Entscheidungsstichwort (Thema)
Versäumung der Revisionsbegründungsfrist - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Orientierungssatz
Hinweise des Senats:
"Organisationsverschulden - vorläufige Notierung der Revisionsbegründungsfrist bei oder alsbald nach Einlegung der Revision."
Tenor
1. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist wird
zurückgewiesen.
2. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 11. Juni 1999 - 7 Sa 2186/98 - wird
als unzulässig verworfen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf 1.041,29 DM festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Zahlung einer Qualifikationszulage nach dem Zulagentarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen/ Arbeitnehmer der Deutschen Bahn AG.
Das Arbeitsgericht hat der Klage des Klägers auf Zahlung einer Qualifikationszulage für die Zeit vom 1. September 1995 bis 31. Dezember 1996 in Höhe von insgesamt 1.041,29 DM brutto nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und im Urteil die Revision zugelassen.
Dieses Urteil ist den damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 29. Juni 1999 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 26. Juli 1999, beim Bundesarbeitsgericht am 29. Juli 1999 eingegangen, hat der neue Prozeßbevollmächtigte des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Revision eingelegt und mit Schriftsatz vom 27. September 1999, beim Bundesarbeitsgericht am 29. September 1999 eingegangen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt. Diesen Antrag hat er im wesentlichen wie folgt begründet.
Die Einhaltung der Fristen werde in seiner Anwaltskanzlei durch die Führung des Fristenkalenders gewährleistet. Die Fristen würden von dem dafür zuständigen und beauftragten Anwalts- und Notarfachgehilfen eingetragen, und zwar die Revisionsfrist bei Eingang des Auftrages und die Revisionsbegründungsfrist mit Eingang der Bestätigung des Bundesarbeitsgerichts über den Eingang der Revisionsschrift. Der Fristenkalender werde ihm täglich vorgelegt und die darin enthaltenen Fristen bis zum Ende der Geschäftszeit sämtlich überprüft und abgezeichnet, wenn die Frist erledigt sei. Die ordnungsgemäße Durchführung dieser Anweisung werde von ihm stichprobenweise monatlich überwacht, zuletzt am 19. Juli 1999.
Der Auftrag zur Einlegung der Revision sei am 9. Juli 1999 eingegangen. Auf Grund der ordnungsgemäßen Notierung der Fristen sei die Revision dann am 29. Juli 1999 beim Bundesarbeitsgericht eingereicht worden. Der befähigte, stets zuverlässige Notarfachangestellte A. F., der über eine mehrjährige Berufserfahrung verfüge, habe die Revisionsschrift gefertigt, diese zur Unterschrift vorgelegt und persönlich für die pünktliche Beförderung gesorgt. Am 30. Juli 1999 sei die Bestätigung des Bundesarbeitsgerichts über den Eingang der Revisionsschrift am 29. Juli 1999 in der Kanzlei eingegangen. Der Notarfachangestellte F. habe es aber unterlassen, nunmehr die Revisionsbegründungsfrist im Fristenkalender zu notieren. Deshalb seien ihm die Akten nicht wieder vorgelegt worden. Von der Versäumung der Frist habe er erstmals durch den Hinweis des Bundesarbeitsgerichts vom 14. September 1999 über die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist, welcher am 20. September 1999 in seiner Kanzlei eingegangen sei, erfahren.
Die Richtigkeit dieser Angaben hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers an Eides Statt versichert. Außerdem hat er eine eidesstattliche Versicherung des Notarfachangestellten F. vom 27. September 1999 vorgelegt, in welcher dieser die Richtigkeit der Einlassungen des klägerischen Prozeßbevollmächtigten bestätigt.
Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 1999, beim Bundesarbeitsgericht am selben Tage eingegangen, hat der Kläger seine Revision begründet.
II. Die Revision des Klägers ist unzulässig.
1. Sie ist nicht innerhalb der einmonatigen Frist des § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG begründet worden. Da der Kläger seine Revision mit Schriftsatz vom 26. Juli 1999 eingelegt hatte und dieser am 29. Juli 1999 beim Bundesarbeitsgericht eingegangen war, hätte die Revision bis spätestens Montag, den 30. August 1999, begründet werden müssen, § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 BGB.
2. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers war nicht ohne sein Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten. Eine unverschuldete Versäumung der Revisionsbegründungsfrist wäre aber Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO. Das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten hat sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen zu lassen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts kann ein Rechtsanwalt die Führung des Fristenkalenders und auch die Berechnung der üblichen, in seiner Kanzlei vorkommenden Fristen seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen. Er muß aber durch geeignete allgemeine Anweisungen auf einen verläßlichen, Fristversäumnisse möglichst vermeidenden Geschäftsgang hinwirken. Ebenfalls ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß ein Rechtsanwalt hinsichtlich der Begründungsfrist für ein Rechtsmittel mit der Eintragung der Rechtsmittelbegründungsfrist nicht solange abwarten darf, bis ihm vom Rechtsmittelgericht der Eingang der Rechtsmittelschrift mitgeteilt worden ist. Vielmehr hat er die Rechtsmittelbegründungsfrist bei oder alsbald nach Einreichung des Rechtsmittelschriftsatzes zu vermerken (BGH Beschluß vom 13. Juni 1996 - VII ZB 7/96 - NJW 1996, 2514, m.w.N. und BAG Beschluß vom 16. Mai 1984 - 1 ABR 76/83 - n.v.).
Kann der Beginn und damit auch das Ende der Revisionsbegründungsfrist bei der Absendung des Revisionsschriftsatzes an das Bundesarbeitsgericht noch nicht genau festgestellt werden, muß zunächst eine vorläufige Frist notiert und auf diese Weise dafür Sorge getragen werden, daß die Revisionsbegründungsfrist unter Kontrolle bleibt und nicht unbemerkt verstreichen kann (BAG Beschluß vom 16. Mai 1984 - 1 ABR 76/83 - n.v.).
Nach dem Vorbringen des klägerischen Prozeßbevollmächtigten werden in seiner Kanzlei gemäß allgemeiner Anweisung erst nach erfolgter Bestätigung des Einganges der Revisionsschrift durch das Bundesarbeitsgericht die Revisionsbegründungsfristen - ebenso wie sonstige Rechtsmittelbegründungsfristen - durch den Notarfachangestellten F. in den Fristenkalender eingetragen. Das bedeutet, daß, solange eine entsprechende Benachrichtigung durch das Bundesarbeitsgericht nicht vorliegt, eine Kontrolle der mit der Einlegung der Revision beginnenden Revisionsbegründungsfrist nicht auf Grund einer Eintragung im Fristenkalender stattfinden kann. Unterbleibt eine Mitteilung des Bundesarbeitsgerichts über den Eingang der Revisionsschrift, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß diese Frist versäumt wird.
Diese Handhabung, die in der Kanzlei des klägerischen Prozeßbevollmächtigten geübt wird, genügt nicht den Anforderungen, die an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Wahrung von Revisionsbegründungsfristen zu stellen sind. Es liegt demnach ein sog. Organisationsverschulden vor.
Dieses ist auch ursächlich für die Fristversäumung im vorliegenden Falle. Wäre eine vorläufige Revisionsbegründungsfrist schon bei Absendung der Revisionsschrift im Fristenkalender eingetragen worden, hätte der Fristablauf rechtzeitig bemerkt werden können.
3. Die unzulässige Revision war daher nach § 554 a ZPO i.V.m. § 74 Abs. 2 Satz 3 ArbGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß zu verwerfen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Freitag
Böck Marquardt
Fundstellen