Leitsatz (amtlich)
Bereits erwachsene Ruhegeldverbindlichkeiten können in entsprechender Anwendung von § 4 Abs. 1 BetrAVG auch mit Zustimmung des Ruheständlers nur durch solche Versorgungsträger übernommen werden, bei denen ein ausreichender Insolvenzschutz besteht. Hierzu gehören regelmäßig nur die in § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG genannten Versorgungsträger.
Mit Zustimmung des Arbeitnehmers können auch sonstige Versorgungsträger Ruhegeldverbindlichkeiten übernehmen, wenn sich der Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung mit der Übernahme durch den Versorgungsträger einverstanden erklärt.
- Wenn ein Versorgungsträger Ruhegeldzusagen wegen wirtschaftlicher Notlage widerrufen will, muß er vor dem Widerruf den Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung auf Feststellung der Berechtigung seines Widerrufs verklagen, wenn dieser die Berechtigung des Widerrufs leugnet (Bestätigung des Urteils des Senats vom 6. Dezember 1979 – 3 AZR 274/78 – AP Nr. 4 zu § 7 BetrAVG [auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt]).
Normenkette
BetrAVG §§ 4, 7; BGB §§ 242, 414-415, 613a; HGB §§ 161, 128; VAG § 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 20.12.1978; Aktenzeichen 2 Sa 1382/78) |
Tenor
- Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. Dezember 1978 – 2 Sa 1382/78 – wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten der Revision einschließlich der Kosten der Streithilfe.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand am 31. Dezember 1975 bei der Firma E…-… KG, W…, beschäftigt. Komplementär dieser Gesellschaft war der Beklagte. Von einer Rechtsvorgängerin der KG hatte der Kläger im Jahre 1961 eine Versorgungszusage erhalten, nach der er bei Erwerbsunfähigkeit oder bei erreichter Altersgrenze ein monatliches Ruhegehalt in Höhe von 50,– DM und seine Witwe in Höhe von 60 v.H. der Mannesrente erhalten.
In den Jahren 1975 und 1976 erlitt die KG Verluste, die das Gesellschaftskapital in Höhe von 100.000,– DM überschritten. Der Beklagte kündigte den Gesellschaftsvertrag zum 31. Dezember 1976. Mit diesem Tage stellte die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit ein.
Bereits mit Vertrag vom 20. September 1976 hatten der Beklagte und Frau Gertrud G… die Firma E… GmbH, W…, mit einem Stammkapital von 20.000,– DM gegründet, zu deren alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Beklagte mit der Maßgabe bestellt wurde, daß er im Verkehr mit der E… KG von der Beschränkung des § 181 BGB befreit sei. Die GmbH schloß mit den 25 Arbeitnehmern der KG neue Arbeitsverträge und führte mit diesen noch den Auftragsbestand der KG aus. Bereits ab 1. Januar 1977 bezahlte sie auch die Ruhegelder der ehemaligen Mitarbeiter der KG. Insgesamt waren zehn Arbeitnehmern Versorgungszusagen in einer monatlichen Gesamthöhe von 1.000,– DM gemacht. Am 22. Februar 1977 teilte die GmbH dem Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) mit, sie habe am 1. Januar 1977 neben dem Personal der KG die laufenden Pensionszusagen und Verpflichtungen übernommen; der Teilwert der laufenden Leistungen betrage 137.078,– DM. Der PSV antwortete, daß er die überwiesenen Beiträge der KG gutgebracht habe, und bat um weitere Aufklärung.
Am 3. März 1977 erhielten der Kläger und die übrigen Versorgungsberechtigten auf einem Briefbogen der KG nachfolgendes von der GmbH unterzeichnetes Schreiben:
“Mit dem 1. Januar 1977 wurden unsere Geschäfte von der E… GmbH weitergeführt. Diese hat sich auch bereit erklärt, unsere Pensionsverpflichtung zu erfüllen. Damit würden gegenüber unserer Gesellschaft keine Ansprüche Ihrerseits bestehen.
Wir bitten um Ihr Einverständnis zu dieser Regelung durch Unterschrift.”
Dieses Schreiben unterzeichnete der Kläger. Am 23. März 1977 beantragte der Beklagte als Geschäftsführer der GmbH die Eröffnung des Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses. Da die Vergleichsquote nicht zu erreichen war, wurde am 28. April 1977 das Anschlußkonkursverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Mit Schreiben vom 2. Dezember 1977 hat der Kläger die Vereinbarung vom 3. März 1977 wegen arglistiger Täuschung angefochten. Er hat die Auffassung vertreten, in der Vereinbarung vom 3. März 1977 liege allenfalls eine Erfüllungsübernahme. Ein etwaiger privativer Schuldübernahmevertrag sei rechtsunwirksam. Der Beklagte schulde mithin ab März 1978 die monatliche Betriebsrente in Höhe von 50,– DM.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,
1. 300,– DM an den Kläger zu zahlen,
2. ab September 1978 monatlich nachschüssig 50,– DM zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, die GmbH habe die Versorgungslasten übernommen und dadurch sei er frei geworden. Nach deren Konkurs müsse sich der Kläger an den PSV halten. Im übrigen berufe er sich auf ein in der Versorgungszusage vorbehaltens Recht zum Widerruf der Leistungen wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten.
Entscheidungsgründe
I. 1. Für die Ansprüche des Klägers aus der Versorgungszusage von 1961 haftete die Firma E… Kommanditgesellschaft deshalb, weil sie diese Verbindlichkeit von ihrer Rechtsvorgängerin übernommen hatte (§ 161 Abs. 2, § 124 HGB). Für diese Verbindlichkeit der Kommanditgesellschaft haftete der Beklagte als ihr Komplementär unabdingbar persönlich (§ 161 Abs. 1, Abs. 2, § 128 Satz 1 und 2 HGB).
2. Die Kommanditgesellschaft hat mit Recht nicht versucht, diese ihre Verbindlichkeit wegen ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu widerrufen. Ein Arbeitgeber kann Versorgungszusagen wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten nur insoweit widerrufen, als damit die wirtschaftlichen Schwierigkeiten behoben werden können und der Betrieb dadurch erhalten werden kann (BAG AP Nr. 167 zu § 242 BGB Ruhegehalt [zu III 2a der Gründe; mit weiteren Nachweisen]). Ein solches Ziel hat die Kommanditgesellschaft nicht angestrebt; sie hat ihren Betrieb eingestellt.
3. Auch der Beklagte selbst hat mit Recht nicht versucht, sich von seiner persönlichen Haftung als Komplementär durch Widerruf der Versorgungszusage zu befreien. Ein Komplementär haftet mit seinem Privatvermögen (BAG AP Nr. 167 zu § 242 BGB Ruhegehalt [zu I 3 der Gründe, mit weiteren Nachweisen]). Eine zum Widerruf berechtigende wirtschaftliche persönliche Notlage hat der Beklagte nicht dargelegt.
Außerdem mußte er, wenn er einen derartigen Widerruf in Betracht ziehen wollte, an den Insolvenzschütz des Klägers denken.
Er konnte nicht einfach unter Berufung auf wirtschaftliche Schwierigkeiten die zugesagte Versorgung kürzen und dem Kläger die Sorge überlassen, ob er seinerseits nach § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 BetrAVG den PSV in Anspruch nehmen könne. Wenn ein Arbeitgeber Ruhegeldzusagen wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten kürzen will, muß er mit dem PSV darüber verhandeln, ob dieser die Kürzung billigt und seinerseits für den gekürzten Betrag dem Arbeitnehmer einsteht; notfalls muß der Arbeitgeber gegenüber dem PSV durch Klage diese Frage klären. Der Sache nach berührt die Auseinandersetzung darüber, ob wirtschaftliche Gründe einen Wiederruf von Versorgungszusagen rechtfertigen, ganz vornehmlich den Arbeitgeber und den PSV, dagegen weniger den Arbeitnehmer, dem es im Grunde gleichgültig sein kann, ob der Arbeitgeber oder der PSV zahlt. In Prozessen über die Berechtigung des Widerrufs von Versorgungszusagen aus wirtschaftlichen Gründen verhalten sich die Arbeitnehmer, wie der Senat in einer Reihe von Fällen zur Kenntnis nehmen mußte, deshalb vielfach passiv, indem sie keine Prozeßanträge stellen, ihr Desinteresse unverhohlen betonen, über die Mühen und Kosten des Prozesses klagen und die Prozeßführung dem PSV als ihrem Streithelfer überlassen. Außerdem können Arbeitnehmer – anders als der PSV – in solchen Fällen vielfach gar nicht oder nur mit Schwierigkeiten beurteilen, ob und inwieweit die für den Widerruf vom Arbeitgeber angeführten wirtschaftlichen Umstände zutreffen und welches Gewicht sie haben. Wenn mehrere Arbeitnehmer nach einer einheitlichen Ruhelohnordnung versorgt werden, ist es zudem wenig sinnvoll, die Berechtigung eines solchen Widerrufs in Einzelstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und den verschiedenen Versorgungsberechtigten mit unter Umständen unterschiedlichen Prozeßergebnissen klären zu wollen. Da das Gesetz keinen bloß formlosen, sondern einen der Sache nach wirkungsvollen Insolvenzschütz wollte, muß daher § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG so verstanden werden, daß der Insolvenzschutz auch verfahrensmäßig funktioniert und die Arbeitnehmer nicht mit sinnlosen Einzelstreitigkeiten überzogen werden, die in der Sache nicht oder nur wenig nützen. Deshalb ist an der Rechtsprechung festzuhalten, die § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG dahin auslegt, daß der Arbeitgeber, der Versorgungszusagen aus wirtschaftlichen Gründen widerrufen will, die daraus entstehenden Streitfragen durch Klage gegen den PSV klären muß (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Dezember 1979 – 3 AZR 274/78 – [demnächst] AP Nr. 4 zu § 7 BetrAVG [zu III 2b der Gründe; das Urteil ist zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt]). Auch diesen Weg hat der Beklagte nicht beschritten, und deshalb verbleibt es bei der oben festgestellten Haftung des Beklagten.
II. Der Beklagte hat sich für seine Annahme, er hafte dennoch dem Kläger nicht, darauf berufen, durch die Absprache vom 3. März 1977 habe die neugegründete GmbH die Verbindlichkeit des Beklagten im Einverständnis mit dem Kläger und mit schuldbefreiender Wirkung für den Beklagten übernommen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat die Gültigkeit einer solchen befreienden Schuldübernahme mit der Begründung verneint, sie verstoße gegen das Verbot des § 181 BGB und sei jedenfalls vom Kläger auch wirksam angefochten, weil der Beklagte den Kläger arglisitig getäuscht habe.
Die Berechtigung der von der Revision gegen diese Begründung erhobenen Angriffe kann dahinstehen, weil die von dem Beklagten gewollte privative Schuldübernahme aus anderen, davon unabhängigen Gründen ungültig ist, und zwar aus folgenden Gründen:
2. Denkt man sich eine privative Schuldübernahme weg, dann genießt der Kläger den Insolvenzschütz des § 7 BetrAVG durch den PSV dann, wenn der Beklagte persönlich zahlungsunfähig werden sollte. Wäre die privative Schuldübernahme gültig, dann hätte der Kläger den Insolvenzschütz des § 7 Abs. 1 BetrAVG verloren, wenn nunmehr die GmbH insolvent würde. Der Kläger war nicht Arbeitnehmer der GmbH. Im Falle deren Insolvenz läßt § 7 Abs. 1 BetrAVG den PSV aber nur für Versorgungsansprüche von solchen Personen einstehen, die Arbeitnehmer bei der GmbH waren. Das ist eine durchaus einsichtige Regelung, die ausschließen will, daß jemand Versorgungslasten fremder Arbeitnehmer als eigene Schulden privativ übernimmt, dann insolvent wird und die überneommenen Versorgungslasten fremder Betriebe und fremder Arbeitnehmer beim PSV ablädt. Einem solchen Verlust des Insolvenzschutzes durch privative Schuldübernahme steht indessen die Gesamtkonzeption des BetrAVG entgegen.
3. In § 4 Abs. 1 BetrAVG ist bestimmt, daß unverfallbare Versorgungsanwartschaften nur von solchen Personen als Schuldnern übernommen werden können, die ihrerseits insolvenzgesichert sind. Das sind die Arbeitgeber, bei denen der Anwartschaftsberechtigte Arbeitnehmer geworden ist und bei dem er im Insolvenzfall den Schutz durch den PSV nach § 7 BetrAVG genießt. Das sind weiter die öffentlich-rechtlichen Versorgungsträger, die nicht konkursfähig sind, und die Versicherungsträger, bei denen die Versicherungsaufsicht zur Verhinderung von Insolvenzen dient (§ 1 VAG). Andere Personen können Versorgungsanwartschaften als Schuldner nicht übernehmen, damit durch einen Schuldnerwechsel der Insolvenzschütz des Anwartschaftsberechtigten nicht verlorengeht und er am Ende seines Arbeitslebens nicht vor einem Nichts steht. Man kann wohl nach dem Schutzzweck der Norm auch in Betracht ziehen, daß andere Personen solche Verbindlichkeiten dann mit befreiender Wirkung übernehmen können, wenn der PSV damit einverstanden ist und damit seinerseits den Insolvenzschutz übernimmt.
4. Das BetrAVG wollte einen lückenlosen Insolvenzschütz. Mit ihm sollte die Altersversorgung gegen die wirtschaftlichen Wechselfälle des Unternehmens gesichert und zu einem gesicherten Bestandteil der Gesamtversorgung des Arbeitnehmers gemacht werden (Stellungnahme des Ausschusses für Arbeit vom 22. November 1974 zum Entwurf des BetrAVG, Bundestagsdrucksache VII, 2843 S. 4 f.). Von dieser Zielsetzung her gesehen besteht kein vernünftiger Grund, bereits erwachsene Ruhegeldansprüche in der für den Versorgungsempfänger besonders wichtigen Frage der privativen Schuldübernahme schlechter oder anders zu behandeln, als das in § 4 Abs. 1 BetrAVG für unverfallbare Versorgungsanwartschaften geschehen ist. Der Ruheständler ist nicht minder schutzbedürftig als der bloß Anwartschaftsberechtigte, wie gerade der vorliegende Fall besonders lehrreich zeigt. Der Anwartschaftsberechtigte kann bei seiner Zustimmung zur Übernahme seiner Anwartschaften im Regelfall sogar besser die Insolvenz seines zukünftigen Versorgungsträgers beurteilen als der bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Ruheständler. Das rechtfertigt es, in entsprechender Anwendung von § 4 Abs. 1 BetrAVG privative Schuldübernahmen auch von bereits entstandenen Ruhegeldverbindlichkeiten dann für ungültig zu halten, wenn sie nicht durch solche Versorgungsträger erfolgten, die in § 4 Abs. 1 BetrAVG genannt sind, oder wenn sie nicht vom FSV gebilligt sind.
5. Nach allem ist der Beklagte auch durch eine privative Schuldübernahme nicht frei geworden und damit dem Kläger zur Zahlung verpflichtet geblieben.
Unterschriften
Dr. Stumpf, Schaub, Michels-Holl, Dr. Mussil, Matthiessen
Fundstellen
Haufe-Index 1453747 |
BAGE, 234 |
NJW 1981, 189 |
ZIP 1980, 1016 |