Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachwirkung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags
Normenkette
TVG § 5 Abs. 5 S. 3, Abs. 4, § 4 Abs. 1, 5, § 3 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 9. September 1999 - 1 Sa 15/99 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien, die nicht tarifgebunden sind, streiten um die Zahlung des tariflichen Urlaubsgeldes und der tariflichen Sonderzuwendung für die Jahre 1997 und 1998.
Die Beklagte betreibt einen Einzelhandel mit Lederwaren und Accessoires mit insgesamt sechs Geschäften. Die Klägerin ist für die Beklagte in Hamburg seit September 1991 als Verkäuferin mit 35,5 Stunden pro Woche tätig. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht.
Der Manteltarifvertrag für den Hamburger Einzelhandel vom 18. Juni 1993 (MTV 1993), der durch Erklärung vom 15. Februar 1994 für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, wurde fristgemäß zum 31. Dezember 1996 gekündigt. Am 8. August 1997 wurde zwischen den Tarifvertragsparteien ein neuer Manteltarifvertrag (MTV 1997) abgeschlossen. In § 22 MTV ist bestimmt:
“
- Dieser Manteltarifvertrag tritt mit dem 01. Januar 1998 in Kraft.
- Der Manteltarifvertrag vom 18. Juni 1993 sowie der Tarifvertrag zur Umsetzung des geänderten Ladenschlussgesetzes vom 27. September 1996 treten zum 31. Dezember 1997 außer Kraft.
- Der Tarifvertrag kann von jeder Vertragspartei mit einer Frist von 6 Monaten – frühestens zum 31. Dezember 1999 – gekündigt werden.
- Bis zum Inkrafttreten eines neuen Tarifvertrages gelten die Rechtsnormen des alten Tarifvertrages weiter.
”
Der MTV 1997 ist nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden.
Nach § 11 C 1 MTV 1993 erhielten die Beschäftigten ab dem 1. Januar 1996 ein Urlaubsgeld in Höhe von 55 % des jeweiligen tariflichen Entgeltanspruches des letzten Berufsjahres der Verkäuferinnengruppe (Gehaltstarifvertrag, Gruppe 2a). Gemäß § 12 B 1 MTV 1993 betrug die tarifliche Sonderzuwendung ab dem 1. Januar 1996 60 % des jeweils den Anspruchsberechtigten nach ihrer tariflichen Eingruppierung zustehenden regelmäßigen Tarifentgelts. In dem MTV 1997 haben die Tarifvertragsparteien den Prozentsatz des Urlaubsgeldes von 55 % auf 50 % ermäßigt und den der tariflichen Sonderzuwendung von 60 % auf 62,5 % erhöht.
Die Beklagte hat an die Klägerin und die anderen Beschäftigten das tarifliche Urlaubsgeld und die tarifliche Sonderzuwendung bis einschließlich des Jahres 1996 gezahlt. Nachdem sie das Urlaubsgeld im Jahre 1997 nicht gezahlt hatte, richtete sie an die Mitarbeiter im Oktober 1997 das folgende Rundschreiben:
Liebe Mitarbeiter/innen,
die äußerst angespannte wirtschaftliche Situation und die rückläufigen Umsatzzahlen zwingen uns heute zu diesem Mitteilungsschreiben.
Die langjährigen Mitarbeiter waren es gewohnt, das Urlaubsgeld pünktlich entsprechend dem Manteltarifvertrag ausbezahlt zu bekommen.
Leider können wir in diesem Jahr auch im Oktober diese Zahlung noch nicht vornehmen, wir werden uns jedoch bemühen, dieser Verpflichtung schnellstens nachzukommen und geben Ihnen die Zusage, daß spätestens mit der Märzabrechnung 1998 das Urlaubsgeld zur Auszahlung kommt.
Die Geschäftsführung ist natürlich über diese Situation nicht glücklich, hofft aber auf Ihr Verständnis.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin das Urlaubsgeld und die Sonderzuwendung gemäß dem MTV 1993 für die Jahre 1997 und 1998 geltend. Sie ist der Meinung, daß der MTV 1993 trotz der Kündigung zum 31. Dezember 1996 kraft Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG für ihr Arbeitsverhältnis gelte und daß diese Nachwirkung auch nicht durch den nicht für allgemeinverbindlich erklärten MTV 1997 beendet worden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.783,73 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag aus 2.124,64 DM brutto ab 1. Dezember 1997 und aus 1.659,09 DM brutto ab 1. April 1998 zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, weitere 1.659,09 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1998 sowie weitere 2.124,64 DM brutto am 30. November 1998 zuzüglich 4 % Zinsen ab 1. Dezember 1998 an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klageanträge abzuweisen. Sie ist der Meinung, daß die Klägerin aus dem zum 31. Dezember 1996 gekündigten MTV 1993 für die Jahre 1997 und 1998 die Ansprüche auf Urlaubsgeld und Sonderzuwendung nicht ableiten könne. § 4 Abs. 5 TVG begründe keine Nachwirkung des allgemeinverbindlichen MTV 1993 zugunsten der Klägerin als Außenseiterin. Jedenfalls sei eine etwaige Nachwirkung mit dem Inkrafttreten des MTV 1997 am 1. Januar 1998 entfallen.
Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Degegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision und verfolgt die Klagabweisung. Die Klägerin begehrte die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß der Klägerin für die Jahre 1997 und 1998 das tarifliche Urlaubsgeld und die Sonderzuwendung nach den §§ 11, 12 MTV 1993, die der Höhe nach unstreitig sind, zustehen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der allgemeinverbindliche MTV 1993 trotz der Kündigung zum 31. Dezember 1996 gem. § 4 Abs. 5 TVG auch gegenüber der nicht tarifgebundenen Klägerin nachwirkt.
a) Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Es hat bereits in der Entscheidung vom 19. Januar 1962 (– 1 AZR 147/61 – BAGE 12, 194, 196 f.) ohne nähere Begründung entschieden, daß ein Tarifvertrag nach Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit gem. § 4 Abs. 5 TVG auch für ein Arbeitsverhältnis nachwirke, obwohl der Arbeitgeber Außenseiter und daher nur durch die Allgemeinverbindlicherklärung tarifgebunden gewesen sei. Der erkennende Senat ist dem mit seiner Entscheidung vom 18. Juni 1980 (– 4 AZR 463/78 = AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 68) mit der Begründung gefolgt, hinsichtlich der rechtlichen Qualifikation der Nachwirkung bestehe kein Unterschied, ob der Tarifvertrag zuvor auf Grund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG oder auf Grund seiner Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 4 TVG gegolten habe. Diese Rechtsprechung ist durch den erkennenden Senat mit der Entscheidung vom 27. November 1991 (– 4 AZR 211/91 – BAGE 69, 119) bestätigt worden. Zur Begründung hat der Senat ergänzend darauf abgestellt, daß die gesetzlich angeordnete Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG allein an den Ablauf des Tarifvertrags anknupfe und keine Einschränkung auf Arbeitsverhältnisse mit beiderseitig kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebundenen Parteien enthalte. Das Schrifttum ist dieser Rechtsprechung weitgehend gefolgt (ua. ErfK/Schaub 2. Aufl. § 4 TVG Rn. 81 und § 5 TVG Rn. 38; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 297; Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. S 2035 Rn. 27; Wiedemann/Wank TVG 6. Aufl. § 4 Rn. 336 und § 5 Rn. 125; im Ergebnis auch Löwisch/Rieble TVG § 5 Rn. 28 und § 4 Rn. 245; kritisch Oetker Gem. Anm. zu BAG vom 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – und 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 14 und 15 S 24 ff.; aA Krebs Gem. Anm. zu BAG 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – und 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – SAE 1993, 132, 133 ff.).
b) Das Landesarbeitsgericht hat sich dieser Rechtsprechung mit ausführlicher Begründung angeschlossen. Die von der Revision dagegen vorgetragenen Gesichtspunkte können im Ergebnis nicht überzeugen, auch nicht soweit sie in den gleichzeitig entschiedenen Parallelverfahren vertieft bzw. ergänzt worden sind.
aa) Entgegen der Ansicht der Revision spricht der Wortlaut des § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG nicht gegen die Nachwirkung. § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG bestimmt ausdrücklich nur, daß die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages mit dessen Ablauf endet. Eine Aussage zu der möglichen Nachwirkung nach dem Ende der Allgemeinverbindlichkeit ist darin nicht enthalten. Entgegen der Auffassung der Revision bedeutet eine Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG der Sache nach nicht, daß entgegen dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 3 TVG die Allgemeinverbindlichkeit (AV) nachwirkt, sondern lediglich, daß der Tarifvertrag selbst nachwirkt.
bb) Auch aus der Systematik des TVG kann kein tragendes Argument gegen die Nachwirkung begründet werden. Der untrennbare systematische Zusammenhang der mitgliedschaftlich gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG begründeten Tarifbindung und § 4 Abs. 5 TVG, den die Revision unter Hinweis auf Oetker (Gem. Anm. zu BAG 18. März 1992 – 4 AZR339/91 – und 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – S 24, 25) behauptet, ist nicht gegeben. Richtig ist vielmehr, daß § 5 Abs. 4 TVG die Tarifgebundenheit durch Allgemeinverbindlicherklärung und § 3 Abs. 1 TVG die durch Mitgliedschaft regelt und daß die Wirkungen dieser Tarifgebundenheit für die Rechtsnormen des Tarifvertrages in § 4 TVG bestimmt sind. Somit findet nach dem systematischen Zusammenhang auch § 4 Abs. 5 TVG Anwendung, wenn durch Ablauf des Tarifvertrages die AV beendet wird.
Demgegenüber kann sich die Revision nicht mit Erfolg darauf berufen, daß § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG eine abschließende Regelung über die Wirkung allgemeinverbindlicher Tarifverträge darstelle. § 5 Abs. 5 TVG regelt nur die Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit entweder durch die Aufhebung der Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 Abs. 5 Satz 1 TVG) oder durch den Ablauf des Tarifvertrages selbst (§ 5 Abs. 5 Satz 3 TVG). Dies betrifft nur die Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit als Grundlage für die Tarifgebundenheit und korrespondiert so mit der Regelung in § 3 Abs. 3 TVG zur Beendigung der mitgliedschaftlich begründeten Tarifgebundenheit. Der Ausschluß der Nachwirkung nach Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit ist in § 5 Abs. 5 TVG nicht enthalten. § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG beseitigt nur die unmittelbare und zwingende Geltung des Tarifvertrages (§ 4 Abs. 1 TVG). Dies hat gleichermaßen wie das Ende der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG den Eintritt der dispositiven Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 zur Folge.
cc) Auch aus der Funktion der Regelung in § 4 Abs. 5 TVG läßt sich entgegen der Argumentation der Revision nichts gegen die Nachwirkung nach Ende der Allgemeinverbindlichkeit herleiten.
(1) Der Nachwirkung kommt eine Überbrückungsfunktion zu. Daneben haben der Bestands- bzw. Inhaltsschutz keine eigenständige Bedeutung, auch wenn die statische Nachwirkung dazu führt, daß die Rechtsnormen in der zum Zeitpunkt des Wegfalls der Tarifgeltung geltenden Fassung nachwirken (BAG 24. November 1999 – 4 AZR 666/98 = AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 34; BAG 17. Mai 2000 – 4 AZR 363/99 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Unabhängig davon legitimiert schon die Überbrükkungsfunktion als solche die Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG auch nach Ende der Allgemeinverbindlichkeit. Dabei kommt es nicht darauf an, ob – wie die Revision meint – der Zeitraum zwischen dem Ende der Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages und der Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Nachfolgetarifvertrages nur selten überbrückt werden muß, so daß deshalb eine Nachwirkung für allgemeinverbindliche Tarifverträge entbehrlich sei. Ob die tatsächliche Annahme der Revision zutrifft, mag bezweifelt werden, kann aber dahingestellt bleiben. Entscheidend ist vielmehr, daß die Nachwirkung auch für die Arbeitsverhältnisse von Außenseitern unter dem Gesichtspunkt der Überbrückungsfunktion eine sinnvolle Regelung ist, und zwar nicht nur für den Fall, daß der Nachfolgetarifvertrag ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt wird, sondern auch falls dies nicht geschieht.
(2) Die Nachwirkung sichert eine statische Zwischenregelung bis zu einer Neuregelung, unabhängig davon, wer eine Neuregelung herbeiführen muß. Die Verhandlungspartner für die Neuregelung sollen sich auf die Neuregelung konzentrieren können und nicht mit der Rechtsunsicherheit bzw. Gestaltungsaufgabe hinsichtlich des Übergangszeitraums belastet werden. Insoweit dient die Nachwirkung auch den Interessen aller Beteiligten. Indessen ist die Interessenlage hinsichtlich der Beendigung der Nachwirkung der bisherigen Bedingungen je nach den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den tarifpolitischen Entwicklungen unterschiedlich. Die statische Nachwirkung bedeutet im Ergebnis eine Änderungslast für den, der eine Änderung herbeiführen will. Das trifft auch für die Interessenlage der Außenseiter nach Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages zu. Wenn die Außenseiter mangels Allgemeinverbindlicherklärung an einer tariflichen Neuregelung nicht partizipieren, die höhere Leistungen gewährt, trägt der Arbeitnehmer die Last, die Anwendbarkeit der neuen Tarifregelungen auf sein Arbeitsverhältnis zu vereinbaren und so die statische Fortgeltung der bisherigen schlechteren Bedingungen zu überwinden. Im umgekehrten Fall muß der Arbeitgeber die entsprechenden Änderungen herbeiführen.
(3) Für Außenseiter wird ein Ende der Nachwirkung durch Abschluß eines neuen Tarifvertrags nicht herbeigeführt. Der Einwand, daß keine unterschiedliche Behandlung der Außenseiter gegenüber den Organisierten durch eine praktisch “ewige” Nachwirkung akzeptiert werden könne, wird sowohl gegen die Anerkennung der Nachwirkung an sich als auch für die zeitliche Begrenzung dieser Nachwirkung angeführt.
Zur Ablösung der nachwirkenden Tarifnormen stehen dem Außenseiter zwar mehrere Instrumente zur Verfügung, die Möglichkeit der Durchsetzung materieller Änderungen ist aber begrenzt. Für eine Regelung durch Betriebsvereinbarung fehlt es in der Regel wegen der Sperrwirkung von § 77 Abs. 3 BetrVG an der Regelungskompetenz. Eine vertragliche Regelung bedarf der Zustimmung des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers. Sie wird zwar idR erteilt, wenn die neuen Bedingungen den betrieblichen Erfordernissen bzw. dem Niveau des Nachfolgetarifvertrages entsprechen, kann aber auch verweigert werden. Schließlich kommt für den Arbeitgeber die Möglichkeit einer Ablösung der nachwirkenden Tarifnormen durch eine Änderungskündigung in Betracht.
Die Eignung der Änderungskündigung als Instrument zur Durchsetzung der Änderungsabsicht des Arbeitgebers wird vielfach mit dem Hinweis auf die von der Rechtsprechung aufgestellten hohen Hürden für die soziale Rechtfertigung einer Änderungskündigung bezweifelt, weil es dazu des Nachweises einer dringenden wirtschaftlichen Notwendigkeit und der Darlegung eines umfassenden Sanierungskonzepts bedarf (zB BAG 20. Januar 2000 – 2 ABR 40/99 – AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 40 = EzA KSchG nF § 15 Nr. 49). Diese Argumentation übersieht, daß die Anwendung bzw. Konkretisierung dieser Voraussetzungen von der Rechtsprechung für eine Änderungskündigung zwecks Beendigung der Nachwirkung tariflicher Normen noch nicht vorgenommen worden ist.
Jedenfalls kann die Nachwirkung nach Ende der AV als tarifrechtliche Frage nicht deshalb abgelehnt werden, weil für den Fall, daß ein nachfolgender verschlechternder Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt wird, die kündigungsschutzrechtlichen Anforderungen an die ggf. notwendige Änderungskündigung unzumutbar seien. Vielmehr ist das Instrumentarium zur Ablösung der Nachwirkung grundsätzlich geeignet und führt nicht zu einer unzumutbaren Verfestigung der Nachwirkung. Die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Durchsetzung seiner Änderungslast für den Fall, daß die statische Nachwirkung des Tarifvertrages für ihn nicht zumutbar ist, sind wertungsmäßig prinzipiell kongruent mit den Mitteln der tarifgebundenen Arbeitgeber, die zur Ablösung der statischen Nachwirkung einen verschlechternden Tarifvertrag über ihren Verband gegenüber der Gewerkschaft durchsetzen müssen. Der Unterschied, daß die tarifliche Neuregelung sofort und ggf. sogar rückwirkend in Kraft treten kann, bei der Änderungskündigung aber Kündigungsfristen einzuhalten sind, ergibt sich zwingend aus dem unterschiedlichen Instrumentarium. Im übrigen wird er dadurch kompensiert, daß der Ausspruch der Änderungskündigung nicht erst nach Abschluß des neuen Tarifvertrages vorgenommen werden kann und nicht zwingend auf die Übernahme des neuen tariflichen Vergütungsniveaus gerichtet sein muß.
dd) Gegen die Anerkennung der Nachwirkung für Außenseiter nach dem Ende der Allgemeinverbindlichkeit führt die Revision weiterhin an, daß das Bundesarbeitsgericht für die eher begründbare Nachwirkung im Anschluß an die Nachgeltung gem. § 3 Abs. 3 TVG bei einem Verbandsaustritt nur die schwächere analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG gelten lasse. Das spreche dagegen, für die problematischere Nachwirkung gegenüber Außenseitern nach Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit die direkte Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG anzuerkennen. Dabei wird verkannt, daß sich die Analogie nur auf die Voraussetzungen bezieht und sich die rechtlichen Wirkungen der analogen und der unmittelbaren Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG nicht unterscheiden.
2. Die Nachwirkung des MTV 1993 ist nicht durch das Inkrafttreten des MTV 1997 bzw. dessen fehlende Allgemeinverbindlichkeit beendet worden.
a) Die Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG kann nur durch eine Abmachung beendet werden, die auf das jeweilige Arbeitsverhältnis Anwendung findet (BAG 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – BAGE 69, 119; 14. Februar 1991 – 8AZR 166/90 – BAGE 67, 222). Das ergibt sich aus der Überbrückungsfunktion der Nachwirkung. Demgemäß wird die Nachwirkung der Tarifnormen für Außenseiter nicht bereits durch das Inkrafttreten eines nicht oder noch nicht für allgemeinverbindlich erklärten neuen Tarifvertrages beendet (BAG 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – aaO). Dem hat sich das Schrifttum weitgehend angeschlossen (Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 1456; ErfK-Schaub 2. Aufl. TVG § 4 Rn. 77; Frölich NZA 1992, 1105, 1110; Wiedemann/Wank TVG 6. Aufl. § 5 Rn. 126 und § 4 Rn. 354). Das Landesarbeitsgericht ist dieser Auffassung gefolgt.
b) Die von der Revision vorgetragenen Gegenargumente, auch soweit sie in den Parallelverfahren vorgetragen worden sind, können nicht überzeugen. Die Nachwirkung für die Außenseiter auch über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Tarifvertrages hinaus widerspricht entgegen der Auffassung der Revision nicht dem Zweck der Allgemeinverbindlicherklärung im Sinne der Gleichstellung von Organisierten und Nichtorganisierten. Denn es geht gerade nicht um die Gleichstellung von Organisierten und Nichtorganisierten durch die Allgemeinverbindlicherklärung, sondern um die Rechtsfolgen nach Ende der Allgemeinverbindlichkeit. Im übrigen wird durch die Anerkennung der Nachwirkung auch für die Außenseiter zunächst eine Gleichstellung vorgenommen, die sich allerdings insoweit unterscheidet, als für die Ablösung der Nachwirkung unterschiedliche Instrumentarien zur Verfügung stehen.
c) Das Ende der Nachwirkung kann entgegen der Auffassung der Revision auch nicht mit der fehlenden Allgemeinverbindlichkeit des MTV 1997 begründet werden. Weil es keine Fristen für den Beginn und die Dauer des Verfahrens gibt, kann der negative Umstand, daß der Nachfolgetarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, als Zeitpunkt für die Beendigung der Nachwirkung gar nicht bestimmt werden. Die dargelegten Grundsätze zur Ablösung der Nachwirkung dürften auch dagegen sprechen, anzunehmen, daß die Nachwirkung ausnahmsweise dann endet, wenn die Allgemeinverbindlicherklärung abgelehnt wird (vgl. dazu Krebs aaO S 137; Oetker aaO S 26). Diese Frage kann aber offenbleiben, weil ein solcher Umstand nicht festgestellt worden ist.
3. Die Nachwirkung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages gegenüber Außenseitern gem. § 4 Abs. 5 TVG verstößt entgegen der Revision auch nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG.
a) Insbesondere kann sich die Revision nicht darauf berufen, daß nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Ablauf des Tarifvertrages jegliche Wirkung der Tarifnormen gegenüber Außenseitern enden müsse. Die von der Revision zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts aus dessen Beschluß vom 24. Mai 1977 (– 2 BvL 11/74 – AP TVG § 5 Nr. 15, zu II 2b a E der Gründe) geben lediglich inhaltlich die gesetzliche Regelung in § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG wieder. Ausführungen über die Verfassungsmäßigkeit der Nachwirkung nach Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit sind darin nicht enthalten.
b) Ebenfalls unzutreffend ist das Argument, daß auch die Nachwirkung durch eine staatliche Entscheidung legitimiert werden müsse. Dabei wird verkannt, daß nur die Entscheidung über die Allgemeinverbindlichkeit und deren Dauer in die Entscheidungskompetenz einer staatlichen Instanz fällt, nicht aber die Nachwirkung und deren Dauer, die als abgeschwächte statische und dispositive Bindung gem. § 4 Abs. 5 TVG, wie dargelegt, nur eine Überbrückungsfunktion hat.
c) Richtig ist zwar, daß auch die Nachwirkung allgemeinverbindlicher Tarifverträge für Außenseiter mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar sein muß. Auch insoweit bestehen aber entgegen der Auffassung der Revision keine durchschlagenden Bedenken. Die durch die statische Nachwirkung begründete dispositive Bindung des Arbeitgebers ist nicht so einschneidend wie die durch die Allgemeinverbindlichkeit begründete Tarifgebundenheit. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist die Allgemeinverbindlicherklärung tarifvertraglicher Inhaltsnormen mit der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar, auch in ihrer Ausprägung als negative bzw. kollektive Koalitionsfreiheit, insbesondere weil diese Grundrechte nicht unmittelbar rechtlich betroffen sind, sondern es sich nur um faktische Auswirkungen handelt (BVerfG aaO, zu II 2e der Gründe). Das gilt erst recht für die schwächere Bindung des Arbeitgebers aufgrund der Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG.
4. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Nachwirkung auch nicht durch § 22 Ziff. 3 MTV 1997 beendet worden.
Es sind bereits keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Regelung in § 22 Ziff. 3 MTV 1997 überhaupt auf die Beendigung der Nachwirkung für die Außenseiter gerichtet ist. Dem Wortlaut nach ist sie allein auf das Außerkrafttreten des MTV 1993 mit dem 31. Dezember 1997 gerichtet, was angesichts der Kündigung zum 31. Dezember 1996 nur bedeuten kann, daß an Stelle der Nachwirkung vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1997 die Weitergeltung des MTV 1993 während dieses Zeitraums begründet werden sollte.
Ob diese Regelung als eigenständiger Tarifvertrag zu verstehen ist und aus welchem Grund diese Regelung getroffen worden ist, kann offenbleiben. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, daß damit eine Regelung über die Beendigung der Nachwirkung getroffen wurde oder auch nur getroffen werden sollte. Vielmehr wird durch die Vereinbarung des 31. Dezember 1997 als Termin für das Außerkrafttreten des bereits zum 31. Dezember 1996 gekündigten MTV 1993 dessen unmittelbare Geltung für die mitgliedschaftlich Tarifgebundenen verlängert. Die Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG wird dadurch nicht, was grundsätzlich rechtlich möglich ist, tarifvertraglich ausgeschlossen, sondern lediglich faktisch verhindert, weil der Nachfolgetarifvertrag unmittelbar im Anschluß daran in Kraft trat.
Selbst wenn man die Regelung in § 22 Ziff. 2 MTV 1997, daß der MTV 1993 zum 31. Dezember 1997 “außer Kraft” trete, nicht nur als Regelung über die Geltungsdauer, sondern als Ausschluß der Nachwirkung auslegen würde, wäre hierdurch die Nachwirkung des MTV 1993 gegenüber der Klägerin als Außenseiterin nicht beendet. Denn der MTV 1997 und damit auch § 22 MTV 1997 ist nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden und kann somit gegenüber der Klägerin als Außenseiterin keine Geltung beanspruchen. Der Ausschluß der Nachwirkung kann nur dann auch gegenüber den Außenseitern gelten, wenn sie in dem Tarifvertrag selbst enthalten ist.
5. Weil die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche bereits aufgrund der Nachwirkung des allgemeinverbindlichen MTV 1993 für die Klägerin als Außenseiterin begründet sind, kommt es nicht darauf an, ob einzelne dieser Ansprüche der Klägerin bereits aus anderen Gründen zustehen. So ist von den Vorinstanzen nicht geprüft worden, ob durch das Rundschreiben der Beklagten vom Oktober 1997 ein individualrechtlicher Anspruch auf Zahlung jedenfalls des Urlaubsgeldes 1997 begründet worden ist. Es bedarf auch keiner Klärung, ob durch die Regelung in § 22 MTV 1997 auch für die Außenseiter die Geltung des MTV 1993 wiederhergestellt worden ist, und zwar mit der Begründung, daß dadurch der Ablauf des Tarifvertrages und damit auch das Ende der Allgemeinverbindlichkeit gem. § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG rückwirkend auf einen späteren Zeitpunkt verlegt worden sei.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Friedrich, Wolter, Valentien, H. Scherweit-Müller
Fundstellen