Entscheidungsstichwort (Thema)
Kur- und Fortsetzungserkrankung
Normenkette
LFZG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2, § 7 Abs. 1; SGB X § 115; RVO § 1241 f Abs. 4
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 18.09.1990; Aktenzeichen 6 Sa 60/90) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 26.04.1990; Aktenzeichen 8 Ca 356/89) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 18. September 1990 – 6 Sa 60/90 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte, ein Bauunternehmen, der Klägerin, einer Landesversicherungsanstalt, aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X, § 1241 f Abs. 4 RVO) Lohnfortzahlung schuldet.
Der am 20. Oktober 1940 geborene Arbeitnehmer Joachim S. (künftig: der Versicherte) ist bei der Beklagten als Zimmererpolier beschäftigt und bei der Klägerin rentenversichert. Er war in der Zeit vom 3. April bis zum 15. Mai 1989 wegen einer orthopädischen Erkrankung arbeitsunfähig. Die Beklagte zahlte ihm für diese Zeit den Lohn weiter.
Auf seinen Heilbehandlungsantrag vom 12. Dezember 1988 bewilligte die Klägerin dem Versicherten nach Untersuchung im April 1989 eine stationäre Heilbehandlung wegen einer psychischen Krankheitssymptomatik. In dem diesem Antrag zugrunde liegenden Befundbericht führte der behandelnde Arzt als Hauptleiden an „Depressiver Verstimmungszustand bei Überforderungssyndrom”, sowie als Nebenleiden ein „Lumbago-Ischias-Syndrom”. Das ärztliche Gutachten der Klägerin vom 3. April 1989, das der Bewilligung der Heilmaßnahme zugrunde lag, nannte als Diagnosen:
- „Neigung zu depressiven Verstimmungen,
- Zustand nach Alkoholmißbrauch bis 1976,
- Nikotinmißbrauch,
- Abnutzungsschaden der Wirbelsäule mit Belastungsinsuffizienz.”
In der Zeit vom 13. Juni bis zum 8. August 1989 führte der Versicherte eine stationäre Heilbehandlung in einer Klinik für psychosomatische Medizin durch. Neben dem psychischen Leiden des Versicherten wurden auch orthopädische Beschwerden sowie eine Entzündung des äußeren Gehörgangs behandelt. Im ärztlichen Entlassungsbericht werden in der Diagnose als „Hauptleiden” eine depressive Entwicklung, als „Nebenleiden 1” eine jahrelange Alkoholabhängigkeit und als „Nebenleiden 2” ein degeneratives LWS-Syndrom genannt.
Da die Beklagte die Lohnfortzahlung verweigerte, gewährte die Klägerin dem Versicherten für die Zeit vom 13. Juni bis zum 24. Juli 1989 ein Übergangsgeld. Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin die Beklagte in der unstreitigen Höhe von 2.493,96 DM aus übergegangenem Recht auf Lohnfortzahlung in Anspruch: Sie hat vorgetragen, die stationäre Heilbehandlungsmaßnahme sei aufgrund des psychischen Befundes bei dem Versicherten erforderlich gewesen und durchgeführt worden. Die Tatsache, daß anläßlich der stationären Heilbehandlung auch Wirbelsäulenbeschwerden balneophysikalisch mitbehandelt worden seien, lasse nicht den Schluß zu, die Heilbehandlung sei auch auf die Behandlung des orthopädischen Wirbelsäulenbefundes ausgerichtet gewesen. Arbeitsunfähigkeit während der Rehabilitationsmaßnahme habe aufgrund des Heilbehandlungsleidens „Depressive Entwicklung bei jahrelanger Alkoholabhängigkeit”, nicht aber wegen der Rückenbeschwerden bestanden. Die Mitbehandlung der letztgenannten Beschwerden sei lediglich zusätzlich und begleitend erfolgt.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.493,96 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kur des Versicherten stelle sich als Fortsetzungserkrankung dar, weil der Versicherte auch während der stationären Heilbehandlung wegen seines Wirbelsäulenleidens arbeitsunfähig krank gewesen und deswegen behandelt worden sei. In einem solchen Fall habe der Arbeitnehmer nur einmal Anspruch auf Lohnfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht, begründet. Dem Landesarbeitsgericht ist darin beizupflichten, daß der Klägerin der erhobene Zahlungsanspruch gegen die Beklagte nach § 115 SGB X, § 1241 f Abs. 4 RVO in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 LFZG zusteht.
1. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsurteils hat mit der Klägerin ein Träger der Sozialversicherung im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 LFZG dem Arbeitnehmer der Beklagten eine Kur bewilligt. In einem solchen Fall gilt nach der näheren Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 LFZG die Bestimmung des § 1 LFZG entsprechend. Nach der gesetzlichen Fiktion des § 7 Abs. 1 Satz 2 LFZG steht eine solche Kur im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG einer Arbeitsunfähigkeit gleich.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG behält der Arbeiter bei Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit den Anspruch auf Arbeitsentgelt jeweils bis zur Verhinderungsdauer von sechs Wochen. Anders ist die Rechtslage dagegen zu beurteilen bei einer auf einem nicht ausgeheilten Grundleiden beruhenden Fortsetzungskrankheit des Arbeiters. Bei Arbeitsunfähigkeit „infolge derselben Krankheit” behält der Arbeiter den Lohnanspruch innerhalb eines Zeitraumes von 12 Monaten nur für die Dauer von insgesamt sechs Wochen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 LFZG). Wird der Arbeiter innerhalb Jahresfrist wegen derselben Krankheit verschiedentlich arbeitsunfähig, braucht der Arbeitgeber ihm nur für insgesamt sechs Wochen das Arbeitsentgelt weiterzugewähren. Diese Regelung beruht auf einer besonderen Zumutbarkeitserwägung des Gesetzgebers und soll den Arbeitgeber entlasten (BAG Urteil vom 27. Juli 1977 – 5 AZR 318/76 – AP Nr. 43 zu § 1 LohnFG, zu 2 b und c der Gründe). Der Ausnahmefall, daß der Arbeiter vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 LFZG) liegt hier nicht vor und braucht daher nicht weiter erörtert zu werden.
Der Anspruch eines Arbeiters auf Lohnfortzahlung ist aber auch dann auf sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit begrenzt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit hinzutritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In diesem Fall kann der Arbeiter bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles: BAGE 37, 172 = AP Nr. 48 zu § 1 LohnFG; ständige Rechtsprechung, zuletzt Senatsurteil vom 19. Juni 1991 – 5 AZR 304/90 –, zu 1 der Gründe, DB 1991, 2291 = NZA 1991, 894, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
2. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß für die Frage, welcher von mehreren behandlungsbedürftigen Krankheitsbefunden einer Kur zugrunde liegt, auf das Hauptleiden abzustellen ist, das den Anlaß für die Bewilligung der Heilmaßnahme durch den Sozialversicherungsträger gegeben hat. Die gegenteilige Auffassung wäre mit dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles nicht vereinbar. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Versicherte aufgrund zweier ärztlicher Gutachten wegen seiner Neigung zu depressiven Verstimmungen in einer psychosomatischen Klinik behandelt worden. Die Übereinstimmung von Diagnose und Fachausrichtung der Kureinrichtung bedeutet weiter, daß der Versicherte gerade wegen seines Hauptleidens zur Kur geschickt worden ist. Danach ist aber auf die Zeit der Kur der Grundsatz der Entgeltfortzahlung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG anzuwenden.
Entgegen der Ansicht der Revision ist es unerheblich, ob der Versicherte während der Kur auch wegen seines Nebenleidens arbeitsunfähig krank gewesen ist. Denn selbst wenn Arbeitsunfähigkeit wegen des LWS-Syndroms des Versicherten bestanden hätte, wäre lediglich zu einem bereits die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers auslösenden Verhinderungsfall ein neuer Verhinderungsfall hinzugetreten, der jedoch seinerseits keine Lohnfortzahlungspflicht herbeigeführt hätte. Die Vorerkrankung des Versicherten in der Zeit vom 3. April bis zum 15. Mai 1989 kann nicht als erster Teil einer Fortsetzungserkrankung angesehen werden, wenn deren zweiter Teil lediglich zu einer bereits bestehenden, die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG auslösenden Krankheit oder Heilbehandlung hinzugetreten ist, ohne selbst einen eigenen Anspruch auf Lohnfortzahlung zu begründen. Diese Fallgestaltung hat der Senat ausführlich im Urteil vom 19. Juni 1991 – 5 AZR 304/90 – (zu 3 der Gründe, a.a.O.) erörtert. Darauf wird verwiesen.
3. Allerdings hat der Senat in seinem Urteil vom 22. August 1984 (BAGE 46, 253 = AP Nr. 60 zu § 1 LohnFG) entschieden, daß der Fortsetzungszusammenhang im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 LFZG nicht unterbrochen werde, wenn neben eine Fortsetzungserkrankung eine weitere mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Krankheit tritt, die einen selbständigen Verhinderungsfall bildet. In diesem Fall sollte ein Arbeiter wegen eines Bronchialleidens, an dem er zuvor schon arbeitsunfähig erkrankt gewesen war, eine Kur antreten, brach sich jedoch einige Zeit vor Kurantritt den Arm und wurde deswegen arbeitsunfähig krank. Nach Beendigung der Kur war er erneut wegen seines nicht ausgeheilten Bronchialleidens arbeitsunfähig krank. Bei dieser Fallgestaltung hat der Senat angenommen, das Auftreten eines neuen, selbständigen Verhinderungsgrundes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ändere den Charakter der Fortsetzungserkrankung nicht. Demgegenüber unterscheiden sich die maßgeblichen tatsächlichen Umstände des Streitfalles jedoch wesentlich.
Hier ist wegen des Krankheitsbildes „Depressiver Verstimmungszustand” ein Krankheitsbild auf getreten, das zu einer stationären Heilmaßnahme Anlaß gegeben hat. Wenn daneben noch ein weiteres Krankheitsbild in Erscheinung trat, das nebenbei mitbehandelt wurde, ist hierdurch kein neuer Anspruch auf Lohnfortzahlung des Arbeitnehmers entstanden. Wegen des Grundsatzes der Einheit des Verhinderungsfalles ist auf den alles andere verdrängenden medizinischen Tatbestand des Hauptleidens abzustellen. Dann aber bestand die Lohnfortzahlungspflicht der Beklagten für die Dauer von sechs Wochen weiter, und die Klägerin beruft sich zu Recht auf einen auf sie übergegangenen Lohnfortzahlungsanspruch des Versicherten.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Meier, Dr. Müller
Fundstellen