Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustimmungspflicht gem. § 20 b ParteienG-DDR
Normenkette
ParteienG-DDR § 20 b; EV Anlage II Kapitel II Sachgebiet A Abschn. III; ZPO § 259
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 25. Juni 1992 – 7 Sa 24/92 – aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer weiteren Sozialplanabfindung.
Die am 12. September 1953 geborene Klägerin war seit September 1984 beim VEB „Verlag Junge Welt” tätig. Dieser Verlag war seit 1954 der Freien Deutschen Jugend (FDJ) der DDR unterstellt und im Besitz dieser politischen Massenorganisation. Mit Wirkung vom 8. Mai 1990 wurde der Verlag laut einer Eintragung im Register der volkseigenen Wirtschaft beim staatlichen Vertragsgericht der Hauptstadt Berlin in die beklagte Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) umgewandelt und privatisiert. Gesellschafter wurden Frau Susanne L. sowie die Herren Wolfgang T. und Dietmar B.. Letztere wurden zu Geschäftsführern der Beklagten bestellt.
Am 1. Januar 1991 vereinbarte der Geschäftsführer Wolfgang T. mit dem Betriebsrat eine „Regelung von Problemen bei Betriebs- und Strukturveränderungen sowie bei Rationalisierungsmaßnahmen”. Hierin heißt es unter anderem:
„6. Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis aus Betriebs- und Strukturgründen und Rationalisierung objektiv begründet, und durch den Mitarbeiter unverschuldet, gekündigt werden muß, erhalten eine einmalige Abfindung.
Sie setzt sich wie folgt zusammen:
- als Grundbetrag 3 Monatsgehälter, mindestens jedoch 5.000,– DM.
- für jedes Jahr ununterbrochener Tätigkeit für den Verlag Junge Welt 300,– DM.
Diese Regelung gilt ebenfalls ausdrücklich für Mitarbeiter, die unter die Altersübergangsregelung fallen, jedoch keinesfalls für Mitarbeiter, denen auf Grund mangelnder Leistungen oder mangelnder Fähigkeiten gekündigt wird.
7. Zusätzlich zu dieser Abfindung wird im Fall sozialer Härte eine einmalige Zahlung pro in Höhe von 2.000,– DM vorgenommen. Folgende Kriterien werden hierbei zur Prüfung herangezogen:
- soziale Situation des Mitarbeiters
- alleinerziehend
- schwerbehindert
- ab einschließlich dem 50. Lebensjahr bei männlichen Mitarbeitern
- ab einschließlich dem 45. Lebensjahr bei weiblichen Mitarbeitern.
…
9. Diese Vereinbarung gilt bis zum Abschluß einer neuen Sozialvereinbarung, längstens jedoch bis zum 31.12.1991.”
Die Treuhandanstalt erklärte in einem an die Gesellschafter der Beklagten gerichteten Schreiben vom 26. April 1991, sie genehmige den Geschäftsführervertrag des Herrn T. lediglich mit der Maßgabe, daß alle über den Betrag von DM 10.000,00 hinausgehenden rechtsgeschäftlichen Verfügungen und Verpflichtungen der Genehmigung der Treuhandanstalt bedürften. Ebenso bedürften alle über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft hinausgehenden sowie die jeweils in der Satzung des Verlages Junge Welt GmbH im einzelnen aufgeführten Geschäfte der Zustimmung der Gesellschafterversammlung und der Treuhandanstalt.
In einer nicht adressierten „Bestätigung” der Treuhandanstalt vom 10. Mai 1991 heißt es:
„Dem Verlag Junge Welt wird ein Abfindungsvolumen von insgesamt
1,04 Mio. DM
bestätigt.
Diesem Abfindungsvolumen liegen zugrunde
Die Beklagte kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 13. Mai 1991 wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes zum 30. September 1991. Zugleich erklärte die Beklagte, die Klägerin erhalte aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine einmalige Abfindung auf der Grundlage des betrieblichen Sozialplanes.
Am 24. Juni 1991 beschloß die Gesellschafterversammlung der Beklagten die Auflösung der Gesellschaft mit sofortiger Wirkung.
Rechtsanwalt Dipl.-Kfm. Karl T. wurde zum Liquidator bestellt. Alle Gesellschafter übertrugen ihre Gesellschaftsanteile unentgeltlich auf die Treuhandanstalt.
Der Vorsitzende des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrates, der Liquidator und Vertreter der Treuhandanstalt vereinbarten am 2. Juli 1991, entsprechend der zwischen der Treuhandanstalt und den Gewerkschaften getroffenen Rahmenvereinbarung bei der Treuhandanstalt eine Zweckzuwendung zu beantragen.
Die Klägerin erhielt aufgrund des Sozialplanes vom 2. September 1991 eine Abfindung in Höhe von 3.459,75 DM. Mit der Klage macht die Klägerin einen darüber hinausgehenden Abfindungsanspruch aus dem Sozialplan vom 1. Januar 1991 geltend.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12.140,25 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 23. August 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, sie sei vermögenslos und könne die Abfindung nicht zahlen. Zudem unterliege ihr Vermögen der Verwaltung der Treuhandanstalt. Deshalb sei der Sozialplan vom 1. Januar 1991 wegen fehlender Zustimmung nach § 20 b ParteienG-DDR unwirksam.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, § 20 b ParteienG-DDR stehe einer vorbehaltlosen Verurteilung der Beklagten zur Zahlung nicht entgegen.
I. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die Beklagte zum Abschluß des Sozialplanes vom 1. Januar 1991 deiner Zustimmung der Treuhandanstalt gemäß § 20 b ParteienG-DDR bedurfte. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung der DDR, die mit Maßgaben durch den Einigungsvertrag aufrechterhalten worden ist (Anlage II Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt III EV), bedürfen Vermögensveränderungen der Parteien und der ihnen verbundenen Organisationen, juristischen Personen und Massenorganisationen der ehemaligen DDR der Zustimmung der Treuhandanstalt. Wie der Senat mit Urteil vom 10. Dezember 1992 – 8 AZR 20/92 – (zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden hat, stellt der Abschluß eines Sozialplanes keine Vermögensveränderung im Sinne von § 20 b Abs. 1 ParteienG-DDR dar und bedarf deshalb nicht der Zustimmung der Treuhandanstalt. Erst die zur Erfüllung der durch den Sozialplan begründeten Verbindlichkeiten notwendigen Vermögensveränderungen bedürfen einer solchen Zustimmung. Auf die im Urteil vom
10. Dezember 1992 gegebene Begründung wird verwiesen. Im vorliegenden Rechtsstreit haben die Parteien keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine andere Auslegung rechtfertigen könnten.
II. Der Sozialplan vom 1. Januar 1991 ist nicht durch eine spätere Vereinbarung abgelöst worden. Die Absprache vom 2. Juli 1991 stellt zwar fest, daß bereits zu diesem Zeitpunkt die Erfüllung der Sozialplanansprüche ohne Verwertung der Immobilien unmöglich sein würde. Jedoch wurde von den Betriebspartnern keine Aufhebung des Sozialplanes vereinbart.
III. Jedoch wäre gemäß § 20 b ParteienG-DDR die Durchsetzbarkeit des Anspruches und damit die Verurteilung der Beklagten zu sofortiger Leistung von der vorherigen Zustimmung der Treuhandanstalt abhängig, wenn
- § 20 b ParteienG-DDR Anwendung findet und
- bislang keine Zustimmung der Treuhandanstalt zur Erfüllung der Sozialplanforderung vorliegt.
1. Ob die Beklagte als juristische Person unter § 20 b Abs. 1 ParteienG-DDR fällt, ist bisher nicht festgestellt. Das Parteiengesetz-DDR bezieht nur die Parteien und die ihnen „verbundenen Organisationen, juristischen Personen und Massenorganisationen” in die treuhänderische Verwaltung ein. § 20 b Abs. 2 ParteienG-DDR macht die Treuhandverwaltung von der Erfüllung zweier Voraussetzungen abhängig. Es muß sich erstens um Vermögen von Parteien oder ihnen verbundenen Organisationen, juristischen Personen oder Massenorganisationen handeln, das am 7. Oktober 1989 bestanden hat oder seither an die Stelle dieses Vermögens getreten ist, und zweitens muß es sich bei Inkrafttreten des § 20 b ParteienG-DDR noch in der Hand von Parteien oder ihnen verbundenen Organisationen, juristischen Personen oder Massenorganisationen befunden haben (vgl. BVerwG Urteil vom 11. März 1993 – 7 C 15.92 – ZIP 1993, 789, 791). Dabei unterfallen nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht nur die unmittelbar mit der SED, sondern auch die mit Massenorganisationen verbundenen juristischen Personen der treuhänderischen Verwaltung.
Die notwendigen Feststellungen wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben. Entscheidend dürfte darauf abzustellen sein, daß die Beklagte ihr gesamtes Vermögen vom volkseigenen Betrieb Verlag Junge Welt übernommen hat, der seinerseits Vermögensbestandteil der Massenorganisation „FDJ” war. Damit gehörte das gesamte Vermögen der erst am 8. Mai 1990 eingetragenen Beklagten noch per 7. Oktober 1989, dem nach § 20 b Abs. 2 ParteienG-DDR maßgeblichen Stichtag, zum Vermögen einer mit der SED verbundenen Massenorganisation, denn zum Vermögen sind gemäß § 20 b Abs. 2 ParteienG-DDR nicht nur die am 7. Oktober 1989 vorhandenen Vermögensgegenstände, sondern auch die an ihre Stelle getretenen Gegenstände sowie deren Früchte und Nutzungen zu rechnen.
Das Landesarbeitsgericht wird aber zu beachten haben, daß die Treuhandanstalt über die Rechtstatsache der treuhänderischen Verwaltung im Einzelfall durch feststellenden Verwaltungsakt entscheiden kann (vgl. BVerwG Urteil vom 11. März 1993, a.a.O.) und die Beklagte den Erlaß entsprechender Verwaltungsakte behauptet hat. Die Feststellungswirkung eines solchen Verwaltungsaktes wäre von den Gerichten für Arbeitssachen zu beachten. Nur wenn es bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung an einem entsprechenden, nicht nichtigen Verwaltungsakt fehlen sollte, hätte das Landesarbeitsgericht selbst über die Anwendbarkeit von § 20 b ParteienG-DDR zu entscheiden.
2. Eine Zustimmung der Treuhandanstalt zur Erfüllung der Ansprüche aus dem Sozialplan vom 1. Januar 1991 liegt (noch) nicht vor. Eine entsprechende Zustimmungserklärung könnte allenfalls in der nicht adressierten „Bestätigung” vom 10. Mai 1991 gesehen werden. Diese Bestätigung befaßt sich jedoch nicht mit den zur Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten erforderlichen Handlungen, sondern dem Sozialplanvolumen, dessen Berechnung und Finanzierung. Die Bestätigung vom 10. Mai 1991 enthält aber keine „Regelung” der Erfüllung bestehender Sozialplanansprüche im Sinne von § 35 VwVfG. Es fehlt an jeder konkreten Angabe, aus welchen Vermögenswerten die individuellen Sozialplanansprüche zu befriedigen seien. Über diese Frage wird die Treuhandanstalt gegebenenfalls nach Klärung der Verwertbarkeit der Betriebsgrundstücke zu befinden haben. Bis dahin darf die Beklagte trotz des bestehenden Anspruchs nicht zur sofortigen Leistung verurteilt werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß die Klägerin in Vermögensgegenstände vollstreckte, von denen noch nicht feststeht, ob sie zur Erfüllung des Sozialplananspruches zur Verfügung stehen.
Demgemäß wäre die Beklagte nur bedingt zur Leistung zu verurteilen (§ 259 ZPO).
IV. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob der Abfindungsanspruch der Klägerin auf weitere Anspruchsgrundlagen wie Schuldanerkenntnis oder Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt werden kann, denn auch die Erfüllung der so begründeten Ansprüche wäre in gleicher Weise von der vorherigen Zustimmung der Treuhandanstalt gemäß § 20 b ParteienG-DDR abhängig.
V. In jedem Falle hätte die Klägerin keinen Zinsanspruch, solange ihr Hauptanspruch noch nicht durchsetzbar ist (vgl. BAG Urteil vom 10. Dezember 1992 – 8 AZR 20/92 – zur Veröffentlichung bestimmt).
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Dr. Haible, Mache
Fundstellen