Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte. Tarifvorrang. Treu und Glauben. Umdeutung in Gesamtzusage. Betriebliche Übung. Schadensersatz. Tariflicher Sonderkündigungsschutz
Orientierungssatz
1. § 17 Nr. 3 MTV Banken führt nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG bzw. § 70 Abs. 1 Satz 2 LPVG NRW zur Unwirksamkeit von Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen, die einen Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte vorsehen.
2. Dem Arbeitgeber ist es selbst dann nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zu berufen, wenn er bei ihrem Abschluss wusste, dass die getroffenen Regelungen gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG bzw. § 70 Abs. 1 Satz 2 LPVG NRW verstoßen.
3. Eine Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine vertragliche Einheitsregelung (Gesamtzusage oder gebündelte Vertragsangebote) entsprechend § 140 BGB kommt nur in Betracht, wenn besondere Umstände ausnahmsweise die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmer die in dieser vorgesehenen Leistungen zu gewähren.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3, §§ 111, 112 Abs. 1; LPVG NRW § 70 Abs. 1; BGB §§ 133, 140, 145, 157, 242, 280 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2-3; Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken vom 12. November 1975 (MTV Banken) § 17 Nr. 3, § 19 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. Mai 2016 – 3 Sa 735/15 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die Klägerin wurde im Jahr 1981 bei der S als Schreibkraft eingestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde im April 1991 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, fortgeführt. Zum Jahresanfang 2004 vereinbarten die Parteien eine Tätigkeit der Klägerin als Telefonistin. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig weit mehr als zehn Arbeitnehmer.
Bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin existierte seit dem Jahr 1969 eine in mehrfach – letztmals am 18. Dezember 2009 – abgeschlossenen Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen enthaltene Bestimmung (fortan einheitlich als § 4 BV bezeichnet) folgenden Inhalts:
„Mitarbeiter/-innen, die mehr als 20 Jahre ununterbrochen in der Bank tätig gewesen sind, können nur aus einem in ihrer Person liegenden wichtigen Grund gekündigt werden.”
§ 17 Nr. 3 des Manteltarifvertrags für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV) vom 12. November 1975 lautet:
„Arbeitnehmer, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb mindestens 15 Jahre angehören, sind nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes und bei Betriebsänderungen im Sinne des § 111 BetrVG kündbar.”
In den Schlussbestimmungen des MTV – zuletzt in § 19 Nr. 3 – heißt es seit dem Jahr 1954:
„Günstigere Arbeitsbedingungen, auf die ein Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung oder kraft eines besonderen Arbeitsvertrages Anspruch hat, bleiben bestehen.”
Nach § 4 Nr. 2 des Tarifvertrags zur Restrukturierung und Beschäftigungssicherung vom 3. November 2011 (HTV) hat die Beklagte vor jeder Entscheidung über den Einsatz externer Dienstleister zu prüfen, ob entsprechende Leistungen nicht intern erbracht werden können. Gemäß § 7 Nr. 2 des Interessenausgleichs zum „Rückbau” der Beklagten vom 12. Juli 2013 (IA) sind Beendigungskündigungen aus Anlass der Betriebsänderung möglichst zu vermeiden. Dies setzt voraus, dass die Bestandsplanungen und die daraus abzuleitenden Abbauziele erreicht werden. Nach § 7 Nr. 1 IA ist mit Zustimmung der Beklagten ein Ringtausch möglich zwischen Mitarbeitern, die von den Maßnahmen aus dem IA nicht betroffen sind, und vergleichbaren Betroffenen, die ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags oder einer Altersregelung abgelehnt haben.
Nachdem sie die Arbeiten der Telefonzentrale einem externen Dienstleister übertragen, der Klägerin vergeblich ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags unterbreitet und den Betriebsrat nach § 102 BetrVG angehört hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 20. Juni 2014 aus dringenden betrieblichen Gründen ordentlich zum 31. Januar 2015.
Mit der vorliegenden Klage hat sich die Klägerin rechtzeitig gegen die Kündigung gewandt. Diese sei schon wegen Verstoßes gegen § 4 BV unwirksam. Der darin enthaltene Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen verstoße nicht gegen den Tarifvorrang. Sie – die Klägerin – habe auf die Gültigkeit der normativen Regelung vertrauen dürfen. Diese sei jedenfalls in eine inhaltsgleiche Gesamtzusage umzudeuten. Die Kündigung sei zudem nach § 7 Nr. 2 IA ausgeschlossen und sozial nicht gerechtfertigt. Die Beklagte habe den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört und keine Massenentlassungsanzeige erstattet.
Die Klägerin hat – soweit für die Revision noch von Interesse – sinngemäß beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20. Juni 2014 aufgelöst worden ist.
Die Vorinstanzen haben dem Klageabweisungsantrag der Beklagten entsprochen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den Kündigungsschutzantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Kündigungsschutzklage zu Recht abgewiesen. Die ordentliche Kündigung vom 20. Juni 2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst.
I. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin konnte ordentlich gekündigt werden.
1. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass die streitgegenständliche Kündigung im Zuge einer Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG erklärt worden ist. Damit greift der in § 17 Nr. 3 MTV normierte Schutz vor ordentlichen Kündigungen nicht ein.
2. Die ordentliche Kündigung – auch aufgrund einer Betriebsänderung -war nicht durch § 4 BV ausgeschlossen. Die vormals zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Gesamtpersonalrat und sodann zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat abgeschlossenen Vereinbarungen waren wegen Verstoßes gegen die sich aus § 70 Abs. 1 Satz 2 LPVG NRW bzw. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ergebende Regelungssperre unwirksam. Eine inhaltsgleiche Gesamtzusage oder betriebliche Übung über die Beschränkung des ordentlichen Kündigungsrechts hat bei der Beklagten nicht bestanden. Grundsätze des Vertrauensschutzes stehen der Wirksamkeit der Kündigung vom 20. Juni 2014 ebenso wenig entgegen wie etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin.
a) § 4 BV verstieß als normative Bestimmung gegen den Tarifvorrang.
aa) Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nur dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Eine gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist von Anfang an unwirksam. Die Regelungssperre wirkt auch, wenn entsprechende Tarifbestimmungen erst später in Kraft treten. Die betriebliche Regelung wird dann – ex nunc – unwirksam (BAG 21. Januar 2003 – 1 ABR 9/02 – zu B II 2 c aa (1) der Gründe). Sonstige Arbeitsbedingungen iSd. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sind nicht nur materielle Arbeitsbedingungen, die den Umfang der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers betreffen, sondern alle Regelungen, die als Gegenstand tarifvertraglicher Inhaltsnormen nach § 1 TVG den Inhalt von Arbeitsverhältnissen ordnen. Die gesetzliche Bestimmung dient der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie sowie der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Sie will verhindern, dass Gegenstände, derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen haben, konkurrierend – und sei es inhaltsgleich – in Betriebsvereinbarungen geregelt werden. Eine Betriebsvereinbarung soll weder als normative Ersatzregelung für nicht organisierte Arbeitnehmer noch als Grundlage für übertarifliche Leistungen dienen. Auch günstigere Betriebsvereinbarungen sind unwirksam. Fällt ein Betrieb in den räumlichen, fachlichen und personellen Geltungsbereich eines Tarifvertrags, sind die Betriebsparteien deshalb gehindert, tariflich normierte Gegenstände in einer Betriebsvereinbarung zu regeln. Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hängt nicht davon ab, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist (BAG 13. März 2012 – 1 AZR 659/10 – Rn. 20; 18. März 2010 – 2 AZR 337/08 – Rn. 34, 35). Entsprechendes gilt sowohl für die Regelungssperre gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 LPVG NRW in der seit dem 22. Januar 1985 geltenden Fassung (BAG 27. Juni 2006 – 3 AZR 255/05 – Rn. 26, 27, BAGE 118, 326) als auch für die Vorläuferbestimmungen in § 67 LPVG NW 1958 bzw. § 72 Abs. 3 Satz 5 LPVG NW 1974.
bb) Nach diesen Grundsätzen war § 4 BV wegen Verstoßes gegen die personalvertretungs- bzw. betriebsverfassungsrechtliche Regelungssperre unwirksam.
(1) Die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin und ihre Betriebe bzw. Dienststellen fielen seit Begründung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit der S in den Geltungsbereich des MTV. Dessen § 17 Nr. 3 enthält zumindest seit dem Jahr 1975 eine Regelung, nach der die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben und dem Betrieb ein gewisse Zeit ununterbrochen angehören, lediglich noch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes und bei Betriebsänderungen iSd. § 111 BetrVG gekündigt werden können. Demgegenüber sollen nach § 4 BV die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die mehr als zwanzig Jahre ununterbrochen bei der Beklagten beschäftigt sind, nur noch aus einem in der Person des Mitarbeiters liegenden wichtigen Grund kündbar sein. § 17 Nr. 3 MTV und § 4 BV betreffen den gleichen Gegenstand. Beide Bestimmungen bezwecken eine Beschränkung des Kündigungsrechts der Arbeitgeberin, insbesondere den Schutz vor ordentlichen Kündigungen. Die betrieblichen Vereinbarungen und die tarifliche Regelung knüpfen an die Beschäftigungsdauer an. Zwar gewährt § 4 BV den Sonderkündigungsschutz unabhängig vom Lebensalter der Betroffenen. Sie tritt jedoch auch auf diese Weise in Konkurrenz zu der tariflichen Bestimmung (BAG 18. März 2010 – 2 AZR 337/08 – Rn. 36). Nach § 17 Nr. 3 MTV soll ein besonderer Kündigungsschutz nur unter bestimmten, näher geregelten Voraussetzungen und in einem begrenzten Umfang bestehen. Diese Festlegung würde durch die tatbestandlich anders gefasste Regelung in § 4 BV unterlaufen. Das zeigt sich besonders deutlich daran, dass die Tarifvertragsparteien ordentliche Kündigungen bei Betriebsänderungen ausdrücklich zulassen. Diese Entscheidung würde durch § 4 BV – wonach betriebsbedingte Kündigungen schlechthin ausgeschlossen sind – konterkariert.
(2) Aus § 19 Nr. 3 MTV folgt nichts anderes. Die Tarifnorm enthält keine Öffnungsklausel iSv. § 70 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 LPVG NRW bzw. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG zugunsten betrieblicher Regelungen zum Sonderkündigungsschutz.
(a) § 19 Nr. 3 MTV gestattet nach seinem Wortlaut „bleiben bestehen”) und seiner systematischen Stellung im Tarifvertrag nicht den Abschluss von für die Arbeitnehmer günstigeren „betrieblichen” Regelungen. Im MTV finden sich verschiedene spezifische Öffnungsklauseln, die jeweils im Zusammenhang mit dem betreffenden Regelungsgegenstand eingefügt worden sind. Daneben kann § 19 Nr. 3 MTV nicht als generelle Öffnungsklausel für jedwede günstigere Regelung in einer Dienst- oder Betriebsvereinbarung verstanden werden.
(b) § 19 Nr. 3 MTV bewirkt auch nicht, dass zumindest Betriebsvereinbarungen, die vor Inkrafttreten des Tarifvertrags abgeschlossen wurden, fortgelten, soweit sie für die Arbeitnehmer günstigere Arbeitsbedingungen vorsehen als dieser. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift handelt es sich um eine bloße Besitzstandsklausel. Es sollen keine Rechtsgrundlagen sondern lediglich in „vortarifierter” Zeit erworbene Ansprüche des einzelnen Arbeitnehmers „auf die ein Arbeitnehmer … Anspruch hat”) bestehen bleiben. Danach konnte allenfalls ein besonderer Kündigungsschutz weiter gelten, den ein Arbeitnehmer schon vor dem Inkrafttreten von § 17 Nr. 3 MTV im Jahr 1975 erworben hatte, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwanzig Jahre ununterbrochen bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten tätig gewesen war. Bei der Klägerin wäre dies selbst unter Berücksichtigung ihrer Vorbeschäftigungszeiten bei der S nicht der Fall.
(3) Bei § 4 BV handelt es sich nicht um eine Sozialplanregelung iSd. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die eine Milderung von Nachteilen, die Arbeitnehmern infolge einer geplanten Betriebsänderung entstehen, zum Gegenstand hat und für die nach § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht anzuwenden wäre.
(4) Es kann offen bleiben, ob – wogegen vieles spricht – die Wirkungen eines nachträglichen Eingreifens der Regelungssperre durch die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit beschränkt sein können (zu Leistungen der betrieblichen Altersversorgung: BAG 13. Oktober 2016 – 3 AZR 439/15 – Rn. 20). Eine solche Begrenzung der Nichtigkeitsfolge kommt für die Klägerin, deren vormaliges Arbeitsverhältnis erst im Jahr 1981 begründet worden ist, nicht in Betracht. Das Inkrafttreten der im MTV vom 12. November 1975 enthaltenen Regelung in § 17 Nr. 3 hat zur Unwirksamkeit von § 4 BV geführt.
(5) Der Einwand, der Beklagten müsse es aufgrund ihres Verhaltens nach § 242 BGB verwehrt sein, sich auf die Unwirksamkeit von § 4 BV als normative Regelung zu berufen, liegt neben der Sache. Der Tarifvorrang nach § 70 Abs. 1 Satz 2 LPVG NRW bzw. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG bezweckt ausschließlich den Schutz der Tarifvertragsparteien vor konkurrierenden Dienst- oder Betriebsvereinbarungen. Die Koalitionen bedürfen des Schutzes auch – und gerade – dann, wenn eine Betriebspartei „sehenden Auges” gegen die Regelungssperre verstoßen sollte.
b) Eine Geltung des in § 4 BV bestimmten Sonderkündigungsschutzes aufgrund einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung scheidet aus.
aa) § 4 BV kann nicht in entsprechender Anwendung von § 140 BGB in eine Gesamtzusage umgedeutet werden.
(1) Zwar ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, eine unwirksame Betriebsvereinbarung entsprechend § 140 BGB in eine vertragliche Einheitsregelung (Gesamtzusage oder gebündelte Vertragsangebote) umzudeuten. Das kommt jedoch nur in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die in dieser vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber sich von einer Betriebsvereinbarung durch Kündigung jederzeit lösen kann, während eine Änderung der Arbeitsverträge, zu deren Inhalt eine Gesamtzusage wird, lediglich einvernehmlich oder durch gerichtlich überprüfbare Änderungskündigung möglich ist. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auf Dauer einzelvertraglich zu binden, kann deshalb nur in Ausnahmefällen angenommen werden (BAG 23. Februar 2016 – 3 AZR 960/13 – Rn. 25, BAGE 154, 144; 19. Juni 2012 – 1 AZR 137/11 – Rn. 21).
(2) Im Streitfall fehlen besondere Anhaltspunkte für die Annahme, die Beklagte habe sich unabhängig von der Wirksamkeit von § 4 BV auf jeden Fall zur Gewährung eines entsprechenden Sonderkündigungsschutzes verpflichten wollen.
(a) Dass aufgrund eines Hinweises ihrer Rechtsabteilung vom 8. Januar 1968 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten Zweifel an der Zulässigkeit der betreffenden Regelung in einer Dienstvereinbarung bestanden und sie sich gleichwohl auf diese Rechtsform festgelegt hat, spricht eher gegen, jedenfalls aber nicht für die Annahme eines hypothetischen Willens der Arbeitgeberseite, den Arbeitnehmern in jedem Fall – ggf. durch Gesamtzusage – einen entsprechenden Sonderkündigungsschutz einzuräumen (BGH 15. Dezember 1955 – II ZR 204/54 – zu II 2 der Gründe, BGHZ 19, 269; MüKoBGB/Busche 7. Aufl. § 140 Rn. 20). Das gilt umso mehr, als die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin auch in der Folge jeweils erneut den Weg einer Vereinbarung mit der Arbeitnehmervertretung gewählt haben.
(b) Die Behauptung der Klägerin, § 4 BV habe unbedingt in allen Arbeitsverhältnissen gelten sollen, um den Beschäftigten eine beamtenähnliche Versorgung zukommen zu lassen, ist in mehrfacher Hinsicht unstimmig. Zum einen wurde die beamtenähnliche Versorgung erst 1976 und damit einige Jahre nach dem erstmaligen Inkrafttreten von § 4 BV eingeführt. Zum anderen ist die beamtenähnliche Versorgung seit dem Jahr 1985 nur noch im Einzelfall und seit dem Jahr 2001 überhaupt nicht mehr angeboten worden. Schließlich und vor allem erfolgten entsprechende Angebote teilweise schon ab einer Beschäftigungsdauer von zehn Jahren und legt die Klägerin nicht dar, warum ein den Regelungen des § 4 BV entsprechender Sonderkündigungsschutz Voraussetzung für die Verschaffung der beamtenähnlichen Versorgung gewesen wäre. Dementsprechend findet sich der von ihr hergestellte Zusammenhang auch weder in § 4 BV selbst noch in sonstigen Erklärungen der Rechtsvorgängerin der Beklagten wieder.
(c) Die behauptete Erklärung der Gesellschafter der Beklagten, im Zuge der Umwandlung ihrer Rechtsvorgängerin würden die Arbeitnehmerrechte gewahrt bleiben und die „Betriebsvereinbarungen” kollektiv-rechtlich fortgelten, gibt für den Willen der Arbeitgeberseite zur Umdeutung unwirksamer Normen in vertragliche Zusagen nichts her. Das Gleiche gilt für den Hinweis der Revision auf „Ziff.” IV. 1. des Sozialplans aus dem Jahr 2008, wonach ua. solchen Mitarbeitern eine Freistellungsregelung angeboten wurde, „die nach § 4 der geltenden ‚Betriebsvereinbarung' betriebsbedingt unkündbar sind”. Auch damit hat die Beklagte nicht den Willen zu erkennen gegeben, ggf. vertraglich an die Vorgaben von § 4 BV „gebunden” zu sein.
(d) Selbst wenn sich aus der Tatsache, dass die Beklagte zwischenzeitlich in Neuverträgen die Anwendbarkeit von § 4 BV abbedungen hatte, folgern ließe, sie habe es für möglich gehalten, infolge eines Verstoßes gegen die Regelungssperre so behandelt zu werden, als sei den „Altverträglern” eine Gesamtzusage erteilt worden, besagte dies nicht, sie habe eine Umdeutung gewollt. Der Versuch, zumindest neu in das Unternehmen eingetretene Arbeitnehmer von einer möglichen einzelvertraglichen Bindung auszunehmen, deutete in die Gegenrichtung.
bb) Da die Beklagte erkennbar allenfalls annahm, zugunsten der „Altverträgler” könne eine Gesamtzusage – durch Umdeutung – bereits entstanden sein, durften diese die Erklärung gegenüber den „Neuverträglern” auch nicht gleichsam im Umkehrschluss dahin verstehen, ihnen – den „Altverträglern” -solle nunmehr eine Gesamtzusage erteilt werden (§ 145 BGB iVm. §§ 133, 157 BGB).
cc) Die von der Klägerin erstmals in der Revisionsinstanz vorgebrachten „Tatsachen” zur Fortgeltung bereits vor 1969 erteilter, durch § 4 BV bloß „zusammengefasster” bzw. „bestätigter” Gesamtzusagen neben der personal- bzw. betriebsverfassungsrechtlichen Regelung können nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Berücksichtigung mehr finden. Verfahrensrügen iSv. § 559 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO hat die Klägerin nicht erhoben. Auf die Schlüssigkeit ihres Vorbringens – auch im Hinblick darauf, dass die Klägerin frühestens im Jahr 1981 „eingetreten” ist – kommt es deshalb nicht an.
dd) Die Klägerin kann sich nicht auf eine betriebliche Übung berufen, nach der ihr ein Sonderkündigungsschutz entsprechend § 4 BV zu gewähren wäre. Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Beklagte oder ihre Rechtsvorgängerin in der Vergangenheit (nur) im Hinblick auf einen derartigen Sonderkündigungsschutz auf den Ausspruch ordentlicher Kündigungen verzichtet hätte. Insoweit fehlte es bereits an der Abgabe eines annahmefähigen Angebots, das die Arbeitnehmer stillschweigend hätten annehmen können. Im Übrigen hätten sie damit aus Sicht der Arbeitnehmer lediglich zum Ausdruck gebracht, die jeweilige Dienst- bzw. Betriebsvereinbarung vollziehen zu wollen. Unstreitig hatte die Klägerin keine Kenntnis von den in der Rechtsabteilung bestehenden Zweifeln an der normativen Wirksamkeit von § 4 BV.
c) Etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin ließen die Zulässigkeit einer ordentlichen Kündigung unberührt. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte oder ihre Rechtsvorgängerin die Klägerin über bestehende Zweifel an der Wirksamkeit von § 4 BV hätte aufklären müssen. Die Verletzung einer solchen Pflicht führte ggf. zu einem Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB. Dieser wäre auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtet. Die Klägerin müsste so gestellt werden, wie sie stünde, wenn sie um die Unwirksamkeit von § 4 BV gewusst hätte. Rechtsfolge wäre hingegen nicht, dass ihr ein entsprechender Sonderkündigungsschutz zu gewähren wäre.
3. Ein Kündigungsausschluss folgt schließlich nicht aus § 4 Nr. 1 Abs. 1 HTV iVm. § 7 Nr. 2 IA. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Abbauziele nicht erreicht waren. Die Beklagte hat zu Recht nur solche Mitarbeiter berücksichtigt, deren Austritt zum Prüfungszeitpunkt am 31. März 2014 feststand „nach den zum Überprüfungszeitraum bekannten Personalveränderungen … erreicht”). Sie musste keine Prognosen über das mögliche Ausscheiden weiterer Arbeitnehmer anstellen. Auch die Mitarbeiter, die sich durch Meldung auf der Evidenzliste an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses interessiert gezeigt hatten, waren nicht zu berücksichtigen. Gemäß § 2 Nr. 2 Buchst. b Abs. 4 Satz 2, § 7 Nr. 1 Abs. 8 Satz 2 und § 9 Satz 3 IA besteht kein Rechtsanspruch auf ein Ausscheiden. Vielmehr gilt nach § 2 Nr. 2 Buchst. b Abs. 4 Satz 3, § 7 Nr. 1 Abs. 8 Satz 3 und § 9 Satz 4 IA das Prinzip der gegenseitigen Freiwilligkeit.
II. Die Kündigung ist nach § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt.
1. Die Beklagte hat die unternehmerische Entscheidung getroffen, die inneren Dienste einschließlich der Telefonzentrale an einen externen Dienstleister zu vergeben. Dieser zum Wegfall des Arbeitsplatzes der Klägerin führende Entschluss stellt sich weder als rechtsmissbräuchlich dar noch war der Beklagten die Fremdvergabe nach § 4 Nr. 1 Abs. 2, Nr. 2 HTV verwehrt. Diese tarifliche Regelung verpflichtet die Beklagte, insbesondere für die Dauer der Maßnahmen zur Einleitung und Umsetzung der Restrukturierungen vor jeder Entscheidung zum Einsatz externer Dienstleister zu prüfen, ob die entsprechenden Leistungen nicht von internen Mitarbeitern erbracht werden können. Mehr als eine Prüfpflicht sieht sie nicht vor, insbesondere bezweckt sie keine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit, Arbeiten – letztlich doch – fremd zu vergeben.
2. Die Revision wendet sich nicht gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es habe keine Möglichkeit bestanden, die Klägerin auf einem anderen Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 KSchG), und die Kündigung scheitere ebenso wenig an einer unzureichenden Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG). Die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts lassen auch keinen Rechtsfehler erkennen.
III. Sonstige Unwirksamkeitsgründe bestehen nicht. Nach der von der Revision nicht in Zweifel gezogenen Annahme des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört (§ 102 Abs. 1 BetrVG) und bestand keine Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KSchG).
IV. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Koch, Berger, Niemann, B. Schipp, Niebler
Fundstellen
NZA 2017, 522 |
ZTR 2017, 442 |
AP 2017 |
EzA-SD 2017, 14 |
RiA 2018, 71 |
AUR 2017, 218 |
ArbR 2017, 199 |