - BAGE 44, 170 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Insoweit erhebt die Revision auch gegen das angefochtene Urteil keine Einwände.
2. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Unfall fahrlässig (§ 276 Abs. 1 BGB), aber nicht grob fahrlässig (§ 277 BGB), verursacht.
Der Begriff des Verschuldens und der der einzelnen Arten des Verschuldens, wie einfache oder grobe Fahrlässigkeit, sind Rechtsbegriffe (vgl. BGHZ 10, 14, 16 und 10, 69, 74). Die Feststellung ihrer Voraussetzungen liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, wobei dem Tatrichter ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zusteht. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteile vom 13. März 1968 - 1 AZR 362/67 - und vom 7. Juli 1970 - 1 AZR 505/69 - AP Nr. 42 und 58 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers und BAGE 23, 151 = AP Nr. 63 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Dieser eingeschränkten Nachprüfung halten die Ausführungen des Berufungsgerichts stand. Das Landesarbeitsgericht hat grobe Fahrlässigkeit, also einen das in § 276 BGB bestimmte Maß erheblich übersteigenden Pflichtverstoß der Beklagten (vgl. BAG Urteil vom 20. März 1973 - 1 AZR 337/72 - AP Nr. 72 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers), zu Recht abgelehnt. Die Klägerin hat diese Würdigung durch das Landesarbeitsgericht mit dem Hinweis darauf beanstandet, der Unfall sei auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen. Daraus läßt sich aber nicht herleiten, das Berufungsgericht habe den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt. Überhöhte Geschwindigkeit allein zwingt noch nicht zu dem Schluß, der Fahrer habe einen die Verletzung der verkehrsüblichen Sorgfalt erheblich übersteigenden Pflichtverstoß begangen. Es kommt auf das Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung an. Zwar hat das Berufungsgericht zu dieser Frage ausdrücklich keine Feststellungen getroffen. Dem Zusammenhang seiner Begründung ist jedoch zu entnehmen, daß es der Behauptung der Klägerin gefolgt ist, die Beklagte sei mit einer Geschwindigkeit von 60 oder 65 Stundenkilometern gefahren. Wenn das Berufungsgericht keine Veranlassung sah, daraus auf grobe Fahrlässigkeit zu schließen, so ist dies revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die übrigen Feststellungen, die den Ausführungen des Berufungsurteils zugrunde liegen, hat die Klägerin nicht mit Revisionsrügen angegriffen.
3. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zu Recht angenommen, daß die Beklagte bei diesem Verschuldensmaß für den an dem Fahrzeug der Klägerin entstandenen Schaden nur anteilig einzustehen hat. Es ist damit der Auffassung gefolgt, die das Bundesarbeitsgericht im Anschluß an den Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 25. September 1957 (BAGE 5, 1 ff. = AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO) in ständiger Rechtsprechung vertreten hat. Nach ihr sind Schäden, die ein Arbeitnehmer bei gefahrgeneigter Arbeit grob fahrlässig verursacht, in der Regel von ihm allein zu tragen. Schäden, die ein Arbeitnehmer bei gefahrgeneigter Arbeit nicht grob fahrlässig verursacht hat, sind bei normaler Schuld in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen; dabei sind die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolgen nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen. Bei geringer Schuld des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber solche Schäden allein zu tragen (vgl. BAG Urteile vom 19. März 1959 - 2 AZR 402/55 - BAGE 7, 290 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; vom 21. November 1959 - 2 AZR 547/58 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; vom 29. Juni 1964 - 1 AZR 434/63 - AP Nr. 33 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; vom 28. April 1970 - 1 AZR 146/69 - AP Nr. 55 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; vom 7. Juli 1970 - 1 AZR 505/69 - AP Nr. 58 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; vom 3. November 1970 - 1 AZR 228/70 - AP Nr. 61 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; vom 11. September 1975 - 3 AZR 561/74 - AP Nr. 78 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers und vom 11. November 1976 - 3 AZR 266/75 - AP Nr. 80 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Dieser Auffassung folgt auch der erkennende Senat. Der Meinung des Siebten Senats, der Arbeitnehmer hafte für Schäden, die er in Ausübung gefahrgeneigter Arbeit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt hat, überhaupt nicht (vgl. Urteile vom 23. März 1983 - 7 AZR 391/79 - BAGE 42, 130 = AP Nr. 82 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, und vom 21. Oktober 1983 - 7 AZR 488/80 - BAGE 44, 170 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers), vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Er nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine ausführliche Begründung im sogleich ergangenen Urteil - 8 AZR 524/82 - (zu B III der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt) Bezug.
III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Anspruchshöhe ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Unfallschaden sei von den Parteien grundsätzlich je zur Hälfte zu tragen, die Klägerin sei aber verpflichtet gewesen, für das Unfallfahrzeug, das laut Sachverständigengutachten einen Wiederbeschaffungswert von 9.026,55 DM hatte, eine Kaskoversicherung mit der Selbstbeteiligung von 1.000,-- DM abzuschließen. In Höhe dieses Betrags müsse die Beklagte für den Fahrzeugschaden haften.
2. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, die die Revision im einzelnen nur insoweit angreift, als das Landesarbeitsgericht die Verpflichtung der Klägerin zum Abschluß einer Kaskoversicherung bejaht hat, halten der revisionsgerichtlichen Nachprüfung stand.
a) Die Erwägungen, mit denen das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt ist, die Parteien seien für den entstandenen Schaden grundsätzlich jeweils in Höhe der Hälfte verantwortlich, lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen.
Die Verteilung der Verantwortlichkeit für einen entstandenen Schaden im Rahmen des § 254 BGB ist in erster Linie Sache tatrichterlicher Würdigung. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob die Tatsachengerichte alle Unterlagen ordnungsgemäß festgestellt, bei der Abwägung verwertet und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen haben (BGH LM Nr. 1 und 2 zu § 254 (G) BGB; BAG Urteil vom 14. April 1967 - 5 AZR 535/65 - AP Nr. 12 zu § 565 ZPO). Dies gilt auch, wenn im Rahmen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs dem Verschulden des Arbeitnehmers gegenüber das Betriebsrisiko des Arbeitgebers entsprechend § 254 BGB zu berücksichtigen ist.
Bei Beachtung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist es nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht angenommen hat, die Beklagte hafte grundsätzlich für die Hälfte des Schadens. Dagegen erhebt die Revision auch keine Beanstandungen.
b) Das Berufungsurteil ist aber auch insoweit frei von Rechtsirrtum, wie es die Haftung der Beklagten für den Fahrzeugschaden auf den Betrag von 1.000,-- DM beschränkt hat, der der Klägerin bei Abschluß einer Kaskoversicherung mit einer Selbstbeteiligung in dieser Höhe als Schaden verblieben wäre.
Zwar ist der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer, der ein betriebseigenes Kraftfahrzeug zu führen hat, nicht verpflichtet, eine Kraftfahrzeugkaskoversicherung abzuschließen, wenn sich dies nicht aus dem Arbeitsvertrag oder den das Arbeitsverhältnis gestaltenden normativen Bestimmungen ergibt. Haftet der Arbeitnehmer, der mit dem Kraftfahrzeug seines Arbeitgebers einen Unfall verschuldet hat, aber nach den Grundsätzen über den innerbetrieblichen Schadensausgleich für den an dem Fahrzeug des Arbeitgebers entstandenen Schaden anteilig, so kann bei Abwägung aller für den Haftungsumfang maßgebenden Umstände zu Lasten des Arbeitgebers ins Gewicht fallen, daß dieser für das Unfallfahrzeug keine Kaskoversicherung abgeschlossen hatte. Dies kann dazu führen, daß der Arbeitnehmer nur in Höhe der Selbstbeteiligung haftet, die bei Abschluß einer Kaskoversicherung zu vereinbaren gewesen wäre. Der Senat hat dies in seinem sogleich ergangenen Urteil - 8 AZR 66/82 - (zu III der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden. Er nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung dieses Urteils Bezug.
Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Arbeitnehmer an der Wiedergutmachung des Schadens zu beteiligen ist, richtet sich nach der Größe der in der Arbeit liegenden Gefahr, nach dem vom Arbeitgeber einkalkulierten oder durch Versicherung deckbaren Risiko, nach der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, nach der Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie für den Arbeitnehmer enthalten sein kann, nach der Höhe des Schadens, weiter besonders nach dem Grad seines Verschuldens und überhaupt nach den persönlichen Umständen des Arbeitnehmers, wie der Dauer der Betriebszugehörigkeit in der vergangenen Zeit, seinem Lebensalter, den Familienverhältnissen sowie seinem bisherigen Verhalten (ständige Rechtsprechung seit BAGE 5, 1 ff. = AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RV0; vgl. auch Klimke, DB 1986, 114, 117).
Die Abwägung des Berufungsgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, daß das Unfallfahrzeug im Unfallzeitpunkt noch einen Wiederbeschaffungswert von mehr als 9.000,-- DM hatte und somit das Jahreseinkommen der Beklagten überstieg. Wenn es daraus geschlossen hat, daß der Klägerin der Abschluß einer Kaskoversicherung mit Selbstbeteiligung von 1.000,-- DM zumutbar war, so ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Pradel Sperl
Fundstellen
HV-INFO 1988, 1515-1519 (T) |