Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristeter Arbeitsvertrag. Verwirkung
Normenkette
BGB §§ 242, 620
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.10.1988; Aktenzeichen 3 Sa 44/88) |
ArbG Pforzheim (Urteil vom 20.06.1988; Aktenzeichen 4 Ca 56/88) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. Oktober 1988 – 3 Sa 44/88 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch über die Wirksamkeit der Befristung des sie seit Dezember 1985 verbindenden Beschäftigungsverhältnisses.
Der Kläger ist promovierter Tierarzt und führt unter Beteiligung seines Kollegen Dr. S eine tierärztliche Gemeinschaftspraxis mit angeschlossener Klinik in K. Mit Datum vom 24. April 1986 trafen die Parteien eine als „Arbeitsvertrag” bezeichnete Vereinbarung, durch die sich der Kläger verpflichtete, in der Zeit vom 1. Dezember 1985 bis zum 30. November 1987 als Fleischbeschautierarzt und Ergänzungsbeschauer im Anstellungsverhältnis die Schlachttier- und Fleischbeschau sowie die Trichinenschau im Bezirk der beklagten Gemeinde durchzuführen. Gemäß § 3 dieser Vereinbarung bestimmte sich der Inhalt der Vertragsbeziehungen nach dem jeweils gültigen Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der Fleischbeschautierärzte, Fleischbeschauer und Trichinenschauer außerhalb öffentlicher Schlachthöfe.
Anfang Oktober 1987 lud die Beklagte den Kläger unter Hinweis auf das baldige Ende seiner Vertragszeit zu einer Besprechung ein, in der die künftige Vergabe der Fleischbeschau erörtert werden sollte. Sie fand am 15. Oktober 1987 unter Teilnahme der Mitbewerberin, der in E wohnhaften Veterinärmedizinerin Dr. T, zahlreichen Vertretern des Gemeinderats und der Gemeindeverwaltung sowie der ortsansässigen Metzger statt. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1987 bewarb sich der Kläger gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. S noch einmal schriftlich um die weitere Durchführung der Fleischbeschau und versicherte u.a., die anfallenden Dienstleistungen auch künftig gewissenhaft sowie ohne Erhebung von Wege- oder Feiertagszuschlägen auszuführen.
Am 21. Oktober 1987 beschloß der Gemeinderat der Beklagten in öffentlicher Sitzung, mit Wirkung ab 1. Dezember des Jahres Frau Dr. T als Fleischbeschautierärztin anzustellen. Der Kläger wurde über diese Entscheidung am 23. Oktober 1987 telefonisch unterrichtet und zugleich um die Rückgabe verschiedener Unterlagen ersucht. Mit Schreiben vom 23. November 1987 wies die Beklagte den Kläger noch einmal auf die zum 30. November 1987 anstehende Beendigung des Vertragsverhältnisses hin und forderte ihn auf, nach Vornahme der letzten Fleischbeschau am 30. November die benötigten Stempel zurückzugeben, damit sie Frau Dr. T, mit der am 24. November 1987 ein entsprechender Anstellungsvertrag geschlossen wurde, übergeben werden könnten.
In seiner am 16. März 1988 bei Gericht eingegangenen und zwei Tage später zugestellten Klage hat der Kläger die Rechtsauffassung vertreten, er stehe gegenüber der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis, dessen Befristung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt und daher wegen Umgehung zwingender Kündigungsvorschriften unwirksam sei. Daß er seine Klage erst im März 1988 erhoben habe, beruhe hauptsächlich darauf, daß er erst Ende Februar 1988 durch Ausführungen in einer Fachzeitschrift für Tierärzte von der möglichen Unwirksamkeit der Beendigung seines Vertragsverhältnisses erfahren habe. Eine Verwirkung seiner Rechte sei daher in den dreieinhalb Monaten nach dem 30. November 1987 nicht eingetreten, zumal er sich unmittelbar nach dem Gemeinderatsbeschluß, die Tierärztin Dr. T anzustellen, hiergegen verwahrt und dieses Vorgehen ausdrücklich gerügt habe.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten über den 30. November 1987 hinaus fortbestehe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich in erster Linie darauf berufen, der Kläger habe seine Befugnis verwirkt, eine Fortsetzung des streitgegenständlichen Dienstverhältnisses zu fordern. Während der fünf Monate zwischen Mitte Oktober 1987 und der Klageerhebung habe der Kläger sie in dem Glauben gelassen, sich gegen die Beendigung seines Vertragsverhältnisses nicht wenden zu wollen. So habe der Kläger insbesondere nach Erteilung des Hinweises auf das baldige Auslaufen seines Vertrages eine Bewerbung um eine erneute Anstellung eingereicht, die für ihn ungünstige Entscheidung des Gemeinderats unbeanstandet zur Kenntnis genommen und an der Abwicklung des Vertragsverhältnisses widerspruchslos mitgewirkt.
Für den Fall, daß die Gerichte dieser Würdigung nicht folgen sollten, hat die Beklagte hilfsweise geltend gemacht, daß zwischen den Parteien kein Arbeits-, sondern ein freies Dienstverhältnis bestanden habe. Daher seien die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der arbeitsrechtlichen Befristungskontrolle nicht anzuwenden. Höchstvorsorglich hat die Beklagte zur sachlichen Rechtfertigung der Befristung vorgetragen, die jetzige Fleischbeschautierärztin Frau Dr. T habe im April 1986 noch keine Praxis betrieben, so daß ihre Anstellung seinerzeit noch nicht genehmigt worden wäre. Um der Gemeindeverwaltung – nicht zuletzt auch im Interesse der örtlichen Metzger – eine Auswahl unter mehreren Bewerbern zu ermöglichen sowie auch der jüngeren Kollegin eine Chance zu gewähren, habe man sich seinerzeit dazu entschlossen, den Kläger lediglich für insgesamt zwei Jahre zu verpflichten und erst dann eine endgültige Entscheidung zu fällen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da kein Arbeitsverhältnis vorgelegen habe und deshalb die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig seien. Das Landesarbeitsgericht hat im Tenor des Berufungsurteils die Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Bestandsklage als unbegründet abgewiesen werde. In den Entscheidungsgründen hat es u.a. ausgeführt, die Klage sei begründet, soweit der Kläger die Feststellung begehre, daß das unter dem 24. April 1986 begründete Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis gewesen sei; es erscheine jedoch nicht zweckmäßig, dieses Teilobsiegen des Klägers im Urteilstenor zum Ausdruck zu bringen.
Gegen dieses Urteil hat nur der Kläger die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision eingelegt, mit der er seinen Klageantrag weiterverfolgt. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Nachdem das Landesarbeitsgericht rechtskräftig festgestellt hat, daß es sich bei dem Rechtsverhältnis zwischen den Parteien um ein Arbeitsverhältnis handelte, ist Gegenstand des Revisionsverfahrens nur noch die Frage, ob dieses Arbeitsverhältnis über den 30. November 1987 hinaus fortbestanden hat. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht die Klage rechtsfehlerfrei als unbegründet abgewiesen, da der Kläger seine Befugnis verwirkt hat, sich auf eine etwaige Rechtsunwirksamkeit der Befristungsabrede zu berufen.
I. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden, ist in Rechtskraft erwachsen, da die Beklagte gegen das Berufungsurteil keine Revision eingelegt hat.
1. Das Landesarbeitsgericht hat den Klageantrag dahin ausgelegt, daß er sich auf zwei verschiedene Streitgegenstände beziehe: Zum einen begehre der Kläger die Feststellung, daß das mit Datum vom 24. April 1986 begründete Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis sei. Zum anderen wolle er für den Fall, daß dieser Feststellungsklage entsprochen werden sollte, festgestellt wissen, daß dieses Vertragsverhältnis über den 30. November 1987 hinaus auf unbestimmte Zeit fortbestehe.
2. Bei dieser aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Auslegung des Klageantrags durch das Berufungsgericht bilden die Statusfrage und die Befristungsfrage tatsächlich und rechtlich selbständige und abtrennbare Teile des Gesamtstreitstoffs, die jeweils auch einzeln in getrennten Prozessen zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden könnten und über die bei gemeinsamer Geltendmachung in einem Prozeß jeweils durch Teilurteil entschieden werden könnte (vgl. BAGE 52, 122, 125 f. = AP Nr. 101 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu I 1 und 2 der Gründe, m.w.N.).
3. Den die Statusfrage betreffenden Klageantrag hat das Landesarbeitsgericht mit ausführlicher Begründung für zulässig und begründet erachtet. Die Beklagte hätte daher, wenn sie die Rechtskraft dieser Feststellung verhindern wollte, insoweit die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision einlegen müssen. Da sie dies nicht getan hat, ist das Berufungsurteil insoweit rechtskräftig geworden, als es festgestellt hat, daß zwischen den Parteien mit Vertrag vom 24. April 1986 ein Arbeitsverhältnis begründet wurde.
II. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist damit nur noch die Frage des Fortbestehens dieses Arbeitsverhältnisses über den 30. November 1987 hinaus. Den dahingehenden Feststellungsantrag des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe durch illoyal verspätete Geltendmachung materiell das Recht verwirkt, sich auf die Unwirksamkeit der Befristungsabrede zu berufen. Dieser Würdigung folgt der Senat.
1. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in ständiger Rechtsprechung anerkannt; verwirken kann insbesondere auch die Befugnis, sich auf das Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses zu berufen (vgl. insbesondere Senatsurteil vom 7. März 1980 – 7 AZR 177/78 – AP Nr. 54 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag m.w.N.; Senatsurteile vom 18. April 1986 – 7 AZR 167/85 –, vom 12. Juni 1987 – 7 AZR 461/86 – und vom 27. November 1987 – 7 AZR 314/87 –, n.v.; vgl. auch BAG Urteil vom 20. Mai 1988 – 2 AZR 711/87 – AP Nr. 5 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung). Die Verwirkung tritt dann ein, wenn der Berechtigte mit der Geltendmachung seines Rechts längere Zeit zuwartet (Zeitmoment) und daneben besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer der Gegner nach Treu und Glauben annehmen und sich darauf einrichten durfte, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment).
2. Diese Voraussetzungen liegen im Entscheidungsfalle zunächst hinsichtlich des Zeitmoments vor. Dem Kläger war spätestens seit dem 15. Oktober 1987 bekannt, daß die Beklagte von der Beendigung seines Vertragsverhältnisses zum 30. November 1987 ausging und über die weitere Vergabe der Fleischbeschau aufgrund eines erneuten Bewerbungsverfahrens entscheiden wollte. Für dieses Bewerbungsverfahren wäre kein Raum gewesen, wenn das Arbeitsverhältnis des Klägers über den 30. November 1987 hinaus fortbestanden hätte. Dennoch hat der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erstmals mit Zustellung der Klageschrift im März 1988 die Unwirksamkeit der Befristung geltend gemacht.
Erfolglos bleibt die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe bei dieser Feststellung den Vortrag des Klägers nicht berücksichtigt, er habe sich bereits in dem Telefongespräch vom 23. Oktober 1987, in dem ihm die zugunsten von Frau Dr. T gefallene Entscheidung des Gemeinderats mitgeteilt worden war, gegen diese Entscheidung verwahrt und dieses Verfahren ausdrücklich gerügt. Dieser Vortrag des Klägers läßt nicht erkennen, daß sich der Kläger nicht nur gegen die vom Gemeinderat getroffene Auswahlentscheidung gewandt, sondern auch auf ein Fortbestehen seines Vertragsverhältnisses berufen hätte. Vielmehr durfte das Landesarbeitsgericht, nachdem sich der Kläger durch sein Schreiben vom 16. Oktober 1987 selbst um eine erneute Anstellung beworben und überdies nach seiner eigenen Darstellung erst Ende Februar 1988 überhaupt von den Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit der Befristung erfahren hatte, den Vortrag des Klägers dahin verstehen, daß der Kläger lediglich zum Ausdruck brachte, die getroffene Personalentscheidung nicht akzeptieren zu wollen. Ein derartiger Einwand des Klägers aber war rechtlich unbeachtlich, weil er nicht geeignet war, das Vertrauen der Beklagten in die Rechtswirksamkeit der Vertragsbeendigung zu erschüttern.
3. Auch das Umstandsmoment ist erfüllt. Der Kläger ist nicht nur bis zum März 1988 untätig geblieben, sondern er hat sogar durch positives Handeln bei der Beklagten den Eindruck erweckt, sich gegen die rechtliche Beendigung seines Vertragsverhältnisses zum 30. November 1987 nicht wenden zu wollen. Insbesondere aufgrund des Bewerbungsschreibens des Klägers vom 16. Oktober 1987 durfte die Beklagte darauf vertrauen, daß auch der Kläger von einer Vertragsbeendigung zum 30. November 1987 ausging und er auch seinerseits einen neuen Vertragsabschluß als Voraussetzung für die Fortsetzung seiner Fleischbeschautätigkeit ansah. Die Beklagte durfte sich daher von diesem Zeitpunkt an auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Kläger zum 30. November 1987 einrichten. Dies hat sie dadurch getan, daß sie am 24. November 1987 mit Frau Dr. T einen Anstellungsvertrag abschloß. Es ist nach alledem revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht den auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses gerichteten Klageantrag wegen Verwirkung als unbegründet abgewiesen hat.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Schliemann, Dr. Steckhan, Breier, Lappe
Fundstellen