Entscheidungsstichwort (Thema)
Heimzulage
Orientierungssatz
Hinweis des Senats: "Die Unterbringung in einem "Heim" erfordert keine Betreuung im Sinne einer stationären Vollversorgung."
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 1. Oktober 2000 - 8 Sa
1154/96 - aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Nürnberg vom 9. Oktober 1996 - 2 Ca 2885/96 - wird mit der Maßgabe
zurückgewiesen, daß der Urteilsausspruch zu Ziffer 1 und 2 neu
gefaßt wird:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.440,00
DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich aus 3.000,00 DM
brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 16. März 1996 zu
zahlen.
3. Die Kosten der Berufung und der Revision hat die Beklagte zu
tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Heimzulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 zur Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 16 der Anlage 1 a zum BAT/VKA.
Der Kläger war vom 1. Februar 1991 bis zum 30. Juni 1999 bei der Beklagten als Sozialpädagoge beschäftigt. Zwischen den Parteien ist die Anwendbarkeit des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) in seiner jeweiligen Fassung vereinbart. Der Kläger erhielt eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV a BAT/VKA. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Einrichtung zur kombinierten medizinischen und beruflichen Rehabilitation psychisch Kranker und Behinderter. Die Beklagte bietet innerhalb der medizinischen Rehabilitation nach einer umfassenden medizinischen, psychiatrischen und sozialen Diagnostik sowohl therapeutische als auch soziotherapeutische Bausteine an, in denen jeweils neben medizinischem Fachpersonal auch Sozialpädagogen eingesetzt werden. Innerhalb der Angebotspalette für die medizinisch-berufliche Rehabilitation werden Sozialpädagogen in einem Bewerbertraining, einer beruflichen Themengruppe und in einer Absolventengruppe tätig.
Die betreuten Rehabilitanden sind in der Regel junge Erwachsene, die auf Grund ihrer psychischen Probleme ihren bisherigen Beruf nicht mehr oder noch keinen Beruf ausüben können. Die Beklagte hat derzeit 50 Rehabilitanden in ihrer Obhut. Davon sind 28 in einem Heim, die anderen 22 in fünf Wohngruppen in Mehr- und Einfamilienhäusern untergebracht, die die Beklagte angemietet hat. Die Beklagte rechnet einen Vollverpflegungssatz mit den jeweiligen Kostenträgern ab. Die Rehabilitanden gehen, soweit sie dazu in der Lage sind, von Montag bis Freitag von 8.00 Uhr bis 15.30 Uhr zur Arbeit. Ansonsten erhalten sie im Wohnheim Unterricht und in heimeigenen Werkstätten berufliche Förderung und Vorbereitung. Im übrigen wohnen und leben sie zusammen und versorgen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst. Mit Ausnahme einer Eingewöhnungszeit von bis zu acht Wochen, in der gemeinsam gefrühstückt wird, erhalten sie ein Verpflegungsgeld, von dem sie selbst Lebensmittel einkaufen und kochen oder die Möglichkeit haben, in der Kantine zu essen. Sie versorgen ihre Wäsche selbst und putzen ihren Wohnbereich. In der Nacht ist in dem Wohnheim nur eine Hilfskraft anwesend, die das Kommen und Gehen der Bewohner nicht kontrolliert, sondern lediglich eine Art Hausmeisterdienst versieht. Die Arbeitszeit des Klägers liegt je nach Schicht zwischen 8.00 Uhr und 20.30 Uhr. Im Fall des Nachtdienstes hat er ab 20.30 Uhr bis 7.00 Uhr des folgenden Tages Rufbereitschaft, dh. er muß telefonisch erreichbar sein.
Der Kläger hat folgende Aufgaben:
"1. Kontaktpersonenarbeit
Der Kläger hat 5 Rehabilitanden zu betreuen, die er von Anfang
bis Ende der Maßnahme begleitet. Die Einzelbetreuung läßt sich
gliedern in:
- Reha-Planung für Gruppenangebote, Arbeitstherapie, berufliches Training
- Regelmäßige Einzelgespräche
- Familiengespräche
- Auswertungsgespräche mit den beruflichen Trainern
- Planung für die Zeit nach der Unterbringung
2. Gruppenarbeit
Der Kläger betreut die Suchtgruppe sowie die Abschlußgruppe,
die demnächst entlassen wird. Dazu gehören auch Vorbereitung,
Nachbereitung und Absprachen.
3. An den Wochenenden ist der Kläger für das komplette Haus,
also alle Rehabilitanden, zuständig. Er ist ihr
Ansprechpartner und muß ggf. auch Krisenintervention leisten.
Dabei muß er selbständig entscheiden, ob die Hinzuziehung
eines Arztes oder die Einlieferung in eine Klinik notwendig
ist.
4. Aufnahmeplanung
Der Kläger ist zuständig für die Aufnahmeplanung und Belegung
des Hauses."
Der Kläger war zeitlich überwiegend im Wohnheim tätig, wo er auch seinen Arbeitsplatz hatte.
Der Kläger hat Ansprüche auf die Heimzulage in Höhe von 120,00 DM monatlich durch Schreiben vom 20. Oktober 1994 geltend gemacht.
Die Protokollerklärung Nr. 1 zur VergGr. IV a Fallgr. 16 der Anlage 1 a zum BAT/VKA lautet:
"Der Angestellte - ausgenommen der Angestellte bzw. Meister im
handwerklichen Erziehungsdienst - erhält für die Dauer der
Tätigkeit in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder
Jugendwohnheim oder einer vergleichbaren Einrichtung (Heim) eine
Zulage in Höhe von DM 120,-- monatlich, wenn in dem Heim
überwiegend Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder
Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zum Zwecke
der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind;
sind nicht überwiegend solche Personen ständig untergebracht,
beträgt die Zulage DM 60,-- monatlich."
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe die Heimzulage für die Zeit von Mai 1994 bis zu seinem Ausscheiden am 30. Juni 1999 zu, da er in einer einem Erziehungsheim oder einem Kinder- oder Jugendwohnheim vergleichbaren Einrichtung tätig gewesen sei. Die überwiegende Zahl der Rehabilitanden seien junge erwachsene Personen iSd. § 39 BSHG und hätten ihren Lebensmittelpunkt im Heim. Sie seien werktäglich nur vorübergehend zum Zwecke der Arbeit oder der beruflichen Förderung in den heimeigenen Werkstätten abwesend. Soweit sie sich nach einer ca. achtwöchigen Eingewöhnungsphase soweit möglich selbst mit Essen versorgten und sich um ihre Kleidung und Sauberkeit kümmerten, sei dies Teil des pädagogischen Konzeptes der Rehabilitationsmaßnahme und diene gerade den Zwecken der "Erziehung, Ausbildung oder Pflege". Die Bewohner seien auch ständig im Tarifsinne im Heim untergebracht, nämlich durchschnittlich ca. ein Jahr. Es finde eine ununterbrochene sozialpädagogische Betreuung statt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.440,00 DM brutto nebst 4 %
Zinsen aus dem sich aus 3.000,00 DM brutto ergebenden Nettobetrag
seit dem 16. März 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Ansicht vertreten, dem Kläger stehe die begehrte Zulage nicht zu, da er nicht in einem Heim im Tarifsinne beschäftigt sei. Ein solches setze eine ununterbrochene Versorgung voraus, während sich hier die Rehabilitanden selbst versorgten. Die Vollversorgung sei nicht Sinn und Zweck der Unterbringung, vielmehr solle die Lebenstüchtigkeit gefördert und nicht eingeschränkt werden. Zur Unterstützung der Rehabilitanden und zur Aufarbeitung ihrer psychischen Probleme würden therapeutische Maßnahmen zwischen 8.00 und 18.00 Uhr angeboten. Ein Heim im Tarifsinne sei nicht nur ein Zuhause, sondern setze eine ganzheitliche psychisch-physische Betreuung, nämlich Unterkunft und Versorgung der überwiegend Behinderten voraus. Es handele sich auch nicht überwiegend um Behinderte iSd. § 39 BSHG, weil nur vorübergehende psychische Probleme hinsichtlich der Berufsausübung therapiert würden. In 11,5 bis 24 Monaten könnten die psychischen Probleme in der Regel beseitigt werden. Nach ca. sechs Monaten könne davon ausgegangen werden, daß die schwerwiegenden psychischen Störungen beseitigt seien. Es handele sich eher um ein Konzept des betreuten Wohnens, das nicht zu einem Zulagenanspruch führe. Die Bewohner seien auch nicht ständig untergebracht, da sie durchschnittlich nur 11,5 Monate blieben. Sie hätten auch nur in Ausnahmefällen ihren Hauptwohnsitz im Heim.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter, wobei er den zunächst gestellten Feststellungsantrag, der auch in die Zukunft gerichtet war, im Hinblick auf sein zwischenzeitliches Ausscheiden in einen Zahlungsantrag gewandelt hat.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht die begehrte Zulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 zur VergGr. IV a Fallgr. 16 der Anlage 1 a zum BAT/VKA zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Zulage, da er nicht in einem Heim iSd. Protokollnotiz beschäftigt werde. Eine gemeinschaftliche Wohnstätte setze eine ununterbrochene Versorgung voraus. Der Lebensmittelpunkt der zu betreuenden Personen müsse sich auf das Heim beziehen. Die Einrichtung der Beklagten sei eher mit einer solchen des "betreuten Wohnens" zu vergleichen, weshalb die mit einer Heimerziehung verbundenen Erschwernisse bei der Art der Tätigkeit nicht anfielen. Von einer Vollversorgung unter Mithilfe der Bewohner könne nicht ausgegangen werden; das Schwergewicht liege auf der Selbstversorgung mit lediglich unterstützender Betreuung. Die Betreuung gehe zwar über die bloße Unterbringung hinaus. Aufgabe der Mitarbeiter sei aber lediglich, die Selbstversorgung der Bewohner zu fördern und durch Unterstützung zu gewährleisten. Die Hilfeleistungen der Betreuer, wenn die Rehabilitanden mit dieser Selbständigkeit nicht zurecht kämen, geschehe nur als Hilfe zur Selbstversorgung. Auch die nächtliche Rufbereitschaft bzw. der Notdienst führten nicht zu einer Vollversorgung der Bewohner. Eine vollstationäre Unterbringung der betreuten Personen finde nicht statt.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht folgen. Vielmehr folgt aus dem festgestellten Sachverhalt, daß der Kläger die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Heimzulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 erfüllt.
A. Die Klage ist nach der Umstellung in einen Leistungsantrag zulässig. Der in der Revisionsinstanz erklärten teilweisen Klagerücknahme hat die Beklagte zugestimmt.
B. Die Klage ist begründet, denn der Kläger hat Anspruch auf die Zahlung einer Heimzulage ab dem 1. Mai 1994.
1. Der Kläger übt eine Tätigkeit als Angestellter im Sozial- und Erziehungsdienst iSd. Anlage 1 a zum BAT Teil II Abschn. G aus, für die die Zahlung einer Heimzulage gem. der Protokollerklärung Nr. 1 in Betracht kommt.
2. Der Kläger ist auch in einem Heim iSd. Protokollerklärung Nr. 1 beschäftigt.
Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Kläger zeitlich überwiegend im Wohnheim tätig. Dort ist auch die überwiegende Zahl der von der Beklagten betreuten Rehabilitanden, nämlich 28 von 50, untergebracht. Nur diese Tätigkeit, nicht diejenige in den außerhalb des Wohnheims lebenden Wohngruppen, kann den Zulagenanspruch auslösen (vgl. BAG 22. Dezember 1994 - 6 AZR 524/94 - nv.).
a) Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff "vergleichbare Einrichtung (Heim)" iSd. Protokollerklärung Nr. 1 nicht definiert. Was sie unter einem Heim verstehen, ist durch Auslegung des Tarifvertrages und der dazu vereinbarten Protokollnotizen zu ermitteln.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zur erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben sodann noch Zweifel, so können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 20. April 1994 - 10 AZR 276/93 - AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11 mwN).
b) aa) Legt man diese Auslegungsgrundsätze zugrunde, so ist zunächst vom Wortlaut der Protokollerklärung Nr. 1 auszugehen. Nach dem allgemeinem Sprachgebrauch versteht man unter einem "Heim" eine Wohnung, einen Haushalt bzw. einen Ort an dem jemand lebt und zu dem er eine gefühlsmäßige Bindung hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 26. Mai 1993 - 4 AZR 130/93 - BAGE 73, 191; 20. April 1994 - 10 AZR 276/93 - AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11; 25. Januar 1995 - 10 AZR 150/94 - ZTR 1995, 318; 23. Februar 2000 - 10 AZR 82/99 - AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 26).
Die Rehabilitanden leben für die Zeit ihrer Unterbringung in dem Heim. Es ist damit ihr Zuhause, so daß auch eine gefühlsmäßige Bindung an das Heim gegeben ist. An dem Heimcharakter ändert sich nichts dadurch, daß die Bewohner dieses zum Zwecke der Arbeit bzw. der beruflichen Förderung und Vorbereitung in den heimeigenen Werkstätten verlassen. Ebenso wie eine Wohnung nicht den Charakter als Lebensmittelpunkt dadurch verliert, daß die Bewohner diese zum Zwecke der Berufsausübung oder des Schulbesuchs regelmäßig verlassen, verliert auch das Wohnheim nicht den Charakter als Lebensmittelpunkt für die dort untergebrachten Bewohner durch die täglich an anderen Orten durchgeführten Maßnahmen.
bb) Aus dem tariflichen Zusammenhang ergibt sich aber, daß nicht jede beliebige Wohnstätte ein Heim im tariflichen Sinne ist, sondern daß eine gemeinschaftliche Wohnstätte für einen bestimmten Personenkreis gemeint ist - hier Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten - mit einer bestimmten Zwecksetzung. Die Ausgestaltung der Wohnstätte muß über die Zurverfügungstellung einer bloßen Unterkunft hinausgehen und eine nicht nur gelegentliche Betreuung umfassen. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß es nicht ausreicht, wenn die Tätigkeit in einer Einrichtung des betreuten Wohnens geleistet wird (BAG 26. Mai 1993 - 4 AZR 260/91 - AP AVR Diakonisches Werk § 12 Nr. 4). Dem Landesarbeitsgericht kann aber nicht darin gefolgt werden, daß die Einrichtung der Beklagten eher einer solchen des betreuten Wohnens entspreche als einem Heim im Tarifsinne. Die im Wohnheim der Beklagten untergebrachten psychisch Kranken und Behinderten erhalten dort Unterkunft, Verpflegung und Betreuung gemäß dem Betreuungsangebot der Beklagten. Dies geht weit über den dem zuvor genannten Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt hinaus, in dem Jugendliche in Form einer fünfstündigen Beratung pro Woche betreut wurden.
Die Einrichtung verliert ihren Heimcharakter auch nicht dadurch, daß keine vollstationäre Versorgung geboten wird, sondern daß die Bewohner sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst versorgen, was Lebensmittel, Kleidung, Körperpflege und Reinigung ihrer Wohnräume betrifft. Soweit in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Mai 1993 (- 4 AZR 149/92 - AP AVR Diakonisches Werk § 12 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 28) für eine gemeinschaftliche Wohnstätte eine "ununterbrochene Versorgung" gefordert wurde, ist dieser Begriff in Abgrenzung zur Betreuung einer Tagesgruppe montags und freitags zwischen 11.30 Uhr und 17.30 Uhr gewählt worden. Die betreuten Personen wohnten bei ihren Eltern und hatten dort ihren Lebensmittelpunkt, nicht in der Stätte, in der sie tagsüber betreut wurden. Das Bundesarbeitsgericht hat in dem erwähnten Urteil eine Parallele zu einer Familiensituation gezogen. Auch in einer Familie wird idR zu Hause gewohnt, geschlafen und gegessen. Dabei können die einzelnen Familienmitglieder verschieden intensive Stadien der Selbständigkeit in der Lebensführung, zB beim Einkaufen und Kochen haben bzw. lernen. Dementsprechend kann die Betreuung in einem Heim gerade darin bestehen, schrittweise Selbständigkeit unter Aufsicht einzuüben. Dies soll im Rahmen der sogenannten soziotherapeutischen Bausteine der von der Beklagten angebotenen Rehabilitationsmaßnahmen, nämlich durch Alltagstraining und soziales Kompetenztraining, für das ua. Sozialpädagogen eingesetzt werden, erreicht werden. Wären die Rehabilitanden bereits selbständig, müßten sie nicht mehr im Wohnheim leben.
c) Die Heimbewohner sind auch überwiegend erwachsene Behinderte im Sinne von § 39 BSHG. Dieses sind Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind. Ihnen ist Eingliederungshilfe nach § 40 BSHG zu gewähren. Solche Maßnahmen stellt die Beklagte zur Verfügung.
Nach § 3 der Eingliederungshilfeverordnung sind seelisch wesentlich behinderte Personen iSd. § 39 BSHG solche, bei denen infolge seelischer Störungen die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft in erheblichem Umfang beeinträchtigt ist. Diese Merkmale liegen vor. Die Heimbewohner sind ua. wegen ihrer sozialen Kompetenzdefizite nur eingeschränkt oder gar nicht in der Lage, einen Beruf auszuüben oder zu erlernen. Sie müssen erst wieder lernen, selbständig zu wohnen, zu wirtschaften und tragfähige soziale Bindungen aufzubauen und zu erhalten. Dieser Zustand ist auch nicht nur vorübergehend. Nach § 4 der Eingliederungshilfeverordnung ist nicht nur vorübergehend im Sinne des § 39 Abs. 1 BSHG ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten. Bei einer Verweildauer von durchschnittlich 11,5 Monaten ist dieser Zeitraum überschritten. Dabei ist es unerheblich, daß die Bewohner nach etwa einem halben Jahr in die kleineren Wohngruppen außerhalb des Heims wechseln. Auch in dieser Zeit sind sie weiterhin behindert im Sinne des § 39 BSHG, lediglich fehlt der Unterbringung dann der Heimcharakter. Auf die Frage einer Personensorgeberechtigung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Dies ergibt sich schon daraus, daß in § 39 BSHG auch körperlich Behinderte berücksichtigt werden, bei denen nur selten ein Unvermögen zur selbständigen Personen- oder Vermögenssorge Folge der Behinderung ist. Ebenfalls ist unerheblich, wo die Bewohner gemeldet sind (BAG 23. Februar 2000 - 10 AZR 82/99 - AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 26).
Die Behinderten sind zum Zwecke der Ausbildung und Pflege iS einer sozialen Rehabilitation im Heim untergebracht. Sie kommen in den Genuß von Eingliederungshilfe gem. § 40 Abs. 1 Ziff. 4, 5 und 6 BSHG, nämlich Hilfe zur Ausbildung für einen angemessenen Beruf oder eine sonstige angemessene Tätigkeit und Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben, weiterhin eine Hilfe zur Fortbildung im früheren oder einem diesem verwandten Beruf oder zur Umschulung für einen angemessenen Beruf oder eine sonstige angemessene Tätigkeit. Die Beklagte gewährleistet außerdem Maßnahmen im Sinne von § 40 Abs. 1 Ziff. 1 BSHG, nämlich die ambulante oder stationäre Behandlung oder sonstige ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen zur Verhütung, Beseitigung oder Milderung der Behinderung. Alle diese Maßnahmen dienen dem in § 39 Abs. 3 BSHG definierten Ziel, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (Schellhorn BSHG 14. Aufl. § 39 Rn. 30, 34, 39, § 40 Rn. 30-32).
d) Es ist unschädlich, daß im Heim der Beklagten überwiegend erwachsene Behinderte untergebracht sind (BAG 20. April 1994 - 10 AZR 276/93 - AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11; 25. Januar 1995 - 10 AZR 150/94 - ZTR 1995, 318).
e) Die Rehabilitanden sind auch "ständig" im Heim der Beklagten untergebracht. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet "ständig" dauernd, immer und ununterbrochen (Wahrig Deutsches Wörterbuch 6. Aufl.). Es kann auch "häufig", "ununterbrochen", "unaufhörlich wiederkehrend" oder "immer wieder" bedeuten (Wahrig aaO; Knaurs Lexikon). Der reine Wortlaut läßt damit verschiedene Bedeutungen zu. Wenn es in der Protokollerklärung Nr. 1 heißt, daß in dem Heim Behinderte zum Zwecke der Ausbildung ständig untergebracht sind, so wird deutlich, daß damit eine Unterbringung für die Dauer der Ausbildung verlangt wird. Eine solche Ausbildung liegt auch dann vor, wenn sie in regelmäßigen Abständen zB durch Frei- und Ruhezeiten unterbrochen wird. Andererseits steht die arbeitstägliche Abwesenheit der Behinderten der Annahme einer ständigen Unterbringung nicht entgegen (BAG 20. April 1994 - 10 AZR 276/93 - aaO; BAG 14. Juni 1995 - 10 AZR 400/94 - nv.), da der Zusammenhang zwischen Unterbringung und Ausbildung gewahrt bleibt. Für die Annahme einer ständigen Unterbringung spricht vorliegend schon, daß eine "Aufnahme" ins Heim erfolgt. Der Aufenthalt ist von vornherein auf eine gewisse Dauer eingerichtet. Dies kann bereits bei einer dreimonatigen Aufenthaltsdauer in einem sog. Sleep-In der Fall sein (BAG 14. Juni 1995 - 10 AZR 400/94 - nv.). Entscheidend ist, daß die Unterbringung auf eine gewisse Kontinuität ausgerichtet ist. Dies ist bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 11,5 Monaten in der Einrichtung, von denen ca. sechs Monate im Heim selbst verbracht werden, der Fall.
f) Das Auslegungsergebnis entspricht Sinn und Zweck der Heimzulage. Mit ihr sollen die Erschwernisse ausgeglichen werden, die durch den in einem Heim anfallenden besonderen Dienst entstehen. Gerade durch das enge Zusammenleben einer größeren Zahl von Personen mit wesentlichen Behinderungen entstehen Konflikte und Probleme, bei deren Bewältigung der Kläger als Ansprechpartner fungiert und die eine kontinuierliche erhöhte psychische Belastung darstellen. Diese besteht während der überwiegenden Arbeitszeit. Es ist nicht erforderlich, daß der zulagenberechtigte Arbeitnehmer selbst in dem Heim wohnt.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterlegen ist (§ 91 ZPO).
Dr. Freitag Böck Marquardt
Hromadka Kay Ohl
Fundstellen