Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilzeitbeschäftigter Lehrer. Ausschlußfrist

 

Normenkette

TVG § 1 Auslegung; BGB §§ 133, 157, 612 Abs. 2; BAT §§ 70, 3 Buchst.q

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 27.02.1990; Aktenzeichen 13 Sa 718/89)

ArbG Lingen (Urteil vom 21.04.1989; Aktenzeichen 2 Ca 1086/88)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 27. Februar 1990 – 13 Sa 718/89 – aufgehoben.

2. Auf die Anschlußberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen (Ems) vom 21. April 1989 – 2 Ca 1086/88 – teilweise abgeändert, soweit es den Zinsanspruch des Klägers verneint hat. Es wird – klarstellend – festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, an den Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Dezember 1987 unter Anrechnung der ihm in diesem Zeitpunkt gewährten Vergütung 13/28 der Vergütung aus der VergGr. III BAT nebst 4 % Zinsen auf die sich monatlich ergebenden Nettobeträge ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

3. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen (Ems) vom 21. April 1989 – 2 Ca 1086/88 – wird zurückgewiesen.

4. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Dezember 1987 anteilige Vergütung nach der Vergütungsgruppe III BAT zu zahlen.

Der am 10. April 1955 geborene Kläger ist bei dem beklagten Land als teilzeitbeschäftigter Lehrer für das Fach Schulsonderturnen beschäftigt. Zunächst belief sich seine wöchentliche Unterrichtszeit aufgrund des Dienstvertrages vom 5. Juni 1984 auf 13 Stunden. Die Unterrichtszeit eines vollbeschäftigten Lehrers betrug damals 28 Wochenstunden. Der Kläger erhielt Vergütung nach Jahreswochenstunden. Das Dienstverhältnis sollte sich gemäß § 6 des Vertrages nach den Bestimmungen des BGB regeln.

Unter dem Datum des 28. Januar 1988 schlossen die Parteien „zur Änderung des Arbeitsvertrages vom 5. Juni 1984” mit Wirkung vom 1. Januar 1988 einen neuen Vertrag, der eine wöchentliche Unterrichtszeit von weiterhin 13 Stunden vorsieht und nach dessen § 2 sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT bestimmen soll.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Dezember 1987 die Differenz zwischen der ihm gewährten Vergütung nach Jahreswochenstunden und der anteiligen Vergütung eines vollbeschäftigten Lehrers nach VergGr. III BAT. Der Kläger hat diese Ansprüche erstmals mit seiner am 15. Dezember 1988 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage schriftlich geltend gemacht.

Der Kläger hat vorgetragen, die Vergütungsvereinbarung nach Jahreswochenstunden sei gemäß § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 unwirksam. Er habe daher gemäß § 612 BGB Anspruch auf anteilige Vergütung nach der VergGr. III BAT. Seine Teilzeitbeschäftigung beim beklagten Land sei seine Haupttätigkeit gewesen. Daneben habe er, um seinen Lebensunterhalt verdienen zu können, verschiedene weitere Nebentätigkeiten ausgeübt, die aber jeweils für sich genommen im zeitlichen Umfang und in der Vergütungshöhe hinter der Teilzeitbeschäftigung beim beklagten Land zurückgeblieben seien.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, an ihn für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Dezember 1987 unter Anrechnung der ihm in diesem Zeitraum gewährten Vergütung 13/28 der Vergütung aus der Vergütungsgruppe III BAT nebst 4 % Zinsen auf die sich monatlich ergebenden Nettobeträge ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat vorgetragen, die getroffene Vergütungsvereinbarung sei rechtswirksam, jedenfalls komme als Anspruch des Klägers nur eine anteilige Vergütung nach dem BAT auf der Grundlage der vereinbarten 42 Jahreswochenstunden berechnet nach der VergGr. IV a BAT in Betracht. Ein derartiger Anspruch des Klägers sei aber gemäß § 70 BAT verfallen.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, an den Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Dezember 1987 unter Anrechnung der ihm in diesem Zeitraum gewährten Vergütung 13/28 der Vergütung gemäß der VergGr. III BAT nebst 4 % Zinsen auf die sich monatlich ergebenden Nettobeträge ab dem 20. Dezember 1988 zu zahlen. Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat das beklagte Land Berufung, der Kläger Anschlußberufung mit dem Antrag eingelegt, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts festzustellen, daß auf die sich monatlich ergebenden Nettobeträge 4 % Zinsen ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen sind.

Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er seinen Klageantrag und seinen Antrag aus der Anschlußberufung weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg, weil auf die bis zum 31. Dezember 1988 entstandenen Ansprüche des Klägers die Ausschlußklausel des § 70 BAT nicht anzuwenden ist.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Ausschlußfrist des § 70 BAT erfasse nicht nur die Ansprüche des Klägers, die nach dem 1. Januar 1988 entstanden und fällig geworden sind, sondern auch diejenigen, welche bereits vor diesem Datum entstanden und fällig waren. Auch für diese „Altansprüche” habe die Ausschlußfrist von sechs Monaten mit dem 1. Januar 1988 zu laufen begonnen. Da sie aber erst mit der Klage vom 15. Dezember 1988 erhoben worden seien, seien sie nicht rechtzeitig schriftlich geltend gemacht und daher verfallen.

Ab 1. Januar 1988 habe zwischen den Parteien kein neues Arbeitsverhältnis bestanden, vielmehr sei der Vertrag vom 28. Januar 1988 nur ein Änderungsvertrag bei Fortbestand des ursprünglich im Jahre 1984 begründeten Arbeitsverhältnisses. Beide Vertragsverhältnisse seien als Einheit zu bewerten. Finde auf ein einheitliches Arbeitsverhältnis, das sich ursprünglich nicht nach einem Tarifvertrag geregelt habe, zu einem späteren Zeitpunkt ein Tarifvertrag Anwendung, seien dessen Ausschlußfristen auch für Altansprüche einzuhalten. Tarifliche Ausschlußklauseln, die – wie § 70 BAT – alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfaßten, sollten generell wirken, eine Differenzierung nach Anspruchsgrundlage oder Entstehungszeitpunkt sei nicht möglich. Daher müsse der Arbeitnehmer ab Tarifgeltung die Ausschlußfrist einhalten. Es sei kein Grund ersichtlich, Altansprüche vom Zwang der rechtzeitigen Geltendmachung freizustellen, zumal der Arbeitnehmer sich ab Anwendbarkeit des Tarifvertrages auf die Ausschlußfrist und ihre Beachtung einstellen könne. Die Altansprüche würden durch die Ausschlußfrist auch nicht inhaltlich geändert, vielmehr werde ihre Durchsetzbarkeit nur tariflichen Beschränkungen unterworfen, und zwar lediglich für die Zukunft. Der Kläger habe die mit dem 1. Januar 1988 beginnende und am 30. Juni 1988 ablaufende Ausschlußfrist nicht eingehalten. Da seine Klage erst im Dezember 1988 erhoben worden sei, sei die Ausschlußfrist nicht gewahrt.

II. Das Landesarbeitsgericht hat auf den Streitfall ersichtlich die Erwägungen des Senats im Teil-Urteil vom 25. Januar 1989 (5 AZR 161/88 – AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG 1985, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) angewandt und ist sodann davon ausgegangen, daß dem Kläger der erhobene Anspruch grundsätzlich zusteht. Insoweit ist dem Landesarbeitsgericht beizupflichten. Dagegen kann ihm nicht gefolgt werden, soweit es den Klageanspruch mit der Begründung verneint hat, er sei im Hinblick auf die anzuwendende Ausschlußklausel des § 70 BAT nicht rechtzeitig geltend gemacht worden und daher verfallen. Die genannte Tarifbestimmung darf vorliegend nicht angewandt werden.

1. Der Kläger hat Anspruch auf anteilige Vergütung nach der VergGr. III BAT, aus der ihm die Jahreswochenstunden berechnet worden sind. Seine Teilzeitbeschäftigung beim beklagten Land war seine Haupttätigkeit. Er kann nicht darauf verwiesen werden, daß er außer dieser Tätigkeit noch verschiedene andere, dem Umfang nach geringere Tätigkeiten ausgeübt hat. Hierzu war er gezwungen, um seinen Lebensunterhalt verdienen zu können.

2. Wenn die Tarifbindung der Parteien eines Arbeitsverhältnisses erst zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Vertragsabschluß eintritt, dann fallen die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Ansprüche aus dem bis dahin nicht tariflich erfaßten Arbeitsverhältnis nicht unter die Ausschlußklausel des erst später wirksam gewordenen Tarifvertrages. Das hat der Zweite Senat bereits in seiner Entscheidung vom 27. November 1958 (BAGE 7, 81, 84 = AP Nr. 69 zu § 1 TVG Auslegung, zu I der Gründe) klargestellt und dazu ausgeführt, die Unterwerfung eines schon entstandenen Anspruchs unter die Verfallklausel eines erst von einem späteren Zeitpunkt ab geltenden Tarifvertrages bedeute eine wesentliche inhaltliche Veränderung des Anspruchs; denn der bisher zeitlich nicht beschränkte und von einem gewissen Zeitpunkt ab lediglich mit der Verjährungseinrede behaftete Anspruch würde zeitlich begrenzt und nach einer mehr oder weniger kurzen Zeit untergehen.

Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an. Eine spätere Ausschlußklausel greift in die Substanz eines Anspruchs ein, weil dieser nach Ablauf der Ausschlußfrist erlischt und die dann entstehende Rechtslage einem Erfüllungstatbestand gleichkommt. Rechtsbefristung ist materielle Rechtsbeschränkung und gehört, weil sie das Recht materiell schwächt, zur inhaltlichen Gestaltung selbst (so zutreffend Herschel, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip). Ob die Tarifvertragsparteien aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit zu einem derartigen Eingriff befugt wären, braucht der Senat nicht abschließend zu erörtern (ebenso wie BAGE 7, 81, 84 = AP Nr. 69 zu § 1 TVG Auslegung). Denn § 70 BAT, um dessen Anwendbarkeit es hier geht, legt sich jedenfalls keine rückwirkende Kraft auf frühere einzelvertragliche Ansprüche bei.

3.a) Soweit der Zweite Senat in einer früheren Entscheidung vom 24. April 1958 (BAGE 5, 279, 285 = AP Nr. 1 zu § 16 JugSchG Niedersachsen) die Auffassung geäußert hat, das Eingreifen einer tariflichen Verfallklausel in bereits früher entstandene Ansprüche komme nicht in Betracht, ohne daß den erst später Tarifgebundenen noch eine angemessene Nachfrist zur Geltendmachung ihrer Ansprüche einzuräumen sei, handelt es sich bei diesen Ausführungen ersichtlich um ein obiter dictum. Der betreffende Tarifvertrag behandelte nämlich nur Lohnansprüche, während die Kläger Lehrlinge waren und ihre Ansprüche nicht auf Tarifvertrag, sondern unmittelbar auf gesetzlicher Regelung beruhten.

b) Allerdings vertreten Wiedemann/Stumpf (TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 397) bei der Erörterung der Frage, in welcher Weise ein Tarifvertrag auf bereits entstandene und fällige Ansprüche einwirken könne, wenn diese Ansprüche bislang einer Verfallklausel nicht unterfielen, die Auffassung, die Verfallfrist beginne mit dem Zeitpunkt der Tarifgebundenheit der Parteien oder der aus anderen Gründen zu beachtenden Anwendbarkeit des Tarifvertrages zu laufen. Mit dem Eintritt in den tarifschließenden Verband erlangten die Tarifnormen unmittelbare und zwingende Wirkung für das bestehende Arbeitsverhältnis des beitretenden Arbeitnehmers. Durch § 4 Abs. 1 TVG würden nicht nur künftige Abmachungen, sondern auch die schon bestehenden Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses inhaltlich bestimmt und damit zu tarifunterworfenen Rechten und Pflichten. Dies könne jedoch nur für die Zukunft gelten.

Ausdrücklich abgelehnt wird die Ansicht, den Parteien des Arbeitsverhältnisses müsse eine angemessene Nachfrist zur Geltendmachung gewährt werden: maßgebend sei die tarifliche Verfallfrist. Dabei wird aber nicht berücksichtigt, daß die zunächst geforderte Nachfrist einem obiter dictum zuzurechnen ist und daß der Zweite Senat eine verbindliche Antwort zu der hier gestellten Frage bereits im Urteil vom 27. November 1958 (a.a.O.) gegeben hat. Dazu nimmt der Kommentar keine Stellung, sondern begründet seine Auffassung mit dem Hinweis, der Gesetzgeber habe gleiches bei der Neueinführung abweichender Verjährungsfristen vorgesehen. Verjährung und Verwirkung unterscheiden sich jedoch so erheblich, daß eine Analogie nicht gerechtfertigt erscheint.

Auch Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius (TVG, 2. Aufl., § 4 Rz 230) lehnen eine „angemessene” Nachfrist ab, übersehen aber, daß es sich in der von ihnen zitierten Entscheidung (BAGE 5, 279 = AP Nr. 1 zu § 16 JugSchG Niedersachsen) um ein obiter dictum handelt und wollen die Ausschlußklausel frühestens mit Beginn der Tarifbindung eintreten lassen. Auch sie berücksichtigen die Ausführungen des Zweiten Senats im späteren Urteil (BAGE 7, 81 = AP, a.a.O.) nicht.

III. Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu früheren Urteilen des Dritten Senats.

1. Im Urteil vom 30. Oktober 1962 (– 3 AZR 405/61 – AP Nr. 1 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip) hat der Dritte Senat den Standpunkt eingenommen, eine neue kollektivrechtliche Ordnung könne vorschreiben, daß auch solche Rechte, die der Arbeitnehmer auf der Grundlage einer bisherigen kollektiven Regelung erworben habe, innerhalb einer Ausschlußfrist geltend gemacht werden müssen.

Vorliegend bestand bei den Rechtsbeziehungen der Parteien jedoch bis zur Anwendbarkeit des BAT keine kollektive Ordnung, sondern eine einzelvertragliche Regelung, die ausdrücklich auf die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches Bezug nahm. Überdies legt sich § 70 BAT keine rückwirkende Kraft bei.

2. Im Urteil vom 12. März 1971 (BAGE 23, 248 = AP Nr. 9 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG Berlin) hat es der Dritte Senat für zulässig gehalten, daß, falls die Arbeitsvertragsparteien die Anwendung einschlägiger Tarifverträge vereinbaren, für den vertragsschließenden nichtorganisierten Arbeitnehmer tarifliche Ausschlußfristen ebenso wie für die kraft Verbandszugehörigkeit tarifgebundenen Arbeitnehmer gelten und daß die vereinbarten tariflichen Ausschlußfristen auch Ansprüche aus einem Gesetz erfassen.

Im Streitfall haben die Parteien jedoch für die Zeit vor dem 1. Januar 1988 keine Vereinbarung über die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages getroffen, so daß die einschlägige Ausschlußklausel (§ 70 BAT) die Ansprüche des ausdrücklich den Bestimmungen des BGB unterstellten Vertrages der Parteien nicht erfassen konnte.

IV. Zur jeweiligen rechnerischen Höhe einer tariflichen Vergütung, die im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB als übliche Vergütung anzusehen ist, gehören nicht gleichzeitig tarifliche Ausschlußklauseln. Das hat der Senat in der Parallelentscheidung vom 26. September 1990 – 5 AZR 112/90 – (auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) näher ausgeführt. Darauf wird in diesem Zusammenhang verwiesen.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Arntzen, Dr. Koffka

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073637

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?