Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachwirkender Tarifvertrag. Ablösung durch Betriebsvereinbarung. Teilweise Parallelsache Senat 27. November 2002 – 4 AZR 34/02 –. Feststellungsklage zur Zulässigkeit eines Arbeitseinsatzes am Samstag (in sog. Vorholschichten), Auslegung einer Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeit. teilweise Ablösung eines nachwirkenden Tarifvertrages durch Betriebsvereinbarung. Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeit im Hinblick auf tarifvertragliche Regelungen gem. § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG (Vorrangtheorie). Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Betriebsvereinbarung. Betriebsverfassungsrecht. Tarifrecht. Prozeßrecht
Orientierungssatz
- Die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung über die in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgezählten Gegenstände ist im Hinblick auf die Sperrwirkung von tariflichen Regelungen nicht an § 77 Abs. 3 BetrVG, sondern nur an § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG zu messen (sog. Vorrangtheorie; grundlegend BAG Großer Senat 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134).
- Die Nachwirkung eines Tarifvertrages gem. § 4 Abs. 5 TVG stellt keine Regelungssperre für eine ablösende Betriebsvereinbarung dar (BAG 24. Februar 1987 – 1 ABR 18/85 – BAGE 54, 191).
- Der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung, die erst nach dem Ende der unmittelbaren und zwingenden Wirkung des Tarifvertrages zum Beginn der Nachwirkung in Kraft treten soll, steht nicht entgegen, daß sie bereits vorher abgeschlossen worden ist.
- Auch ohne ausdrückliche Regelung kann sich aus der Gesamtbetrachtung einzelner Regelungen einer Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeit ergeben, daß abweichend von der Regelung im – nachwirkenden – Manteltarifvertrag ein Arbeitseinsatz am Samstag (in sog. Vorholschichten) möglich sein soll.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, 5; ZPO § 256 Abs. 1; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Durchführungsbestimmungen (gültig ab 1. Januar 1989 – MTV 1989 und gültig ab 1. Januar 1997 – MTV 1997)
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Sache darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, sog. Vorholschichten am Samstag abzuleisten. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob nach der Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeitregelung vom 20. November 1996 (gültig ab 1. Januar 1997, BV 1997) Vorholschichten am Samstag zulässig sind oder ob der nachwirkende Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Durchführungsbestimmungen (gültig ab 1. Januar 1989, MTV 1989) dem entgegensteht.
Der Kläger, der Mitglied der IG Medien (jetzt verdi) ist, steht seit dem 4. Juni 1968 auf Grund der Einstellungsbestätigung vom 8. Mai 1968 als Drucker in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Die Beklagte war bis zum 31. Dezember 1996 Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Bayerischen Druckindustrie. Der MTV 1989 wurde durch den Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Durchführungsbestimmungen (gültig ab 1. Januar 1997, MTV 1997) abgelöst.
Die Beklagte und ihr Betriebsrat schlossen am 20. November 1996 mit Wirkung ab 1. Januar 1997 die Betriebsvereinbarung über flexible Arbeitszeitregelung (BV 1997), in der ua. geregelt war, daß bei erhöhtem Arbeitsanfall, vorrangig in der Katalogsaison, an sonst arbeitsfreien Werktagen zusätzlich gearbeitet werden kann (sog. Vorholschichten). Der Kläger wurde im Jahre 1999 zu einer Vorholschicht am Samstag eingeteilt, die über 23.00 Uhr hinaus andauerte.
Der Kläger verlangt in der Sache die Feststellung, daß er dazu nicht verpflichtet ist, Vorholschichten am Samstag zu leisten. Er hat die Auffassung vertreten, daß die Beklagte, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der BV 1997 noch Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Druckindustrie gewesen ist, diese Betriebsvereinbarung nur unter Beachtung dieser bestehenden tariflichen Bindung habe abschließen können. Durch § 3 MTV 1989 sei aber die Samstagsarbeit generell beschränkt. Diese Bindung an die Beschränkung der Samstagsarbeit durch den MTV 1989 werde durch den Eingangssatz der BV 1997 bestätigt. Auch der MTV 1997 beschränke die Samstagsarbeit ab 23.00 Uhr. An diesen Tarifvertrag sei die Beklagte auch nach dem Verbandsaustritt auf Grund betrieblicher Übung gebunden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt:
Es wird festgestellt, daß der Kläger nicht verpflichtet ist, sog. Vorholschichten im Zeitraum samstags nach 23.00 Uhr abzuleisten,
hilfsweise,
der Beklagten wird untersagt, den Kläger zur Ableistung von Vorholschichten heranzuziehen, soweit diese Samstag in der Zeit nach 23.00 Uhr liegen.
Hilfsweise hat er beantragt:
Es wird festgestellt, daß der Kläger nicht verpflichtet ist, sog. Vorholschichten an Samstagen unter Anrechnung auf die regelmäßige Wochenarbeitszeit von 35 Stunden abzuleisten,
höchst hilfsweise,
der Beklagten wird untersagt, den Kläger zur Ableistung von Vorholschichten an Samstagen unter Anrechnung auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers von 35 Stunden heranzuziehen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, daß sie den Kläger zu Vorholschichten am Samstag heranziehen könne, auch nach 23.00 Uhr. Mit dem Betriebsrat habe sie wirksam die BV 1997 zur Arbeitszeitflexibilisierung vereinbart, welche den gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkenden MTV 1989 abgelöst habe. Der MTV 1997 finde keine Anwendung, da sie zum 31. Dezember 1996 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sei. Der MTV 1997 entfalte auch keine Sperrwirkung für die gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 2 BetrVG getroffene BV 1997 über flexible Arbeitszeitregelung. Im übrigen ergebe sich weder aus dem MTV 1989 noch aus dem MTV 1997 eine Unzulässigkeit der am Samstag zu leistenden Vorholschichten, auch nicht nach 23.00 Uhr.
Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag des Klägers entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Kläger verpflichtet, Vorholschichten auch am Samstag abzuleisten, ggf. auch nach 23.00 Uhr.
I.Die Klage ist zulässig.
1. Die Anträge bedürfen der Auslegung. Dem Kläger geht es, wie sich aus der Begründung der Klage ergibt, in der Sache um die Zulässigkeit seines Einsatzes in Vorholschichten am Samstag. In seinen Anträgen formuliert er dieses Begehren vorrangig als Feststellungsantrag, und hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit des Feststellungsantrags als Untersagungsantrag. Sein Begehren ist im Hauptantrag und im ersten Hilfsantrag auf den Einsatz in Vorholschichten am Samstag nach 23.00 Uhr gerichtet, weil er zunächst von der Anwendbarkeit des MTV 1997 ausgegangen ist. In den weiteren Hilfsanträgen geht es um die Zulässigkeit des Einsatzes in Vorholschichten am Samstag generell. In der Sache geht es den Parteien, wie sie in der Revisionsverhandlung klargestellt haben, auch im Hauptantrag vorrangig um die Frage, ob dem Einsatz des Klägers in Vorholschichten am Samstag nach der BV 1997 die Nachwirkung des MTV 1989 entgegensteht. Davon wäre auch, aber nicht nur die Zeit nach 23.00 Uhr betroffen.
2. Für den so verstandenen Hauptantrag ist das nach § 256 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse gegeben. Zwar geht es vorliegend nicht um den Bestand des Rechtsverhältnisses als solchen, sondern um eine Einzelfrage in der Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage kann sich aber auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis wie bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder den Umfang einer Leistungspflicht beschränken. An der Feststellung der Lage oder des zeitlichen Umfangs der zu erbringenden Arbeitsleistung besteht regelmäßig ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO, wenn darüber, wie vorliegend, zwischen den Parteien Streit besteht (vgl. BAG 23. Juni 1992 – 1 AZR 57/92 – AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 1 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 12; 11. Februar 1998 – 5 AZR 472/97 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 54 = EzA BGB § 315 Nr. 48). Die BV 1997 als Grundlage für die Anordnung von Vorholschichten ist, wie die Parteien in der Revisionsverhandlung übereinstimmend klargestellt haben, noch in Kraft. Über die Zulässigkeit des Einsatzes in Vorholschichten am Samstag nach der BV 1997 besteht nach wie vor Uneinigkeit, und die Parteien haben übereinstimmend erklärt, daß die Klärung der noch streitigen Frage, ob die Nachwirkung des MTV 1989 dem Einsatz des Klägers nach der BV 1997 in Vorholschichten am Samstag entgegensteht, im Rahmen der Entscheidung über den Feststellungsantrag den Streit zwischen ihnen befrieden werde.
II. Der Hauptantrag ist nicht begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich aus der BV 1997 die Zulässigkeit des Einsatzes des Klägers in Vorholschichten am Samstag. Die Nachwirkung des MTV 1989 steht dem nicht entgegen, weil die BV 1997 den nachwirkenden MTV 1989 hinsichtlich des Verbotes von regelmäßiger Arbeitszeit am Samstag wirksam abgelöst hat.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Zulässigkeit der Samstagsarbeit nicht nach dem MTV 1997 richte, der im § 3 Ziff. 1 Abs. 5 ua. bestimme, daß in Betriebsabteilungen mit drei- oder mehr als dreischichtiger Produktion, soweit es nicht um die Produktion von Zeitungen gehe, die regelmäßige Arbeitszeit spätestens um 23.00 Uhr enden müsse. Die Beklagte sei zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des MTV 1997 nicht mehr Mitglied des Arbeitgeberverbandes gewesen, so daß insoweit eine zwingende Geltung gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG nicht in Betracht komme. Die Anwendbarkeit des MTV 1997 ergebe sich auch nicht aus der Einstellungsbestätigung vom 8. Mai 1968 oder aus betrieblicher Übung. Diese zutreffende rechtliche Bewertung des Landesarbeitsgerichts hat die Revision nicht gerügt.
2. Der Kläger ist nach BV 1997 verpflichtet, Vorholschichten an Samstagen zu leisten, gleichgültig, ob sie (auch) nach 23.00 Uhr abzuleisten sind oder nicht. Solche Vorholschichten sind nach der BV 1997 zulässig. Das hat das Landesarbeitsgericht nicht erkannt.
a) Die BV 1997 ordnet nicht ausdrücklich an, daß solche Vorholschichten an Samstagen zulässig sind. Die Zulässigkeit solcher Vorholschichten folgt jedoch aus dem Zusammenhang der darin vereinbarten Regelungen. Sie lauten im hier interessierenden Zusammenhang:
“3. Arbeitszeitverteilung
3.1 Die regelmäßige Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte beträgt im Jahresdurchschnitt 35 Stunden je Woche, gemäß der derzeit geltenden Wochenarbeitszeit.
3.2 Die Wochenarbeitszeit ist für die einzelnen Abteilungen, bzw. für die dort Beschäftigten in den jeweiligen Arbeitszeitregelungen festgelegt.
3.3 Auf der Grundlage der bestehenden Schichtpläne kann bei erhöhtem Arbeitsanfall, vorrangig in der Katalogsaison, an sonst arbeitsfreien Werktagen zusätzlich gearbeitet werden. Dafür soll in Zeiten, in denen weniger oder keine Arbeit anfällt, Freizeit genommen werden.
3.4 Die Geschäftsleitung erstellt zur Arbeitszeitverteilung Jahres- und Quartalspläne. Die Jahresplanung stellt eine vorausschauende Grobplanung dar, die spätestens acht Wochen vor der Festlegung dem Betriebsrat vorzulegen und zu erläutern ist.
Die Quartalsplanung verfeinert die Arbeitszeitverteilung entsprechend der voraussehbaren Auftragslage. Die ihr zugrundeliegenden Arbeitseinsatzpläne für die einzelnen Abteilungen sind mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Damit soll sichergestellt werden, daß sich die Mitarbeiter auf ihren Arbeitseinsatz rechtzeitig einstellen können. Die Zeiten für den Arbeitseinsatz und Freizeitausgleich sind gemäß Ziff. 3.3 im Arbeitseinsatzplan festzulegen.
…
4.3 Die Absage geplanter Schichten (Montag-Samstag) kann innerhalb von Ankündigungszeiträumen von weniger als 2 Tagen nur mit Zustimmung der Mitarbeiter erfolgen.
…
5. Anzahl der Vorholschichten
Der einzelne Mitarbeiter kann gemäß Ziff. 3.3 an freien Tagen zu bis zu 10 Vorholschichten innerhalb eines Jahres verpflichtet werden, die tatsächlich zu leisten sind. Die Geschäftsleitung hat darauf zu achten, daß für jeden Mitarbeiter nicht mehr als 12 Werktage zusammenhängend, bzw. im Vierschicht-Betrieb nicht mehr als zwei Werktage in einer Freiwoche anfallen.”
b) Die einschlägigen Regelungen zu den Vorholschichten (Ziff. 3.3, 3.4 Abs. 2 Satz 4 und Ziff. 5 BV 1997) enthalten keine ausdrückliche Bestimmung dazu, ob die Vorholschichten am Samstag durchgeführt werden können. In Ziff. 3.3 BV 1997 ist lediglich geregelt, daß bei Vorholschichten “an sonst arbeitsfreien Werktagen” gearbeitet werden könne. Daraus ergibt sich aber nicht eindeutig, ob damit arbeitsfreie Tage von Montag bis Freitag gemeint sind, an denen nach den an bestehenden Schichtplänen keine Arbeit vorgesehen ist, oder ob damit die nach dem MTV 1989 unzulässige Arbeit an Samstagen eröffnet werden soll. Unergiebig ist insoweit auch die Regelung in Ziff. 3.4 Abs. 2 Satz 4 BV 1997, wonach der Arbeitseinsatz und der Freizeitausgleich von Vorholschichten im Arbeitseinsatzplan festzulegen sind.
c) Die Regelungen in Ziff. 5 BV 1997 – bis zu 10 Vorholschichten innerhalb eines Jahres für den einzelnen Arbeitnehmer; nicht mehr als 12 Werktage zusammenhängend; im Vierschicht-Betrieb nicht mehr als zwei Werktage in einer Freiwoche – enthalten keine ausdrückliche Aussage über die Zulässigkeit von Vorholschichten an Samstagen. Das Verbot von “mehr als 12 Werktage zusammenhängend” setzt allerdings diese Möglichkeit logisch zwingend voraus. Denn 12 zusammenhängende Werktage sind nur möglich, wenn die nach MTV 1989 zulässige regelmäßige Arbeitszeit von Montag bis Freitag durch eine Vorholschicht am Samstag ergänzt wird. Wenn Vorholschichten nur an Werktagen Montag bis Freitag gelegt werden könnten, wäre die Regelung unverständlich, weil ein Arbeitseinsatz an “12 Werktagen zusammenhängend” gar nicht vorliegen könnte. Der arbeitsfreie Samstag würde dazu führen, daß nur jeweils fünf zusammenhängende Werktage umfassende Arbeitseinsätze möglich wären. Die Regelung zeigt demnach, daß der “an sonst arbeitsfreie Werktag” iSv. Ziff. 3.3 BV 1997 auch ein Samstag sein kann. Durch die Beschränkung des Einsatzes von Mitarbeitern auf “12 Werktage zusammenhängend” wird somit der Einsatz in Vorholschichten in drei aufeinanderfolgenden Samstagen ausgeschlossen, wenn auch an den sonstigen Werktagen Montag bis Freitag gearbeitet wird.
d) Die Zulässigkeit von Vorholschichten am Samstag ergibt sich noch klarer aus Ziff. 4.3 BV 1997. In Ziff. 4 BV 1997 geht es um die Kompetenzen des Arbeitgebers, des Betriebsrats bzw. der betroffenen Arbeitnehmer bei kurzfristigen Planänderungen der gemäß Ziff. 3 aufgestellten Arbeitseinsatzpläne. Nach Ziff. 4.3 BV 1997 kann die “Absage geplanter Schichten (Montag-Samstag)” bei einer Ankündigungsfrist von weniger als zwei Tagen nur mit Zustimmung der Mitarbeiter erfolgen. Diese Formulierung setzt voraus, daß in dem Arbeitseinsatzplan auch Schichten am Samstag enthalten sein können. Ausgehend von der der BV 1997 zugrunde liegenden Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf Montag bis Freitag entsprechend dem MTV 1989 können damit nur die Vorholschichten am Samstag gemeint sein, die gem. Ziff. 3.4 Abs. 2 Satz 4 BV 1997 ebenso wie der Freizeitausgleich im Arbeitseinsatzplan festgelegt werden.
3. Die BV 1997 hat die entgegenstehenden, aber nur noch nachwirkenden Regelungen des MTV 1989 zur Zulässigkeit von Vorholschichten am Samstag abgelöst (§ 4 Abs. 5 TVG).
a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, daß nach MTV 1989 Vorholschichten iSd. BV 1997 am Samstag nicht zulässig sind. Nach § 3 Ziff. 1 Abs. 2 MTV 1989 ist die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf 5 Tage von Montag bis Freitag zu verteilen. Samstagsarbeit wird nach § 3 Ziff. 1 Abs. 3 MTV 1989 nur für die Produktion von Zeitungen und Zeitschriften bzw. für Zeitungsbetriebe zugelassen, wobei sich aus Nr. 2a und 3 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV 1989 weitere Regelungen zur Samstagsarbeit ergeben, ua. daß bei regelmäßiger Arbeit am Samstag zur Produktion von Zeitschriften diese spätestens um 22.00/23.00 Uhr enden muß. Aus § 3 Ziff. 1 Abs. 4 MTV 1989 ergibt sich überdies eine Öffnung für Samstagsarbeit für Arbeitnehmer mit besonderer Funktion (zB Bewachung von Betriebsanlagen bzw. Versorgungsanlagen). Diese Ausnahmetatbestände für die Zulässigkeit der Samstagsarbeit sind für die Beschäftigung des Klägers nicht einschlägig. Eine weitere Öffnung für die Samstagsarbeit im Rahmen der regelmäßigen Wochenarbeitszeit enthält der MTV 1989 nicht, auch nicht durch die Regelung in § 3 Ziff. 1 Abs. 7 MTV 1989 iVm. Ziff. 4 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV, wonach Arbeitszeitverteilungspläne mit ungleicher Verteilung der Tages- und/oder Wochenarbeitszeit aus betrieblichen Gründen durch Betriebsvereinbarungen festgelegt werden können. Daraus ergibt sich keine Aufhebung der Beschränkungen der Samstagsarbeit. Das ist durch den Schiedsspruch vom 28. Februar 1995 geklärt worden, der wie folgt lautet:
“Es wird festgestellt, daß § 3 Ziff. 1 Abs. 7 i.V.m. Durchführungsbestimmung (4) Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer keine weiteren Ausnahmetatbestände zu § 3 Ziff. 1 Abs. 2 (Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 5 Tage von Montag bis Freitag) beinhaltet: Ausnahmen von § 3 Ziff. 1 Abs. 2 Manteltarifvertrag sind nur nach § 3 Ziff. 1 Abs. 3 und 4 zulässig. Sonderschichten und Überstunden sind davon nicht berührt.”
b) Die Regelungen der BV 1997 haben die des MTV 1989 jedenfalls insoweit modifiziert und damit abgelöst, als es um die Zulässigkeit von Vorholschichten am Samstag geht. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Nachwirkung des MTV 1989 sei nicht durch die BV 1997 abgelöst worden. Die Betriebsparteien hätten zwar eine abweichende Betriebsvereinbarung mit Geltung ab 1. Januar 1997 abschließen können. Die BV 1997 sei aber keine ablösende Betriebsvereinbarung, weil sie sich auf Nr. 4 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV 1989 beziehe und weil sie sich inhaltlich an die Vorgaben des MTV 1989 halte. Eine ablösende Vereinbarung liege auch nicht in den Genehmigungen der Vorholschichten durch den Betriebsrat, die lediglich als Regelungsabreden und nicht als Betriebsvereinbarungen zu qualifizieren seien. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Wie dargelegt, ergibt sich aus den einschlägigen Regelungen der BV 1997, daß in Anwendung von MTV 1989 Vorholschichten am Samstag zulässig sein sollen.
bb) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich aus der Präambel der BV 1997 nichts anderes, wonach diese “Betriebsvereinbarung über ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit … nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG iVm. § 3 Durchführungsbestimmung (4) MTV gewerblich” abgeschlossen worden ist. Denn die angeführte Durchführungsbestimmung Nr. 4 zu § 3 MTV 1989 ergänzt die Regelung in § 3 Ziff. 1 Abs. 7 MTV 1989, in der bestimmt ist, daß Arbeitszeitverteilungspläne über mehrere Wochen zulässig sind. Die Durchführungsbestimmung Nr. 4 enthält einschränkende Bestimmungen zu diesen Arbeitszeitverteilungsplänen, ua. daß Arbeitszeitverteilungspläne mit ungleicher Verteilung der Tages- und/oder Wochenarbeitszeit aus betrieblichen Gründen zulässig sind, daß jede abweichende Arbeitszeitverteilung durch Betriebsvereinbarung festzulegen ist und daß die über die tarifliche Wochenarbeitszeit hinausgehende Zeit vorrangig durch volle freie Tage auszugleichen ist. Diese Vorschriften enthalten keine Regelung über Vorholschichten und deren zeitliche Lage. Auch wenn also durch die Bezugnahme auf Nr. 4 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV 1989 diese Regelungen Anwendung finden sollten, würde das der in der BV 1997 eröffneten Möglichkeit von Vorholschichten am Samstag nicht entgegenstehen.
cc) Auch die Regelung in Ziff. 2 BV 1997 steht der Auslegung nicht entgegen. Diese lautet:
“2. Zweck und Ziel
Um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten und die Arbeitsplätze abzusichern, ist es neben anderen kostensenkenden Maßnahmen erforderlich, die Arbeitszeit den auftragsbedingten und terminabhängigen Produktionsabläufen im Rahmen der tariflichen Bestimmungen anzupassen. Dabei werden neben den betrieblichen auch die persönlichen Belange der Beschäftigten berücksichtigt.”
Aus der Formulierung “im Rahmen der tariflichen Bestimmungen” ergibt sich keine Bindung an die Arbeitszeitregelungen im MTV 1989 unabhängig von deren tarifrechtlicher Geltung. Durch die Formulierung wird vielmehr der Umstand gekennzeichnet, daß die BV 1997 keine in sich geschlossene und vollständige Arbeitszeitregelung darstellt, sondern von den Arbeitszeitregelungen des MTV 1989 ausgeht und nur im begrenzten Umfang abweichende oder ergänzende Regelungen trifft. Das ergibt sich auch aus der Präambel der BV 1997, wonach es dabei um eine flexible Arbeitszeitregelung geht, wie sie in § 3 Ziff. 1 Abs. 7 MTV 1989 und der dazu ergangenen Durchführungsbestimmung Nr. 4 vorgesehen ist.
c) Die Wirksamkeit der insoweit ablösenden BV 1997 scheitert nicht an § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, obwohl sie bereits am 20. November 1996 und damit zu einer Zeit abgeschlossen worden ist, als die entgegenstehenden tariflichen Regelungen des MTV 1989 im Hinblick auf die Tarifgebundenheit der Beklagten noch unmittelbare und zwingende Geltung beanspruchten (§ 4 Abs. 1 TVG). Denn die BV 1997 trat erst am 1. Januar 1997 in Kraft. In diesem Zeitpunkt wirkten die Normen des MTV 1989 nur noch gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach, weil die Tarifgebundenheit der Beklagten mit dem Verbandsaustritt zum 31. Dezember 1996 erlosch (§ 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG) und auch der MTV 1989 mit dem 31. Dezember 1996 endete.
aa) Die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung über die in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgezählten Gegenstände ist im Hinblick auf (entgegenstehende) Tarifregelungen nicht an § 77 Abs. 3 BetrVG, sondern nur an § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG zu messen (sog. Vorrangtheorie; grundlegend BAG – Großer Senat – 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134). Danach können die Betriebsparteien auch eine Arbeitszeitregelung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nur treffen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Wirkt ein Tarifvertrag nur noch nach (§ 4 Abs. 5 TVG), so stellt das keine Tarifsperre iSv. § 87 Abs. 1 BetrVG dar (BAG 24. Februar 1987 – 1 ABR 18/85 – BAGE 54, 191).
bb) Für die Frage, ob eine Betriebsvereinbarung wegen des Bestehens einer tariflichen Regelung nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG unwirksam ist, kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung an, sondern darauf, ob und inwieweit sich die Geltungszeiträume überschneiden. Der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung, die erst nach dem Ende der zwingenden und unmittelbaren Geltung des Tarifvertrags (§ 4 Abs. 1 TVG) in Kraft treten soll, steht nicht entgegen, daß sie bereits vorher abgeschlossen worden ist (aA wohl ErfK/Schaub 3. Aufl. TVG § 4 Rn. 78; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 307; dabei wird allerdings nicht zwischen dem Zeitpunkt des Abschlusses und des Inkrafttretens unterschieden). Das gilt vor allem, wenn durch die Betriebsvereinbarung – wie hier – eine nahtlos anschließende, vom bisherigen Tarifvertrag abweichende Regelung getroffen werden soll.
Die Nachwirkung von Tarifverträgen gem. § 4 Abs. 5 TVG hat nur eine vorübergehende Ordnungsfunktion im Interesse der Rechtssicherheit, mit der die weitere Geltung der tariflichen Regelungen gewährleistet werden soll, bis andere kollektiv- oder einzelvertragliche Vereinbarungen an deren Stelle treten. Es soll verhindert werden, daß durch die Beendigung des Tarifvertrages die Arbeitsverhältnisse wegen fehlender an dessen Stelle tretender Regelungen durch dispositives Gesetzesrecht ergänzt werden müssen (BAG 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – AP TVG § 3 Nr. 13 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 14). Den Tarifvertragsparteien, Betriebsparteien oder Arbeitsvertragsparteien ist es danach nicht verwehrt, ablösende Regelungen zu vereinbaren. Dann aber ist auch kein vernünftiger Grund erkennbar, den Betriebsparteien Verhandlungen über eine ablösende Vereinbarung schon vor Beginn der Nachwirkung und bei einer schon vor Beginn der Nachwirkung erzielten Einigung den Abschluß der Regelung zu verbieten, wenn – wie hier – das Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung auf den Beginn der Nachwirkung bestimmt wird. In diesem Fall kommt es überhaupt nicht zu einer Konfliktlage zwischen einem unmittelbar und zwingend geltenden Tarifvertrag und einer gleichzeitig Geltung beanspruchenden Betriebsvereinbarung. Die Frage, ob eine gegen die Regelungssperre des § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung nach Wegfall der Regelungssperre wirksam wird, stellt sich deshalb vorliegend nicht.
d) Somit steht die Nachwirkung des MTV 1989 der Wirksamkeit der BV 1997 nicht entgegen, soweit diese hinsichtlich der Zulässigkeit von Vorholschichten am Samstag eine ablösende Regelung getroffen hat. Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Anordnung von Vorholschichten am Samstag in der Vergangenheit wirksam erfolgt ist, dh. ob die nach der BV 1997 erforderliche Festlegung in dem mit dem Betriebsrat zu vereinbarenden Arbeitseinsatzplan (Ziff. 3.4 Abs. 2 Satz 2 und Satz 4 BV 1997) vorgelegen hat, ist nach dem vorliegenden Antrag nicht zu entscheiden.
III. Weil der Einsatz des Klägers in Vorholschichten am Samstag nach der BV 1997 zulässig ist, sind auch die Hilfsanträge unbegründet. Denn sie alle setzen voraus, daß der Kläger derart nicht eingesetzt werden darf.
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Bott, Wolter, J. Ratayczak
Der ehrenamtliche Richter Fieberg ist aus dem Amt ausgeschieden und deswegen an der Unterschrift verhindert.
16. April 2003
Schliemann
Fundstellen
FA 2003, 312 |
SAE 2003, 324 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 9 |
EzA |
ArbRB 2003, 238 |