Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung. Arbeitsunfähigkeit. Bestätigung und Fortführung BAG 27. Mai 1997 – 9 AZR 337/95 – BAGE 86, 30 = AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 74 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 2; 25. Juni 1996 – 9 AZR 182/95 – BAGE 83, 225 = AP SchwbG 1986 § 47 Nr. 11 = EzA SchwbG 1986 § 47 Nr. 8. Urlaubsrecht
Orientierungssatz
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt der Anspruch auf Urlaubsabgeltung voraus, daß der Urlaubsanspruch erfüllbar ist. Das ist nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Ein Abgeltungsanspruch besteht auch dann nicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall (Wegeunfall) beruht.
Der Arbeitgeber gerät mit der Gewährung des Urlaubs nicht in Verzug, wenn er den Urlaubsantrag des Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen ablehnt.
Normenkette
BUrlG § 7; Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungs- industrie Nordrhein-Westfalen (MTV) in seiner jeweiligen Fassung §§ 11-12
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 28. Februar 2002 – 11 (13) Sa 1611/00 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaub der Jahre 1998 und 1999.
Der schwerbehinderte Kläger war bei der Beklagten, einem Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie, als Betriebselektriker im Schaltschrank- und Maschinenbau tätig. Auf das Arbeitsverhältnis ist ua. der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen (MTV) in seiner jeweiligen Fassung anzuwenden. In den urlaubsrechtlichen Vorschriften des MTV vom 11. Dezember 1996 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 23. Oktober 1997 ist ua. bestimmt:
Ҥ 11
Grundsätze der Urlaubsgewährung
…
3. Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist nur zulässig, wenn bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses/Ausbildungsverhältnisses noch Urlaubsansprüche bestehen.
Die Urlaubsabgeltung entfällt ausnahmsweise, wenn der Arbeitnehmer durch eigenes schwerwiegendes Verschulden aus einem Grund entlassen worden ist, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt, oder das Arbeitsverhältnis unberechtigt vorzeitig gelöst hat und in diesen Fällen eine grobe Verletzung der Treuepflicht aus dem Arbeitsverhältnis vorliegt.
Die hiernach verwirkte Urlaubsvergütung ist im Einvernehmen mit dem Betriebsrat einer betrieblichen Unterstützungseinrichtung zuzuführen …
§ 12
Allgemeine Urlaubsbestimmungen
1. Der Zeitpunkt des Urlaubs richtet sich nach dem aufgestellten Urlaubsplan. Soweit kein Urlaubsplan besteht, kann der Urlaubsanspruch, abgesehen vom Eintrittsjahr, ab 1. April in voller Höhe geltend gemacht werden.
2. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer/Auszubildende gegen den alten und neuen Arbeitgeber/Ausbildungsbetrieb auf so viele Zwölftel des ihm zustehenden Urlaubs Anspruch, als er Monate bei ihnen gearbeitet hat (Beschäftigungsmonate)/ausgebildet wurde (Ausbildungsmonate). Ein angefangener Monat wird voll gerechnet, wenn die Beschäftigung/Ausbildung mindestens zehn Kalendertage bestanden hat.
Für eine Beschäftigung/Ausbildung bis zu zwei Wochen besteht kein Urlaubsanspruch. Dieser Anspruch kann bei Eintritt bis zum 31. Mai nach sechsmonatiger Betriebszugehörigkeit, bei Eintritt nach dem 31. Mai ab 1. Dezember geltend gemacht werden.
3. In den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren ist der volle Jahresurlaub zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers nach dem 1. April beendet wird.
Bis 31. Dezember 1997 gilt folgender Abs. 2:
Arbeitnehmer, die wegen Erhalts einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Betrieb ausscheiden, haben unabhängig vom Termin ihres Ausscheidens Anspruch auf den vollen Jahresurlaub, wenn sie im Austrittsjahr bis zum 31. Januar tatsächlich gearbeitet haben.
Ab 1. Januar 1998 gilt folgender Abs. 2:
Für Arbeitnehmer, die wegen Erhalts einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Betrieb ausscheiden, gilt § 12 Nr. 2 Abs. 1 MTV.
…
7. Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder dass Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte.
Konnte der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden, erlischt der Urlaubsanspruch zwölf Monate nach Ablauf des Übertragungszeitraums nach Abs. 1.
…
§ 13
Urlaubsdauer
…
3. Der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte regelt sich nach dem Schwerbehindertengesetz.”
Der Kläger war seit dem 19. April 1999 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid der LVA Rheinprovinz vom 9. Juni 2000 wurde ihm auf seinen im November 1999 gestellten Antrag mit Wirkung zum 16. März 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt. Zuvor hatte der Kläger bereits der Beklagten gegenüber schriftlich sein Arbeitsverhältnis zum “Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente” gekündigt.
Mit seiner im Juli 2000 erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Abgeltung von insgesamt 57 Urlaubstagen (= 17.294,37 DM brutto) in Anspruch genommen. Hierzu hat er geltend gemacht, er habe den Urlaub des Jahres 1998 betriebsbedingt nicht vollständig nehmen können. Die noch offenen 22 Urlaubstage habe er nach einer Vereinbarung mit der Beklagten ab dem 19. April 1999 erhalten sollen. Diesen Urlaub sowie den Urlaub des Jahres 1999 (35 Tage) habe er wegen seiner Erkrankung nicht realisieren können. Die Beklagte sei aus Rechtsgründen zur Urlaubsabgeltung verpflichtet.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen an ihn 17.294,13 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 2. Juli 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens, ob der Kläger nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit über den 30. Juni 2000 hinaus zur Ausführung sitzender Arbeiten in der Lage gewesen sei, die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Die Beklagte beantragt deren Zurückweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Ein Anspruch gegen die Beklagte auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs, des Tarifurlaubs und des Zusatzurlaubs für behinderte Menschen besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Das haben die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsteht der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch (§ 7 Abs. 4 BUrlG) nicht als Abfindungsanspruch, sondern als Ersatz für den wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Anspruch des Arbeitnehmers auf Befreiung von der Arbeitspflicht. Der Abgeltungsanspruch ist – abgesehen von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Freistellungsanspruch. Wie dieser erlischt er auf Grund seiner Befristung spätestens mit dem Ende des Übertragungszeitraums, wenn der Freistellungsanspruch wegen fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nicht hätte erfüllt werden können (vgl. BAG 3. Mai 1994 – 9 AZR 522/92 – AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 64 = EzA BUrlG § 7 Nr. 94; 20. Januar 1998 – 9 AZR 812/96 – AP BUrlG § 13 Nr. 45 = EzA BUrlG § 13 Nr. 57). Für den Tarifurlaub gilt vorbehaltlich hiervon abweichender tariflicher Vereinbarungen nichts anderes.
2. Die Urlaubsbestimmungen des MTV enthalten keine anderen Abgeltungsvoraussetzungen.
a) § 11 Nr. 3 Satz 2 MTV, wonach der Urlaubsabgeltungsanspruch unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen verwirkt, ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht im Umkehrschluß zu entnehmen, in allen anderen Fällen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei der Urlaub abzugelten. Ein solcher Gegenschluß kommt nur in Betracht, wenn im Gesetz/Tarifvertrag eine Rechtsfolge ausschließlich an einen näher bestimmten Tatbestand geknüpft ist. Für andere Tatbestände gilt die Rechtsfolge dann nicht (vgl. Larenz/Canaris Methodenlehre 3. Aufl. S. 209). Der Regelungsgehalt des § 11 Nr. 3 Satz 2 MTV beschränkt sich mithin auf die Aussage, daß der Abgeltungsanspruch nicht aus anderen Gründen tariflich verwirkt. Es handelt sich insoweit um eine zu Lasten der Arbeitnehmer getroffene Sonderregelung für solche Urlaubsansprüche, die nach allgemeinem Urlaubsrecht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten wären (BAG 27. Mai 1997 – 9 AZR 337/95 – BAGE 86, 30).
b) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auch auf § 12 Nr. 2 Abs. 2 MTV in der seit 1. Januar 1998 und damit für den Streitfall geltenden Fassung. Sie gibt keinen Anhalt, die Tarifvertragsparteien hätten im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers stets die Abgeltung der noch nicht erledigten Urlaubsansprüche vorgeschrieben. Ebenso wie § 12 Nr. 2 Abs. 2 MTV in der bis 31. Dezember 1997 geltenden Fassung (dazu BAG 27. Mai 1997 – 9 AZR 337/95 – aaO), betrifft die neue Fassung ausschließlich die Dauer des Urlaubs im Austrittsjahr. Entfallen ist allein die Begünstigung der wegen Erwerbsunfähigkeit ausscheidenden Arbeitnehmer, die bisher unter den im Tarifvertrag näher bestimmten Voraussetzungen trotz der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im laufenden Kalenderjahr Anspruch auf den vollen Jahresurlaub hatten. Erwerbsunfähige und nicht erwerbsunfähige Arbeitnehmer werden nunmehr gleich behandelt, wenn das Arbeitsverhältnis im laufenden Jahr endet.
c) Aus der Übertragungsregel in § 12 Nr. 7 MTV ergibt sich, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, gleichfalls nur, daß die Tarifvertragsparteien die krankheitsbedingte Unmöglichkeit der Inanspruchnahme von Urlaub durch die Verlängerung des Übertragungszeitraums privilegiert haben. Weitergehende Rechtsfolgen haben sie nicht vereinbart.
d) Auch wenn, wie der Kläger geltend macht, seine Erwerbsunfähigkeit und damit die fehlende Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs auf einem Arbeitsunfall (Wegeunfall) beruht, ist dieser Umstand nicht “anspruchserhaltend”. Eine § 4 Abs. 1 Satz 2 EFZG idF vom 25. September 1996 entsprechende Begünstigung von Arbeitnehmern, die auf Grund eines Arbeitsunfalls erkranken, enthält weder das gesetzliche noch das tarifliche Urlaubsrecht.
3. Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Kläger über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus auf Dauer arbeitsunfähig erkrankt. Der Urlaubsanspruch war damit nicht erfüllbar. Der nach der Behauptung des Klägers übertragene Urlaub des Jahres 1998, der dem Urlaub des Jahres 1999 hinzugetreten ist, ist daher zum 31. März 2000 und der Urlaub des Jahres 1999 nach § 12 Nr. 7 MTV mit dem 31. März 2001 erloschen, nämlich zwölf Monate nach Beendigung des Übertragungszeitraumes.
Für den Anspruch des Klägers auf Zusatzurlaub (§ 47 Satz 1 SchwbG) gilt nichts anderes.
Zusatzurlaub ist im Entstehen und Erlöschen ebenso zu behandeln wie der gesetzliche Mindesturlaub nach §§ 1 ff. BUrlG (BAG 25. Juni 1996 – 9 AZR 182/95 – BAGE 83, 225). Tarifliche Sonderregelungen bestehen nicht. Nach § 13 Nr. 3 MTV gilt ausschließlich die gesetzliche Regelung.
Die Beklagte schuldet dem Kläger wegen des untergegangenen Urlaubsanspruchs auch keinen Schadenersatz in Geld.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Arbeitnehmer, wenn er seinen Arbeitgeber hinsichtlich des Urlaubsanspruchs in Verzug gesetzt hat, einen entsprechenden Anspruch auf Freistellung als Schadensausgleich und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – einen Anspruch auf einen entsprechenden Geldbetrag verlangen, wenn der Urlaubsanspruch während des Verzugs des Arbeitgebers erlischt (bisher: § 284 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Satz 1 BGB).
2. Nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Vorbringen des Klägers hat sich die Beklagte mit der Gewährung des Urlaubs nicht in Verzug befunden. Für den Urlaub des Jahres 1999 kommt Verzug schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte den Kläger wegen seiner durchgehenden Arbeitsunfähigkeit nicht bezahlt freistellen konnte. Hinsichtlich des Urlaubs des Jahres 1998 hat der Kläger seinen Urlaub zwar geltend gemacht. Die Geltendmachung hat aber keinen Verzug begründet, weil die Beklagte den Urlaub aus dringenden betrieblichen Gründen abgelehnt hat. Sie hat damit das ihr nach § 7 Abs. 1 BUrlG zustehende Recht wahrgenommen. Soweit der Kläger geltend macht, die Beklagte habe für den Untergang des Urlaubs aus dem Jahr 1998 deshalb einzustehen, weil sie den Urlaub 1998 wegen eines Organisationsmangels nicht im Urlaubsjahr habe gewähren können, handelt es sich um neuen Sachvortrag. Dieser ist in der Revision nicht zu berücksichtigen.
- Der Kläger hat die Kosten der erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Zwanziger, Reinecke, H. Kranzusch, Heilmann
Fundstellen
Haufe-Index 978618 |
BB 2005, 2014 |
DStR 2003, 2127 |
FA 2004, 159 |
NZA 2004, 1064 |
SAE 2004, 80 |
ZTR 2003, 623 |
EzA-SD 2003, 9 |
EzA |
ArbRB 2003, 324 |
NJOZ 2004, 3021 |