Leitsatz (redaktionell)
1. |
Nach Nr. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O sind Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen. Um eine Tätigkeit für das MfS handelte es sich in der Regel nicht, wenn der Angestellte in Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten dem MfS Auskünfte über dienstliche Angelegenheiten erteilte. Der Angestellte handelte in einem solchen Fall "für" seinen Arbeitgeber, aber nicht "für" das MfS. |
2. |
Die Abgabe einer Verpflichtungserklärung zu informeller/ inoffizieller Mitarbeit führt zum Anrechnungsausschluß nach Nr. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O (Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats aus dem Urteil vom 29. Januar 1998 - 6 AZR 300/96 - zur Veröffentlichung vorgesehen). |
3. |
Die Darlegungs- und Beweislast für die Abgabe einer Verpflichtungserklärung obliegt dem Arbeitgeber. Existiert in noch vorhandenen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR nur eine karteimäßige Erfassung des Angestellten als IMS mit einem Decknamen, kann dies darauf hindeuten, daß der Angestellte eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat. Beruft sich der Arbeitgeber unter Hinweis auf diese Erfassung darauf, daß nach den Richtlinien des MfS ein Deckname in der Regel erst nach Abgabe einer Verpflichtungserklärung vergeben worden sei, und benennt er als Beweis für die Behauptung, der Angestellte habe eine Verpflichtungserklärung abgegeben, den Führungsoffizier, dem gegenüber die Verpflichtung erfolgt sein soll, als Zeugen, handelt es sich nicht um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. |
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Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Dauer der Postdienstzeit des Klägers.
Der am 3. September 1955 geborene Kläger war seit dem 1. September 1972 bei der Deutschen Post der ehemaligen DDR beschäftigt und im Fernmeldeamt Cottbus eingesetzt. Seit 1987 war er mit dem Aufbau und der Wartung der Chiffrieranlage des Post- und Fernmeldeamtes Senftenberg betraut. Die Chiffriertechnik dieser Anlage sowie die Sicherheit der örtlichen Gegebenheiten wurden halbjährlich von Mitarbeitern des MfS/AfNS (Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit) überprüft. Mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 wurde der Kläger von der Rechtsvorgängerin der Beklagten übernommen. Seit Januar 1991 ist er in der Planungsstelle für fernmeldetechnische Inneneinrichtungen als Sachbearbeiter tätig. Auf sein Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Angestellten der Deutschen Bundespost Anwendung.
Durch den Tarifvertrag Nr. 401 e über die Anerkennung früherer Beschäftigungszeiten für die Angestellten im Beitrittsgebiet vom 5. Februar 1992 wurde
- soweit hier von Bedeutung - folgende Regelung über die Postdienstzeit in den TV Ang-O aufgenommen:
"§ 16
Postdienstzeit
(1) Postdienstzeit ist die bei der Deutschen Bundespost/
Deutschen Post und der Landespostdirektion Berlin in einem Ausbildungs-, Arbeits- oder Beamtenverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist; ...
...
Übergangsvorschriften:
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1. für Zeiten vor dem 1. Januar 1991Von der Berücksichtigung als Postdienstzeit sind ausgeschlossena) Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staats- |
sicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (einschließlich |
der Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit),b) Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen |
der DDR,c) Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer besonderen per- |
sönlichen Systemnähe übertragen worden war.... |
Von einer Berücksichtigung als Postdienstzeit ausge- |
schlossen sind auch Zeiten, die vor einer Tätigkeit im Sin- |
ne der Buchstaben a, b und c zurückgelegt worden sind...." |
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In seinem Antrag vom 13. Oktober 1992 auf Anrechnung von Vordienstzeiten erklärte der Kläger, niemals für das MfS/AfNS tätig gewesen zu sein. Am 8. März 1994 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (fortan: Bundesbeauftragter) der Beklagten mit, daß der Kläger auf Karteikarten des MfS unter dem Decknamen "Biene" als "IMS" (informeller Mitarbeiter Sicherheit) geführt worden sei. Die dazugehörigen Akten seien zur Zeit nicht auffindbar. Aufgrund der Karteierfassung könne nicht gesagt werden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang und mit welcher Intensität der Kläger für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet habe.
Die Beklagte hörte den Kläger am 13. April 1994 zum Inhalt des Berichts des Bundesbeauftragten an. Dabei bestätigte der Kläger zwei Versuche des MfS, ihn zur Abgabe einer Verpflichtungserklärung zu bewegen. Dies habe er jedoch abgelehnt. Auch der in der Kartei angegebene Deckname sei ihm völlig unbekannt.
Die Beklagte setzte daraufhin mit Schreiben vom 4. Mai 1994 den Beginn der Dienstzeit des Klägers auf den 3. Oktober 1990 fest. Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger begehrt, ihm die bei der Deutschen Post zurückgelegte Zeit als Postdienstzeit anzurechnen.
Der Kläger hat behauptet, es habe zwar im Zusammenhang mit seiner Arbeit an der Chiffrieranlage dienstliche Berührungspunkte mit dem MfS gegeben. So sei ihm beim Aufbau des Chiffrierdienstes von der Postdirektion Cottbus Herr Schlinke als Verantwortlicher des MfS für den Chiffrierdienst vorgestellt worden. Herr Schlinke habe in der Folgezeit in etwa halbjährlichen Abständen Überprüfungen durchgeführt und dabei etwa Ende 1986/Anfang 1987 zweimal vergeblich versucht, ihn für das MfS zu werben. Er habe jedoch weder eine Verpflichtungserklärung abgegeben, noch sei er jemals für das MfS tätig gewesen. Seine Registrierung sei ohne sein Wissen erfolgt und er habe erstmals im Rahmen der persönlichen Anhörung am 13. April 1994 hiervon erfahren. Aus der Existenz der Karteikarten könne weder auf eine Tätigkeit für das MfS noch auf die Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungserklärung geschlossen werden.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß ihm eine Postdienstzeit/Dienstzeit ab dem 1. September 1972 anzuerkennen sei.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe mit dem MfS zusammengearbeitet. Jedenfalls habe er im September 1987 gegenüber dem MfS-Mitarbeiter Schlinke eine Verpflichtungserklärung abgegeben und den Decknamen "Biene" gewählt. Beides sei aus den Karteikarten abzuleiten. Schon der Umstand, daß der Kläger dort unter einem Decknamen geführt worden sei, spreche für diese Annahme. Solche Decknamen seien erst nach Abgabe einer Verpflichtungserklärung vom MfS vergeben oder von den inoffiziellen Mitarbeitern selbst gewählt worden. Durch die Existenz einer Karteikarte über die Führung als IMS und die Eintragung in die Vorgangskartei werde die Abgabe einer Verpflichtungserklärung bewiesen. Der außerdem für die Abgabe einer Verpflichtungserklärung des Klägers angebotene Zeugenbeweis sei kein unzulässiger Ausforschungsbeweis. Auch kämen ihr die Grundsätze der mittelbaren Beweisführung zugute. Nachdem die Bezirksverwaltung Cottbus des MfS sämtliche Akten vernichtet habe, sei sie als Arbeitgeberin durch die Vorlage der Karteikarten ihrer Darlegungs- und Beweislast nachgekommen. Es sei daraufhin Sache des Klägers gewesen, seinerseits vorzutragen und zu beweisen, daß er sich nicht zu einer Zusammenarbeit mit dem MfS verpflichtet habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Verurteilung der Beklagten damit begründet, daß diese eine Tätigkeit des Klägers für das MfS nicht hinreichend substantiiert dargetan habe und die Abgabe einer Verpflichtungserklärung allein nicht ausreiche, um die Ausschlußtatbestände der Nr. 1 Buchst. a und der Nr. 1 Satz 4 der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O zu begründen.
II. Dem kann nur insoweit gefolgt werden, als eine Tätigkeit des Klägers für das MfS nicht festgestellt ist. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann hingegen die bloße Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Zusammenarbeit mit dem MfS zum Anrechnungsausschluß gem. Ziff. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O führen. Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger eine derartige Verpflichtungserklärung abgegeben hat. Dies wird es nachholen müssen. Der Rechtsstreit war daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß der Kläger nicht im Sinne der Tarifnorm für das MfS tätig war.
a) Gem. Ziff. 1 Buchst. a der Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O sind von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen Zeiten jeglicher Tätigkeit für das MfS/AfNS. Damit sind sowohl die hauptamtliche Tätigkeit als auch die Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter erfaßt. Nach dem Tarifwortlaut kommt es weder darauf an, wie die Tätigkeit geartet war, insbesondere, welchen "Unrechtsgehalt" sie aufwies, noch ist der Umfang der Tätigkeit maßgebend. Allerdings muß es sich um eine bewußte und gewollte Tätigkeit für das MfS gehandelt haben (Senatsurteile vom 29. Februar 1996 - 6 AZR 381/95 - AP Nr. 1 zu § 16 TV Ang Bundespost, zu 2 b der Gründe und vom 29. Januar 1998 - 6 AZR 360/96 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 1 der Gründe).
Aus der Verwendung der Präposition "für" in der tariflichen Regelung ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Urteil vom 14. Dezember 1995 - 8 AZR 356/94 - AP Nr. 56 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX) zu folgern, daß es sich um eine finale Tätigkeit für das MfS gehandelt haben muß. Als eine solche zweckgerichtete Tätigkeit ist jedoch in der Regel nicht anzusehen, wenn der Angestellte dem MfS in Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung Auskünfte über dienstliche Angelegenheiten erteilte. Diese dem Arbeitgeber geschuldete Tätigkeit kam zwar letztlich dem MfS zugute, der Angestellte erbrachte sie jedoch nicht "für" das MfS, sondern "für" seinen Arbeitgeber. Anders könnte der Fall zu beurteilen sein, wenn der Angestellte das MfS in einem seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen übersteigenden Umfang unterrichtet hätte, da insoweit keine Tätigkeit für den Arbeitgeber mehr vorgelegen hätte, sondern allein eine solche für das MfS. Für ein derartiges Verhalten des Klägers bestehen jedoch keine Anhaltspunkte.
Diese am Wortlaut der Tarifbestimmung orientierte Interpretation entspricht dem bei der Tarifauslegung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. etwa Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) zu berücksichtigenden, anhand des Gesamtzusammenhangs der tariflichen Normen zu ermittelnden Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift Nr. 1 zu § 16 TV Ang-O. Die Tarifvertragsparteien haben in dieser Bestimmung Tätigkeiten, die den Anforderungen des öffentlichen Dienstes, wie er in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung verstanden wird, nicht gerecht wurden, von der Anrechnung als Beschäftigungszeit ausgenommen (Senatsurteil vom 30. Mai 1996 - 6 AZR 632/95 - AP Nr. 9 zu § 19 BAT-O, zu II 3 c bb der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Dies gilt speziell für die Tätigkeit für das MfS (Buchst. a) und bei den Grenztruppen (Buchst. b) sowie allgemein für Tätigkeiten, die dem Angestellten aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden waren (Buchst. c). Diesen Ausschlußtatbeständen ist gemeinsam, daß es sich um Zeiten handelt, während derer der Angestellte das Herrschaftssystem der ehemaligen DDR in besonderer Weise unterstützt hat. Darum handelte es sich jedoch in der Regel nicht, wenn der Angestellte dem MfS Auskünfte erteilt hat, die den rein dienstlichen Bereich betrafen, und zu deren Erteilung er seinem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet war.
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen, daß der Kläger nicht für das MfS tätig war. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Kläger dienstliche Berührungspunkte mit Mitarbeitern des MfS, da diese die Chiffriertechnik und die Sicherheit der örtlichen Gegebenheiten der Chiffrieranlage halbjährlich überprüften. Diese Kontakte des Klägers mit Mitarbeitern des MfS sind keine Tätigkeit für das MfS im Sinne der tariflichen Bestimmung. Der Kläger war zu dieser Zusammenarbeit mit den Organen der Staatssicherheit der DDR seinem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet. Darüber hinausgehende Tätigkeiten für das MfS hat die Beklagte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht vorgetragen. Dies geht zu ihren Lasten, denn darlegungs- und beweispflichtig für den Ausschlußtatbestand der Übergangsvorschrift Nr. 1 zu § 16 TV Ang-O ist der Arbeitgeber (Senatsurteil vom 29. Januar 1998 - 6 AZR 360/96 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 2 b der Gründe).
aa) Nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen trägt jede Partei, die den Eintritt einer Rechtsfolge geltend macht, die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen. Wer sich dagegen auf Nichteintritt, Hemmung oder Untergang beruft, trägt die Beweislast für die rechtshindernden, rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Tatsachen (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl. 1997, § 286 Rz 38; Zöller/Greger, ZPO, 20. Aufl. 1997, vor § 284 Rz 17, jeweils m.w.N.). Dementsprechend ist der Kläger darlegungs- und beweispflichtig für die grundsätzlichen Anrechnungsvoraussetzungen gemäß § 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1 TV Ang-O, die Beklagte hingegen für das Vorliegen eines Ausschlußtatbestandes nach den Übergangsvorschriften zu § 16 TV Ang-O. Dabei kann sich die Beklagte in Fällen der vorliegenden Art zunächst auf eine Bezugnahme auf die Akten des Bundesbeauftragten beschränken, sofern sich aus ihnen eine Tätigkeit des Arbeitnehmers für das MfS ergibt. Der Arbeitnehmer muß den Inhalt dieser Akten sodann in qualifizierter Form bestreiten, um dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben, diese Einlassung zu widerlegen (Senatsurteil vom 29. Februar 1996 - 6 AZR 381/95 - AP Nr. 1 zu § 16 TV Ang Bundespost, zu I 2 a der Gründe; ebenso im Bereich der Kündigung BAG Urteil vom 13. Oktober 1994 - 2 AZR 201/93 - BAGE 78, 119, 125 f. = AP Nr. 35 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu II 5 der Gründe).
bb) Nach den Feststellungen das Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte keine Tatsachen für eine konkrete Tätigkeit des Klägers für das MfS vorgetragen. Aus dem Verhandlungsprotokoll über die Berufungsverhandlung ergibt sich, daß die Beklagte ausdrücklich eingeräumt hat, daß ihr ein solcher Sachvortrag nicht möglich ist. Auch die Bezugnahme auf den Bericht des Bundesbeauftragten hilft der Beklagten nicht, denn durch eine solche kann der Arbeitgeber nur dann seiner Darlegungslast nachkommen, wenn diese Unterlagen für eine MfS-Tätigkeit des Arbeitnehmers hinreichende Anhaltspunkte enthalten (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 1998 - 6 AZR 360/96 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zur Frage des Beendigungszeitpunkts einer MfS-Tätigkeit). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall - worauf das Landesarbeitsgericht zu Recht hingewiesen hat - nicht erfüllt. Nach den Ausführungen im Bericht des Bundesbeauftragten kann allein aufgrund der Karteikarten weder gesagt werden ob, noch gegebenenfalls in welchem Umfang der Kläger für das MfS tätig war. Die beiden Karteikarten enthalten nur persönliche Daten des Klägers sowie das Datum der Kartenausfüllung am 9. Januar 1986 und der Registrierung des Klägers als IMS am 26. Juni 1986. Angaben zu einer Tätigkeit des Klägers sind nicht vorhanden. Was diese betrifft, genügt somit im vorliegenden Fall die Bezugnahme auf den Bericht des Bundesbeauftragten nicht als substantiierte Darlegung der Beklagten.
cc) Deshalb ist auch die Verfahrensrüge der Beklagten unzulässig.
Die Beklagte beanstandet die unterbliebene Vernehmung des Zeugen Schlinke. Diese hätte nach Ansicht der Beklagten ergeben, daß der Kläger für das MfS tätig war. Zu Recht hat das Berufungsgericht diesen Beweisantrag wegen mangelnder Bestimmtheit als unzulässig angesehen.
Gemäß § 373 ZPO muß die beweispflichtige Partei diejenigen Tatsachen bezeichnen, zu denen der Zeuge vernommen werden soll. Als Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder der Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände anzusehen (BAG Urteil vom 25. August 1982 - 4 AZR 878/79 - BAGE 40, 67, 74 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifliche Übung; vom 24. Januar 1990 - 4 AZR 493/89 - BAGE 64, 81, 87 = AP Nr. 125 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau und vom 28. März 1990 - 4 AZR 615/89 - AP Nr. 130 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Diesen Anforderungen genügt weder der zweitinstanzliche Sachvortrag der Beklagten noch ihre Begründung der Verfahrensrüge.
Die Vernehmung des Zeugen hätte einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dargestellt. Um einen solchen handelt es sich, wenn ein Beweis angetreten wird, bei dem es an der Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsachen fehlt, und wenn durch die beabsichtigte Beweiserhebung erst die Grundlagen für substantiierte Tatsachenbehauptungen gewonnen werden sollen (BAG Urteil vom 25. August 1982 - 4 AZR 878/79 - aaO; vom 20. September 1989 - 4 AZR 410/89 -, n.v. und vom 23. Oktober 1996 - 1 AZR 269/96 - AP Nr. 146 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III 2 der Gründe; BGH Urteil vom 4. März 1991 - II ZR 90/90 - NJW-RR 1991, 888, 890 f., zu II 2 b der Gründe).
So liegt der Fall hier, da die Beklagte keine Kenntnisse von konkreten Tätigkeiten des Klägers für das MfS hat und diese erst durch die Vernehmung des von ihr benannten Zeugen ermittelt werden sollen.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erfüllt jedoch allein die Verpflichtung zur informellen/inoffiziellen Mitarbeit für das MfS den Ausschlußtatbestand der Übergangsvorschrift Nr. 1 Buchst. a zu § 16 Ang-O. Dies hat der Senat durch Urteile vom 29. Januar 1998 (- 6 AZR 300/96 - und - 6 AZR 507/96 - beide zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, auf deren Begründungen er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt.
Anders als in Bezug auf eine Tätigkeit des Klägers für das MfS hat die auch insoweit darlegungspflichtige Beklagte im zweiten Rechtszug substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt, daß der Kläger eine Verpflichtungserklärung abgegeben habe. Sie hat behauptet, der Kläger habe sich im September 1987 gegenüber dem Mitarbeiter des MfS Schlinke zu einer inoffiziellen Mitarbeit verpflichtet und sich zur Einhaltung der Konspiration den Decknamen "Biene" gewählt. Dafür hat sie Beweis angetreten durch Vernehmung des MfS-Mitarbeiters Schlinke als Zeugen.
Diesen Sachvortrag der Beklagten hat der Kläger bestritten. Dabei hat er sich nicht darauf beschränkt, die Abgabe einer Verpflichtungserklärung in Abrede zu stellen, sondern hat seinerseits in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht den dienstlichen Kontakt zu dem MfS-Mitarbeiter erläutert und vergebliche Anwerbeversuche des MfS beschrieben. Das Landesarbeitsgericht hat daher zu Recht die Abgabe einer Verpflichtungserklärung als streitig angesehen. Die Fiktionswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO greift somit nicht ein.
Der dazu angebotene Zeugenbeweis ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil er nicht auf einer gesicherten Tatsachenkenntnis der Beklagten, sondern vielmehr auf deren Vermutungen beruht. Wie der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vorgetragen hat, hat die Beklagte in Ermangelung konkreter Sachkenntnis vor dem Hintergrund der beim MfS geltenden Richtlinien für die Erfassung und die Arbeit mit informellen Mitarbeitern aus der karteimäßigen Erfassung des Klägers darauf geschlossen, daß er eine Verpflichtungserklärung abgegeben habe. Diese Verfahrensweise ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Eine Partei, die keine näheren Einblicke in dem Gegner bekannte Geschehensabläufe hat und deren Beweisführung deshalb erschwert ist, kann auch von ihr nur vermutete Tatsachen behaupten und unter Beweis stellen (BAG Urteil vom 23. Oktober 1996 - 1 AZR 269/96 - AP Nr. 146 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III 2 der Gründe; BGH Urteile vom 14. März 1968 - II ZR 50/65 - NJW 1968, 1233, 1234; vom 13. Juli 1988 - IV a ZR 67/87 - NJW-RR 1988, 1529, zu II 1 der Gründe; vom 25. April 1995 - VI ZR 178/94 - NJW 1995, 2111, 2112, zu II 2 der Gründe; vom 11. Juli 1996 - IX ZR 226/94 - NJW 1996, 3147, 3148, zu II 5 d der Gründe). Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt und sich deshalb rechtsmißbräuchlich verhält (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 23. Oktober 1996
- 1 AZR 269/96 - AP Nr. 146 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III 2 der Gründe; BGH Urteile vom 25. April 1995 - VI ZR 178/94 - NJW 1995, 2111, 2112, zu II 2 der Gründe; vom 11. Juli 1996 - IX ZR 226/94 - NJW 1996, 3147, 3148, zu II 5 d der Gründe; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl. 1997, § 284 Rz 47). Willkür im vorgenannten Sinne kann in der Regel nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte angenommen werden (BAG Urteil vom 23. Oktober 1996, aaO; BGH Urteil vom 23. April 1991 - X ZR 77/89 - NJW 1991, 2707, 2709, zu II 4 b aa der Gründe), oder wenn die behauptende Partei selbst nicht an die Richtigkeit ihrer Behauptung glaubt (BGH Urteil vom 14. März 1968 - II ZR 50/65 - NJW 1968, 1233, 1234).
Für eine willkürliche und daher rechtsmißbräuchliche Vorgehensweise der Beklagten ergeben sich keine Anhaltspunkte. Die Beklagte hat vielmehr mehrere Einzelumstände angeführt, denen indizielle Bedeutung für das Beweisthema zukommt und die einen Rückschluß auf die Abgabe der Verpflichtungserklärung zumindest als möglich erscheinen lassen. Dies gilt für die doppelte karteimäßige Erfassung des Klägers in einer Klar- und einer Decknamenkartei und den Vortrag der Beklagten in Bezug auf Richtlinien nebst Durchführungsanweisungen des MfS, die als Abschluß der Werbung eines neuen Mitarbeiters die Abgabe einer Verpflichtungserklärung und sodann dessen karteimäßige Erfassung vorsahen. Außerdem hat der Kläger selbst bestätigt, daß es zu Anwerbungsversuchen durch den Zeugen Schlinke gekommen sei. Diese seien jedoch erfolglos geblieben. Die Behauptung der Beklagten, es sei im September 1987, als der Kläger nach seinen Angaben in der Klageschrift mit dem Aufbau und der Wartung der Chiffrieranlage begann, zu einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem MfS gegenüber dem MfS-Mitarbeiter Schlinke gekommen, ist daher nicht als unzulässig anzusehen.
Das Landesarbeitsgericht wird daher bei der erneuten Berufungsverhandlung durch eine Beweisaufnahme zu klären haben, ob der Kläger eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS abgegeben hat. Die dazu beantragte Beweiserhebung läuft nicht auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.
III. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
Fundstellen
BAGE, 70 |
BB 1998, 2372 |
FA 1998, 358 |
NZA 1999, 96 |
RdA 1999, 225 |
VIZ 2000, 190 |
ZTR 1998, 553 |
AP, 0 |
RiA 1999, 69 |