Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzurlaub für Schwerbehinderte. Geltendmachung
Orientierungssatz
1. Da der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte, abgesehen von dem Merkmal der Schwerbehinderteneigenschaft, hinsichtlich seines Entstehens und Erlöschens dem Anspruch auf Erholungsurlaub folgt, muß er innerhalb des jeweiligen Urlaubsjahres geltend gemacht werden. Geschieht dies nicht, erlöscht er mit Ablauf des Urlaubsjahres.
2. Aus § 21 Nr 7 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Eisen und Metall erzeugenden und verarbeitenden Industrie im Lande Rheinland-Pfalz vom 9.9.1959 in der Fassung vom 1.1.1979 folgt, das der Urlaub bis zum 31.3. des Folgejahres hätte gewährt und von dem Schwerbehinderten in Anspruch genommen werden müssen.
3. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat für den Fall, daß der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch erfolglos geltend gemacht hatte und dem Arbeitgeber die Erteilung des Urlaubs möglich war, angenommen, der Arbeitgeber habe für die infolge Zeitablaufs eingetretene Unmöglichkeit, als welche das Erlöschen des Urlaubsanspruchs anzusehen sei, einzustehen. An die Stelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs trete in diesem Fall als Schadensersatzanspruch ein Urlaubsanspruch (Ersatzurlaubsanspruch) in gleicher Höhe. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung.
Normenkette
TVG § 1; BGB §§ 280, 284, 287, 286; BUrlG §§ 5, 7; BGB §§ 133, 157, 249; SchwbG §§ 1, 3, 44
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 15.05.1984; Aktenzeichen 8 Sa 1120/83) |
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 22.09.1983; Aktenzeichen 5 Ca 130/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für das Jahr 1982 zusätzlicher Urlaub nach § 44 SchwbG zusteht.
Der Kläger ist seit 1968 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Eisen und Metall erzeugenden und verarbeitenden Industrie im Lande Rheinland-Pfalz vom 9. September 1959 in der Fassung vom 1. Januar 1979 (MTV) Anwendung. Im September 1980 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Landau, ihm die Schwerbehinderteneigenschaft zuzuerkennen. Mit Schreiben vom 8. Dezember 1982 unterrichtete der Kläger die Beklagte über diesen Antrag und fügte hinzu, er stelle hiermit "vorsorglich" den Antrag auf Gewährung von Zusatzurlaub. Im Verfahren vor dem Sozialgericht einigte das Versorgungsamt sich mit dem Kläger dahingehend, daß es diesen ab dem 17. September 1980 als Schwerbehinderten anerkannte. Mit Schreiben vom 3. Mai 1983 teilte der Kläger der Beklagten dies mit und und erklärte, er mache nochmals den Schwerbehindertenurlaub für 1982 geltend. Die Beklagte lehnte den Urlaubsanspruch ab. Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm den Zu-
satzurlaub für Schwerbehinderte von sechs
Werktagen für das Kalenderjahr 1982 zu ge-
währen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, alle Urlaubsansprüche aus dem Jahre 1982 seien mit Ablauf des 31. März 1983 erloschen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dieses wird aufgrund der erneuten mündlichen Verhandlung darüber entscheiden müssen, ob der Klageanspruch aus dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes begründet ist.
I. Der Anspruch des Klägers auf zusätzlichen Urlaub nach § 44 SchwbG für das Jahr 1982 ist erloschen.
1. Dem Kläger stand für das Urlaubsjahr 1982 ein zusätzlicher Urlaub von sechs Arbeitstagen zu, weil er schwerbehindert war.
Nach § 44 Satz 1 SchwbG haben Schwerbehinderte Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von sechs Arbeitstagen im Jahr. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 28. Januar 1982 - 6 AZR 636/79 - BAG 37, 379, 381 = AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG, zu 2 der Gründe, mit weiteren Nachweisen), der der erkennende Senat folgt, entsteht der Anspruch auf Zusatzurlaub aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft, d. h. wenn der Arbeitnehmer infolge seiner Behinderung in der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 50 v.H. nicht nur vorübergehend gemindert ist (§ 1 SchwbG). Auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft durch die zuständige Behörde kommt es nicht an. Der Bescheid nach § 3 SchwbG hat nur deklaratorische Bedeutung.
2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß dieser Zusatzurlaub verfallen ist.
a) Da der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte, abgesehen von dem Merkmal der Schwerbehinderteneigenschaft, hinsichtlich seines Entstehens und Erlöschens dem Anspruch auf Erholungsurlaub folgt (vgl. BAG Urteil vom 18. Oktober 1957 - 1 AZR 437/56 - AP Nr. 2 zu § 33 SchwBeschG), muß er innerhalb des jeweiligen Urlaubsjahres geltend gemacht werden. Geschieht dies nicht, erlischt er mit Ablauf des Urlaubsjahres (BAG 37, 379, 381 = AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG, zu 3 a der Gründe, mit weiteren Nachweisen).
b) Im vorliegenden Fall bedeutet dies, daß der Urlaub dem Kläger bis 31. März 1983 hätte gewährt und von diesem hätte in Anspruch genommen werden müssen. Dies folgt aus § 21 Nr. 7 MTV. Danach erlischt der Urlaubsanspruch mit Ablauf des Kalenderjahres; wird der Urlaub während des Kalenderjahres aus betrieblichen oder persönlichen Gründen nicht gewährt und in Anspruch genommen, muß er im ersten Vierteljahr des folgenden Jahres gewährt und in Anspruch genommen werden. Unterbleibt die Gewährung und Inanspruchnahme, erlischt der Urlaubsanspruch ebenso wie im Fall des § 7 Abs. 3 BUrlG.
c) Diesem Ergebnis kann nicht mit der Kritik entgegengetreten werden, die Gröninger an der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Januar 1982 - 6 AZR 636/79 - geübt hat (Anm. zu AP Nr. 3 zu § 44 SchwbG).
Soweit Gröninger meint, der Arbeitnehmer könne wegen der noch ausstehenden behördlichen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft seinem Arbeitgeber nicht erklären, er sei Schwerbehinderter und verlange deshalb Zusatzurlaub, verkennt er die Voraussetzungen dieses Urlaubsanspruchs und die rechtlichen Möglichkeiten, die dem Arbeitnehmer schon vor der behördlichen Feststellung zur Verfügung stehen. Da der Anspruch auf Zusatzurlaub schon vom Zeitpunkt der Schwerbehinderung an und nicht erst nach behördlicher Feststellung besteht, muß er auch vom Zeitpunkt der Schwerbehinderung an geltend gemacht werden können. Zutreffend weisen Wilrodt/Neumann (SchwbG, 6. Aufl., § 3 Rz 37) darauf hin, daß ein Arbeitnehmer sich schon vor Feststellung der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen könne, dann aber im Streitfall nachweisen müsse, daß er um wenigstens 50 v.H. erwerbsgemindert sei.
Auch dem Hinweis, der Schwerbehindertenzusatzurlaub sei Teilurlaub im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG und damit nach § 7 Abs. 3 Satz 4 BUrlG auf das nächste Kalenderjahr übertragbar (Gröninger, aaO, zu 5), ist nicht zu folgen. Der Zusatzurlaub tritt zu dem Grundurlaub hinzu und verlängert dadurch den Gesamturlaub des Arbeitnehmers. Er ist nicht Teilurlaub. Das folgt daraus, daß er, wie dargelegt, hinsichtlich seines Entstehens und seines Erlöschens dem Grundurlaub folgt.
II. Nicht abschließend beurteilen kann der Senat, ob der Anspruch des Klägers als Schadenersatzanspruch begründet ist.
1. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 7. November 1985 - 6 AZR 169/84 - zur Veröffentlichung vorgesehen und vom 5. September 1985 - 6 AZR 86/82 - AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Treueurlaub) hat für den Fall, daß der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch erfolglos geltend gemacht hatte und dem Arbeitgeber die Erteilung des Urlaubs möglich war, angenommen, der Arbeitgeber habe für die infolge Zeitablaufs eingetretene Unmöglichkeit, als welche das Erlöschen des Urlaubsanspruchs anzusehen sei, einzustehen (§ 286 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 287 Satz 2 BGB). An die Stelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs trete in diesem Fall als Schadenersatzanspruch (§ 249 Satz 1 BGB) ein Urlaubsanspruch (Ersatzurlaubsanspruch) in gleicher Höhe. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung.
2. Ob die Voraussetzungen dieses Anspruchs im vorliegenden Fall erfüllt sind, ob die Beklagte sich also im Leistungsverzug befand, wird das Landesarbeitsgericht prüfen müssen.
a) Nach § 284 Abs. 1 BGB bedarf es zur Herbeiführung des Verzugs einer Mahnung des Gläubigers, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt. Das Schreiben des Klägers vom 8. Dezember 1982 erfüllt die Voraussetzungen einer Mahnung nicht. Eine solche muß bestimmt und eindeutig sein. Sie erfordert zwar keine Fristsetzung oder Androhung bestimmter Folgen, sie muß aber erkennen lassen, daß das Ausbleiben der Leistung Folgen haben wird (vgl. BGH LM Nr. 1 zu § 284 BGB; Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 284 Anm. 3 b). Die in der Mahnung zum Ausdruck kommende Aufforderung an den Schuldner muß dahin zu verstehen sein, daß die geschuldete Leistung nunmehr unverzüglich zu bewirken ist (vgl. Jauernig/Vollkommer, BGB, 3. Aufl., § 284 Anm. 4). Diese Voraussetzungen erfüllte das Schreiben vom 8. Dezember 1982 nicht. In ihm erklärte der Kläger, er stelle vorsorglich den Antrag auf Gewährung von Zusatzurlaub. Diese Erklärung stellte nicht das bestimmte Leistungsverlangen an die Beklagte dar, sie möge den Urlaub für 1982 nunmehr zeitlich festlegen (§ 7 Abs. 1 BUrlG). Das Schreiben des Klägers konnte von der Beklagten vielmehr auch als Mitteilung aufgefaßt werden (§§ 133, 157 BGB), er wolle den Urlaub erst endgültig fordern, nachdem seine Schwerbehinderteneigenschaft behördlich festgestellt sei. Die Beklagte sah sich somit keinem Leistungsverlangen gegenüber, durch das sie zur alsbaldigen Gewährung des Urlaubs veranlaßt werden sollte. Sie geriet somit durch dieses Schreiben nicht in Leistungsverzug.
b) Die Beklagte könnte jedoch dadurch in Schuldnerverzug geraten sein, daß sie die Gewährung des Zusatzurlaubs für 1982 bestimmt und endgültig verweigert hat und deshalb den Untergang des Urlaubsanspruchs nach § 287 Satz 1 BGB vertreten muß. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht den Sachverhalt nicht voll gewürdigt. Es wird dies in der erneuten mündlichen Verhandlung nachholen müssen.
Bereits in der Berufungsbegründung hatte der Kläger vorgetragen, die Beklagte habe den Urlaubsantrag vom 8. Dezember 1982 abgelehnt, da die Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachgewiesen sei. In der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 1984, auf die das angefochtene Urteil erging, erklärte sodann die Beklagtenvertreterin, der Antrag des Klägers vom 8. Dezember 1982 sei über den Betriebsrat zur Personalabteilung gelangt. Der Personalsachbearbeiter K habe dem Betriebsrat noch am gleichen Tag mitgeteilt, daß der Zusatzurlaub mangels Vorlage eines Schwerbehindertenausweises nicht gewährt werde. Diese Behauptung bestätigte sodann der vom Landesarbeitsgericht vernommene anwesende Zeuge K.
Dieses Beweisergebnis hat das Landesarbeitsgericht nicht gewürdigt. Es stützt jedoch möglicherweise einen weiteren, den Leistungsverzug der Beklagten begründenden Sachvortrag des Klägers. Denn es muß davon ausgegangen werden, daß der Kläger bei der mündlichen Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme die für ihn günstigen Tatsachen, die der Zeuge bekundet hat, zum Gegenstand seines Vortrags gemacht hat. Sollte es aber zutreffen, daß der Personalsachbearbeiter gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden und Vertrauensmann der Schwerbehinderten A, der als Vertreter des Klägers auftrat, gesagt hat, der Kläger sei kein Schwerbehinderter und könne den Zusatzurlaub nicht bekommen, so hätte die Beklagte an jenem 8. Dezember 1982 den im Namen des Klägers, und zwar jetzt nicht mehr "vorsorglich", sondern unbedingt, geltend gemachten Anspruch auf Zusatzurlaub für 1982 bestimmt und endgültig verweigert. Dieses der Beklagten zuzurechnende Verhalten ihres Personalsachbearbeiters hätte ohne Mahnung zum Leistungsverzug der Beklagten geführt (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 284 Anm. 4 c, mit weiteren Nachweisen) und somit deren Verantwortlichkeit nach § 287 Satz 2 BGB begründet.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Neuroth Dr. Johannsen
Fundstellen