Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubskassenverfahren der Bauwirtschaft
Orientierungssatz
Ein Bauarbeitgeber ist auch dann noch verpflichtet, für vergangene Zeiträume am Urlaubskassenverfahren des Baugewerbes teilzunehmen, wenn er Urlaubsansprüche seiner Arbeitnehmer für diesen Zeitraum bereits vollständig abgewickelt hat. Die tarifvertraglichen Regelungen übertragen der Urlaubskasse und nicht dem einzelnen Arbeitgeber die Abwicklung des Urlaubsanspruchs.
Normenkette
AEntG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 11. August 2003 – 16 Sa 1988/99 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin für das Jahr 1999 verpflichtet war, am Urlaubskassenverfahren der Bauwirtschaft teilzunehmen und dafür dem Beklagten Auskünfte zu erteilen und Beiträge zu leisten.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft tschechischen Rechts mit Sitz in Z…/Tschechische Republik. Sie unterhält einen baugewerblichen Betrieb. Mit Hilfe tschechischer Arbeitnehmer, die zum Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen sind, führte sie ua. auch im Jahre 1999 auf der Grundlage von Werkverträgen als Subunternehmerin Rohbauarbeiten aus.
Der Beklagte ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den Vorschriften des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV) iVm. den Vorschriften des Tarifvertrages für das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) die Aufgabe, die Auszahlung der tariflich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern. Im Jahre 1999 galt der VTV (VTV/1999) in der Fassung vom 28. Januar 1999 (in Kraft getreten am 1. Januar 1999), in der Fassung vom 9. April 1999 (in Kraft getreten am 1. Juni 1999) und in der Fassung vom 26. Mai 1999 (in Kraft getreten am 1. Juli 1999). Sowohl der BRTV als auch der VTV/1999 wurden für allgemeinverbindlich erklärt (AVE vom 19. März 1999, BAnz. Nr. 64 vom 7. April 1999 S. 5665 und AVE vom 17. Januar 2000, BAnz. Nr. 20 vom 29. Januar 2000).
Der Beklagte nimmt die Klägerin für das Jahr 1999 in Anspruch und verlangt von ihr Auskünfte und Beitragszahlungen.
Die Klägerin behauptet, die Urlaubsansprüche ihrer Arbeitnehmer im Jahre 1999 vollständig erfüllt zu haben. Jedenfalls für dieses Jahr mache die Teilnahme am Urlaubskassenverfahren der Bauwirtschaft keinen Sinn. Im Übrigen seien eventuelle Ansprüche ihrer Arbeitnehmer gegen den Beklagten verfallen.
Die Klägerin hat – soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse – zuletzt beantragt
festzustellen, dass sie gegenüber dem Beklagten im Jahre 1999 keine Auskunfts- und Beitragsverpflichtungen bezüglich der von ihr in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer, die im Rahmen von Werkverträgen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt wurden, trafen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat widerklagend beantragt,
die Klägerin zu verurteilen, an ihn 85.206,95 DM = 43.565,62 Euro zu zahlen.
Die Klägerin beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Die Höhe des widerklagend geltend gemachten Betrages errechnet der Beklagte aus der Anzahl der von der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmer entsprechend deren Meldungen gegenüber den Landesarbeitsämtern und anhand von Baustellenprüfungen sowie unter Zugrundelegung der tariflichen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit, des tariflichen Mindeststundensatzes und des tariflichen Beitragssatzes. Den so anhand der rechnerisch unstreitigen Vorgaben errechneten Betrag macht er als Mindestbeitrag geltend.
Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen sowie der erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Widerklage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter und begehrt die Abweisung der Widerklage.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Da sich der Beklagte des Rechtes berühmt, Auskünfte und Beiträge zu verlangen, hat die Klägerin ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO). Dieses ist auch hinsichtlich der Beitragspflichten nicht durch die Widerklage entfallen. Der Beklagte macht lediglich Mindestbeiträge geltend, so dass weitere Beitragsverpflichtungen im Raum stehen.
2. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin schuldet dem Beklagten nach § 61 VTV/1999 iVm. § 1 Abs. 3 Satz 2 AEntG Beiträge und nach § 59 VTV/1999 Auskünfte.
a) Auch im Jahre 1999 fanden nach § 1 Abs. 3 Satz 1 iVm. Abs. 1 Satz 1 AEntG die Rechtsnormen allgemeinverbindlicher Tarifverträge, die im Zusammenhang mit der Gewährung von Urlaubsansprüchen im Baugewerbe die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien übertrugen, auch auf einen ausländischen Arbeitgeber und seine nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer zwingend Anwendung. Diese Erstreckung bezog sich nicht nur auf die Zahlung der Beiträge, sondern auch auf die tariflich geregelten Auskunftspflichten. Auch diese Pflichten dienen der Sicherung des Urlaubskassenverfahrens (vgl. Senat 25. Juni 2002 – 9 AZR 439/01 – BAGE 102, 1 für die Slowakische Republik).
Besonderheiten für die Tschechische Republik ergeben sich nicht. Sie können nicht aus dem Europaabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der tschechischen Republik andererseits (ABl. EG 1994 Teil L Nr. 360 S. 1) hergeleitet werden. Dieses Abkommen entspricht vergleichbaren Abkommen mit anderen Staaten.
Als Rechtsträgerin eines Baubetriebs, der Arbeitnehmer in die Bundesrepublik Deutschland entsandte, unterfiel die Klägerin insoweit den für allgemeinverbindlich erklärten Vorschriften. Die darin geregelten Auskunfts- und Beitragspflichten treffen daher auch sie.
b) Soweit in der Revisionsinstanz noch Bedenken gegen die Annahme einer Auskunfts- und Beitragspflicht erhoben werden, greifen diese nicht durch.
aa) Unerheblich ist die Behauptung der Klägerin, sie habe im Jahre 1999 die Urlaubsansprüche ihrer Arbeitnehmer bereits vollständig abgewickelt. Die erstreckten Tarifverträge übertragen dem Beklagten und nicht dem Arbeitgeber die Sicherung der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer (BRTV § 8 Nr. 15.1 in der 1999 geltenden Fassung). Damit wäre es nicht vereinbar, Ansprüche des Beklagten entfallen zu lassen, weil angeblich die Urlaubsansprüche bereits vollständig abgewickelt sind.
bb) Ohne Erfolg beruft sich die Revision darauf, mögliche Ansprüche der Arbeitnehmer der Klägerin gegen den Beklagten aus dem Jahre 1999 seien verfallen. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Rechtsansicht richtig ist. Jedenfalls kann dem Beklagten das Verhalten Dritter, auf das er keinen Einfluss hat, nicht zur Last fallen. Die tariflichen Vorschriften gewähren den entsandten Arbeitnehmern die Möglichkeit, urlaubsrechtliche Ansprüche durchzusetzen. Machen sie davon keinen Gebrauch, so ändert dies nichts daran, dass ihnen eine Rechtsposition eingeräumt wurde und das Urlaubskassenverfahren deshalb nicht sinnlos ist.
Im Übrigen hat der Beklagte vor dem Senat die Erklärung abgegeben, auch verfallene Ansprüche der Arbeitnehmer zu erfüllen, wenn – wie hier – noch in einem Rechtsstreit über den Bestand der Auskunfts- und Beitragspflichten gestritten wird.
cc) Soweit die Klägerin Bedenken äußert, sie habe ihren Arbeitnehmern nach tschechischem Recht Urlaub geschuldet, ohne erfüllungshalber auf die Leistungen des Urlaubskassenverfahrens nach deutschem Recht zurückgreifen zu können, entspricht das nicht der Rechtslage. Soweit ein Arbeitgeber mit Sitz im Ausland nach seinem nationalen Recht Urlaubsleistungen auch für die Zeit der Entsendung direkt an die Arbeitnehmer zu erbringen hatte, stehen ihm und nicht den Arbeitnehmern Erstattungsansprüche gegen die Kasse zu (Senat 25. Juni 2002 – 9 AZR 439/01 – BAGE 102, 1). Das ermöglicht eine sinnvolle Anwendung des Urlaubskassenverfahrens, ohne dass eine Benachteiligung des ausländischen Arbeitgebers eintritt.
II. Die Widerklage ist zulässig und begründet.
1. Gegen die Zulässigkeit der Widerklage bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
a) Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus § 8 Satz 2 AEntG.
b) Es bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass die Widerklage erst in der Berufungsinstanz erhoben wurde.
(1) Der Beklagte konnte die Widerklage auch noch in das Berufungsverfahren einführen. Nach § 533 ZPO ist die Erhebung einer Widerklage in der Berufungsinstanz ua. zulässig, wenn das Gericht dies für sachdienlich hält und sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.
(2) Die Sachdienlichkeit der Widerklage ist in der Revisionsinstanz nicht mehr zu überprüfen, da das Landesarbeitsgericht über die Widerklage in der Sache entschieden hat (Senat 20. Juli 2004 – 9 AZR 369/03 – EzA AEntG § 1 Nr. 4).
(3) Über die Widerklage konnte auch auf Grund von Tatsachen entschieden werden, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung über die Berufung zugrunde zu legen hat. Die Entscheidung über die Widerklage beruht auf dem erstinstanzlichen Vorbringen zur Klage, das ohne weiteres berücksichtigungsfähig ist, und neuem, in der Berufungsinstanz unstreitig gebliebenen Vorbringen des Beklagten hinsichtlich der Höhe der Forderung. Auch dieses Vorbringen ist in der Berufungsinstanz berücksichtigungsfähig.
Ob und inwieweit die Berücksichtigung neuer Tatsachen in der Berufungsinstanz zulässig ist, richtet sich nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO, sondern ist unter Berücksichtigung von § 67 ArbGG zu entscheiden. Diese Bestimmung geht der Regelung in der ZPO als Spezialregelung vor (Schmidt/Schwab/Wildschütz NZA 2001, 1217, 1218; GK-ArbGG/Stahlhacke Stand Dezember 2004 § 67 ArbGG Rn. 11; Schwab/Weth/Schwab ArbGG § 67 Rn. 2; Ostrowicz/Künzel/Schäfer Der Arbeitsgerichtsprozess 2. Aufl. Rn. 194; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 67 Rn. 2).
Die Vorschrift des § 67 ArbGG befasst sich lediglich mit Vorbringen, hinsichtlich dessen die Verspätungsregeln erster Instanz eingreifen. Wurde danach Vorbringen im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen – was hier nicht der Fall ist – verbleibt es dabei (§ 67 Abs. 1 ArbGG). Ansonsten ist die Verwertung davon betroffener neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel zwar eingeschränkt, aber auf jeden Fall zulässig, soweit dadurch der Rechtsstreit nicht verzögert wird (§ 67 Abs. 2 bis 4 ArbGG). Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die – wie hier das für die Klage unerhebliche Vorbringen zur Höhe der Beitragsforderungen – von den erstinstanzlichen Verspätungsregeln gar nicht erfasst sind, können nicht schlechter behandelt werden als neues Vorbringen, das bereits in der ersten Instanz hätte vorgebracht werden müssen. Sie sind jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn das den Rechtsstreit nicht verzögert. Da die Grundlagen der Forderungshöhe in der Berufungsinstanz unstreitig waren, verzögerte das dahingehende Vorbringen des Beklagten den Rechtsstreit nicht.
c) Der Beklagte konnte zulässigerweise seine Beitragsklage auch als Mindestklage erheben (BAG 11. Juni 1997 – 10 AZR 525/96 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 200 und ständig).
2. Die Widerklage ist auch begründet.
Der Beklagte konnte Beitragsforderungen anhand der von der Klägerin gegenüber der Arbeitsverwaltung abgegebenen Meldungen und auf der Basis der tariflichen Bestimmungen berechnen (Senat 25. Juni 2002 – 9 AZR 264/01 –). Es wäre Aufgabe der Klägerin gewesen, sich mit diesem Sachvortrag im Einzelnen auseinander zu setzen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Düwell, Reinecke, Zwanziger, Furche, Gosch
Fundstellen
Haufe-Index 1402391 |
DB 2005, 2308 |
FA 2005, 355 |
NZA 2005, 1376 |
NJOZ 2005, 4971 |