Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zu – 3 AZR 96/97 –
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Bau; Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) § 7.3; Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) § 7.4
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 7. Januar 1997 – 8 (2) Sa 569/96 – wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 11. Juli 1996 – 5 Ca 1703/96 – wird zur Klarstellung neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 720,– DM Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß für die Monate Februar und März 1996 nebst 4 % Zinsen seit dem 30. Mai 1996 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche auf Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschüsse nach § 7.3 des allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV-Bau).
Der Kläger ist bei der Beklagten als Baufacharbeiter beschäftigt. Die Beklagte unterhielt im Jahre 1996 eine Baustelle in Schwerin in der straße 11. Dort war der Kläger vom 19. bis 29. Februar und vom 4. März bis 14. März sowie vom 18. März bis zum 28. März 1996 eingesetzt. Obwohl die Beklagte wegen des Zeitaufwandes für eine tägliche Rückkehr sämtlichen auf der Baustelle Beschäftigten auferlegt hatte, unter der Woche in Schwerin zu übernachten, kehrte der Kläger täglich mit seinem Personenkraftwagen in seine Wohnung zurück. Dabei war er arbeitstäglich mehr als zehn Stunden ausschließlich aus beruflichen Gründen von seiner Wohnung abwesend.
Mit Schreiben vom 10. März 1996 hat der Kläger erfolglos Fahrtkostenabgeltung und Verpflegungszuschuß für die Einsatztage im Februar und März 1996 in Schwerin nach § 7.3 BRTV-Bau verlangt.
In § 7.3 BRTV-Bau heißt es im hier wesentlichen:
„3. Bau- oder Arbeitsstelle mit täglicher Heimfahrt
3.1 Fahrtkostenabgeltung
Der Arbeitnehmer, der auf einer mindestens 6 km von seiner Wohnung entfernten Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes arbeitet und dem kein Auslösungsanspruch gemäß Nr. 4.1 zusteht, hat Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung. …
Benutzt der Arbeitnehmer für die Fahrt zur Bau- oder Arbeitsstelle (Hin- und Rückfahrt) ein von ihm zur Verfügung gestelltes Fahrzeug, so erfolgt die Fahrtkostenabgeltung durch Zahlung eines Kilometergeldes. Es beträgt je Arbeitstag und Entfernungskilometer bis zu einer Entfernung von 20 km 0,44 DM, wenn ein Personenkraftwagen bzw. 0,24 DM, wenn ein Zweirad benutzt wird, und erhöht sich auf 0,50 DM bzw. 0,29 DM, wenn die Entfernung mehr als 20 km beträgt. Der arbeitstägliche Anspruch auf diese Fahrtkostenabgeltung ist der Höhe nach auf die Fahrtkostenabgeltung für eine Entfernung von 50 km (25,– DM bzw. 14,50 DM) begrenzt. …
3.2 Verpflegungszuschuß
Der Arbeitnehmer, der auf einer Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes arbeitet und dem kein Auslösungsanspruch gemäß Nr. 4.1 zusteht, hat Anspruch auf einen Verpflegungszuschuß in Höhe von 8,– DM je Arbeitstag, wenn er dem Arbeitgeber schriftlich bestätigt, daß er ausschließlich aus beruflichen Gründen mehr als zehn Stunden von seiner Wohnung abwesend war.”
Den Anspruch auf eine Auslösung regelt § 7.4.1 BRTV-Bau:
„4. Bau- oder Arbeitsstellen ohne tägliche Heimfahrt
4.1 Auslösung
Der Arbeitnehmer, der auf einer Bau- oder Arbeitsstelle tätig ist, die mehr als 25 km vom Betrieb entfernt ist und dem die tägliche Rückkehr zur Wohnung (Erstwohnung) nicht zuzumuten ist, hat für jeden Kalendertag, an dem die getrennte Haushaltsführung hierdurch verursacht ist, Anspruch auf eine Auslösung. …
Das Merkmal der getrennten Haushaltsführung gilt als erfüllt, wenn der Arbeitnehmer die Unterhaltungskosten mindestens einer Wohnung (Erst- oder Zweitwohnung) überwiegend trägt und außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet.
Die tägliche Rückkehr ist nicht zumutbar, wenn der normale Zeitaufwand für den einzelnen Weg von der Wohnung zur Bau- oder Arbeitsstelle bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels oder eines vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten ordnungsgemäßen Fahrzeugs mehr als 1 1/4 Stunden beträgt.”
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, für die insgesamt 24 Arbeitstage im Februar und März 1996 stünden ihm 600,– DM an Fahrtkostenerstattung und 120,– DM an Verpflegungszuschuß zu. Er erfülle die Anspruchsvoraussetzungen des § 7.3 BRTV-Bau. Dies gelte um so mehr, als die tägliche Rückkehr für ihn auch nicht unzumutbar gewesen sei. Er habe täglich als einfache Strecke nur 78 km zurücklegen müssen. Er habe hierfür nur eine gute Stunde benötigt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 720,– DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 30. Mai 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe ihrer Weisung, auf der Baustelle zu übernachten, Folge leisten müssen. Die tägliche Rückkehr zur Wohnung sei für ihn bei einer Fahrtzeit von zwei Stunden für eine einfache Fahrt unzumutbar gewesen. Der Kläger habe deshalb an sich einen Anspruch auf Auslösung gehabt, der die geltend gemachten Ansprüche ausschließe. Diesen Anspruch habe der Kläger allerdings verloren, weil er ihn nicht rechtzeitig geltend gemacht habe.
Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag entsprochen. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit ihrer vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Kläger zu Recht für jeden der Arbeitstage in Schwerin im Februar und März 1996 25,– DM Fahrtkostenabgeltung und 5,– DM Verpflegungszuschuß zugesprochen. Der daraus folgende Gesamtanspruch über 720,– DM ergibt sich aus § 7.3 BRTV-Bau.
I. Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzung von § 7.3 BRTV-Bau.
1. Der Kläger hat an den fraglichen Tagen auf einer mehr als sechs Kilometer von seiner Wohnung entfernten Baustelle außerhalb des Betriebes der Beklagten in B gearbeitet.
2. Der Kläger hatte in der fraglichen Zeit keinen Auslösungsanspruch nach § 7.4.1 BRTV-Bau.
a) Der Kläger war zwar auf einer Bau- oder Arbeitsstelle tätig, die mehr als 25 km vom Betrieb der Beklagten entfernt war (§ 7.4.1 Satz 1 BRTV-Bau). Ob dem Kläger nach § 7.4.1 Abs. 4 BRTV-Bau die tägliche Rückkehr von der Baustelle zur Wohnung auch unzumutbar gewesen war, kann offenbleiben.
Voraussetzung für einen Auslösungsanspruch nach § 7.4.1 ist jedoch nicht nur, daß die Baustelle, auf der der Arbeitnehmer tätig ist, mehr als 25 km vom Betrieb der Arbeitgeberin entfernt ist und daß die tägliche Rückkehr zur Wohnung nicht zuzumuten ist. Darüber hinaus muß für den Arbeitnehmer durch diese äußeren Umstände grundsätzlich eine getrennte Haushaltsführung verursacht worden sein (BAG Urteile vom 25. September 1991 – 4 AZR 73/91 – und vom 29. Juli 1992 – 4 AZR 512/91 – AP Nr. 146 und 155 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Das Merkmal der getrennten Haushaltsführung ist nur dann erfüllt, wenn durch die Auswärtsbeschäftigung das tägliche Leben für den Arbeitnehmer in der Form umgestaltet ist, daß er in dieser Zeit grundsätzlich außerhalb seiner Wohnung übernachtet. Der Kläger hat während des gesamten Einsatzes in Schwerin in seiner Wohnung in W und nicht außerhalb übernachtet. Er hat damit die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Auslösung nicht erfüllt.
b) Der Kläger hat für die fraglichen Tage auch nicht deshalb einen Auslösungsanspruch erworben, weil er von der Beklagten die Anweisung erhalten hatte, in Schwerin zu übernachten.
Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien steht einem Arbeitnehmer, der mehr als sechs Kilometer von seiner Wohnung entfernt auf einer Baustelle außerhalb des Betriebes eingesetzt worden ist, entweder Fahrtkostenabgeltung und unter bestimmten weiteren Voraussetzungen ein Verpflegungskostenzuschuß oder eine Auslösung zu. Das maßgebliche Unterscheidungskriterium ist nicht eine bestimmte Pflichtenlage, sondern der tatsächliche Umstand, ob der betreffende Arbeitnehmer täglich von der Baustelle heimgefahren ist oder nicht. Dies wird bereits aus den Überschriften der Abschnitte 3 und 4 des § 7 BRTV-Bau deutlich. Auf die Verbindlichkeit der von der Beklagten erteilten Anweisung, in Schwerin zu übernachten, kommt es deshalb im Rahmen des § 7 BRTV-Bau nicht an.
Die Regelung darüber, wann eine tägliche Rückkehr zur heimischen Wohnung unzumutbar ist (§ 7.4.1 Abs. 4), ist auch keine anspruchsbegründende oder anspruchsausschließende Norm in dem Sinne, daß bei ihrer Erfüllung nur ein Auslösungs- und kein Fahrtkostenabgeltungs- oder Verpflegungskostenzuschußanspruch in Betracht kommen würde (ebenso Brocksiepe/Sperner, BRTV-Bau vom 3. Februar 1981, Erläuterungen zu § 1 und § 7, Beispiel 1 zu § 7.4.≪S. 154≫ und Anm. zu § 7.4.2 ≪S. 161 f.≫). Die Vorschrift gibt den Parteien eines Arbeitsvertrages im Baugewerbe nur nähere Klarheit darüber, von wann an überhaupt ein Auslösungsanspruch in Betracht kommt, wenn dessen tatsächliche Voraussetzungen – Entfernung und dadurch verursachte Übernachtung außerhalb der eigenen Wohnung – erfüllt sind.
c) Nichts anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch aus der in den neuen Ländern geltenden Sonderregelung des § 7 a Buchst. b BRTV-Bau. Diese Vorschrift lautet:
„Übernachtet der auslösungsberechtigte Arbeitnehmer in einer von dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten ordnungsgemäßen Unterkunft, so kann der Arbeitgeber für jede Übernachtung einen Betrag bis zur Höhe des halben in den alten Bundesländern jeweils geltenden Gesamttarifstundenlohnes der Berufsgruppe III von der tariflichen Auslösung einbehalten.”
Diese Sonderregelung setzt zunächst ebenso wie die allgemein geltende Tarifregelung eine tatsächliche Übernachtung des Arbeitnehmers vor Ort voraus. Sie gibt einem Arbeitgeber des Beitrittsgebiets lediglich die Möglichkeit, die Auslösungskosten zu reduzieren, wenn er eine ordnungsgemäße Unterkunft zur Verfügung gestellt hat und der Arbeitnehmer diese ausnutzt. Eine Pflicht des Arbeitnehmers, eine zur Verfügung gestellte ordnungsgemäße Unterkunft tatsächlich zu nutzen, sieht der Tarifvertrag nicht vor. Fährt ein Arbeitnehmer täglich von der Baustelle zu seiner heimischen Wohnung zurück, besteht keine Veranlassung, eine Kosten verursachende Unterkunft für ihn zur Verfügung zu stellen.
d) Die tarifvertragliche Regelung zum Verhältnis von § 7.3 und § 7.4 BRTV-Bau legt dem Arbeitgeber des Baugewerbes keine unverhältnismäßigen Fahrtkosten auf, wenn Arbeitnehmer sich auch durch größere Entfernungen nicht davon abhalten lassen, täglich nach Hause zu fahren. Durch die Kappung des Anspruchs auf Fahrtkostenabgeltung auf eine Gesamtentfernung von 50 km, also 25,– DM pro Arbeitstag, ist eine Obergrenze festgelegt worden, die erheblich unter dem liegt, was die Tarifvertragsparteien als angemessenen Auslösungssatz ansehen, nämlich 58,80 DM oder – bei Auswärtsbeschäftigung bis sieben Kalendertage – 70,60 DM. Die Tarifvertragsparteien haben so verhindert, daß der Arbeitgeber durch an sich unzumutbare Heimfahrten übermäßig mit Fahrtkosten belastet wird. Damit haben sie aber auch deutlich gemacht, daß es keine tarifvertragliche Pflicht gibt, an sich unzumutbare Heimfahrten zu unterlassen.
Eine solche Pflicht kann im übrigen auch nicht durch eine Anweisung des Arbeitgebers begründet werden. Der Arbeitgeber kann den Ort, die Zeit und die Art und Weise der Arbeitsleistung näher festlegen. Ein Recht, in den Freizeitbereich des Arbeitnehmers einzugreifen, hat er grundsätzlich nicht. Schlägt sich unvernünftiges Freizeitverhalten des Arbeitnehmers nachteilig bei dessen Arbeitsleistung nieder, kann der Arbeitgeber hierauf mit den Mitteln des Arbeitsvertragsrechts reagieren.
3. Da der Kläger nach alledem die Voraussetzungen von § 7.3.1 Abs. 1 Satz 1 BRTV-Bau erfüllt, hat er Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung, dessen richtige Berechnung zwischen den Parteien nicht umstritten ist. Ebenso ist unstrittig, daß der Kläger während seiner Arbeit in Schwerin arbeitstäglich mehr als zehn Stunden berufsbedingt von seiner Wohnung abwesend war. Er kann deshalb auch den Verpflegungszuschuß von 5,– DM je Arbeitstag verlangen, den ein Arbeitgeber im Beitrittsgebiet nach § 7 a Buchst. a BRTV-Bau ab dem 1. April 1993 anstelle der im übrigen Bundesgebiet geltenden 8,– DM je Arbeitstag schuldet. Hieraus ergibt sich die Klageforderung in Höhe von 720,– DM.
II. Der Entscheidungstenor des Urteils des Arbeitsgerichts war allerdings in der Revisionsentscheidung entsprechend der Protokollerklärung des Klägers im Parallelrechtsstreit – 3 AZR 96/97 – klarzustellen. Die Gerichte für Arbeitssachen können nicht mit Bindung für die Steuerbehörden und Finanzgerichte sowie die Krankenkassen festlegen, ob ein Betrag abgabenpflichtig ist oder nicht (BAG Urteil vom 28. April 1982 – 4 AZR 642/79 – BAGE 38, 332 = AP Nr. 39 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Deshalb ist in einen Entscheidungstenor das Wort netto nur dann aufzunehmen, wenn der Arbeitgeber aus arbeitsrechtlichen Gründen gehalten ist, alle etwaigen Abgaben zu tragen, die auf eine von ihm geschuldete Geldleistung zu entrichten sind. Eine solche Pflicht hat die Beklagte nicht.
III. Die Beklagte schuldet die von den Vorinstanzen zuerkannte Verzinsung nach § 288, § 291 BGB. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Kremhelmer, Schmidt, Bepler, Weinmann, Horst, Schmitthenner
Fundstellen