Entscheidungsstichwort (Thema)
Tätigkeit für Arbeiter- und-Bauern-Inspektion
Leitsatz (amtlich)
- Vor dem 1. Juli 1990 konnten Tarifverträge in der ehemaligen DDR erst mit der Bestätigung und Registrierung nach § 14 Abs. 2 AGB-DDR (1977) wirksam werden.
- Es bleibt unentschieden, ob im Vorgriff auf das Inkrafttreten des TVG in der DDR bereits vor dem 1. Juli 1990 Tarifverträge, die nicht vor dem 1. Juli 1990 in Kraft treten sollten, nach den Regelungen des TVG abgeschlossen werden konnten.
- Die Protokollnotiz zur Zahlung der zusätzlichen Belohnung zwischen dem Wirtschaftsverband Kohle e.V. und der IG Bergbau und Energie vom 30. April 1991 ist ein Tarifvertrag.
- Zeiten, in denen ein Arbeitsverhältnis mit einem Bergbauunternehmen bestand, sind auch dann als Zeiten der Bergbauzugehörigkeit i.S. der Protokollnotiz zur Begründung eines Anspruchs auf “zusätzliche Belohnung” geeignet, wenn der Arbeitnehmer ausschließlich für die Arbeiter- und-Bauern-Inspektion tätig gewesen ist.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Bergbau; Protokollnotiz zur Zahlung der zusätzlichen Belohnung zwischen dem Wirtschaftsverband Kohle e.V. und der IG Bergbau und Energie vom 30. April 1991; AGB-DDR § 14 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Brandenburg (Urteil vom 07.04.1992; Aktenzeichen 1 Sa 17/92) |
ArbG Cottbus (Urteil vom 30.10.1991; Aktenzeichen 2 Ca 1836/91) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 7. April 1992 – 1 Sa 17/92 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Zeiten der Zugehörigkeit zum Bergbau aufweist, die Voraussetzung für eine als “zusätzliche Belohnung” bezeichnete tarifliche Sonderzuwendung sind.
Der Kläger hat 1974 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Arbeitsvertrag abgeschlossen, in dem seine Tätigkeit als diejenige eines “Kontrollingenieurs ABI-KSP” bezeichnet wurde. In Änderungsverträgen von 1976 und von 1982 wurde seine Aufgabe als diejenige eines “persönlichen Mitarbeiters GD” bzw. eines “persönlichen Mitarbeiters” beschrieben. Bis zum Dezember 1989 war der Kläger im Betrieb der Beklagten ausschließlich für die “Arbeiter- und-Bauern-Inspektion” der DDR (ABI) tätig, danach als Facharbeiter Wärmetechnik. Der Kläger hat auch in der Zeit seiner ausschließlichen Tätigkeit für die ABI sein Arbeitsentgelt von der Beklagten erhalten. Die Parteien sind tarifgebunden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, aufgrund der seit 1974 zurückgelegten Beschäftigungszeit im Bergbau habe er Anspruch auf eine “zusätzliche Belohnung” in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.886,00 DM. Dies ergebe sich aus einer am 31. Mai 1990 zwischen der Braunkohlen- und Gasindustrie einerseits und der Industriegewerkschaft Bergbau-Energie-Wasserwirtschaft Berlin andererseits getroffenen und als Manteltarifvertrag bezeichneten Vereinbarung (MTV-BG) sowie aus einer am 30. April 1991 zwischen dem Wirtschaftsverband Kohle e.V. und der IG Bergbau und Energie abgeschlossenen und als “Protokollnotiz zur Zahlung der zusätzlichen Belohnung” bezeichneten Vereinbarung (Protokollnotiz).
Im MTV-BG, der nicht im Tarifregister der ehemaligen DDR registriert worden ist, heißt es:
Ҥ 15
Zusätzliche Belohnung
- …
- Zur einheitlichen Anwendung der vorgenannten Regelung für die langjährige Zugehörigkeit zum Bergbau sind die Höhe und Bedingungen in einem Tarifvertrag zu vereinbaren.”
In der Protokollnotiz ist – unter Berücksichtigung einer am 12. Juni 1991 vorgenommenen Ergänzung – folgendes bestimmt:
Die Tarifvertragsparteien haben Übereinstimmung zur Anwendung des § 15 MTV in folgender Fassung:
Für den Anspruchszeitraum vom 1.7.1990 bis zum 30.6.1991 wird eine zusätzliche Belohnung gewährt.
Berechnungsgrundlage ist der Bruttolohn im Zeitraum 1.1.-31.12.1990.
Die Höhe der zusätzlichen Belohnung ergibt sich bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung in Abhängigkeit von der Bergbauzugehörigkeit des Arbeitnehmers aus dem Jahresbruttoverdienst 1990 nach den bisherigen Berechnungsvorschriften.
Danach erhalten Arbeitnehmer über Tage mit Ausnahme von Auszubildenden:
…
nach zwölfjähriger Beschäftigungszeit 10 % des jährlichen Bruttolohnes.
Arbeitnehmern, deren Arbeitsaufgabe in einer bestätigten Liste der bergmännischen Tätigkeiten enthalten ist, wird die zusätzliche Belohnung wie folgt gewährt:
…
Als Bergbauzugehörigkeit im Sinne dieser Protokollnotiz gelten weder anwartschaftssteigernd noch anwartschaftserhaltend nachfolgende Zeiten, wenn eine rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Unternehmen des Wirtschaftsverbandes Kohle e.V. oder dessen Rechtsvorgänger vorlag:
- Zeiten des Dienstes in den Schutz- und Sicherheitsorganen und Zeiten, die über die Dauer des Grundwehrdienstes von 3 bzw. 4 Jahren hinausgehen;
- Zeiten einer hauptamtlichen Tätigkeit in Parteien und Massenorganisationen sowie in Staatsorganen;
- Zeiten der Wahrnehmung einer Wahlfunktion außerhalb des Unternehmens.
- Für Mitarbeiter des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit gilt für die Berechnung der Bergbauzugehörigkeit das tatsächliche Ankehrdatum im Unternehmen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.886,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Juli 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Auffassung fehlt es schon an einer tariflichen Grundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch, denn der MTV sei mangels Registrierung nicht wirksam geworden, und mit der Protokollnotiz habe keine eigene Anspruchsnorm geschaffen werden sollen. Im übrigen fehle es, da der Kläger ausschließlich für die ABI tätig gewesen sei, auch an der in der Protokollnotiz für einen Anspruch auf “zusätzliche Belohnung” vorausgesetzten Beschäftigungszeit im Bergbau. Das bloße Vorhandensein von Verträgen, die als Arbeitsverträge bezeichnet waren, reiche hierfür nicht aus. Dies gelte auch deshalb, weil die Rechtsvorgängerin der Beklagten faktisch keine Möglichkeit gehabt habe, die Unterschrift unter den Arbeitsverträgen mit dem Kläger zu verweigern. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß die Kontrolltätigkeit der ABI auf der Bespitzelung der einzelnen Arbeitnehmer beruht habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen erkannt, daß der Kläger Anspruch auf die von ihm begehrte “zusätzliche Belohnung” hat.
A. Zwar ergibt sich der Anspruch nicht bereits aus dem MTV-BG.
I. Zweifelhaft ist schon, ob der am 31. Mai 1990 abgeschlossene MTV-BG als Rechtsnorm überhaupt wirksam geworden ist, denn er ist nicht durch das zuständige Staatsorgan bestätigt und registriert worden.
Nach § 14 Abs. 2 AGB-DDR (1977) hätte der MTV zu seinem Wirksamwerden der Bestätigung und Registrierung bedurft. Diese Vorschrift galt bis zu der zum 1. Juli 1990 erfolgten Inkraftsetzung des TVG im Gebiet der DDR durch § 31 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 (GBl DDR I S. 357,362). Vor dem 1. Juli 1990 konnten Tarifverträge und Rahmenkollektivverträge daher erst mit der Bestätigung und Registrierung wirksam werden (BAG Urteile vom 13. Februar 1992 – 8 AZR 269/91 – und vom 21. Mai 1992 – 8 AZR 436/91 – AP Nr. 1 und 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR).
Zwar hat der MTV-BG vor dem 1. Juli 1990 keine Geltung beansprucht. Vielmehr sollte er erst zu diesem Termin, also unter der Geltung des TVG, in Kraft treten. Dagegen, daß ein solcher gewissermaßen im Vorgriff auf das Inkrafttreten des TVG vor dem 1. Juli 1990 abgeschlossener Tarifvertrag trotz Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 AGB-DDR Wirksamkeit erlangt hat, könnte aber sprechen, daß die Tarifvertragsparteien im Zeitpunkt des Abschlusses dieses Tarifvertrages noch nicht über die Normsetzungsmacht nach dem TVG verfügten.
II. Diese Frage konnte das Landesarbeitsgericht aber dahinstehen lassen. Dem Berufungsgericht ist nämlich darin zu folgen, daß der MTV-BG keine anspruchsbegründende Norm enthält. Er trifft keine inhaltliche Regelung über die Gewährung der “zusätzlichen Belohnung”, sondern überläßt in § 15 Abs. 2 ausdrücklich die Festlegung der Voraussetzungen und der Höhe des Anspruchs einem noch abzuschließenden Tarifvertrag.
B. Der Anspruch des Klägers folgt aus Nr. 1, 2 und 7 der Protokollnotiz.
I. Diese Protokollnotiz hat Tarifcharakter. Es ist allgemein anerkannt, daß es insoweit nicht entscheidend darauf ankommt, ob die Tarifvertragsparteien den Begriff Tarifvertrag verwendet haben. Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob in der Protokollnotiz der Wille der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt (vgl. BAGE 41, 307, 313 f. = AP Nr. 20 zu § 1 TVG; BAGE 56, 120, 123 f. = AP Nr. 15 zu § 4 TVG Effektivklausel; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 113; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rz 10).
Entgegen der Auffassung der Revision ist dies hier der Fall. Die Protokollnotiz kann schon deshalb nicht als bloße Hilfe zur Auslegung des MTV-BG verstanden werden, weil es keine Bestimmung des MTV-BG gibt, deren Auslegung sie dienen könnte. Der MTV-BG enthält zur Zahlung der zusätzlichen Belohnung, die alleiniger Gegenstand der Protokollnotiz ist, keine Regelung über Voraussetzungen und Inhalt des Anspruchs. Vielmehr überläßt er diese in § 15 Abs. 2 ausdrücklich einem noch abzuschließenden Tarifvertrag. Es kommt hinzu, daß die Protokollnotiz ihrerseits in sehr detaillierter Form die Anspruchsvoraussetzungen und den Leistungsumfang für die zusätzliche Belohnung umschreibt. Schließlich kommt der Normsetzungswille der Tarifvertragsparteien auch im Einleitungssatz der Protokollnotiz zum Ausdruck, in dem die Übereinstimmung “zur Anwendung des § 15 MTV in folgender Fassung” niedergelegt wird. Die Formulierung einer neuen Fassung ist ein typischer Akt der Normsetzung.
II. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen, die in der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifbindung anwendbaren Protokollnotiz für den Anspruch auf die zusätzliche Belohnung festgelegt sind. Er weist die nach Nr. 2 der Protokollnotiz erforderliche Bergbauzugehörigkeit von mindestens 12 Jahren, die bei einer zehnprozentigen Belohnung notwendig ist, auf, da sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten und ihren Rechtsvorgängern seit 1974 besteht.
1. Zur Ermittlung der in Nr. 2 der Protokollnotiz geforderten Dauer der Bergbauzugehörigkeit ist hier auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abzustellen. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung des Wortlauts der Tarifbestimmung aus ihrem Zusammenhang mit anderen Normen des Tarifvertrages.
a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, über die hier zwischen den Parteien Streit besteht, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Soweit der Tarifwortlaut nicht eindeutig ist, ist der in den tariflichen Normen zum Ausdruck kommende wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (vgl. z.B. Senatsurteil vom 23. September 1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I 2a der Gründe, m.w.N.).
b) Der Wortlaut der Nr. 2 der Protokollnotiz enthält bereits Anhaltspunkte dafür, daß es zur Berechnung der Bergbauzugehörigkeit ausreicht, wenn allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses die geforderte Dauer aufweist. Eindeutig ist die Formulierung dieser Tarifnorm insoweit jedoch nicht.
aa) Dafür, daß allein schon der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses genügt, spricht der in Nr. 2 verwendete Begriff “Bergbauzugehörigkeit”. Dieser Begriff verlangt nämlich lediglich die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einem Bergbauunternehmen. Besteht zwischen dem Arbeitnehmer und dem Unternehmen das rechtliche Band eines Arbeitsverhältnisses, so wird dadurch diese Zugehörigkeit begründet. Ein weiteres Erfordernis des Inhalts, daß der Arbeitnehmer auch tatsächlich von dem Unternehmen zur Arbeitsleistung herangezogen werden muß, läßt sich dagegen aus dem Begriff “Bergbauzugehörigkeit” nicht herleiten.
Zwar könnte der Wortbestandteil “Bergbau” darauf hindeuten, daß zusätzlich zum Bestand des Arbeitsverhältnisses noch die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einem mit bergmännischen Tätigkeiten betrauten Unternehmensteil zu fordern wäre. Daß dies für Nr. 2 der Protokollnotiz jedoch nicht der Fall ist, ergibt sich schon daraus, daß diese Bestimmung neben einem Leistungskatalog für Arbeitnehmer in bergmännischen Tätigkeiten ausdrücklich auch einen für Arbeitnehmer über Tage enthält.
bb) Der in Nr. 2 der Protokollnotiz synonym mit “Bergbauzugehörigkeit” verwendete Begriff “Beschäftigungszeit” läßt allerdings dem Wortsinn nach neben der unter aa dargestellten Auslegung auch die Deutung zu, daß zusätzlich eine – im Fall der Tätigkeit für die ABI nicht vorliegende – tatsächliche Beschäftigung für ein Bergbauunternehmen zu verlangen ist. So ist der Senat in seinem Urteil vom 24. März 1993 (– 4 AZR 291/92 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Autokraft, zu II 2b der Gründe) davon ausgegangen, daß eine solche Auslegung dem Wortsinn nach möglich ist, und hat aufgrund des Regelungszusammenhanges des in diesem Fall entscheidungserheblichen Tarifvertrages den Zeitpunkt der tatsächlichen Arbeitsaufnahme als maßgebend für den Beginn der Beschäftigungszeit angesehen.
Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, daß der Tarifbegriff “Beschäftigungszeit” immer und auch bei Fehlen zusätzlicher Anhaltspunkte im Tarifvertrag die tatsächliche Tätigkeit für das Unternehmen voraussetzen würde. Hiergegen spricht schon, daß der Begriff “Beschäftigung” im Arbeitsrecht keineswegs einheitlich in diesem Sinne verwandt wird. Zwar ist teilweise die tatsächliche Beschäftigung gemeint (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG), teils aber auch der Bestand eines Rechtsverhältnisses (vgl. § 5 Abs. 1 BetrVG), und regelmäßig sind Unterbrechungen der tatsächlichen Tätigkeit für die Berechnung von Beschäftigungszeiten unschädlich (vgl. Senatsurteil vom 15. Oktober 1986 – 4 AZR 584/85 –, n.v.).
c) Aus dem Zusammenhang der Nr. 2 mit Nr. 7 und 8 der Protokollnotiz ergibt sich aber, daß der bloße Bestand des Arbeitsverhältnisses zur Begründung der Bergbauzugehörigkeit ausreicht. In Nr. 7 sind nämlich z.B. Zeiten einer hauptamtlichen Tätigkeit in Parteien oder Staatsorganen sowie Zeiten der Wahrnehmung von Wahlfunktionen außerhalb des Unternehmens nur dann von der Anrechnung als Zeiten der Bergbauzugehörigkeit ausgenommen, wenn mit ihnen die “rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses” mit dem Bergbauunternehmen verbunden war. Dieses – erst nach – träglich in die Protokollnotiz eingefügte – Tatbestandsmerkmal wäre überflüssig, wenn derartige Zeiten unabhängig vom Bestand eines Arbeitsverhältnisses ohnehin nicht der Bergbauzugehörigkeit zuzurechnen wären, weil es in diesen Fällen schon an einer tatsächlich für das Unternehmen ausgeübten Tätigkeit fehlt.
Die gleichen Gesichtspunkte ergeben sich aus Nr. 8 der Protokollnotiz, nach der für die Berechnung der Bergbauzugehörigkeit ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit das tatsächliche Ankehrdatum im Unternehmen maßgeblich ist. Auch diese nachträglich in die Protokollnotiz eingefügte Bestimmung wäre entgegen der Auffassung der Revision überflüssig, wenn nicht nach Nr. 2 der Protokollnotiz der bloße Bestand des Arbeitsverhältnisses ohne tatsächliche Tätigkeit für das Unternehmen als Bergbauzugehörigkeit anzusehen wäre. Zu Unrecht macht die Revision in diesem Zusammenhang geltend, diese Ausnahmebestimmung ziele auf Arbeitnehmer, die neben ihrer Arbeit für das Kombinat zugleich Dienste für das MfS geleistet haben. Deren Ansprüche können nämlich durch eine Bestimmung, die auf das “tatsächliche Ankehrdatum im Unternehmen” abstellt, nicht eingeschränkt werden.
2. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß bereits während der Zeit, in der der Kläger für die ABI tätig war, ein Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen bestanden hat, wenn auch eine möglicherweise bestehende Pflicht des Klägers zur Arbeitsleistung im Unternehmen geruht haben mag. Gegen die Wirksamkeit des zwischen dem Kläger und dem Unternehmen abgeschlossenen Arbeitsvertrages bestehen keine Bedenken.
a) Erfolglos beruft sich die Beklagte darauf, daß der Kläger aufgrund seiner ausschließlichen Inanspruchnahme für die ABI keine Arbeitsleistung für das Unternehmen habe erbringen können. Eine Nichtigkeit oder Unwirksamkeit seines Arbeitsvertrages kann hieraus weder nach dem ZGB noch nach dem AGB der DDR hergeleitet werden.
aa) Es mag dahinstehen, ob und ggf. in welchem Umfang Vorschriften des ZGB auf Arbeitsverträge anwendbar waren, denn keiner der in § 68 ZGB für die Nichtigkeit von Verträgen enthaltenen Gründe liegt hier vor.
So war der Arbeitsvertrag des Klägers nicht etwa als ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Vertrag nach § 68 Abs. 1 Nr. 3 ZGB nichtig. Nach den insoweit mit Rügen nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils enthielt der Arbeitsvertrag von 1974 lediglich die Aufgabenbeschreibung “Kontrollingenieur ABI-KSP”. Diese Tätigkeit hat der Kläger auch tatsächlich ausgeübt, so daß eine Unmöglichkeit der vertraglich geschuldeten Leistung von vornherein ausscheidet. Soweit der Kläger Tätigkeiten als persönlicher Mitarbeiter nicht ausgeübt hat, die in späteren Verträgen vereinbart worden sind, hat die Beklagte keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich die anfängliche objektive Unmöglichkeit der dem Kläger obliegenden Leistung ergeben würde. Daraus, daß der Kläger weiterhin ausschließlich für die ABI tätig gewesen ist, ergibt sich nicht, daß ihm eine Tätigkeit für das Unternehmen objektiv unmöglich gewesen wäre.
bb) Auch die Vorschriften des AGB-DDR standen der Wirksamkeit des Arbeitsvertrages nicht entgegen. Soweit überhaupt der Fall geregelt war, daß der Werktätige eine vereinbarte Arbeitsaufgabe nicht wahrnehmen kann, war in § 45 AGB-DDR (1977) lediglich vorgeschrieben, daß der einer Beschäftigung entgegenstehende Mangel zu beseitigen oder, falls dies nicht möglich ist, der Arbeitsvertrag aufzulösen ist.
b) Gegen die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages greift auch der Einwand der Beklagten nicht durch, der Vertragsabschluß beruhe auf staatlich ausgeübtem Kontrahierungszwang. Zum einen fehlt es schon an substantiiertem Vortrag dazu, daß das Unternehmen von sich aus zum Abschluß des Arbeitsvertrages mit dem Kläger nicht bereit gewesen wäre, und wer in welcher Weise das Unternehmen hierzu gezwungen haben soll. Aber selbst wenn zugunsten der Beklagten ein solcher Kontrahierungszwang unterstellt wird, kann daraus nicht auf die Unwirksamkeit des Vertrages geschlossen werden. Angesichts der Stellung der Unternehmen in der zentral gesteuerten planwirtschaftlichen Ordnung der DDR war nämlich die Vorgabe unternehmerischer Entscheidungen durch staatliche Stellen systemtypisch und konnte zu rechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Entscheidungen keinen Anlaß geben.
III. Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht etwa entgegen, daß er Spitzeldienste geleistet hätte. Es kann hier dahinstehen, ob das Begehren des Klägers rechtsmißbräuchlich wäre, wenn die Bespitzelung seiner Arbeitskollegen Inhalt seiner Tätigkeit für die ABI gewesen wäre. Hierfür gibt es nämlich nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keine Anhaltspunkte, und es fehlt auch an substantiiertem Vortrag der Beklagten hierzu.
1. Nach der im Beschluß des ZK der SED und des Ministerrates der DDR über die Arbeiter- und-Bauern-Inspektion der DDR vom 6. August 1974 (GBl DDR I S. 389) festgelegten Aufgabenstellung der ABI war die Tätigkeit für dieses “staatliche und gesellschaftliche Kontrollorgan” nicht automatisch mit der verdeckten und denunziatorischen Überwachung von Arbeitskollegen i.S. einer Bespitzelung verbunden. Die ABI hatte zwar die Aufgabe, der SED und der Regierung bei der Ausübung der Kontrolle über die Verwirklichung ihrer Beschlüsse und Direktiven in den Kombinaten und Betrieben zu helfen. Die Tätigkeit der ABI sollte darauf gerichtet sein, die Planerfüllung zu kontrollieren, die Effizienz der Unternehmen zu steigern, auf die Einhaltung der den Leitern gegenüber den Arbeitnehmern bestehenden Pflichten zu achten und Disziplinverletzungen zu bekämpfen. Derartigen Kontrolltätigkeiten, die unabhängig von der jeweiligen Staats- und Wirtschaftsordnung in vergleichbarer Weise in jedem Unternehmen ausgeübt werden müssen, haftet hier nicht etwa deshalb etwas Verwerfliches an, weil diese Unternehmen in eine Staatsorganisation eingebunden sind, deren Verfassung demokratischen und rechtstaatlichen Maßstäben nicht genügt.
2. Erfolglos rügt die Beklagte, daß das Landesarbeitsgericht seiner Wertung nicht allein den Beschluß des ZK der SED und des DDR-Ministerrates vom 6. August 1974 hätte zugrunde legen dürfen. Es fehlt nämlich an einem substantiierten Tatsachenvortrag der Beklagten dazu, daß der Kläger neben den sich aus dem Beschluß ergebenden Aufgaben auch Spitzeldienste geleistet hätte.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Dr. Wißmann, Kiefer, Schwarz
Fundstellen
Haufe-Index 845959 |
BAGE, 116 |
BB 1993, 2450 |
BB 1994, 795 |
NZA 1994, 669 |