Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmungsrecht bei Lohngestaltung. arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz
Leitsatz (amtlich)
- Der Betriebsrat darf sein Mitbestimmungsrecht nicht dahin ausüben, dass er dem Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand eröffnet.
- Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz greift nur ein bei einem gestaltenden Verhalten des Arbeitgebers. Das schließt einen Anspruch auf “Gleichbehandlung im Irrtum” aus.
Orientierungssatz
- Der Gesamtbetriebsrat ist im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung aus Gründen der “subjektiven Unmöglichkeit” dann für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen zuständig, wenn der Arbeitgeber zu einer Maßnahme nur unternehmenseinheitlich oder betriebsübergreifend bereit ist.
- Der Betriebsrat darf sich seiner gesetzlichen Mitbestimmungsrechte nicht in der Substanz begeben. Eine Vereinbarung, mit der er dem Arbeitgeber im Kernbereich des Mitbestimmungstatbestands die Letztentscheidungsbefugnis überlässt, ist unwirksam.
- Erbringt der Arbeitgeber in Vollzug einer nur vermeintlich wirksamen Betriebsvereinbarung Leistungen, können sich die nicht begünstigten Arbeitnehmer zur Begründung eigener Leistungsansprüche nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Ein Anspruch dieser Arbeitnehmer auf die ihnen vorenthaltene Leistung kommt aber in Betracht, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung nicht die ihm möglichen und zumutbaren Korrekturmaßnahmen ergreift. Welche Korrekturmaßnahmen möglich und zumutbar sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 50 Abs. 1, § 75 Abs. 1 S. 1; EFZG § 4a S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 12. November 2003 – 9 Sa 163/03 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Leistungsprämie für das Jahr 2000.
Der Kläger ist als Bus- und Straßenbahnfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte hat ihr Unternehmen in Geschäftsbereiche und diese wiederum in Abteilungen eingeteilt. Der Geschäftsbereich Betrieb besteht aus 13 Abteilungen. Dazu gehören ua. die Abteilungen B 20 (Center Service-Dienste), B 22 (Center Fahrdienst Straßenbahn), B 23 (Center Fahrdienst Bus-Ost) und B 24 (Center Fahrdienst Bus-West). Der Kläger ist der Abteilung B 20 zugeordnet. Deren Aufgabe ist es, bei personellen Engpässen in den Abteilungen B 22, 23 und 24 abteilungsübergreifend kurzfristig Fahrpersonal zur Verfügung zu stellen. Demgegenüber werden die Arbeitnehmer der Abteilungen B 22, 23 und 24 regelmäßig nur in dem der Abteilung zugewiesenen Linien- und Streckenbereich eingesetzt.
Am 10./22. Mai 2001 schlossen die Beklagte und die Stadtwerke M…-Versorgungs GmbH auf der einen Seite und der Gesamtbetriebsrat der Beklagten und der Betriebsrat der Stadtwerke M…-Versorgungs GmbH auf der anderen Seite eine Betriebsvereinbarung über eine Leistungsprämie (BV). Die Beklagte war zur Zahlung der Leistungsprämie und zum Abschluss der Betriebsvereinbarung nur unternehmenseinheitlich auf überbetrieblicher Ebene bereit. Die BV enthält ua. folgende Regelungen:
“§ 3 Allgemeine Grundsätze
1) Über die Gewährung einer Leistungsprämie und die Festlegung der Gesamtausschüttungssumme wird von der Geschäftsführung jährlich neu entschieden. Die Geschäftsführung weist jedem Ergebniscenter bzw. jeder Organisationseinheit, für die eine örtliche Kommission zu bilden ist, einen Betrag zu.
2) Die Leistungsprämie soll die Erbringung einer überdurchschnittlichen Leistung honorieren. Entsprechend sind die Bewertungsgrundsätze aufzustellen.
…
6) In einem Bewertungsbereich erhalten mindestens 10 % und höchstens 30 % der Beschäftigten eine Leistungsprämie (Ausnahme Fahrbetrieb VB: Mindestens 10 % und höchstens 40 %).
…
§ 4 Kommission
1) Zur Ausgestaltung der in dieser gemeinsamen Betriebsvereinbarung zu treffenden Festlegungen wird in der Regel für jedes Ergebniscenter bzw. für jede sonstige Organisationseinheit eine örtliche Kommission gebildet. …
2) Die Mitglieder der örtlichen Kommissionen werden paritätisch von dem Ergebniscenterleiter bzw. dem Leiter einer sonstigen Organisationseinheit und dem zuständigen Betriebsrat bestellt.
Kraft seiner Funktion ist der jeweilige Ergebniscenterleiter bzw. der Leiter der sonstigen Organisationseinheit Mitglied der Kommission, in der ihm die Leitung ohne zusätzliches Stimmrecht obliegt.
…
4) Sofern in den jeweiligen Kommissionen über die zu regelnden Punkte keine Einigung erzielt werden kann, stellt der jeweilige Vorsitzende das Scheitern der Verhandlungen fest.
5) In der nächsten Sitzung der jeweiligen Kommission hat der jeweilige Vorsitzende das doppelte Stimmrecht.
…
§ 6 Festlegung der Bewertungsbereiche in den Ergebniscentern bzw. in den sonstigen Organisationseinheiten
Die örtliche Kommission legt die Bewertungsbereiche in ihrem Ergebniscenter bzw. in ihrer sonstigen Organisationseinheit fest.
Grundsätzlich sollen die Bewertungsbereiche entsprechend den organisatorischen Einheiten gebildet werden, d.h. Geschäftsgebiete, Bereich und sollen in der Regel die Größe eines Bereichs nicht unterschreiten. Es können auch mehrere Bereiche usw. eines Ergebniscenters bzw. einer sonstigen Organisationseinheit zu einem Bewertungsbereich zusammengefasst werden. …
§ 7 Festlegung der Zuteilungssumme für den Bewertungsbereich
Die örtliche Kommission legt die Höhe der Zuteilungssumme für den Bewertungsbereich aus dem dem Ergebniscenter bzw. der sonstigen Organisationseinheit insgesamt zugewiesenen Leistungsprämienbetrag fest.
§ 8 Bewertungskriterien/-maßstäbe
1) Die Bewertung der Beschäftigten erfolgt anhand der Bewertungskriterien
– Arbeitserfolg (Qualität und Quantität) der Sachaufgaben und – soweit einschlägig – der Führungs-/Leitungsaufgaben
– Zusammenarbeit/Kommunikationsfähigkeit
wobei beide Kriterien in der Regel die gleiche Gewichtung haben.
2) Die örtliche Kommission legt ggf. für jeden Bewertungsbereich für die beiden Kriterien die Anzahl der Indikatoren fest. Es sind für die beiden Kriterien zusammen
– mindestens acht Indikatoren und
– höchstens 12 Indikatoren – bei Führungskräften höchstens 15 Indikatoren
auszuwählen.
§ 9 Bewertungsgrundsätze
1) Die Bewertung der Prämienberechtigten erfolgt auf der Basis der Indikatoren durch ein Punktesystem. …
3) Die örtliche Kommission legt gegebenenfalls für jeden Bewertungsbereich die Bandbreite bei der Punktebewertung gesondert fest, d.h.
– wie groß die Mindestpunktzahl für jeden Indikator ist
– wie groß die Höchstpunktzahl für jeden Indikator ist wie groß die Abstufung zwischen der Mindestpunktzahl und der Höchstpunktzahl für jeden Indikator ist.
4) Die örtliche Kommission legt unter strikter Beachtung der Regelung des § 3 Abs. 6 auf der Grundlage des definierten DM-Betrages ggf. für jeden Bewertungsbereich die Punktzahl fest, bei der Mitarbeiter, die diese Punktzahl bei der Bewertung unterschreiten, keine Prämie erhalten.
…”
Die Beklagte stellte für die Leistungsprämie 2000 insgesamt eine Summe in Höhe von 4,5 Mio. DM zur Verfügung. Daraus ergab sich für den Geschäftsbereich Betrieb ein Zuteilungsbetrag in Höhe von 1.138.235,00 DM. Die für diesen Bereich gebildete örtliche Kommission teilte ihn gemäß § 6 BV in Bewertungsbereiche ein. Sie orientierte sich dabei an den vorhandenen Abteilungen. Sie legte ferner für die Leistungsprämie acht Indikatoren fest. Für jeden Indikator sind bis zu fünf Punkte erreichbar. Ein Indikator sind die Fehlzeiten des Arbeitnehmers im Jahr 2000.
Im September 2001 bewertete der Vorgesetzte des Klägers dessen Leistungen anhand der festgelegten Indikatoren. Der Kläger erreichte 31 Punkte, die anschließend in einem innerbetrieblichen Beschwerdeverfahren auf 32 Punkte korrigiert wurden. Für den Indikator Fehlzeiten erhielt er drei Punkte. Unter Beachtung der Vorgabe, dass im Fahrbereich maximal 40 % der Beschäftigten eines Bewertungsbereichs eine Prämie erhalten, ergab sich für den Bewertungsbereich B 20 ein Prämienanspruch nur für die Mitarbeiter mit 33 und mehr Punkten. Dagegen erhielt ein dem Bewertungsbereich B 23 zugeordneter Busfahrer bereits mit 31 Punkten eine Prämie.
Mit der Klage hat der Kläger zuletzt die Zahlung von 725,52 Euro verlangt. Er hat die Ansicht vertreten, die BV sei schon deshalb unwirksam, weil der Gesamtbetriebsrat für ihren Abschluss nicht zuständig gewesen sei. Im Übrigen habe bei den für die Prämie maßgeblichen Faktoren im März 2001 nicht mehr auf das Arbeitsverhalten im Jahr 2000 abgestellt werden dürfen, weil dieses für die Arbeitnehmer nicht mehr zu beeinflussen gewesen sei. Dies gelte insbesondere für das Kriterium der Fehlzeiten. Außerdem sei es sachlich nicht gerechtfertigt, die Fahrer verschiedenen Bewertungsbereichen zuzuordnen. Richtigerweise seien Fahrer mit Fahrern zu vergleichen. Es gebe keinen Grund dafür, dass er mit 32 Punkten im Bewertungsbereich B 20 keine, ein Fahrer im Bewertungsbereich B 23 dagegen mit 31 Punkten eine Leistungsprämie erhalte.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 725,52 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die BV sei wirksam. Die Einteilung der Bewertungsbereiche und die Festlegung der Indikatoren sei nicht zu beanstanden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage derzeit unbegründet sei. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch in Höhe von 703,54 Euro weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die BV begründet keinen Anspruch des Klägers. Sie ist unwirksam. Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz rechtfertigt den Anspruch des Klägers nicht.
I. Die BV ist unwirksam.
1. Die Unwirksamkeit der BV folgt entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus der Unzuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für ihren Abschluss. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, war der Gesamtbetriebsrat für den Abschluss der BV gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG zuständig.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Gesamtbetriebsrat dann für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts zuständig, wenn und soweit objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht. Ein zwingendes Erfordernis kann sich dabei aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben (vgl. 9. Dezember 2003 – 1 ABR 49/02 – AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 27 = EzA BetrVG 2001 § 50 Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 1a aa der Gründe mwN). Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für eine unternehmenseinheitliche Regelung kann auch auf der “subjektiven Unmöglichkeit” einer betrieblichen Regelung beruhen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Arbeitgeber im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung zu einer Maßnahme nur unternehmenseinheitlich oder betriebsübergreifend bereit ist. Dies gilt vor allem bei der Gewährung freiwilliger Zulagen. Wenn der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei darüber entscheiden kann, ob er eine Leistung überhaupt erbringt, kann er sie von einer überbetrieblichen Regelung abhängig machen und so die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung herbeiführen (9. Dezember 2003 – 1 ABR 49/02 – aaO, zu B II 1b aa der Gründe mwN; Fitting § 50 Rn. 11, 24 mwN).
b) Hier liegt ein Fall der “subjektiven Unmöglichkeit” einer Regelung der Leistungsprämie durch die Einzelbetriebsräte vor. Die Beklagte war nach den unangegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Gewährung der freiwilligen Prämie grundsätzlich nur im Rahmen einer unternehmenseinheitlichen Regelung bereit. Damit war eine – jedenfalls vollständige – Regelung der Leistungsprämie durch Vereinbarung mit den örtlichen Betriebsräten nicht möglich. Zumindest die betriebsübergreifenden Regelungen in der BV konnten auf Grund der mitbestimmungsfreien Vorgabe der Beklagten nicht von den örtlichen Betriebsräten mitgestaltet werden. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zum Abschluss der BV entfällt auch nicht etwa insgesamt deshalb, weil die Beklagte mit ihm eine weitgehende Delegation der Entscheidungen über die Grundsätze der Verteilung der Prämie auf örtliche Kommissionen vereinbarte. Die Frage, ob und inwieweit eine derartige Delegation zulässig war, berührt nicht die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zum Abschluss der BV insgesamt.
2. Die BV ist unwirksam, weil sich der Gesamtbetriebsrat durch die Delegation der Entscheidungskompetenzen auf die örtlichen Kommissionen des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in seiner Substanz begeben hat.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats darf ein Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nicht in der Weise ausüben, dass er dem Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand eröffnet (vgl. 23. März 1999 – 1 ABR 33/98 – AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 80, zu B II 2c der Gründe; 3. Juni 2003 – 1 AZR 349/02 – AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 19 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 5, zu II 2 der Gründe; 8. Juni 2004 – 1 ABR 4/03 – AP BetrVG 1972 § 76 Einigungsstelle Nr. 20 = EzA BetrVG 2001 § 87 Gesundheitsschutz Nr. 2, zu B III 4a der Gründe). Zwar dürfen dem Arbeitgeber durch Betriebsvereinbarung gewisse Entscheidungsspielräume in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten eingeräumt werden. Der Betriebsrat kann aber über sein Mitbestimmungsrecht im Interesse der Arbeitnehmer nicht in der Weise verfügen, dass er in der Substanz auf die ihm gesetzlich obliegende Mitbestimmung verzichtet.
b) Durch die BV hat sich der Gesamtbetriebsrat des nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Ausgestaltung der Leistungsprämie bestehenden Mitbestimmungsrechts im Kern begeben und allein der Beklagten den Letztentscheid eröffnet.
In der BV sind die maßgeblichen Gestaltungsmöglichkeiten auf die örtlichen Kommissionen übertragen. Diese legen nach § 6 BV die Bewertungsbereiche, nach § 7 die Höhe der Verteilungssumme für den jeweiligen Bewertungsbereich, nach § 8 Abs. 2 die Indikatoren für die Bewertung, nach § 9 Abs. 2 die Punktwerte und nach § 9 Abs. 3 die Bandbreite bei der Punktebewertung fest. Damit obliegt ihnen hinsichtlich der Leistungsprämie die Aufstellung nahezu sämtlicher Verteilungsgrundsätze, über die ansonsten der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat.
Im Konfliktfall hat die Beklagte bei einer Pattsituation in der örtlichen Kommission die Letztentscheidungsbefugnis. Dies ergibt sich aus den Regelungen in § 4 BV. Nach § 4 Abs. 4 BV stellt der jeweilige Vorsitzende das Scheitern der Verhandlungen fest. Nach § 4 Abs. 5 BV hat er in der nächsten Sitzung der jeweiligen Kommission das doppelte Stimmrecht. Jeweiliger Vorsitzender ist stets der Vertreter der Arbeitgeberin. Dies folgt aus § 4 Abs. 2 Satz 2 BV, wonach dem Leiter der betreffenden Organisationseinheit die Leitung in der örtlichen Kommission obliegt.
Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG reduziert sich damit im Kernbereich des Mitbestimmungstatbestands auf ein Beteiligungsrecht. Dies gilt auch dann, wenn im Streitfall die zuständige örtliche Kommission die maßgeblichen Entscheidungen insbesondere über die Festlegung der Bewertungsbereiche und der Indikatoren einvernehmlich getroffen haben sollte. Entscheidend für die Wirksamkeit der BV ist nicht, ob die in die örtliche Kommission entsandten Betriebsratsmitglieder im Einzelfall mit einer Regelung einverstanden waren, sondern ob durch die Ausgestaltung der Betriebsvereinbarung auf das gesetzliche Mitbestimmungsrecht in seiner Substanz verzichtet wurde. Im Übrigen wäre ein Einvernehmen in der örtlichen Kommission wenig aussagekräftig, verhandelt doch die Betriebsratsseite in der Kommission stets unter dem Druck der Letztentscheidungsbefugnis der Arbeitgeberseite.
c) Die Unwirksamkeit der Bestimmungen über die Delegation der Regelungsbefugnisse auf die örtlichen Kommissionen hat nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB die Unwirksamkeit der gesamten BV zur Folge. Ohne die Regelungen über die örtlichen Kommissionen bleibt kein sinnvoller praktikabler Rest.
3. Da die BV schon wegen des darin enthaltenen unzulässigen Verzichts des Gesamtbetriebsrats auf den Kern des Mitbestimmungsrechts bei der Ausgestaltung der Leistungsprämie unwirksam ist, kommt es nicht darauf an, ob Gesamtbetriebsrat und Beklagte die Ausfüllung der Rahmenregelung dann auf paritätische Kommissionen übertragen dürften, wenn im Konfliktfall gemäß § 87 Abs. 2, § 76 BetrVG eine Entscheidung durch die Einigungsstelle vorgesehen wäre, oder ob sie nicht die Ausgestaltung entweder selbst vornehmen oder den Betriebsparteien auf betrieblicher Ebene überlassen müssen. Ebenso kann dahinstehen, welcher Rechtscharakter den Entscheidungen der örtlichen Kommissionen zukommt, nach welchen Maßstäben sie gerichtlich zu überprüfen sind, welche Rechtsfolgen sich aus Verstößen gegen höherrangiges Recht ergeben und ob die Festlegung der Bewertungsbereiche und der Indikatoren durch die für den Geschäftsbereich Betrieb gebildete örtliche Kommission gegen zwingendes Gesetzesrecht verstoßen, insbesondere den Gleichheitssatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG oder die Kürzungsgrenzen des § 4a Satz 2 EFZG verletzt hat.
II. Wie das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen zutreffend erkannt hat, folgt ein Anspruch des Klägers nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz kommt als Anspruchsgrundlage dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem erkennbar generalisierenden Prinzip auf Grund einer abstrakten Regelung gewährt. Von einer solchen Regelung darf er einzelne Arbeitnehmer nur aus sachlichen Gründen ausnehmen (vgl. BAG 26. Oktober 1995 – 6 AZR 125/95 – BAGE 81, 207, zu I 2a der Gründe). Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz greift nur ein bei einem gestaltenden Verhalten des Arbeitgebers, nicht jedoch beim bloßen – sei es auch nur vermeintlichen – Normenvollzug. Deshalb gibt es keinen Anspruch auf “Gleichbehandlung im Irrtum” (vgl. BAG 26. November 1998 – 6 AZR 335/97 – BAGE 90, 219, zu B II 2c der Gründe). Dies gilt auch in Fällen, in denen der Arbeitgeber in Anwendung einer vermeintlich wirksamen Betriebsvereinbarung Leistungen erbracht hat. Stellt sich die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung heraus, haben die Arbeitnehmer, denen nach der Betriebsvereinbarung keine Leistungen zustanden, nicht schon deshalb einen Anspruch, weil die Leistung anderen Arbeitnehmern zugeflossen ist. Ein Anspruch auf Grund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes kann sich allerdings dann ergeben, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung weiterhin Leistungen erbringt. Dann handelt es sich nicht mehr um Normenvollzug. Ein Anspruch kann auch in Betracht kommen, wenn der Arbeitgeber, nachdem er Kenntnis von seinem Irrtum erlangt hat, nicht die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Korrektur des Irrtums ergreift (vgl. BAG 26. Oktober 1995 – 6 AZR 125/95 – aaO, zu I 2b bb der Gründe; 26. November 1998 – 6 AZR 335/97 – aaO, zu B II 2c der Gründe; 15. Mai 2001 – 1 AZR 672/00 – BAGE 98, 1, zu I 3a der Gründe). Wie weit im Einzelfall die Obliegenheit des Arbeitgebers zur Korrektur der im Rechtsirrtum erbrachten Leistungen reicht, bedarf im Streitfall keiner näheren Beurteilung.
2. Vorliegend hat der Kläger nach dem bisherigen Verhalten der Beklagten unter dem Gesichtspunkt des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (noch) keinen Anspruch auf Zahlung einer Leistungsprämie für das Jahr 2000. Die Beklagte hat die bisherigen Zahlungen in Vollzug der vermeintlich wirksamen Betriebsvereinbarung und in der Annahme der Wirksamkeit der Festlegungen der für den Geschäftsbereich Betrieb gebildeten örtlichen Kommission erbracht. Zuverlässige Kenntnis von der Unwirksamkeit der BV erlangt sie erst durch die vorliegende Entscheidung. Daher kann bislang nicht davon gesprochen werden, sie habe ihr mögliche und zumutbare Maßnahmen zur Korrektur der ohne Rechtsgrund erbrachten Leistungen nicht vorgenommen.
III. Die Maßgabe im Urteilstenor des Landesarbeitsgerichts, wonach die Klage “als derzeit unbegründet” abzuweisen sei, ist unzutreffend, aber unschädlich. Ein Anspruch des Klägers auf eine Leistungsprämie ist bislang nicht entstanden. Die Entstehung eines solchen Anspruchs infolge des künftigen Verhaltens der Beklagten ist zwar nicht ausgeschlossen. Es wäre dies aber ein anderer Streitgegenstand als der im vorliegenden Rechtsstreit beschiedene. Eine Korrektur des Urteilstenors des Landesarbeitsgerichts war nicht erforderlich.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Münzer, Spoo
Fundstellen
BAGE 2006, 286 |
BB 2005, 2418 |
DB 2005, 1633 |
FA 2005, 276 |
FA 2005, 282 |
FA 2005, 320 |
NZA 2005, 892 |
SAE 2005, 299 |
ZTR 2005, 548 |
AP, 0 |
AuA 2005, 504 |
EzA-SD 2005, 9 |
EzA |
MDR 2005, 1116 |
AUR 2005, 345 |
ArbRB 2005, 268 |
RdW 2005, 749 |
SPA 2005, 7 |