Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung - Ausschlußfrist
Leitsatz (redaktionell)
Die schriftliche Geltendmachung eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall genügt zur Wahrung der Ausschlußfrist des § 70 Abs 1 BAT für eine erneute Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht, wenn dazwischen eine Zeit ohne krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit liegt. Es handelt sich dann nicht mehr um denselben Sachverhalt iS des § 70 Abs 2 BAT.
Normenkette
BAT § 70
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 26.11.1992; Aktenzeichen 13 Sa 23/92) |
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 15.01.1992; Aktenzeichen 3 Ca 408/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, inwieweit dem Kläger wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zusteht.
Der 1931 geborene Kläger ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Neurochirurgie. Vom 1. Januar 1973 bis zum 30. September 1991 war er Leitender Arzt der Neurochirurgischen Klinik in den Städtischen Krankenanstalten der Beklagten. Dieser Tätigkeit lag der Dienstvertrag der Parteien vom 1. November 1972 zugrunde. Darin heißt es auszugsweise:
"§ 1
Dienstverhältnis
...
(4) Auf das Dienstverhältnis finden vom Bundes--
Angestelltentarifvertrag (BAT) nur die §§ 6
bis 10, 14, 18, 52, 60 Abs. 1, 66 und 70
Anwendung.
...
§ 5
Vergütung für die Tätigkeit im dienstlichen
Aufgabenbereich
(1) Der Leitende Arzt erhält für seine Tätig-
keit im dienstlichen Aufgabenbereich (§ 3):
a) eine Vergütung nach VergGr. I a der An-
lage 1 a zum Bundes-Angestelltentarif-
vertrag in der für den Krankenhausträger
jeweils geltenden Fassung, einschließ-
lich Ortszuschlag und Kinderzuschlag,
b) das Liquidationsrecht für die rein ärzt-
lichen Leistungen bei der stationären
Behandlung von Selbstzahlern und ihnen
gleichgestellten Personen in der Sonder-
station.
...
§ 10
Krankheit, Beihilfen
(1) Bei Dienstbehinderung durch Krankheit oder
Unfall stehen dem Leitenden Arzt die Bezüge
nach § 5 Abs. 1 a bis zur Dauer von sechs
Monaten und das Liquidationsrecht nach § 5
Abs. 1 Buchst. b und c bis zur Dauer von
drei Monaten zu.
..."
Die Städtischen Krankenanstalten der Beklagten werden für die klinische Ausbildung der Medizinstudenten der Universität H im Rahmen ihrer Zweiten Medizinischen Klinik nutzbar gemacht. Zwischen der Beklagten und dem Land Baden-Württemberg besteht eine Rahmenvereinbarung, wonach die Beklagte sich damit einverstanden erklärt hat, daß das Land den zu Lehrstuhlinhabern berufenen ärztlichen Leitern der Städtischen Kliniken die Leitung der Klinik als unentgeltliches Nebenamt überträgt. Auszugsweise heißt es in dieser Vereinbarung (§ 3 Abs. 3, 1. Unterabsatz):
"Unbeschadet der Vorschriften des Landes über die
Nebentätigkeit der Hochschullehrer gilt hinsicht-
lich der privatärztlichen Tätigkeiten der Lehr-
stuhlinhaber in den Städt. Kliniken die derzeiti-
ge Regelung zwischen der Stadt und ihren ärztli-
chen Leitern der Abteilungen bzw. Institute fort.
Dies gilt auch für die zukünftigen ärztlichen
Leiter der Kliniken bzw. Institute der Stadt, so-
fern sie als Lehrstuhlinhaber übernommen werden."
Am 2. Oktober 1978 wurde der Kläger vom Land Baden-Württemberg unter Berufung in das Beamtenverhältnis zum Professor an der Zweiten Medizinischen Klinik der Universität H ernannt und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe C 3 eingewiesen. Er behielt die Leitung der Neurochirurgischen Klinik in den Städtischen Krankenanstalten der Beklagten, bat jedoch die Beklagte, sein Anstellungsverhältnis im übrigen aufzulösen. Eine förmliche Antwort hierauf erhielt der Kläger nicht. Unstreitig stellte die Beklagte die Zahlung der arbeitsvertraglich vereinbarten Vergütung nach VergGr. I a BAT ein. Dem widersprach der Kläger nicht. Der Kläger und die Beklagte einigten sich sodann mit Wirkung vom 1. Januar 1979 auf eine Reduzierung des Nutzungsentgelts von 25 % auf 20 % der vom Kläger erzielten Liquidationserlöse. Auf einen Bericht der Klinikverwaltung vom 16. März 1982 hin genehmigte das Land Baden-Württemberg förmlich die Leitung der Neurochirurgischen Klinik des Klinikums der beklagten Stadt als Nebentätigkeit.
Der Kläger erkrankte am Parkinson-Syndrom. Deswegen traten Ende des Jahres 1988 Zweifel an seiner Dienstfähigkeit auf. Die Beklagte entband ihn mit ihrem Scheiben vom 5. Dezember 1988 bis auf weiteres von seinen Aufgaben in der Krankenversorgung. Mit ihrem Schreiben vom 19. Dezember 1988 beschränkte die Beklagte die Suspendierung des Klägers auf seine Operationstätigkeit; mit Wirkung vom 8. Juli 1989 hob sie auch diese Beschränkung wieder auf, nachdem ein fachärztliches Gutachten des Landes Baden-Württemberg zu dem Ergebnis gelangt war, der Kläger sei uneingeschränkt in der Lage, Operationen durchzuführen. Der Kläger nahm die Beklagte in einem vorangegangenen Prozeß auf u. a. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Anspruch. Nachdem der Kläger im Hinblick auf die Nichteinhaltung der Ausschlußfrist des § 70 BAT einen Teil seiner Klage zurückgenommen hatte, verurteilte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Beklagte unter Abweisung der erheblich weitergehenden Klage, an den Kläger 70.674,00 DM für den Zeitraum von drei Monaten ab Beginn seiner Dienstunfähigkeit auf der Grundlage seines Liquidationsrechts gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit § 5 Abs. 1 Buchst. b des Dienstvertrages als Entgelt wegen krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit zu zahlen (Urteil vom 25. September 1990 - 14 Sa 43/90 - ).
Am 8. Juli 1989 übernahm der Kläger wieder uneingeschränkt die Leitung der Neurochirurgischen Klinik. Ab 24. August 1990 war der Kläger erneut dienstunfähig erkrankt. Er stellte von diesem Tag an seine Operationstätigkeit ein. Die Parteien beendeten das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Wirkung zum 30. September 1991; der Kläger hat seine Dienstfähigkeit nicht wieder erlangt.
Mit der jetzt vorliegenden, am 2. Oktober 1991 eingereichten Klage begehrt der Kläger von der Beklagten wiederum Entgeltfortzahlung für den Krankheitsfall, und zwar für die Zeit vom 24. August 1990 bis zum 23. November 1990. Er hat geltend gemacht, wie das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in dem vorangegangenen Prozeß der Parteien richtig entschieden habe, seien ihm wegen krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit aufgrund seines Liquidationsrechts für drei Monate jeweils 23.558,00 DM als Entgelt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 b des Dienstvertrages fortzuzahlen. Zumindest aber habe er Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung in Höhe seiner Vergütung nach der VergGr. I a BAT. Wenn jedoch die Auffassung vertreten werde, ihm stehe weder ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe der entgangenen Liquidationserlöse noch unter dem Gesichtspunkt der vertraglich vereinbarten Vergütung zu, sei die Stadt um seine Dienste ungerechtfertigt bereichert. Seine Ansprüche seien nicht verfallen. Für die Wahrung der Ausschlußfrist des § 70 BAT genüge die einmalige Geltendmachung seines Anspruchs.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 70.674,00 DM
nebst 8 % Zinsen hieraus seit dem 1. Dezember
1990 zu zahlen.
Hilfsweise hat er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 21.222,03 DM
nebst 4 % Zinsen aus je 7.074,01 DM ab 1. Ok-
tober, 1. November und 1. Dezember 1990 zu zah-
len.
Äußerst hilfsweise hat er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft zu er-
teilen über sämtliche aufgrund seiner Tätigkeit
seit dem 3. November 1978 von den Krankenkassen,
Patienten oder von sonstigen Dritten erzielten
Einkünfte.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat erwidert, die geltend gemachten Ansprüche seien gem. § 70 BAT verfallen. Der Dienstvertrag mit dem Kläger sei stillschweigend dahingehend geändert worden, daß der Kläger keine Gehaltsansprüche mehr gegen sie habe. Er habe nach seiner Ernennung zum Beamten seine Lohnsteuerkarte nun beim Besoldungsamt des Landes vorgelegt und gegen sie keine Gehaltsansprüche mehr geltend gemacht. Im übrigen sei dem Kläger die Leitung der Klinik vom Land Baden-Württemberg entsprechend der Vereinbarung vom 22. Oktober 1964 als unentgeltliches Nebenamt übertragen worden.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Begründung des Landesarbeitsgerichts zu folgen ist. Denn die Klage ist sowohl im Hauptantrag als auch in beiden Hilfsanträgen schon deswegen abzuweisen gewesen, weil alle geltend gemachten Ansprüche des Klägers mangels Einhaltung der tarifvertraglichen Ausschlußfrist des § 70 BAT verfallen sind.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist die Ausschlußfristenregelung des § 70 BAT kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung in § 1 Abs. 4 des Arbeitsvertrages anzuwenden. Absatz 1 der Vorschrift lautet: "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist." In Absatz 2 dieser Bestimmung heißt es: "Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs aus, um die Ausschlußfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen."
2. Der Kläger hat die streitgegenständlichen Ansprüche gegenüber der Beklagten erstmals mit seiner Klageschrift vom 1. Oktober 1991 schriftlich geltend gemacht, die der Beklagten jedenfalls vor dem 10. Oktober 1991 (Datum der Klagebeantwortung) zugestellt worden ist. Damit ist die sechsmonatige Ausschlußfrist des § 70 Abs. 1 BAT nicht gewahrt worden. Sowohl die Ansprüche des Klägers auf Entgeltfortzahlung nach § 10 Abs. 1 in Verb. mit § 5 Abs. 1 Nr. 1 b des Dienstvertrages (Liquidationserlöse) als auch die hilfsweise verfolgten Ansprüche auf Fortzahlung der BAT-Vergütung und auf Auskunftserteilung zwecks Vorbereitung einer Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung sind Ansprüche "aus dem Arbeitsverhältnis" der Parteien. Alle diese Ansprüche unterliegen der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlußfristenregelung des § 70 BAT und waren - nach Monaten gestaffelt - jeweils sechs Monate nach dem jeweiligen Monatsende fällig. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, angesichts der geübten Abrechnungspraxis seien Ansprüche auf Liquidationserlöse erst nach zwei Monaten fällig geworden, erweist sich die Ausschlußfrist als nicht gewahrt. Der letzte Anspruch des Klägers ist spätestens am 31. Januar 1991 fällig geworden. Ihn hätte der Kläger spätestens am 31. Juli 1991 geltend machen müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Die Ausschlußfrist ist durch die Zustellung der Klage vom 1. Oktober 1991 nicht mehr gewahrt worden.
3. Der Kläger vertritt die Auffassung, seine Ansprüche seien gem. § 70 Abs. 2 BAT nicht verfallen, weil er sie schon im Vorprozeß verfolgt habe. Dies trifft nicht zu. Bei den im Vorprozeß geltend gemachten Ansprüchen des Klägers handelt es sich nicht um Ansprüche aufgrund desselben Sachverhalts i. S. des § 70 Abs. 2 BAT. Im Vorprozeß hat der Kläger Entgeltfortzahlungsansprüche wegen krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit für einen Zeitraum verfolgt, der mit der Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit am 8. Juli 1989 geendet hat. Damit ist dieser Sachverhalt - krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit - abgeschlossen. Die erneute Dienstunfähigkeit des Klägers aufgrund derselben Erkrankung ab 24. August 1990 bildet nicht denselben, sondern einen neuen Sachverhalt, der - auch nach Auffassung des Klägers - zu neuen Entgeltfortzahlungsansprüchen führte. Ein einheitlicher ("derselbe") Sachverhalt könnte nur dann angenommen werden, wenn der Kläger durchgehend arbeitsunfähig krank geblieben wäre. Verschiedene, zeitlich durch Arbeitsfähigkeit unterbrochene Perioden der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit stellen im Sinne des § 70 Abs. 2 BAT nicht denselben Sachverhalt dar. § 70 Abs. 2 BAT läßt die einmalige Geltendmachung nur genügen, wenn dem Grunde nach aus demselben Sachverhalt abzuleitende und entstehende Ansprüche erst später fällig werden. Bei verschiedenen Zeiten krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit, zwischen denen eine Zeit der Dienst- oder Arbeitsfähigkeit liegt, entstehen Ansprüche auf Entgeltfortzahlung dem Grunde nach jeweils neu.
Griebeling Reinecke Schliemann
Köhne Lindemann
Fundstellen
Haufe-Index 440109 |
DB 1995, 2534 (LT1) |
EEK, I/1154 (ST1) |
NZA 1995, 858.860 (LT1) |
ZTR 1995, 176-177 (LT1) |
AP § 70 BAT (LT1), Nr 22 |
AR-Blattei, ES 350 Nr 144 (LT1) |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 107 (LT1) |
EzBAT § 70 BAT, Ärzte, Gehaltsansprüche Nr. 3 (LT1) |