Entscheidungsstichwort (Thema)

Personen- bzw. verhaltensbedingte Kündigung

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 22.03.1995; Aktenzeichen 6 (3) Sa 438/94)

ArbG Rostock (Urteil vom 17.05.1994; Aktenzeichen 7 Ca 57/94)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 22. März 1995 – 6 (3) Sa 438/94 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 17. Mai 1994 – 7 Ca 57/94 – teilweise abgeändert.

3. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung des beklagten Landes vom 28. Dezember 1993 nicht aufgelöst worden ist.

4. Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 1940 geborene, verheiratete Kläger war seit 1965 an der Universität Rostock, zuletzt aufgrund des Arbeitsvertrages vom 24. März 1993 bei dem beklagten Land als Hochschuldozent im Fachbereich … beschäftigt.

In dem ihm am 7. August 1991 durch die Ehrenkommission der Hochschule vorgelegten Fragebogen gab der Kläger an, zu keiner Zeit Angehöriger des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gewesen zu sein und keine Verpflichtung zu inoffizieller Mitarbeit mit dieser Dienststelle unterschrieben zu haben. Außerdem wies der Kläger darauf hin, er habe nicht über Personen an das MfS berichtet und 1977 die Mitarbeit für das MfS ausdrücklich abgelehnt. Nach der Mitteilung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR wurde der Kläger unter dem Decknamen „Werner” von 1969 bis 1978 als GMS (Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit, niedrigste Kategorie inoffizieller Mitarbeiter im MfS) geführt. In den Unterlagen findet sich eine undatierte Erklärung mit folgendem Wortlaut:

„Erklärung!

Ich, G. W., geb. … in Rostock, wohnhaft in Rostock, S. 1, erkläre mich bereit, auf freiwilliger Grundlage das Ministerium für Staatssicherheit zu unterstützen in Bezug auf auftretende staatsfeindliche Handlungen gegen die DDR,. …

Ich verpflichte mich, über die Zusammenarbeit mit dem MfS gegenüber jedermann strengstes Stillschweigen zu wahren. Über die Schweigepflicht wurde ich belehrt. Ich wähle für die Zusammenarbeit das Pseudonym „Werner”.

… G. W.”

Ausweislich der Mitteilung des Bundesbeauftragten diente die Werbung des Klägers der „Absicherung” der Forschungstätigkeit der entsprechenden Sektion der Universität Rostock. Die Akte enthält einen mündlichen Bericht des GMS, vom Führungsoffizier aufgezeichnet und vier Treffberichte der Führungsoffiziere. Nach einem Bericht des Führungsoffiziers vom 3. Juni 1969 hat der Kläger nach Unterzeichnung einer schriftlichen „Bereitschaftserklärung”, das MfS bei der Lösung ähnlicher Probleme wie des Geheimnisschutzes zu unterstützen, sofort erklärt, eine kontinuierliche Zusammenarbeit sei ihm wegen Überlastung zur Zeit nicht möglich. In einem Treffbericht vom 30. Dezember 1976 ist vermerkt, der Kläger sei nicht kontinuierlich und zielstrebig zu Personen und Sachverhalten, sondern im wesentlichen zu Forschungsfragen/-problemen befragt worden und habe darüber berichtet. Im Jahre 1978 lehnte der Kläger ausweislich der Mitteilung des Bundesbeauftragten eine weitere Zusammenarbeit mit dem MfS ab und der Vorgang wurde archiviert.

Mit Rücksicht auf die Auskunft des Bundesbeauftragten nahm die Ehrenkommission der Universität Rostock, die zunächst eine Weiterbeschäftigung des Klägers befürwortet hatte, das Verfahren wieder auf und beschloß in ihrer Sitzung vom 1. Oktober 1993, der Hochschule eine Abberufung des Klägers als Hochschullehrer und seine Weiterbeschäftigung nur als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu empfehlen. Das beklagte Land hörte daraufhin den Kläger am 20. Dezember 1993 an. Dieser ließ sich dahin ein, er habe keine belastenden Tatsachen wissentlich oder willentlich verschwiegen und die Begegnungen mit dem MfS vor 1976 ganz normalen Dienstkontakten zugeordnet.

Mit Schreiben vom 28. Dezember 1993, dem Kläger zugegangen am 3. Januar 1994, kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 1994. Aufgrund des erstinstanzlichen Urteils steht fest, daß diese Kündigung das Arbeitsverhältnis frühestens zum 30. September 1994 aufgelöst hat.

Der Kläger hat sich gegen die Kündigung mit der Behauptung gewandt, er sei nie für das MfS tätig gewesen und habe in dem Fragebogen und vor der Ehrenkommission seine Angaben nach bestem Wissen gemacht. Er könne sich nicht erinnern, die handschriftliche Erklärung abgegeben zu haben. Dabei habe es sich, wie die Betonung der Freiwilligkeit und der sonstige Wortlaut ergäben, auch nicht um eine Verpflichtungserklärung zur inoffiziellen Mitarbeit beim MfS gehandelt. Die Kontakte hätten im Gegenteil lediglich den Geheimnisschutz bei seiner Forschungstätigkeit betroffen, zu dem er dienstlich verpflichtet gewesen sei. Diese von ihm als dienstlich eingestuften Kontakte zum MfS habe er als bedeutungslos angesehen und deshalb vor der Ehrenkommission nur seine ausdrückliche Ablehnung einer Zusammenarbeit mit dem MfS erwähnt, die ja auch das Vorausgehen entsprechender Kontakte erfordert habe. Er müsse ohne seine Kenntnis beim MfS registriert worden sein. Die rein dienstlichen Kontakte zum MfS aus der Zeit vor 1976 habe er als so belanglos angesehen, daß er sich bei der Ausfüllung des Fragebogens nicht einmal daran erinnert habe.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung vom 28. Dezember 1993, zugegangen am 3. Januar 1994, nicht aufgelöst worden ist;
  2. die Beklagte zu verurteilen, ihn über den Ablauf der Kündigungsfrist zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Das beklagte Land hat zur Stützung seines Klageabweisungsantrags geltend gemacht, es sei nicht glaubhaft, daß dem Kläger der Inhalt seiner Verpflichtungserklärung, für das MfS als inoffizieller Mitarbeiter zu fungieren, nicht klar gewesen sei oder er gar die früheren Kontakte zu Mitarbeitern des MfS vergessen habe. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, daß der Kläger bewußt die Unwahrheit gesagt habe, als er die Abgabe einer Verpflichtungserklärung und eine Tätigkeit für das MfS in dem Fragebogen verneint habe. Die darin zum Ausdruck kommende Haltung mache ihn persönlich ungeeignet für eine weitere Beschäftigung als Hochschullehrer. Außerdem stellten bewußt falsche Angaben in einer derart wichtigen Frage einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund dar.

Das Arbeitsgericht hat die Klage – abgesehen von der Neuberechnung der Kündigungsfrist – abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Kündigung ist sozialwidrig (§ 1 Abs. 2 KSchG).

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sowohl aus personenbedingten als auch aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt. Der Kläger habe die ihm zulässigerweise gestellten Fragen nach einer Zugehörigkeit zum MfS und dem Eingehen einer Verpflichtung zu inoffizieller Mitarbeit wahrheitswidrig verneint. Er habe sich letztendlich mit Erfolg den Werbungsversuchen des MfS widersetzt. Er wäre verpflichtet gewesen, dem beklagten Land den Sachverhalt im einzelnen zu offenbaren. Dadurch, daß er seine 1969 begonnenen Kontakte zum MfS verschwiegen habe, habe er bewußt die Unwahrheit gesagt. Durch dieses Fehlverhalten sei das Vertrauensverhältnis unwiderlegbar zerstört, weil das beklagte Land davon ausgehen müsse, daß er bei einer erneuten, ähnlich wichtigen Fragestellung, abermals lügen würde. Die zutage getretene grobe Unehrlichkeit des Klägers lasse darüber hinaus seine Ungeeignetheit für eine weitere Tätigkeit im öffentlichen Dienst erkennen.

II. Dem folgt der Senat nicht.

1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr. des BAG, vgl. z.B. Urteil vom 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 – AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu I der Gründe und Urteil vom 17. Januar 1991 – 2 AZR 375/90BAGE 67, 75, 79 = AP Nr. 25, a.a.O., zu II 1 der Gründe). Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angegriffene Urteil nicht stand.

2. Schon den Prüfungsmaßstab nach § 1 Abs. 2 KSchG dürfte das Landesarbeitsgericht verkannt haben, wenn es im Rahmen seiner Würdigung der ordentlichen Kündigung mehrfach auf die einschlägige Rechtsprechung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts zu Art. 20 Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 des Einigungsvertrages (Abs. 4 EV) Bezug nimmt, obwohl die Vorschriften über die ordentliche Kündigung nach dem Einigungsvertrag zur Zeit der hier ausgesprochenen Kündigung nicht mehr galten. Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang (vgl. Urteil vom 11. Mai 1995 – 2 AZR 683/94 – AP Nr. 50 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX) darauf hingewiesen, daß wegen des langen zeitlichen Abstandes seit der Wende sogar die Anforderungen, die an eine nach dem 2. Oktober 1992 ausgesprochene Kündigung noch nach Abs. 4 EV zu steilen sind, den – höheren – Voraussetzungen des § 1 KSchG weitgehend anzunähern sind. Der Senat hat das damit begründet, es dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, daß der öffentliche Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum hinweg die Möglichkeit gehabt habe, die persönliche Eignung des Arbeitnehmers für eine Weiterbeschäftigung selbst zu erproben (vgl. auch Senatsurteil vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung läßt sich die Kündigung des beklagten Landes jedenfalls nach § 1 KSchG weder unter personenbedingten noch unter verhaltensbedingten Gesichtspunkten rechtfertigen.

3. Auf mangelnde persönliche Eignung als personenbedingten Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG hat das beklagte Land seine Kündigung ursprünglich nicht gestützt, sondern den Kündigungsgrund allein aus den Sonderkündigungstatbeständen des EV hergeleitet. Der von der Beklagten dargestellte Sachverhalt ist schon an sich nicht geeignet, eine Kündigung aus personenbedingten Gründen zu rechtfertigen. Zwar kann eine persönliche Ungeeignetheit des Arbeitnehmers, z.B. wegen charakterlicher Gründe eine Kündigung rechtfertigen (vgl. dazu BAG Urteil vom 29. Juli 1976 – 3 AZR 50/75 – AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung mit Ann. von Boden). Es ist hier allenfalls zu prüfen, ob schon eine einmalige bewußt wahrheitswidrige Antwort auf eine wichtige Frage des öffentlichen Arbeitgebers eine derart grundsätzliche Unehrlichkeit des Arbeitnehmers erkennen läßt, daß diese ihn für eine Weiterverwendung auf einem bestimmten Dienstposten ungeeignet macht. Ein solcher Ausnahmefall kann aber nicht schon dann angenommen werden, wenn ein Hochschulprofessor bei der Befragung vor der Ehrenkommission der Hochschule Kontakte zum MfS aus einer lange zurückliegenden Zeit zwar angegeben, diese aber, wie das beklagte Land meint, pflichtwidrig nicht ausführlich genug dargestellt hat. Der Kläger hat nach den bindenden (§ 561 ZPO) Feststellungen des Berufungsgerichts sich letztendlich mit Erfolg den Werbungsversuchen des MfS widersetzt. Aus seiner jahrzehntelangen Berufstätigkeit ist über seine persönliche Eignung sonst nichts Nachteiliges vorgetragen. Insbesondere hatte das beklagte Land nach der Wende ausreichend Zeit, die persönliche Eignung des Klägers selbst zu prüfen. Unter diesen Umständen reicht die bloß unvollständige Angabe über MfS-Kontakte in einem derartigen Fragebogen nicht aus, eine Kündigung unter dem Gesichtspunkt personenbedingter Gründe zu rechtfertigen.

4. Auch ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund lag nicht vor. In dem Kündigungsschreiben macht das beklagte Land dem Kläger den Vorwurf, er habe der Ehrenkommission gegenüber eine wahrheitswidrige Erklärung abgegeben und durch dieses schwerwiegende Fehlverhalten das für eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses unerläßliche Vertrauensverhältnis irreparabel gestört.

a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, daß der Kläger nach dem kraft Gesetzes erfolgten Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf das beklagte Land als Angehöriger des öffentlichen Dienstes gehalten war, die Frage nach der Abgabe einer Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS wahrheitsgemäß zu beantworten, weil der neue Dienstgeber ohne die übliche Einstellungsüberprüfung einerseits dieses Personal zu übernehmen, andererseits aber eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung zu schaffen hatte, die nunmehr der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet war (Senatsurteil vom 13. Juni 1996, a.a.O., m.w.N.).

b) Die durch das beklagte Land und die Ehrenkommission zulässigerweise gestellten Fragen hat der Kläger jedoch nicht falsch beantwortet. Der Kläger hat erklärt, er sei zu keiner Zeit Angehöriger des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen und sei keine Verpflichtung zu inoffizieller Mitarbeit mit dieser Dienststelle eingegangen; außerdem habe er über Personen an das Ministerium für Staatssicherheit nicht berichtet. Auf die Frage nach „weiteren Angaben zur Einschätzung (seiner) Person durch die Ehrenkommission” hat der Kläger angegeben, er habe 1977 die Mitarbeit mit dem MfS und 1987 die Einbeziehung in die Militärforschung der Sektion abgelehnt. Diese Angaben waren aber objektiv richtig.

c) Schon der Ausgangspunkt des Berufungsurteils, der Kläger habe unstreitig die undatierte Bereitschaftserklärung selbst ge- und unterschrieben, trifft so nicht zu. Die Revision rügt insoweit zu Recht eine Verletzung der §§ 138 Abs. 4, 314 ZPO. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz erklärt, er könne sich nicht erinnern, die in Fotokopie zur Akte gereichte handschriftliche Erklärung abgegeben zu haben. Dies stellt ein Bestreiten mit Nichtwissen i.S. des § 138 Abs. 4 ZPO dar. Auch die Beweiswirkung des erstinstanzlichen Tatbestands (§ 314 ZPO), der im übrigen in dem entscheidenden Punkt widersprüchlich ist, hinderte den Kläger nicht, in der Berufungsinstanz eine derartige Erklärung mit Nichtwissen abzugeben. Ob einer der Ausnahmefälle vorlag, in denen die Partei trotz § 138 Abs. 4 ZPO über eine eigene Handlung eine Erklärung mit Nichtwissen wirksam abgeben konnte (vgl. dazu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 53 Aufl., § 138 Rz 56), hätte das Landesarbeitsgericht anhand der vorgetragenen Indizien (Erklärung über einen fast 30 Jahre zurückliegenden Vorgang, Bedeutung der Sache etc.) näher aufklären müssen. Der bloße Hinweis auf die fehlende Plausibilität der Erklärungen des Klägers reicht dazu nicht aus.

d) Selbst wenn man aber zugunsten des beklagten Landes davon ausgeht, der Kläger habe die Erklärung unterschrieben, ist auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es handele sich bei dieser Erklärung um eine Verpflichtungserklärung des Klägers zur inoffiziellen Mitarbeit für das MfS im Sinne der Fragestellung in der Erklärung vom 7. August 1991, nicht zutreffend. Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe nicht den gesamten Tatsachenstoff in die Beurteilung einbezogen. Schon der Wortlaut der Erklärung weist Besonderheiten auf, die nicht unberücksichtigt bleiben durften. Die „Unterstützung”, zu der sich der Kläger „auf freiwilliger Grundlage bereiterklärte”, war vom Themenkreis her deutlich eingegrenzt und bezog sich nur auf „auftretende staatsfeindliche Handlungen gegen die DDR”. Es sollte möglicherweise sogar eine weitere Eingrenzung erfolgen, die später unterblieben ist. Darauf weist zumindest das am Ende des ersten Absatzes gestrichene Wort „besonders” hin. Unter diesen Umständen hätte das Landesarbeitsgericht zur Auslegung die Treffberichte der Führungsoffiziere heranziehen müssen. Der Bericht vom 3. Juni 1969 läßt klar erkennen, daß der Führungsoffizier den Kläger nur zu einer Zusammenarbeit mit dem MfS in Fragen des Geheimnisschutzes bewegen konnte. Dabei ging es um die Gefahr, daß die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung unbewußt an Dritte vermittelt wurden und dadurch dem Staat ein Schaden entstehen konnte. Der Kläger sollte mitwirken bei der Lösung ähnlicher Probleme wie der Aufdeckung von Mängeln und Schwächen des Geheimnisschutzes bei seiner wissenschaftlichen Arbeit. Schon aufgrund seiner dienstlichen Stellung war der Kläger aber in seiner Forschungstätigkeit, deren Ergebnisse teilweise militärisch nutzbar waren, zu einem solchen Geheimnisschutz verpflichtet. Bezog sich die Bereitschaftserklärung lediglich auf die Zusammenarbeit mit dem MfS in solchen Fragen, so konnte sie aus der Sicht des Klägers kaum erheblich über seine dienstlichen Obliegenheiten hinausgehen. Auch die tatsächliche Durchführung der Zusammenarbeit, daß der Kläger im wesentlichen „zu Forschungsfragen/-problemen” befragt wurde, spricht für diese Auslegung der Erklärung. Hinzukommt, daß der Kläger in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Erklärung seine Bereitschaft weiter dahin eingeschränkt hat, eine kontinuierliche Zusammenarbeit sei ihm zur Zeit wegen Überlastung nicht möglich, was der Führungsoffizier zusätzlich noch einmal in einem handschriftlichen Aktenvermerk bestätigt hat.

e) Damit läßt sich aufgrund der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch nicht die Annahme halten, der Kläger sei mit seinem Wissen als inoffizieller Mitarbeiter des MfS geführt worden. Wenn es später und selbst nach dem Wechsel des Führungsoffiziers im Jahre 1977 seitens des MfS noch darum ging, den Kläger „für eine inoffizielle Zusammenarbeit zu bewegen”, so ist die Darstellung des Klägers naheliegend und jedenfalls nicht widerlegt, daß sich aus seiner Sicht die Kontakte zum MfS seit 1968 zunächst lediglich auf dienstliche Belange bezogen. Es fällt insoweit auf, daß selbst nach dem Treffbericht vom 21. Juni 1977 sich die künftige inoffizielle Zusammenarbeit auf „die Erhöhung von Ordnung und Sicherheit in den Objekten und im Geheimnisschutz” beziehen sollte.

f) Tatsächlich ist der Kläger nach den vorliegenden Unterlagen auch nicht als inoffizieller Mitarbeiter für das MfS tätig geworden. Die Treffberichte der Führungsoffiziere bringen klar zum Ausdruck, daß mit dem Kläger, der von vornherein eine kontinuierliche Zusammenarbeit abgelehnt hatte, nur selten Kontakt aufgenommen wurde. Diese Kontaktaufnahmen bezogen sich dann aber stets auf Forschungsbelange, also die Arbeit des Klägers. Der einzige Vermerk mit einem ausführlicheren sachlichen Inhalt gibt nur einen mündlichen Bericht des Klägers über die Forschungstätigkeit seiner Sektion der Hochschule in einem bestimmten Teilbereich wieder.

g) Damit hat der Kläger gegenüber der Ehrenkommission objektiv keine falsche Erklärung abgegeben. Er war – nur danach war gefragt – keine Verpflichtung zu inoffizieller Mitarbeit mit dem MfS im üblichen Sinne eingegangen, er hatte nicht über Personen an das MfS berichtet und hatte auch wahrheitsgemäß angegeben, er habe 1977 die Mitarbeit mit dem MfS abgelehnt (Frage 26 „weitere Angaben zur Einschätzung ihrer Person durch die Ehrenkommission”). Man kann zwar davon ausgehen, daß das beklagte Land mit dem Fragebogen möglichst detaillierte Angaben zu der früheren Tätigkeit der Betroffenen erreichen wollte und der Kläger diesen Zweck dadurch unterlaufen hat, daß er bei der Frage nach weiteren Angaben zur Einschätzung seiner Person die Kontakte zum MfS vor 1977 nicht angab. Dies allein reicht aber nicht zur Begründung einer verhaltensbedingten Kündigung aus.

5. Der Rechtsstreit ist zur Endentscheidung reif (§ 565 Abs. 3 Ziff. 2 ZPO), weil eine weitere Sachverhaltsaufklärung nach Zurückverweisung nicht mehr zu erwarten ist. Auch das beklagte Land stützt sich bei seinen Darlegungen nur auf den unstreitigen Inhalt der Gauck-Akten. Diese konnte der Senat selbst auswerten, ohne in den Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanzen einzugreifen. Sie rechtfertigen nur das Ergebnis, daß die Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sowohl als personenbedingte als auch als verhaltensbedingte Kündigung rechtsunwirksam ist, ohne daß es insoweit noch auf eine Interessenabwägung (lange Beschäftigungszeit, Alter des Klägers, Verhalten nach der Wende etc.) ankäme.

6. Da der Senat über den Feststellungsantrag rechtskräftig entschieden hat, ist der Weiterbeschäftigungsantrag nicht mehr zur Entscheidung gestellt.

 

Unterschriften

Etzel, Bröhl, Fischermeier, Nielebock, Mauer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093140

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