Entscheidungsstichwort (Thema)
Ergänzende Vertragsauslegung bei Befristungsabrede zur Vertretung
Leitsatz (redaktionell)
Vereinbart der Arbeitgeber mit einem zur Vertretung eingestellten Arbeitnehmer, daß das Arbeitsverhältnis mit der Wiederaufnahme der Arbeit durch den vertretenen Mitarbeiter enden soll, so liegt hierin in aller Regel nicht zugleich die Vereinbarung, daß das Arbeitsverhältnis auch dann enden soll, wenn der vertretene Mitarbeiter vor Wiederaufnahme seiner Tätigkeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.
Normenkette
BGB §§ 157, 242, 620
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis infolge Befristung mit Ablauf des 30. September 1994 seine Beendigung gefunden hat.
Die Klägerin war bei der Beklagten zunächst aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 2. Juni 1993 als Zeitangestellte befristet bis zum 31. Dezember 1993 als Sekretärin beschäftigt. Die Befristung erfolgte zur Vertretung der langjährig erkrankten Mitarbeiterin der Beklagten, Frau K . Unter dem 2. November 1993 vereinbarten die Parteien einen Nachtrag zum Arbeitsvertrag, in dem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wie folgt vorgesehen war:
"Die Befristung gilt bis zur Wiederaufnahme der
Tätigkeit von Frau K ."
Nachdem Frau K aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war, wurde deren Planstelle in Abstimmung mit dem Personalrat anderweitig mit einer unbefristet beschäftigten Mitarbeiterin besetzt. Mit Schreiben vom 12. August 1994 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß ihr Arbeitsverhältnis zum 30. September 1994 auslaufe.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, daß eine auflösende Bedingung, nicht aber eine Zweckbefristung vereinbart worden sei. Da die Bedingung, nämlich die Rückkehr von Frau K , nicht eingetreten sei, bestehe das Arbeitsverhältnis fort.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, daß das zwischen den Parteien
bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch das
Schreiben vom 14. September 1994 aufgelöst
worden sei und über den 30. September 1994
hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen als
Sekretärin fortbesteht,
2. die Beklagte zu verurteilen, für den Fall des
Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1) die Kläge-
rin zu unveränderten Bedingungen als Sekretä-
rin bis zum rechtskräftigen Abschluß des vor-
liegenden Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat im wesentlichen die Auffassung vertreten, daß ein zweckbefristetes Arbeitsverhältnis vorliege. Vereinbarter Zweck sei die Vertretung der erkrankten Stelleninhaberin gewesen. Da eine Vertretung begriffsnotwendig voraussetze, daß noch ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Arbeitgeber bestehe, habe der Vertretungsfall mit endgültigem Ausscheiden der ursprünglichen Stelleninhaberin geendet, weil der Zweck der Befristung damit erreicht worden sei. Nach internen Festlegungen könnten im übrigen sämtliche freien Stellen nur einvernehmlich durch Oberbürgermeister und Personalrat neu besetzt werden; für Neueinstellungen seien aufgrund dieser Festlegungen sämtliche Stellen gesperrt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit Ablauf des 30. September 1994 geendet hat und die Beklagte zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung der Klägerin verpflichtet ist.
I. Das Arbeitsverhältnis hat nicht mit Ablauf des 30. September 1994 seine Beendigung gefunden. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit im wesentlichen ausgeführt: Bei der Vereinbarung im Änderungsvertrag vom 2. November 1993 handele es sich um die Vereinbarung einer zulässigen Zweckbefristung. Der vertraglich vereinbarte Beendigungsgrund sei jedoch nicht eingetreten. Auch eine ergänzende Vertragsauslegung führe nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des endgültigen Ausscheidens der Frau K , da die Parteien nicht zulässigerweise hätten vereinbaren können, daß das Arbeitsverhältnis und der Vertretungsfall auch dann ende, wenn Arbeitsunfähigkeit auf Dauer eintrete. Die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes und interne Überlegungen zur Planstellenvergabe begründeten keinen weitergehenden sachlichen Grund für eine Befristung.
II. Im Entscheidungsfall kann dahinstehen, ob die getroffene Vereinbarung als Zweckbefristung oder als auflösende Bedingung zu qualifizieren ist. Sowohl die Vereinbarung einer Befristung (BAG Beschluß des Großen Senats vom 12. Oktober 1960, BAGE 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BAG Urteil vom 10. August 1994 - 7 AZR 695/93 - AP Nr. 162 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu I 3 a der Gründe) als auch die einer auflösenden Bedingung (BAG Urteil vom 4. Dezember 1991 - 7 AZR 344/90 - AP Nr. 17 zu § 620 BGB Bedingung, zu I 1 der Gründe; BAG Urteil vom 20. Dezember 1984 - 2 AZR 3/84 - AP Nr. 9 zu § 620 BGB Bedingung, zu B I 4 a der Gründe) erfordern zu ihrer Rechtswirksamkeit dann, wenn dem Arbeitnehmer durch die jeweilige Vertragsgestaltung der Schutz zwingender Kündigungsschutzvorschriften entzogen wird, das Vorliegen eines sachlichen Grundes. Auch die übrigen rechtlichen Fragen (Zweckerreichung oder Bedingungseintritt, Auslegung der vertraglichen Regelung) unterscheiden sich nicht.
III. Die im Nachtrag vom 2. November 1993 getroffene Vereinbarung konnte schon deshalb nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien führen, weil der vereinbarte Beendigungstatbestand auch unter Berücksichtigung einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht eingetreten ist. Die Parteien haben nicht vereinbart, daß ihr Arbeitsverhältnis mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Frau K enden soll, so daß dahinstehen kann, ob den Bedenken des Landesarbeitsgerichts gegen die Zulässigkeit einer derartigen Vereinbarung zu folgen wäre. Unerläßliche Voraussetzung für eine automatische Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung ist zunächst, daß ein Beendigungstatbestand hinreichend deutlich vereinbart wird und daß dieser Beendigungstatbestand auch tatsächlich eintritt. Erst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, stellt sich die Frage der Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung.
1. Bei der im Nachtrag vom 2. November 1993 enthaltenen Beendigungsabrede handelt es sich um eine sog. nichttypische vertragliche Vereinbarung. Eine ergänzende Vertragsauslegung unterliegt insoweit der revisionsrechtlichen Überprüfung nur daraufhin, ob überhaupt nach § 157 BGB die Notwendigkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung bestand und ob bei der Auslegung selbst gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen wurde, oder wesentliche Umstände unberücksichtigt geblieben sind (BAG Urteil vom 8. November 1972 - 4 AZR 15/72 - AP Nr. 3 zu § 157 BGB; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 73 Rz 16).
2. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht von der Notwendigkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung ausgegangen. Eine solche Notwendigkeit besteht, wenn zu einem bestimmten Punkt eine Vereinbarung der Parteien fehlt oder wenn sich durch bei Vertragsabschluß nicht erkennbare Umstände später aufgrund der weiteren Entwicklung der Rechtsbeziehungen der Vertragspartner eine Vertragslücke ergibt (BAG Urteil vom 8. November 1972, aa0). Eine solche Regelungslücke ist vom Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 9. Februar 1984 - 2 AZR 402/83 - AP Nr. 7 zu § 620 BGB Bedingung, zu B II 2 der Gründe) etwa angenommen worden, wenn die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich vereinbaren, daß das Arbeitsverhältnis eines wissenschaftlichen Mitarbeiters enden soll, wenn die Professorenstelle, aus der der wissenschaftliche Mitarbeiter vergütet wird, dauerhaft mit einem Professor besetzt wird und es später nicht zu einer solchen Besetzung kommt, sondern die Stelle entfällt.
3. Eine derartige Regelungslücke bestand auch vorliegend. Ungeregelt blieb die Frage, welche Folge für den Bestand des Arbeitsverhältnisses bei einem endgültigen Ausscheiden der Frau K eintreten soll. Die Parteien sind zum Zeitpunkt ihrer Vereinbarung davon ausgegangen, daß Frau K wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren würde und hierdurch ein Vertretungsbedarf entfällt und deshalb das Arbeitsverhältnis seine Beendigung finden soll. Den nunmehr eingetretenen Fall des endgültigen Ausscheidens haben die Parteien nicht berücksichtigt, so daß insoweit eine Regelungslücke vorliegt.
4. Die vom Landesarbeitsgericht demnach zu Recht vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung läßt keine revisiblen Rechtsfehler erkennen. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung maßgeblich auf den hypothetischen Parteiwillen, also darauf abzustellen ist, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (BAG Urteil vom 9. Februar 1984 - 2 AZR 402/83 - AP Nr. 7 zu § 620 BGB Bedingung, zu B II 2 c der Gründe). Schon das Arbeitsgericht hatte, worauf das Landesarbeitsgericht Bezug genommen hat, die maßgeblichen Interessen der Parteien, nämlich das Nichtbestehen eines Interesses der Klägerin an einem nur befristeten Arbeitsvertrag und das Interesse der Beklagten an einer nicht dauerhaften arbeitsvertraglichen Bindung ermittelt und gegeneinander abgewogen. Diese Würdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Insbesondere aber hat das Landesarbeitsgericht zu Recht entscheidend darauf abgestellt, daß der eigentliche Grund für die getroffene Beendigungsabrede nicht in der Vertretung als solcher lag, sondern darin, daß die Beklagte ihren Arbeitskräftebedarf an sich bereits durch das Arbeitsverhältnis mit Frau K abgedeckt hatte und daß deshalb an der Arbeitskraft der Klägerin nur ein vorübergehender, zeitlich durch die Rückkehr von Frau K begrenzter Bedarf bestand. Dementsprechend liegt, wie das Landesarbeitsgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat, die sachliche Rechtfertigung einer Befristungsvereinbarung in Vertretungsfällen darin, daß der Arbeitgeber bereits zu seinem zeitweilig ausfallenden Mitarbeiter in einem Arbeitsverhältnis steht und grundsätzlich mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechnen muß (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 22. November 1995 - 7 AZR 252/95 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt). Durch das endgültige Ausscheiden des vertretenen Mitarbeiters aus dem Arbeitsverhältnis aber entfällt der Bedarf an der Arbeitsleistung der Ersatzkraft gerade nicht. Jedenfalls in aller Regel kann deshalb einer Vereinbarung, das Arbeitsverhältnis der Vertretungskraft solle mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit durch den vertretenen Mitarbeiter enden, auch im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht entnommen werden, das Vertretungsarbeitsverhältnis solle auch dann enden, wenn der vertretene Mitarbeiter ausscheidet.
5. Auch der von der Beklagten vorgetragene Umstand, daß die Planstelle, auf der die Klägerin zeitweilig beschäftigt wurde, nach dem Ausscheiden von Frau K durch eine andere Mitarbeiterin besetzt wurde, rechtfertigt keine andere Würdigung. Durch diese Neubesetzung könnte zwar der Bedarf an einer weiteren Beschäftigung der Klägerin entfallen sein, weil sich im öffentlichen Dienst der Beschäftigungsbedarf nach der Zahl der vom Haushaltsgesetzgeber zur Verfügung gestellten Stellen bestimmt. Zu ihrer Planstellensituation hat die Beklagte indessen nichts Konkretes vorgetragen, sondern sich nur auf verwaltungsinterne Festlegungen und ihre schwer nachvollziehbare Unterscheidung zwischen sog. "1. und 2. Stelleninhaberinnen" bezogen. Es kann deshalb nicht als rechtsfehlerhaft angesehen werden, daß das Landesarbeitsgericht im Rahmen seiner ergänzenden Vertragsauslegung nicht auch erwogen hat, ob die Parteien einen durch Neubesetzung der Stelle eintretenden Wegfall des Bedarfs an der Arbeitskraft der Klägerin als Beendigungstatbestand vereinbart haben.
IV. Die Revision ist auch unbegründet, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Berufung hinsichtlich des auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits gerichteten Urteilsausspruchs des Arbeitsgerichts wendet. Die Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) über den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gelten entsprechend auch dann, wenn um die Wirksamkeit einer Befristung gestritten wird (BAG Urteil vom 13. Juni 1985 - 2 AZR 410/84 - AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht, zu B II 5 der Gründe). Nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils, das die Unwirksamkeit der Befristung festgestellt hatte, überwog das Beschäftigungsinteresse der Klägerin.
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Steckhan Düwell Schmidt
Peter Haeusgen G. Metzinger
Fundstellen
Haufe-Index 441434 |
BB 1996, 2204 (Leitsatz 1) |
DB 1996, 2289-2290 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EBE/BAG 1996, 157-159 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BetrR 1997, 34-35 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ARST 1996, 241-242 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ASP 1996, Nr 11/12, 55 (Kurzwiedergabe) |
EWiR 1996, 1015 (Leitsatz 1) |
NZA 1997, 200 |
NZA 1997, 200-201 (Leitsatz 1 und Gründe) |
Quelle 1997, Nr 4, 24 (Leitsatz 1) |
RdA 1997, 60 (Leitsatz 1) |
RzK, I 9e Nr 13 (Leitsatz 1) |
RzK, I 9g Nr 36 (Leitsatz 1 und Gründe) |
SAE 1998, 118 |
SAE 1998, 118 (Leitsatz 1) |
ZAP, EN-Nr 832/96 (Leitsatz 1) |
ZTR 1996, 565 (Leitsatz 1) |
AP § 157 BGB (Leitsatz 1), Nr 11 |
AP § 620 BGB Bedingung, Nr 23 |
AR-Blattei, ES 380 Nr 22 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ArbuR 1996, 455 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzA-SD 1996, Nr 21, 13-15 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzA § 620 BGB Bedingung, Nr 12 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzBAT, SR 2y BAT Nr 53 (Leitsatz 1 und Gründe) |
RAnB 1997, 27 (Leitsatz) |
ZMV 1997, 89 |
ZMV 1997, 89-90 (red. Leitsatz 1, Kurzwiedergabe) |