Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung wegen Geschlechtsdiskriminierung bei Einstellung
Orientierungssatz
1. Eine geschlechtsbezogene Unterscheidung ist nur dann erlaubt, wenn die Differenzierung sich an der auszuübenden Tätigkeit orientiert und ein bestimmtes Geschlecht für diese Tätigkeit "unverzichtbare Voraussetzung" ist. Das entspricht der europarechtlichen Vorgabe, die Differenzierungen nur erlaubt, wenn ein bestimmtes Geschlecht "unverzichtbare Voraussetzung" der beruflichen Tätigkeit darstellt (Art 2 Abs 2 der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976). Eine unverzichtbare Voraussetzung in diesem Sinne stellt erheblich höhere Anforderungen an das Gewicht des rechtfertigenden Umstandes als ein sachlicher Grund, denn das Geschlecht ist nur dann unverzichtbar, wenn ein Angehöriger des jeweils anderen Geschlechts die vertragsmäßige Leistung nicht erbringen könnte und dieses Unvermögen auf Gründen beruht, die ihrerseits der gesetzlichen Wertentscheidung der Gleichberechtigung beider Geschlechter genügen.
2. Wie der Senat mit Urteil vom 12. November 1998 (8 AZR 365/97) entschieden hat, stellt § 611a Abs 2 Satz 1 BGB nicht auf die formale Position eines allein durch die Einreichung eines Bewerbungsschreibens begründeten Status als "Bewerber", sondern auf die materiell zu bestimmende objektive Eignung als Bewerber ab. Deshalb kann im Stellenbesetzungsverfahren nur benachteiligt werden, wer sich subjektiv ernsthaft beworben hat und objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kommt.
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Dezember 1998 - 7 Sa 163/98 - aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 22. Januar 1998 - 7 Ca 1474/97 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Kläger die durch die Verweisung an das örtlich zuständige Arbeitsgericht entstandenen Mehrkosten zu tragen hat.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger fordert Entschädigung wegen Benachteiligung in einem Stellenbesetzungsverfahren eines Filialleiters eines Einzelhandelsunternehmens.
Der 1967 geborene Kläger ist gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann. Im Jahre 1996 war er im Vertrieb einer Verpackungsfirma zu einem Bruttomonatsentgelt von ca. 4.000,00 DM bis 4.500,00 DM beschäftigt.
Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen für Spielwaren mit mehreren Filialen. Als Filialleiter beschäftigt sie überwiegend Frauen. Am 2. Juli 1996 ließ die Beklagte in der Zeitung "Rheinpfalz" folgendes Stellenangebot veröffentlichen: "Wir suchen für unseren Markt in S. eine
F i l i a l l e i t e r i n
Mit abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung, wenn möglich aus der Spielwaren- oder Nonfoodbranche.
Erfahrungen im Führen von Mitarbeitern sowie ein eigenverantwortliches und zielorientiertes Handeln setzen wir voraus.
Wenn Sie Spaß am Verkaufen haben, einsatzfreudig und in einem aufgeschlossenen Team arbeiten wollen, sollten Sie sich bewerben.
Wir bieten: - übertarifliche Bezahlung
- Sonderleistungen eines Großbetriebes
- gutes Betriebsklima
- abwechslungsreiche Tätigkeit in einem jungen Team
Bitte richten Sie Ihre schriftliche Bewerbung mit den üblichen Unterlagen an: ..."
Auf dieses Stellenangebot gingen ca. 50 Bewerbungen bei der Beklagten ein. Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 10. Juli 1996: "ich nehme Bezug auf Ihre Stellenanzeige in der Rheinpfalz und bewerbe mich um die Position des Filialleiters für Ihren Markt in S..
Als langjähriger Kunde ist mir aufgefallen, daß Ihre Filialen professionell geführt werden. Ihre Mitarbeiter sind motiviert und Sie bieten ein ausgesuchtes Warensortiment an. Gerne würde ich dieses hohe Niveau mit Ihrem Team festigen und nach Möglichkeit verbessern.
Aufgrund meiner Ausbildung und langjährigen Berufserfahrung bin ich davon überzeugt, alle Fähigkeiten eines Filialleiters zu besitzen. Damit Sie sich ein Bild über mein bisheriges Betätigungsfeld machen können, erhalten Sie mit gleicher Post meinen Lebenslauf mit Lichtbild sowie aussagefähige Zeugniskopien. Zur Zeit bin ich bei der Firma Z. GmbH im Vertrieb beschäftigt. Zu meinen jetzigen Aufgaben gehört die Kundenbetreuung, Kundenakquisition, sowie umfangreiche Verwaltungstätigkeiten.
Einzelheiten über die Anforderungen, die Sie an die Bewerber stellen, würde ich gerne mit Ihnen persönlich diskutieren. Über eine Einladung zu einem Gespräch würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen"
Die Beklagte sagte dem Kläger mit Schreiben vom 22. Juli 1996 ab, weil sie die Stelle anderweitig besetzt habe. Die ausgeschriebene Filialleiterstelle vergab die Beklagte an Frau W., die zuvor vier bis fünf Jahre bei der Beklagten in deren Filiale in S. als teilzeitbeschäftigte Aushilfe im Verkauf tätig war.
Mit Schreiben vom 28. August 1996 verlangte der Kläger von der Beklagten eine Entschädigung in Höhe von 15.000,00 DM, weil die Beklagte gezielt eine "Filialleiterin" gesucht und damit gegen das geschlechtsspezifische Benachteiligungsverbot nach § 611 a BGB verstoßen habe. Diese Forderung wies die Beklagte zurück.
Mit der am 28. November 1996 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger von der Beklagten eine angemessene Entschädigung verlangt, deren Höhe er in das Ermessen des Gerichts gestellt hat.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe dem Einstellungsprofil in der Stellenanzeige genau entsprochen. Er sei wegen seines Geschlechts benachteiligt worden. Die Beklagte habe die sich aus der Stellenausschreibung ergebende Diskriminierung nicht widerlegt. Sie könne nicht die Begründung nachschieben, daß er die Stelle ohnehin nicht erhalten hätte.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an
ihn eine Entschädigung in Höhe von 3.000,00 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, dem Kläger stehe ein Entschädigungsanspruch nicht zu. Die Einstellungsentscheidung sei unter Außerachtlassung des Geschlechts erfolgt. Frau W. sei für die Stelle geradezu prädestiniert und damit erste Wahl gewesen. Auf Grund ihrer vorangegangenen Tätigkeit sei sie mit den Geschäftsabläufen, den Unternehmensstrukturen und dem Warensortiment der Beklagten vertraut sowie auf Grund ihrer spezifischeren Vorbildung als Einzelhandelskauffrau geeigneter als der Kläger. Der Kläger sei schon deshalb für die ausgeschriebene Stelle nicht in Betracht gekommen, weil er sein Bewerbungsschreiben zu großspurig formuliert habe und weil er lediglich Groß- und Außenhandelskaufmann sei, während die Beklagte ein Einzelhandelsunternehmen betreibe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts. Die Klage ist begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte schulde dem Kläger keine Entschädigung gem. § 611 a Abs. 2 BGB. Der eindeutige Verstoß der Stellenausschreibung gegen § 611 b BGB stelle lediglich ein starkes Indiz für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts dar. Der Arbeitgeber habe aber auch in solchen Fällen die Möglichkeit, sich zu entlasten, dh. nachzuweisen, daß eine unterschiedliche Behandlung zulässig gewesen sei. Diesen Nachweis habe die Beklagte dadurch geführt, daß sie sich darauf berufen habe, sie habe die langjährige ehemalige Mitarbeiterin W. auf deren unerwartete Bewerbung eingestellt. Es verstehe sich von selbst, daß bewährte, jahrelange Mitarbeiter besser geeignet erschienen als betriebsfremde. Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts liege deshalb nicht vor. Bei diesem Vorbringen handele es sich nicht um ein unzulässiges Nachschieben von Gründen, weil hier Qualifikationsmerkmale in der Person eines Bewerbers ausschlaggebend gewesen seien, die sich erst im Bewerbungsverfahren ergeben hätten. Auf solche Umstände dürfe sich der die Personalauswahl treffende Arbeitgeber immer berufen, ohne daß ein unzulässiges Nachschieben von Gründen vorliege.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Kläger hat Anspruch auf die geforderte Entschädigung nach § 611 a Abs. 2, Abs. 3 BGB.
1. Auf den Streitfall findet § 611 a BGB in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 29. Juni 1998 (BGBl. I S 1694), in Kraft seit dem 3. Juli 1998, Anwendung. Gemäß Art. 3 § 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 29. Juni 1998 sind die Vorschriften dieses Gesetzes auf alle am 3. Juli 1998 anhängigen Klagen vor den Gerichten für Arbeitssachen auf Entschädigung oder Schadensersatz wegen geschlechtsbedingter Benachteiligung anzuwenden.
2. Die Beklagte hat den Kläger bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses wegen seines Geschlechts im Sinne von § 611 a Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligt.
a) Nach § 611 a Abs. 1 Satz 1 BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer ua. bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts ist jedoch dann zulässig, soweit eine Vereinbarung oder eine Maßnahme die Art der vom Arbeitnehmer auszuübenden Tätigkeit zum Gegenstand hat und ein bestimmtes Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für diese Tätigkeit ist (§ 611 a Abs. 1 Satz 2 BGB).
b) Die Ausnahme des § 611 a Abs. 1 Satz 2 BGB liegt nicht vor.
Danach ist eine geschlechtsbezogene Unterscheidung nur dann erlaubt, wenn die Differenzierung sich an der auszuübenden Tätigkeit orientiert und ein bestimmtes Geschlecht für diese Tätigkeit "unverzichtbare Voraussetzung'' ist. Das entspricht der europarechtlichen Vorgabe, die Differenzierungen nur erlaubt, wenn ein bestimmtes Geschlecht "unabdingbare Voraussetzung'' der beruflichen Tätigkeit darstellt (Art. 2 Abs. 2 der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976). Eine unverzichtbare Voraussetzung in diesem Sinne stellt erheblich höhere Anforderungen an das Gewicht des rechtfertigenden Umstandes als ein sachlicher Grund, denn das Geschlecht ist nur dann unverzichtbar, wenn ein Angehöriger des jeweils anderen Geschlechts die vertragsgemäße Leistung nicht erbringen könnte und dieses Unvermögen auf Gründen beruht, die ihrerseits der gesetzlichen Wertentscheidung der Gleichberechtigung beider Geschlechter genügen (Senat 12. November 1998 - 8 AZR 365/97 - BAGE 90,170, zu B II 1 der Gründe).
Für die Filialleitung eines Einzelhandelsunternehmens wie der Beklagten ist das weibliche Geschlecht keine unverzichtbare Voraussetzung. Dies stellt auch die Beklagte nicht in Abrede, sondern beruft sich darauf, daß bei ihr nicht lediglich Filialleiterinnen, sondern auch Filialleiter - wenn auch in geringerer Zahl - beschäftigt würden.
Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Mitbewerberin W. für die Filialleiterstelle besser geeignet sei und daher eine Benachteiligung des Klägers ausscheide. Die bessere Eignung eines anderen Bewerbers schließt eine Benachteiligung nicht aus. Denn nicht allein der bestplazierte Bewerber kann benachteiligt sein, wie gerade die Regelung des § 611 a Abs. 3 BGB zeigt. Nach dieser Vorschrift erhält der Bewerber, der auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, eine Entschädigung. Für eine geschlechtsspezifische Benachteiligung reicht aus, wenn Personen, die an sich für die Tätigkeit geeignet wären, von vornherein wegen ihres Geschlechts nicht für die Einstellung in Betracht gezogen werden.
c) Der Kläger hat gem. § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB Tatsachen glaubhaft gemacht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Für eine geschlechtsbezogene Benachteiligung spricht die Ausschreibung der Stelle einer "Filialleiterin". Damit hat die Beklagte gegen das Gebot der geschlechtsneutralen Stellenausschreibung nach § 611 b BGB verstoßen. Der Kläger wurde, wie die Beklagte selbst einräumt, für die Einstellung nicht in Betracht gezogen und auch für das erbetene Vorstellungsgespräch nicht eingeladen. Schließlich wurde eine Frau als Filialleiterin eingestellt, wie es auch in den meisten anderen Filialen der Beklagten üblich ist.
Dieses Verfahren begründet die Vermutung, daß der Kläger, unabhängig davon, ob auch andere Gründe für die Einstellungsentscheidung maßgeblich waren, wegen seines Geschlechts benachteiligt wurde. Wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat (BVerfG 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276), gebietet der Schutzzweck von Art. 3 Abs. 2 GG § 611 a BGB so auszulegen und anzuwenden, daß bei der Prüfung, ob eine geschlechtsspezifische Diskriminierung vorliegt, auf eine mögliche Beeinträchtigung der Chancen des Stellenbewerbers durch eine - die endgültige Auswahlentscheidung nicht berührende - Verfahrensgestaltung eingegangen wird.
d) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen des Geschlechts nicht entkräftet.
aa) Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß § 611 b BGB eine Entlastung des Arbeitgebers nach § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht ausschließt. § 611 b BGB enthält selbst keine Regelung der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Gebot der geschlechtsneutralen Stellenausschreibung. Die rechtlichen Konsequenzen einer Verletzung des § 611 b BGB treten deshalb allein im Regelungsbereich des § 611 a BGB auf (vgl. MünchKomm/Müller-Glöge BGB 3. Aufl. § 611 a Rn. 5; Staudinger-Richardi/Annuß BGB 13. Bearbeitung § 611 b Rn. 7).
Die Verletzung des Gebots zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung führt allerdings zur Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers gem. § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber die Beweislast dafür zu tragen, daß nicht auf das Geschlecht bezogene, sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder das Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für die auszuübende Tätigkeit ist, wenn der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Die Beklagte hat daher darzulegen und zu beweisen, daß sie den Kläger nicht wegen seines Geschlechts benachteiligt hat.
bb) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die beweispflichtige Beklagte habe dargelegt, daß nicht auf das Geschlecht bezogene, sachliche Gründe die Differenzierung rechtfertigten. Für die Entlastung der Beklagten reicht entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht aus, daß bei der Stellenbesetzung letztlich keine Benachteiligung des Klägers deshalb auszumachen sei, weil die Stelle mit Frau W. besetzt worden sei, die als langjährige bewährte Mitarbeiterin besser geeignet sei als der betriebsfremde Kläger. Diese Begründung schließt nicht aus, daß der weniger geeignete Kläger im Auswahlverfahren (auch) wegen seines Geschlechts benachteiligt wurde.
Eine geschlechtsspezifische Benachteiligung liegt immer dann vor, wenn eine rechtliche Ungleichbehandlung - unabhängig davon, ob auch andere Gründe für die Einstellungsentscheidung maßgeblich waren - an das Geschlecht anknüpft. Eine im Wege der Auslegung vorgenommene Beschränkung des in § 611 a Abs. 1 BGB enthaltenen Benachteiligungstatbestandes auf Fälle, in denen allein das Geschlecht des Bewerbers zu seiner Ablehnung geführt hat, wird dem Schutzzweck des Art. 3 Abs. 2 GG nicht gerecht. Liegt der Arbeitgeberentscheidung ein Motivbündel zugrunde, so ist allein maßgebend, ob in diesem auch das Geschlecht des Stellenbewerbers als negatives Kriterium enthalten ist (BVerfG aaO).
cc) Soweit die Beklagte sich unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 1993 (aaO, zu C II der Gründe) darauf beruft, daß in der Bewerbung der Frau W. ein nachträglicher Grund liege, der die unterschiedliche Behandlung rechtfertige, weil diese Bewerberin für die zugedachte Aufgabe geradezu prädestiniert sei und mit ihrer Bewerbung zur Zeit der Ausschreibung gar nicht habe gerechnet werden können, so sind die hierzu von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen nicht geeignet, das Vorliegen dieser Voraussetzung anzunehmen.
Nach dem Vortrag der Beklagten war Frau W. als langjährige Mitarbeiterin mit den Geschäftsabläufen, den Unternehmensstrukturen und dem Warensortiment in der Filiale S. vertraut. Damit hat die Beklagte aber noch nicht dargelegt, weshalb Frau W. gerade die in der Ausschreibung geforderten Kriterien für eine Filialleiterin erfüllt hat. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, inwiefern Frau W. über die von einer Filialleiterin zu erwartenden Führungsqualitäten verfügte. Die Beklagte hatte in ihrer Anzeige ausdrücklich angegeben, daß sie bei ihrer Filialleiterin "Erfahrungen im Führen von Mitarbeitern sowie ein eigenverantwortliches und zielorientiertes Handeln" voraussetze. Da nach dem Vortrag der Beklagten Frau W. bisher nur als "Aushilfe" teilzeitbeschäftigt im Verkauf eingesetzt war, ist nicht ersichtlich, aus welchen besonderen sachlichen Gründen sie dem Kläger vorgezogen werden konnte, ohne daß es dabei bei dem Eindruck verblieb, dies sei wegen ihres Geschlechts geschehen.
dd) Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, daß sie entgegen ihrem in der Zeitung veröffentlichten Stellenangebot das Auswahlverfahren zur Besetzung der Filialleiterstelle geschlechtsneutral durchgeführt habe. Die Darlegungen und Beweisangebote der Beklagten erschöpfen sich darin, die sachlich bessere Eignung der Bewerberin W. darzustellen. Damit kann ,wie bereits ausgeführt, die Vermutung eines geschlechtsdiskriminierenden Auswahlverfahrens nicht entkräftet werden. Für ihre Behauptung, sie habe das Auswahlverfahren geschlechtsneutral durchgeführt, fehlen geeignete Tatsachenbehauptungen und Beweisangebote der Beklagten. So hat die Beklagte zB nicht dargelegt, daß sie den Kläger oder andere männliche Bewerber für die ausgeschriebene Filialleiterstelle zum Vorstellungsgespräch eingeladen oder von ihnen weitere Unterlagen zur näheren Prüfung angefordert habe. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß männliche Bewerber um die Filialleiterstelle wegen ihres Geschlechts von vornherein nicht in Betracht kamen.
e) Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Kläger sei weder objektiv noch subjektiv für die Filialleiterstelle geeignet; er habe sich gar nicht ernsthaft um die Stelle als Filialleiter beworben. Auch zu diesen Behauptungen hat die Beklagte keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen.
Wie der Senat mit Urteil vom 12. November 1998 (- 8 AZR 365/97 - aaO) entschieden hat, stellt § 611 a Abs. 2 Satz 1 BGB nicht auf die formale Position eines allein durch die Einreichung eines Bewerbungsschreibens begründeten Status als "Bewerber", sondern auf die materiell zu bestimmende objektive Eignung als Bewerber ab. Deshalb kann im Stellenbesetzungsverfahren nur benachteiligt werden, wer sich subjektiv ernsthaft beworben hat und objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kommt.
Die objektive Eignung des Klägers kann die Beklagte nicht mit Hinweis auf die Ausbildung des Klägers als Groß- und Außenhandelskaufmann in Frage stellen. Die Beklagte hat in ihrem veröffentlichten Stellenangebot lediglich eine abgeschlossene "kaufmännische Ausbildung" verlangt, nicht eine Ausbildung zum "Einzelhandelskaufmann/frau". Auch der Umstand, daß der Kläger nicht aus der Spielwarenbranche kommt, begründet nicht seine objektive Ungeeignetheit für die ausgeschriebene Stelle, zumal die Beklagte in der Anzeige lediglich formuliert: "wenn möglich aus der Spielwaren- oder Nonfoodbranche".
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger sich nicht ernsthaft um die Stelle als Filialleiter beworben habe. Das Bewerbungsschreiben des Klägers zeigt keine Auffälligkeiten in dieser Hinsicht. Der Hinweis der Beklagten, daß der Kläger sich aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus beworben habe, reicht nicht aus, zumal der Kläger kurze Zeit später tatsächlich seinen Arbeitsplatz wechselte. Ebensowenig können zu Lasten des Klägers daraus Schlüsse gezogen werden, daß sein Einkommen bei der Beklagten niedriger gewesen wäre als das zur Zeit seiner Bewerbung beim bisherigen Arbeitgeber bezogene Arbeitsentgelt. Eine auffällige Überqualifizierung des Klägers, die ein Indiz für die mangelnde Ernsthaftigkeit einer Bewerbung wäre, ist nicht erkennbar. Im übrigen hatte der Kläger offenbar höhere Gehaltsvorstellungen bezüglich der Filialleiterstelle, wie sein Schreiben vom 28. August 1996 belegt.
III. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung gem. § 611 a Abs. 2 und Abs. 3 BGB in Höhe von 3.000,00 DM.
Da der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, beträgt die angemessene Entschädigung nach § 611 a Abs. 3 BGB höchstens drei Monatsverdienste. Die vom Kläger geforderten 3.000,00 DM liegen unterhalb eines Monatsverdienstes der streitbezogenen Filialleiterstelle (3.980,00 DM). Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die vom Kläger zu fordernde angemessene Entschädigung für die Geschlechtsdiskriminierung unter dem auch vom Arbeitsgericht zugebilligten Betrag von 3.000,00 DM liegen könnte.
IV. Damit war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Allerdings war die Kostenentscheidung des Arbeitsgerichts dahingehend abzuändern, daß der Kläger gem. § 48 Abs. 1 ArbGG in Verb. mit § 17 b Abs. 2 Satz 2 GVG die durch die Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich zuständige Arbeitsgericht entstandenen Mehrkosten zu tragen hat. Dagegen konnte der Senat dem Kläger nicht die durch die Versäumnis veranlaßten Kosten gem. § 344 ZPO auferlegen. Der Kläger hat die ordnungsgemäße Ladung zum Termin vor dem Arbeitsgericht vom 5. August 1997 bestritten. Die Akten des Arbeitsgerichts enthalten keinen Ladungsnachweis.
V. Die Beklagte hat gem. § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen. Ascheid
Dr. Wittek
Mikosch
Harnack
Brückmann
Fundstellen
Haufe-Index 611084 |
AuA 2000, 281 |