Entscheidungsstichwort (Thema)
Schiedsabrede im Sozialplan
Leitsatz (redaktionell)
Die Betriebspartner können in einem Sozialplan nicht vereinbaren, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern aus der Anwendung des Sozialplans durch einen verbindlichen Spruch einer Einigungsstelle entschieden werden sollen. Eine solche Vereinbarung stellt eine unzulässige Schiedsabrede dar.
Normenkette
ArbGG §§ 4, 101; BetrVG § 76 Abs. 1, 6; ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3; BetrVG § 112 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 04.12.1985; Aktenzeichen 14 Sa 1036/85) |
ArbG Minden (Entscheidung vom 08.05.1985; Aktenzeichen 1 Ca 195/83) |
Tatbestand
Der Kläger war seit November 1966 bei der Beklagten in deren Werk in M zuletzt als Vorarbeiter im Lager tätig. Im Jahre 1982 betrieb die Beklagte die Stillegung ihres Werkes in M. Einem Teil ihrer dort beschäftigten Arbeitnehmer bot sie an, im etwa 30 km entfernten Werk R weiterbeschäftigt zu werden. Auch mit dem Kläger schloß die Beklagte am 12. Juli 1982 einen entsprechenden Vertrag, der auszugsweise wie folgt lautet:
"Herr A. ... übernimmt ab 1. Oktober 1982 im Werk
R die Aufgaben als Lagerarbeiter.
... Sofern ein Sozialplan erstellt wird, gilt für
Sie die mit dem Betriebsrat noch auszuhandelnde
Regelung für übernommene Mitarbeiter."
Am 25. August 1982 schlossen Arbeitgeber und Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan, der für die endgültig ausscheidenden Mitarbeiter die Zahlung von Abfindungen vorsah. Die in andere Werke übernommenen Mitarbeiter sollten keine Abfindung erhalten, jedoch enthält Nr. 5 des Sozialplans die folgende Regelung:
"Sollte sich bei den Arbeitnehmern, die von einem
der K -Gruppe angehörenden Betrieb übernommen
worden sind, herausstellen, daß während der Probe-,
Einarbeitungs- oder Umschulungszeit bis maximal
drei Monate die Anforderungen nicht erfüllt
werden oder nicht erfüllt werden können, so kann
das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten aufgekündigt
werden. Die Arbeitnehmer erhalten dann die
volle Leistung aus dem Sozialplan."
Das Werk M wurde zum 30. September 1982 geschlossen. Bis dahin arbeitete der Kläger auf seinem bisherigen Arbeitsplatz weiter. Er nahm seine neue Tätigkeit im Werk R am 7. und 8. Oktober 1982 auf und wurde dann mit seinem Einverständnis - vertretungsweise - zu einem anderen Unternehmen der K-Gruppe in H versetzt. Mit Schreiben vom 10. Oktober 1982 kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten wie folgt:
"Hiermit möchte ich das am 1. 10. 1982 neu begonnene
Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen
Gründen zum 25. 10. 1982 kündigen.
Ich bin körperlich nicht mehr in der Lage, so
schwere Arbeiten, wie sie von mir an meinem neuen
Arbeitsplatz gefordert werden, dies hat sich schon
in den Wochen des Um- und Ausräumens in M gezeigt,
zu verrichten. Es kann wohl auch nicht in
Ihrem Interesse sein, wenn ich wegen Krankheit häufig
ausfallen würde.
Ich bitte Sie daher, meine Kündigung anzunehmen, und
mir die mir zustehenden Leistungen aus dem Sozialplan
für das Werk M nach Punkt 5., in dem mein Fall
geregelt ist, zu gewähren."
Am 26. Oktober 1982 trat der Kläger eine neue Stelle als Briefzusteller bei der Bundespost an.
Am 16. November 1982 forderte der Kläger von der Beklagten unter Vorlage eines ärztlichen Attests vom 11. November 1982 u.a. die Zahlung der Abfindung nach dem Sozialplan und erhob am 21. Februar 1983 Klage, mit der er - soweit für den Rechtsstreit noch von Interesse - beantragte,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
14.200,-- DM nebst 4 % Zinsen seit
dem 30. November 1982 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, daß der Kläger sein Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen gekündigt habe. Anlaß der Kündigung sei vielmehr die neue Stelle bei der Bundespost gewesen. Der Kläger habe im Werk R die gleiche Tätigkeit verrichten müssen wie schon in M.
Schon in ihrem ersten Schriftsatz vom 3. März 1983 hat die Beklagte "im übrigen" auf Nr. 11 des Sozialplans verwiesen, wo es wie folgt heißt:
"Ergeben sich bei der Anwendung dieses Sozialplans
zwischen der Geschäftsleitung und den betroffenen
Arbeitnehmern Meinungsverschiedenheiten, so sind
sie im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zu regeln.
Kann keine Einigung erzielt werden, entscheidet
eine Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG verbindlich."
Mit Rücksicht darauf beschloß das Arbeitsgericht im Gütetermin neuen Termin nur auf Antrag einer Partei zu bestimmen. Neuen Termin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 26. Oktober 1983, in dem er ausführte, er habe den Betriebsratsvorsitzenden mehrfach gebeten, seine Ansprüche entsprechend der Betriebsvereinbarung mit der Firma gegebenenfalls durch Einberufung der Einigungsstelle zu regeln. Trotz mehrfacher Erinnerung sei eine Einigungsstelle noch nicht gebildet worden. Die Einigungsstelle hat dann am 19. November 1984 getagt und folgenden Spruch gefällt:
"Herrn A. (dem Kläger) ... stehen die Ansprüche
nach dem Sozialplan zu.
Gründe
------
Herrn A. stehen die Ansprüche aus dem Sozialplan
nach dessen Ziff. 5 Abs. 2 zu, weil die dort festgelegten
Voraussetzungen gegeben sind. ..."
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts hinsichtlich der Höhe der Abfindungsforderung abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger lediglich 12.600,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. November 1982 zu zahlen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Abweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Auf den Spruch der Einigungsstelle vom 19. November 1984 kann der Abfindungsanspruch des Klägers nicht gestützt werden. Ob ihm die Abfindung aufgrund der Regelung in Nr. 5 des Sozialplans zusteht, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Die Sache muß daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Anspruch des Klägers auf die Abfindung ergebe sich aus Nr. 5 des Sozialplans in Verbindung mit dem Spruch der Einigungsstelle vom 19. November 1984. Nr. 11 des Sozialplans sei keine unzulässige Schiedsabrede, regele vielmehr, wie bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zu verfahren sei. Auch bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über Rechtsfragen könne im freiwilligen Einigungsverfahren die Einigungsstelle angerufen werden. Ihr Spruch sei verbindlich, wenn sich - wie hier - beide Betriebspartner vorher dem Spruch unterworfen hätten. Allerdings könne die Beklagte jederzeit geltend machen, daß der Spruch rechtsfehlerhaft sei. Eine Überprüfung des Spruchs auf Rechtsfehler sei jedoch nur im eingeschränkten Umfange entsprechend § 110 ArbGG zulässig. Die aufgrund der vorgelegten ärztlichen Atteste vom 11. November 1982 und 16. November 1984 vorgenommene Wertung der Einigungsstelle, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen den Anforderungen der neuen Stelle nicht gewachsen gewesen, sei rechtlich nicht zu beanstanden.
II. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Nr. 11 des Sozialplans stellt eine unzulässige Schiedsabrede dar.
1. Seinem Wortlaut nach regelt Nr. 11 des Sozialplans, wie bei Meinungsverschiedenheiten bei der Anwendung des Sozialplans "zwischen der Geschäftsleitung und den betroffenen Arbeitnehmern" zu verfahren ist. Sie sollen im Einvernehmen mit dem Betriebsrat geregelt werden. Wenn keine Einigung erzielt werden kann, soll die Einigungsstelle verbindlich entscheiden.
Anlaß des Einigungsversuchs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und für das Tätigwerden der Einigungsstelle soll danach nicht eine Meinungsverschiedenheit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die Anwendung und Auslegung des Sozialplans sein, sondern eine solche zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Betriebspartner haben daher bei Abschluß des Sozialplans nicht einen Streit untereinander, sondern einen Rechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber regeln wollen. Sie gingen davon aus, daß die von ihnen getroffene Regelung abschließend und endgültig sein sollte. Streitigkeiten im Einzelfall sollten möglichst gütlich beigelegt werden, wofür die Einschaltung des Betriebsrats nützlich erschien. Nur wenn eine gütliche Einigung scheiterte, sollte in diesem Einzelfalle die Einigungsstelle entscheiden.
Entsprechend haben sich auch die Betriebspartner im vorliegenden Falle verhalten. Die Einigungsstelle ist nicht tätig geworden, weil zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten bestanden. Es war der Arbeitgeber, der als erster auf die Regelung in Nr. 11 des Sozialplans verwies und geltend machte, daß über den Streit zwischen den Parteien zunächst die Einigungsstelle entscheiden müsse. Der Kläger hat vorgetragen, daß er den Betriebsrat wiederholt habe bitten müssen, tätig zu werden, dieser aber offenbar nichts unternommen habe. Auch der Spruch der Einigungsstelle selbst besagt eindeutig, daß diese über eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kläger und der Beklagten entscheiden wollte. Der Spruch spricht dem Kläger den Abfindungsanspruch zu und nimmt in seiner Begründung ausschließlich dazu Stellung, daß die Voraussetzungen der Nr. 5 des Sozialplans gegeben seien.
Diese Umstände verbieten die Annahme, die Betriebspartner hätten mit der Nr. 11 des Sozialplans die Beilegung eigener Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung des Sozialplans regeln wollen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wirksam ist, nach der Meinungsverschiedenheiten in Rechtsfragen durch einen verbindlichen Spruch einer Einigungsstelle beigelegt werden sollen, und unter welchen Voraussetzungen ein solcher Spruch einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt.
2. Als Regelung zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bei der Anwendung des Sozialplans stellt Nr. 11 des Sozialplans eine unzulässige Schiedsabrede dar. Solche Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern können nur Meinungsverschiedenheiten über Rechtsfragen sein, nämlich darüber, ob und in welcher Höhe den betroffenen Arbeitnehmern Ansprüche aus dem Sozialplan zustehen. Solche Meinungsverschiedenheiten sind bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis oder dessen Nachwirkungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 a) oder c) ArbGG. Für solche bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten kann nach § 4 ArbGG die Arbeitsgerichtsbarkeit nur unter den Voraussetzungen des § 101 ArbGG ausgeschlossen werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Regelung in Nr. 11 des Sozialplans, wonach die Einigungsstelle über Ansprüche der Arbeitnehmer aus dem Sozialplan verbindlich entscheiden soll, ist daher eine unzulässige Schiedsabrede.
Der Spruch der Einigungsstelle ist daher unwirksam. Auf ihn kann der Abfindungsanspruch des Klägers nicht gestützt werden.
3. Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits allein davon ab, ob der Kläger nach Nr. 5 des Sozialplans Anspruch auf eine Abfindung hat, nachdem er das Arbeitsverhältnis gekündigt hat, weil sich während der ersten drei Monate herausstellte, daß er die Anforderungen des neuen Arbeitsplatzes aus gesundheitlichen Gründen nicht erfüllen kann. Ob das der Fall war, ist unter den Parteien umstritten. Das Landesarbeitsgericht hat dazu keine eigenen tatsächlichen Feststellungen getroffen. Es hat lediglich ausgeführt, daß der Spruch der Einigungsstelle aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sei, wenn er aufgrund der ärztlichen Atteste die Voraussetzungen der Nr. 5 des Sozialplans bejaht hat. Der Senat kann daher über die Klage nicht abschließend entscheiden. Die Sache muß an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Kehrmann Heisler
Fundstellen
DB 1988, 503-503 (LT) |
NZA 1988, 207-208 (LT) |
RdA 1988, 63 |
ZIP 1988, 185 |
ZIP 1988, 185187 (LT) |
AP § 76 BetrVG 1972, Nr 22 |
AR-Blattei, ES 1470 Nr 31 (LT1) |
AR-Blattei, Sozialplan Entsch 31 (LT1) |
EzA § 76 BetrVG 1972, Nr 37 (LT1) |