Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. Betriebsratsanhörung
Leitsatz (redaktionell)
Mitteilungspflicht des Arbeitgebers auch bezüglich solcher Umstände die der Arbeitgeber nicht als den Arbeitnehmer entlastend ansieht?
Normenkette
BGB § 626; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 08.09.1995; Aktenzeichen 12 Sa 1160/93) |
ArbG Emden (Urteil vom 01.06.1993; Aktenzeichen 2 Ca 1078/92) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 8. September 1995 – 12 Sa 1160/93 – aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war seit 17. Juli 1972 als kaufmännischer Angestellter bei der Beklagten, welche ein Bauunternehmen betreibt, als Einkäufer im Bereich Verwaltung/Werkstatt gegen eine monatliche Durchschnittsvergütung nach seiner Darstellung von 5.416,67 DM, nach Darstellung der Beklagten von 4.890,– DM beschäftigt. Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 40 den Schwerbehinderten gleichgestellt.
Anfang November 1992 bestellte der Kläger bei der Firma O. in O. 15 Kubikmeter Kaminholz; eine Berechnung an die Beklagte erfolgte am 5. November 1992 unter der Bezeichnung „Anlieferung Tischlerei” für Nadelschnittholz, und zwar mit detaillierten Abmessungsangaben; ein Liefertermin für das Holz war zu diesem Zeitpunkt nicht genannt worden. Nach Darstellung der Beklagten soll der Kläger zwischen dem 9. und 12. November 1992 dem Fahrer K. der Beklagten den Auftrag erteilt haben, eine kleine Ladung Kaminholz zu dem Kunden J. und eine große Ladung Kaminholz zu sich nach Hause zu bringen. Dabei soll der Kläger den Fahrer K. angewiesen haben, das Holz jeweils freitags während der Baubesprechung bei der Beklagten abzuholen und die bei den Transporten anfallenden Stunden nicht als LKW-Stunden, sondern als Platzarbeitsstunden einzutragen. Unstreitig verbrachte der Fahrer K. am 13. November 1992 die erste Ladung Kaminholz von 6 cbm zu dem Kunden J. und die zweite Ladung von 9 cbm am 20. November 1992 zum Haus des Klägers und trug im Lohnschein jeweils 3,5 Platzarbeitsstunden ein. Der Kläger bestreitet, dem Fahrer K. entsprechende Anweisungen gegeben zu haben.
Als die Geschäftsführung der Beklagten von dieser Angelegenheit erfuhr, bestellte sie den Fahrer K. zu einem Gespräch am 3. Dezember 1992. Nach Darstellung der Beklagten traf Herr K. auf dem Weg zu diesem Gespräch den Kläger, der auf den Vorhalt, er habe ihm, K., etwas Schönes eingebrockt mit dem Kaminholz, diesen gebeten haben soll, auf keinen Fall zu sagen, daß er, der Kläger, das Holz bekommen habe; er solle vielmehr behaupten, daß beide Ladungen zu dem Kunden J. gebracht worden seien. Nach Darstellung der Beklagten soll Herr K. bei diesem Gespräch dem Kläger unmißverständlich zu verstehen gegeben haben, daß er die Wahrheit sagen würde, weil er seinen Arbeitsplatz nicht aufs Spiel setzen wolle. Nach Darstellung des Klägers will er bei dieser Gelegenheit dem Fahrer K. gesagt haben, er solle den Vorgang so darstellen, wie er sich abgespielt habe, es gebe nichts zu verschweigen. Die Beklagte argwöhnt, der Kläger habe anstatt das Kaminholz unter der Warenbezeichnung durch den Lieferanten in Rechnung stellen zu lassen, dafür gesorgt, daß die Lieferung als „Nadelschnittholz” auf der Rechnung erschienen sei, um diese der Tischlerei zuzuordnen, während die Kaminholzlieferung unberechnet bleiben sollte. Deshalb habe der Kläger der Mitarbeiterin F. auf deren Nachfrage erklärt, die Rechnung sei in Ordnung und könne bezahlt werden, wobei der Vorfall wegen der Deklarierung der LKW-Stunden als Platzarbeitsstunden zunächst nicht aufgefallen sei. Die von der Firma O. erstellte Rechnung vom 5. November 1992 ist noch im November von der Beklagten beglichen worden.
Die Beklagte stellte mit Rechnung vom 4. Dezember 1992 Herrn J. für die Lieferung vom 13. November 1992 6 cbm Holz mit einem Betrag von 963,30 DM in Rechnung. Herr J. schickte diese Rechnung an die Beklagte zurück, indem er rechnerisch den Erhalt von 12 cbm Holz und das von ihm zu zahlende Entgelt auf 1.963,30 DM berichtigte. Diesen Betrag überwies er im Dezember 1992 an die Beklagte. Der Kläger hat dazu behauptet, es sei von Anfang an die Lieferung des gesamten Holzes an Herrn J. beabsichtigt gewesen, der ihm einen Teil des Holzes gegen Erstattung von 1.000,– DM abgeben sollte. Diesen Sachverhalt bestätigte J. in einem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 11. Dezember 1992. Die Beklagte bestreitet, daß es von Anfang an eine solche Absprache gegeben habe; vielmehr handele es sich um ein nachträgliches Vertuschungsmanöver. Die Beklagte erstattete daher noch im Dezember 1992 dem Kunden J. einen Betrag von 1.000,– DM als Überzahlung.
In dem von der Beklagten auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung bei der Hauptfürsorgestelle angestrengten Verfahren legte der Kläger ein weiteres Schreiben des Herrn J. vom 1.1. Dezember 1992. vor in dem J. bestätigte, von der Beklagten 15 cbm Kaminholz bekommen zu haben, von dem er 8 cbm dem Kläger gegen Bezahlung von 1.000,– DM in bar abgegeben habe; obwohl er die Beklagte um eine Abrechnung der gesamten Lieferung gebeten habe, sei diese bis dato nicht erstellt worden. Die Beklagte hat vielmehr gegenüber einer Lohnforderung des Klägers für Dezember in Höhe von 1.305,30 DM wegen der an ihn erfolgten Kaminholzlieferung aufgerechnet.
Die Beklagte hörte am 7. Dezember 1992 durch ihren Prokuristen Kr. den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an, worüber sich ein Betriebsratsprotokoll vom 9. Dezember 1992 verhält. Danach hat der Betriebsrat seinerseits u.a. am 7. und 9. Dezember 1992 den Kläger angehört, der gegenüber dem Betriebsrat eine Darstellung der Angelegenheit aus seiner Sicht abgegeben hat. Das Protokoll der Betriebsratssitzung endet mit der Feststellung, der Betriebsrat habe den Vorfall zur Kenntnis genommen. Dementsprechend unterrichtete der Betriebsrat die Beklagte mit Schreiben vom 9. Dezember 1992. Nachdem innerhalb von zwei Wochen seit Antragstellung am 8. Dezember 1992 eine Entscheidung der Hauptfürsorgestelle nicht erfolgt war, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 22. Dezember 1992 – zugegangen am 23. Dezember 1992 – die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Zuvor war am 16. Dezember 1992 das Schreiben des Zeugen J. vom 11. Dezember 1992 bei der Beklagten eingegangen, ohne daß diese ihrerseits den Betriebsrat hierüber noch informiert hatte.
Der Kläger hat geltend gemacht, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden, insbesondere weil ihm die für ihn entlastenden Umstände aus dem Schreiben des Kunden J. vom 11. Dezember 1992 nicht zur Kenntnis gebracht worden seien. Davon abgesehen sei die Kündigung unberechtigt, weil die Beklagte ihn zu Unrecht verdächtige. Er habe auftragsgemäß die Bestellung des Kaminholzes vorgenommen, und zwar nach Rücksprache mit dem Zeugen J., mit dem in der Zwischenzeit abgestimmt worden sei, daß er, der Kläger, ca. 10 cbm des Kaminholzes gegen Zahlung unmittelbar an J. erhalten solle. Dabei sei auch vereinbart gewesen, daß die Rechnung an J. gehen solle und dieser den auf ihn, den Kläger, entfallenden Anteil des Kaminholzes ausgleichen solle. Den Auftrag für die Abholung des Holzes habe er an den Zeugen S., den damaligen Fuhrparkleiter, weitergegeben, ohne daß er selbst dem Fahrer K. Anordnungen erteilt habe. Daß der Fahrer K. in der Folgezeit jeweils 3,5 Platzarbeitsstunden eingetragen habe, sei darauf zurückzuführen, daß er entgegen der Anweisung des Fuhrparkleiters mit einem kleinen Container gefahren sei, was zur Folge gehabt habe, daß er zwei Touren habe machen müssen. Als K. am 3. Dezember 1992 an ihn herangetreten sei, habe er von Anfang an gesagt, der Fahrer solle den Vorgang so darstellen, wie er sich auch abgespielt habe. Arn 4. Dezember 1992 habe J. bei der Beklagten angerufen und auf Rechnungsstellung gedrängt, zumal er, der Kläger, seinen Anteil von 1.000,– DM Herrn J. bereits Ende November 1992 in bar ausgezahlt habe.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Dezember 1992 nicht aufgelöst worden ist,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als kaufmännischen Angestellten weiterzubeschäftigen,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.305,30 DM netto zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag behauptet, ausschließlich der Kläger habe dafür gesorgt, daß bei der Lieferung des Kaminholzes eine Fehlfakturierung durch die Firma O. vorgenommen worden sei. Es sei auch der Kläger gewesen, der von Anfang an dem Fahrer K. den Auftrag erteilt habe, das Kaminholz in 2 Ladungen zum Kunden J. und zu ihm nach Hause zu bringen, wobei er ausdrücklich K. angewiesen habe, das Holz jeweils freitags während der Baubesprechung abzuholen. Nachdem der Kläger den Fahrer K. auf dessen bevorstehendes Gespräch mit dem Prokuristen Kr. angesprochen habe und in sein Büro bestellt habe, habe er ihn dort ausdrücklich gebeten, auf keinen Fall anzugeben, daß er, der Kläger, einen Teil des Kaminholzes bekommen habe. Erst nachdem K. dabei geblieben sei, er werde die Wahrheit sagen, habe Stunden später der Kläger K. erneut angefunkt, ihn um Rückruf gebeten und ihm bei dieser Gelegenheit alsdann erklärt, er könne die Wahrheit sagen. Offensichtlich habe der Kläger in der Zwischenzeit die ihm erforderlich scheinenden Absprachen getroffen.
Der Kläger sei alsdann in drei Gesprächen zu der Angelegenheit befragt worden, wobei er zunächst am 4. Dezember 1992 erklärt habe, er habe das Holz an sich berechnen wollen, eine entsprechende Summe sei auf einem Zettel auf seinem Schreibtisch festgehalten; später habe er eine zweite Variante bekannt gegeben, nämlich er habe die Zeugin F. beauftragt, sie solle das Holz abrechnen.
Der Betriebsrat sei im übrigen zu der beabsichtigten Kündigung unter Schilderung des gesamten Kündigungssachverhaltes angehört worden. Das nachträglich eingegangene Schreiben des Kunden J. vom 11. Dezember 1992, das aus ihrer Sicht ein mit dem Kläger abgesprochenes Gefälligkeitsschreiben darstelle, habe sie dem Betriebsrat nicht zur Kenntnis zu bringen brauchen, zumal die Betriebsratsanhörung abgeschlossen gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen M., F., T., de B., K., S. und J. nach den Klageanträgen erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat zur Betriebsratsanhörung die Zeugen Kr., R. und Sm. als Zeugen vernommen und alsdann die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Klageabweisung. Der beim Bundesarbeitsgericht am 29. Januar 1997 abgeschlossene Vergleich ist vom Kläger rechtzeitig widerrufen worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (§ 565 ZPO), damit das Landesarbeitsgericht abschließend über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 22. Dezember 1992 und den Zahlungsanspruch entscheidet. Die Kündigung scheitert nicht an einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine entgegenstehende Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Es könne dahingestellt bleiben, ob die Kündigung den Anforderungen des § 626 BGB genüge, sie sei jedenfalls wegen unterlassener ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam, § 102 BetrVG. Der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung fehlerhaft angehört worden, weil die Beklagte ihm das Schreiben des Zeugen J. vom 11. Dezember 1992 nicht bekannt gegeben habe. Auch wenn dieses Schreiben erst nach Anhörung des Betriebsrats bei der Beklagten eingegangen sei, so habe angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe gegen den Kläger die Beklagte das den Kläger entlastende Schreiben dem Betriebsrat noch zur Kenntnis geben müssen, bevor sie die Kündigung aussprach.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe zu hohe Anforderungen an die Informationspflicht gegenüber dem Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt. Dabei braucht auf die formelle Rüge, das Landesarbeitsgericht stelle überraschenderweise nunmehr prozeßentscheidend auf das Schreiben des Kunden J. vom 11. Januar 1992 ab, nicht mehr eingegangen zu werden.
1. Das Landesarbeitsgericht geht von einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrates aus, weil dem Betriebsrat neben den Kündigungsgründen das den Kläger entlastende Schreiben des Kunden J. vom 11. Dezember 1992 nicht noch nachträglich – wenn auch nach Abschluß des Zustimmungsverfahrens – zur Kenntnis gebracht worden sei. Insofern fehlt es schon an einer Feststellung, daß es sich hierbei um ein bewußtes und gewolltes Unterlassen der Beklagten gehandelt habe.
a) Mit der einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (u.a. BAG Urteile vom 28. Februar 1974 – 2 AZR 455/73 – BAGE 26, 27 = AP Nr. 2 zu § 102 BetrVG 1972; vom 16. September 1993 – 2 AZR 267/93 – BAGE 74, 185, 194 f. = AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972, zu B II 2 b cc ≪1≫ der Gründe; vom 22. September 1994 – 2 AZR 31/94 – BAGE 78, 39 = AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972; zuletzt vom 31. Januar 1996 – 2 AZR 181/95 – n. v.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 102 Rz 25; KR-Etzel, 4. Aufl., § 102 BetrVG Rz 106 f.; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rz 259 f.) ist davon auszugehen, daß die Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur dann unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat zuvor überhaupt beteiligt zu haben, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachkommt. Die Einschaltung des Betriebsrats im Rahmen des Anhörungsverfahrens vor einer Kündigung hat über die reine Unterrichtung hinaus den Sinn, ihm Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zu der Kündigungsabsicht aus Sicht der Arbeitnehmervertretung zur Kenntnis zu bringen. Die Sanktion verfolgt den Zweck, den Arbeitgeber zu veranlassen, vor jeder Kündigung den Betriebsrat zu hören, will er nicht Gefahr laufen, daß die Kündigung von vornherein unwirksam ist (Amtliche Begründung, BR-Drucks, 715/70, S. 52). Die Anhörung soll in geeigneten Fällen dazu beitragen, daß es gar nicht zum Ausspruch einer Kündigung kommt. Da die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG aber nicht darauf abzielt, die selbständige Überprüfung der Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung zu gewährleisten, sondern sich darauf beschränkt, im Vorfeld der Kündigung eine Einflußnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers zu ermöglichen, sind an die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers nicht dieselben Anforderungen zu stellen, wie an die Darlegungslast im Kündigungsschutzprozeß.
Das Bundesarbeitsgericht leitet daher mit der herrschenden Meinung (vgl. etwa Urteil vom 11. Juli 1991 – 2 AZR 119/91 – AP Nr. 57 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe; zuletzt Senatsurteil vom 7. November 1996 – 2 AZR 720/95 – n.v., zu II 1 und 2 der Gründe; ebenso Bitter, NZA 1991, Beilage 3, S. 16, 19 f.; KR-Etzel, a.a.O., § 102 BetrVG Rz 66; Stahlhacke/Preis, a.a.O., Rz 286 f., m.w.N.; kritisch Kraft, Festschrift für Otto Rudolf Kissel, S. 611 f.; Boecken, SAE 1996, S. 28 f.; dagegen wiederum Berkowsky, NZA 1996, 1065 f.) aus § 102 BetrVG den Grundsatz der sog. „subjektiven Determinierung” ab, demzufolge der Betriebsrat immer dann ordnungsgemäß angehört worden ist, wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Teilt der Arbeitgeber dem Betriebsrat objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen nicht mit, weil er die Kündigung darauf (zunächst) nicht stützen will oder weil er sie bei seinem Kündigungsentschluß für unerheblich oder entbehrlich hält, dann ist die Anhörung selbst ordnungsgemäß. Die in objektiver Hinsicht unvollständige Unterrichtung hat lediglich „mittelbar” die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge, wenn der mitgeteilte Sachverhalt zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung nicht ausreicht, weil es dem Arbeitgeber verwehrt ist, Gründe nachzuschieben, die nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren (BAG Urteil vom 11. Juli 1991, a.a.O., zu II 2 a der Gründe).
Um keine Frage der subjektiven Determinierung handelt es sich aber, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat den Sachverhalt bewußt irreführend schildert, damit sich die Kündigungsgründe als möglichst überzeugend darstellen. Nach Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens ist eine bewußt und gewollt unrichtige oder unvollständige Mitteilung der für den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungsgründe wie eine Nichtinformation des Betriebsrats zu behandeln (u.a. BAG Urteil vom 31. August 1989 – 2 AZR 453/88 – AP Nr. 1 zu § 77 LPVG Schleswig-Holstein); der Arbeitgeber setzt durch eine derartige Darstellung den Betriebsrat außerstande, sich ein zutreffendes Bild von den für den Arbeitgeber maßgebenden Gründen für die Kündigung zu machen (BAG Urteil vom 27. Mai 1985 – 2 AZR 412/84 – BAGE 49, 136 = AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972 sowie Senatsurteile vom 31. August 1989, a.a.O. und vom 31. Mai 1990 – 2 AZR 78/89 –, n.v.).
b) Geht man von dieser Rechtsprechung aus und unterstellt zunächst, das vom Landesarbeitsgericht als entlastend gewertete Schreiben des Kunden J. vom 11. Dezember 1992 sei noch während der Anhörungsfrist für die außerordentliche Kündigung (§ 102 Abs. 2 BetrVG) bei der Beklagten eingegangen, so wird verkannt, daß die Beklagte allenfalls solche Umstände und Mitteilungen dem Betriebsrat neben der Mitteilung der Kündigungsgründe zu Gehör bringen mußte, die aus ihrer Sicht entlastend für den Kläger wirken konnten. Das entspricht der subjektiven Determinierung der Kündigungsgründe, wonach der Arbeitgeber dem Betriebsrat nur die aus seiner Sicht tragenden – und ggf. auch die möglicherweise entlastenden – Umstände zu unterbreiten hat. Ging aber die Beklagte davon aus, wie sie in den Tatsacheninstanzen vorgetragen hat, bei dem Schreiben des Zeugen J. handele es sich nicht um einen solchen Umstand, sondern um ein nachträgliches Täuschungs- und Vertuschungsmanöver in Absprache mit dem Kläger, so brauchte die Beklagten den Inhalt dieses Schreibens dem Betriebsrat nicht mitzuteilen. Insofern liegt der Sachverhalt wesentlich anders als in der bekannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 2. November 1983 (– 7 AZR 65/82 – BAGE 44, 201 = AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972) zur Mitteilung wesentlicher Entlastungsgesichtspunkte, wenn der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren dem Betriebsrat bewußt verschweigt, daß die einzige in Betracht kommende Tatzeugin den von einer Zeugin vom Hörensagen erhobenen Vorwurf einer schweren Pflichtwidrigkeit nicht bestätigt hat. Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Entscheidung in der Nichtbekanntgabe des für den Ausspruch der beabsichtigten Kündigung maßgeblichen Umstandes gegenüber dem Betriebsrat einen Verstoß gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) gesehen, der auch im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG zu beachten sei.
Während für den damaligen Arbeitgeber die Nichtbestätigung des erhobenen Vorwurfs einer schweren Pflichtwidrigkeit durch die einzig in Betracht kommende Tatzeugin in der Tat ein maßgeblicher, für die Beurteilung der Kündigung wesentlicher Umstand war, sieht die Beklagte vorliegend in dem Schreiben des Zeugen J. vom 11. Januar 1992 lediglich ein Täuschungsmanöver, bewertet also ihrerseits diese Information nicht als für die Beurteilung der Kündigung möglichen (Entlastungs-)Umstand. Dies ist anläßlich der vorliegenden Umstände nachvollziehbar, denn aus der Sicht der Beklagten lagen bei der Anhörung des Betriebsrats am 7. Dezember 1992 keinerlei Unterlagen (Lieferscheine, Quittungen über die Auslieferung) vor, aus denen sie entnehmen konnte, daß das im Streit stehende Kaminholz an den Kunden J. und den Kläger ausgeliefert worden war. Gerade auch im Hinblick auf den von dem Fahrer K. gegenüber der Beklagten bestätigten Sachverhalt über die Abholung und Auslieferung des Kaminholzes durfte die Beklagte mit Recht argwöhnen, es handele sich um ein abgekartetes Spiel zwischen dem Kläger und dem Kunden J., mit dem verdeckt werden sollte, daß von Anfang an beabsichtigt gewesen sei, die Lieferung ohne Fakturierung von der Beklagten, d.h. in strafbarer Weise zu erhalten. Ein bewußtes und gewolltes Unterlassen der Beklagten, das zur Unwirksamkeit der Betriebsratsanhörung führen könnte, liegt daher nicht vor.
c) Es braucht deshalb nicht entschieden zu werden, ob die Rechtsfolge, daß die Beklagte vorliegend den Betriebsrat nicht nachträglich im Anschluß an die durchgeführte Anhörung noch über den am 16. Dezember 1992 erfolgten Eingang des Schreibens des Kunden J. vom 11. Dezember 1992 zu informieren brauchte, auch daraus folgt, daß das am 7. Dezember 1992 eingeleitete Anhörungsverfahren mit der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats vom 9. Dezember 1992 formell beendet (vgl. dazu auch BAG Urteil vom 12. März 1987 – 2 AZR 176/86 – AP Nr. 47 zu § 102 BetrVG 1972) war und der Kläger Gelegenheit hatte, seinerseits bei der Anhörung durch den Betriebsrat am 7. und 9. Dezember 1992 die angeblich entlastenden Umstände, nämlich die von ihm behauptete vereinbarte Gesamtauslieferung an J., bei Erstattung des auf ihn entfallenden Anteils direkt an J. dem Betriebsrat zur Kenntnis zu bringen.
2. Ist mithin von einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG auszugehen, so kann das Urteil des Landesarbeitsgerichts keinen Bestand haben. Dieses hat von seinem Standpunkt aus folgerichtig keinerlei Feststellungen zur Berechtigung der außerordentlichen Kündigung vom 22. Dezember 1992 getroffen, so daß der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden kann.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Piper Fischer
Fundstellen