Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts
Leitsatz (amtlich)
- Kennzeichen der Gewährleistung des gesetzlichen Richters ist die normative, abstrakt-generelle Vorherbestimmung des jeweils für die Entscheidung zuständigen Richters. Der gesetzliche Richter ist nicht gewahrt, wenn er nach freiem Ermessen bestimmt werden kann.
- Gemäß § 39 ArbGG sind die ehrenamtlichen Richter nach der Reihenfolge einer Liste heranzuziehen. Hiervon darf nicht aufgrund einer Ermessensentscheidung des Vorsitzenden oder der Kammer abgewichen werden.
- Besteht eine entsprechende abstrakt-generelle, zu Beginn des Geschäftsjahres aufgestellte, jedes Ermessen ausschließende Regelung, ist die Heranziehung derselben ehrenamtlichen Richter zum Fortsetzungstermin gesetzmäßig.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; ZPO § 551 Nr. 1; ArbGG § 39
Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 21. November 1994 – 2 (5) Sa 180/91 – wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Nach Erledigung der Hauptsache des Klageverfahrens streiten die Parteien aufgrund der Widerklage des Beklagten über die Schadensersatzpflicht des Klägers wegen in Mittäterschaft begangener Unterschlagung oder hilfsweise schuldhafter Verletzung der Aufsichtspflicht gegenüber dem deliktisch handelnden Buchhalter.
Die Firma T… GmbH & Co. KG betrieb seit 1969 in Kiel sowie in mehreren auswärtigen Filialen ein Handelsgeschäft mit Teppichen und Heimtextilien. Am 31. August 1991 wurde über das Vermögen der Firma T… GmbH & Co. KG das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter ernannt.
In der Zeit vom 1. Oktober 1971 bis zum 29. Februar 1984 war der Kläger aufgrund Dienstvertrages vom 30. August 1971 “zur Unterstützung der Geschäftsleitung” bei der Gemeinschuldnerin beschäftigt. In § 1 des Dienstvertrages heißt es:
“
- Sein Aufgabengebiet umfaßt insbesondere:
- Leitung des Rechnungswesens einschließlich der Kostenrechnung und Statistik,
- Beratung der Geschäftsleitung auf dem Gebiet des Organisations- und Finanzwesens.
- Darüber hinaus wird Herr B… sich mit allen Aufgabengebieten des Unternehmens im Laufe der Zeit bekannt und vertraut machen.
”
Ihm wurde Prokura erteilt.
Gleichfalls seit 1971 beschäftigte die Gemeinschuldnerin den Oberbuchhalter Karl P…. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Bareinnahmen aus dem Haupt- sowie den Filialgeschäften zur Bank zu bringen. In den Jahren 1977 bis 1980 unterschlug Karl P… Barmittel in Höhe von 280.700,-- DM, indem er Bankeinzahlungen unterließ und zum Ausgleich fingierte Zahlungen von Warenrechnungen über ein fingiertes Konto 70111 verbuchte. Im Jahre 1981 verdeckte Karl P… eine Unterschlagung über 12.000,-- DM dadurch, daß er den Barverkaufserlös um diesen Betrag gemindert verbuchte und eine entsprechend geringere Bankeinzahlung veranlaßte. In den Jahren 1981 bis Februar 1984 unterschlug Karl P… insgesamt 518.450,-- DM, indem er Bareinzahlungen nicht zur Bank brachte und zum Ausgleich nicht existente Wechsel auf dem Schuldwechselkonto verbuchte. Karl P… wurde rechtskräftig verurteilt, der Gemeinschuldnerin Schadensersatz in Höhe von 508.950,-- DM zu leisten.
In den Jahren 1981 bis 1984 ließ der Kläger private Tankquittungen in Höhe von insgesamt 8.978,18 DM über die Firmenkasse abrechnen.
Der Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe die fingierten Buchungen auf dem Konto 70111, die bewußt unterlassenen Gegenbuchungen auf dem Erlöskonto und das fingierte Schuldwechselkonto mit dem Oberbuchhalter P… abgesprochen. Er habe mit dem Oberbuchhalter die Unterschlagung der Kasseneinnahmen verabredet und bewußt gedeckt. Dem Kläger seien bei den täglichen Kontrollen Differenzen zwischen den Kontoauszügen und den Bankkonten in der Buchhaltung aufgefallen, ohne daß er dieses verhindert oder der Geschäftsleitung mitgeteilt habe. Dem Kläger seien auch die Differenzen zwischen Wareneingangsbuch und Wareneingangskonten bekannt gewesen. Er habe sie selbst handschriftlich korrigiert. Der Kläger habe mit dem Oberbuchhalter gemeinsam die Buchhaltung manipuliert, um die Differenzen zu verdecken.
Hilfsweise hat der Beklagte geltend gemacht, der Kläger hafte für die Unterschlagungen des Oberbuchhalters P… unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Aufsichtspflicht. Der Kläger sei unmittelbarer Vorgesetzter des Oberbuchhalters gewesen und habe somit eine Überwachungs- und Kontrollpflicht in den Bereichen Finanzplanung und -kontrolle, Buchhaltung und Bilanzerstellung wahrzunehmen gehabt.
Der Kläger sei nicht berechtigt gewesen, private Tankrechnungen über die Firmenkasse abzurechnen.
Der Beklagte hat widerklagend beantragt,
Der Kläger hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, er sei zur Unterstützung der Geschäftsleitung eingestellt worden und deshalb im Bereich des Rechnungswesens, der Kostenrechnung und der Statistik darauf beschränkt gewesen, Vorschläge und Anregungen zu geben. Weitere Aufgaben in bezug auf die Buchhaltung habe er nicht gehabt. Vielmehr habe der Oberbuchhalter P… die Buchhaltung völlig selbständig und eigenverantwortlich geführt. Mit den Unterschlagungen des Oberbuchhalters habe er nichts zu tun.
Das Arbeitsgericht hat die Widerklage abgewiesen. In der ersten mündlichen Verhandlung des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch das Berufungsgericht in derselben Besetzung mit den ehrenamtlichen Richtern K… und Ki… erklärt. An der folgenden Sitzung des Berufungsgerichts vom 31. August 1994 haben die ehrenamtlichen Richter W… und F… teilgenommen. In dieser Sitzung hat die Kammer beschlossen, die mündliche Verhandlung in derselben Kammerbesetzung am 30. September 1994 fortzusetzen. Hiergegen hat der Kläger Besetzungsrüge erhoben. Diese ist von der Kammer mit Beschluß vom 30. September 1994 als unbegründet zurückgewiesen worden. Die Kammer hat erneut beschlossen, im Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vom 21. November 1994 in derselben Kammerbesetzung zu entscheiden. In dieser Sitzung hat das Berufungsgericht unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter W… und F… auf die Berufung des Beklagten den Kläger zur Zahlung von 103.690,-- DM nebst Zinsen verurteilt, die Widerklage im übrigen abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger Abweisung der Widerklage. Der Beklagte erstrebt mit seiner Revision Verurteilung des Klägers zur Zahlung von insgesamt 820.128,18 DM zuzüglich Zinsen, hilfsweise Zahlung dieses Betrages an den ehemaligen Mitgesellschafter der Gemeinschuldnerin Volker L….
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils in vollem Umfange und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
A. Die vom Beklagten erhobene Rüge des absoluten Revisionsgrundes der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts gemäß § 551 Nr. 1 ZPO ist begründet.
I. Aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als dem Verbot der Entziehung des gesetzlichen Richters folgt, daß die Rechtsprechungsorgane nicht anders besetzt tätig werden dürfen als es in den allgemeinen Normen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne dafür vorgesehen ist. Gesetzlicher Richter bedeutet, daß der für die einzelne Sache zuständige Richter sich im voraus möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Regelung ergeben muß (BVerfGE 22, 254, 258; 40, 268, 271; Kissel, GVG, 2. Aufl., § 16 Rz 11). Kennzeichen der Gewährleistung des gesetzlichen Richters ist die normative, abstrakt-generelle Vorherbestimmung des jeweils für die Entscheidung zuständigen Richters (BVerfGE 82, 286, 298). Der zuständige Richter muß sich blindlings ergeben. Der gesetzliche Richter ist nicht gewahrt, wenn er nach freiem Ermessen bestimmt wird. Willkürlich ist die Bestimmung des Richters bereits dann, wenn die Zuständigkeitsbestimmung von Fall zu Fall im Gegensatz zu einer normativen, abstrakt-generellen Vorherbestimmung des Richters erfolgt. Willkür bezeichnet in diesem Zusammenhang die Freiheit von normativer Bindung (BVerfG Vorlagebeschluß vom 10. August 1995 – 1 BvR 1644/94 – NJW 1995, 2703).
II. Gemäß § 39 ArbGG sind die ehrenamtlichen Richter zu den Sitzungen nach der Reihenfolge einer Liste heranzuziehen, die der Vorsitzende vor Beginn des Geschäftsjahres oder vor Beginn der Amtszeit neu berufener ehrenamtlicher Richter gemäß § 38 Satz 2 ArbGG aufgestellt hat. Hiervon darf nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 19. Juni 1973 – 1 AZR 521/72 – BAGE 25, 226 = AP Nr. 47 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) grundsätzlich nicht abgewichen werden. Wird im Falle der Vertagung die Besetzung des Gerichts beibehalten, liegt aber eine Abweichung von der Liste vor. Eine derartige Abweichung von der abstrakt-generellen Regelung der Heranziehung ehrenamtlicher Richter bedeutet regelmäßig eine Verletzung von § 551 Nr. 1 ZPO (vgl. Urteil vom 16. November 1995 – 8 AZR 864/93 – AP Nr. 54 zu Anlage I Kap. XIX Einigungsvertrag; GK-ArbGG/Dörner, § 31 Rz 11; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 31 Rz 13 – 17). Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen nach der für das Geschäftsjahr abstrakt-generell aufgestellten Regelung dieselben ehrenamtlichen Richter am Fortsetzungstermin mitzuwirken haben (vgl. BGH Beschluß vom 22. Juni 1993 – X ZB 16/92 – ZIP 1993, 1340, 1341). Wirksam wäre eine abstrakt-generelle, zu Beginn des Geschäftsjahres aufgestellte, jedes Ermessen ausschließende Regelung. Hierzu könnten Fälle der Vertagung bei noch nicht abgeschlossener Beweisaufnahme oder zur Durchführung eines Beweisbeschlusses gerechnet werden. In keinem Falle dürfte aber die Beibehaltung derselben Besetzung von einer ad hoc-Entscheidung des Spruchkörpers abhängig gemacht werden, denn in diesem Falle entfiele die abstrakt-generelle Vorausbestimmung der berufenen gesetzlichen Richter. Dementsprechend ist eine Regelung wie die im Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein, die dem Vorsitzenden oder der Kammer ein Ermessen einräumt, unwirksam.
III. Die angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruht auf einer Verletzung des Gesetzes, weil das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Entscheidend ist die Besetzung des Gerichts in der letzten mündlichen Verhandlung am 21. November 1994. An dieser Sitzung haben die ehrenamtlichen Richter W… und F… teilgenommen, weil die Kammer dies in ihrer vorangegangenen mündlichen Verhandlung am 30. September 1994 in derselben Besetzung beschlossen hatte. Wäre dieser Beschluß von der Kammer nicht gefaßt worden, hätte die Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts entsprechend ihrer in der dienstlichen Äußerung mitgeteilten Praxis, in der letzten Septemberwoche die ehrenamtlichen Richter in der alphabetischen Reihenfolge zu den im November 1994 anberaumten Terminen herangezogen. Ausweislich der Ladungsliste des Landesarbeitsgerichts wären dies nicht die ehrenamtlichen Richter W… und F… gewesen. Damit war das Landesarbeitsgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt.
B. Auf die somit begründete Rüge des Beklagten ist das Berufungsurteil in seiner Gesamtheit aufzuheben. Daß der Kläger, der die Besetzungsrüge bereits in der Berufungsinstanz erhoben hatte, diese Rüge in der Revisionsinstanz nicht wiederholt hat, ist für die Entscheidung des Revisionsgerichts nicht von Belang, weil ein nicht vom gesetzlichen Richter erlassenes Urteil in seiner Gesamtheit aufzuheben ist (ebenso zu der Rüge des § 551 Nr. 7 ZPO: BAG Urteil vom 15. November 1995 – 2 AZR 1036/94 – AP Nr. 34 zu § 551 ZPO).
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, R. Iskra, Dr. Haible
Fundstellen
Haufe-Index 875313 |
BAGE, 189 |
NJW 1997, 2133 |
JR 1997, 308 |
NZA 1997, 333 |
SAE 1998, 120 |