Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von “Kur-Tagen” auf Tarifurlaub. Parallelverfahren – 9 AZR 88/99 –, – 9 AZR 376/99 – und – 9 AZR 646/99 –
Leitsatz (amtlich)
- Das Bundesverfassungsgericht hat am 3. April 2001 (– 1 BvL 32/97 – BVerfGE 103, 293) für alle Gerichte verbindlich (§ 31 BVerfGG) entschieden, daß § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG, mit dem der Arbeitgeber berechtigt wurde, unter den dort bestimmten Voraussetzungen Tage der Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation auf den über den gesetzlichen Mindesturlaub (§ 3 BUrlG) hinausgehenden Urlaub anzurechnen, für die Dauer seiner Geltung mit dem Grundgesetz vereinbar war. Danach ist kein Raum für eine “verfassungsrechtlich gebotene” einschränkende Auslegung der in die Tarifautonomie eingreifenden Vorschrift. Die Anrechnungsbefugnis des Arbeitgebers galt somit auch gegenüber tariflichen Urlaubsbestimmungen in Tarifverträgen, die bereits zZ des Inkrafttretens von § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG bestanden.
- Um die Erfüllungswirkung herbeizuführen, war es nicht erforderlich, die Anrechnungserklärung vor Antritt der Rehabilitationsmaßnahme abzugeben.
- Die Tarifvertragsparteien konnten von der gesetzlichen Regelung abweichen und eine Anrechnungsbefugnis ausschließen. Die für die Deutsche Bahn AG und ihre Rechtsnachfolgerinnen geltenden Tarifverträge enthalten kein Anrechnungsverbot.
Orientierungssatz
- Ein Klageantrag, nach dessen Wortlaut die “Nichtberechtigung” des Arbeitgebers zum Abzug angerechneter Tage der Teilnahme an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation auf Tarifurlaub festgestellt werden soll, ist auf die Feststellung des Bestehens von Urlaubsansprüchen gerichtet.
- Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG war der Arbeitgeber vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1998 berechtigt, unter den in der Vorschrift näher bestimmten Voraussetzungen, Tage, an denen der Arbeitnehmer infolge einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation (§ 9 EFZG) an seiner Arbeitsleistung verhindert war, auf den Erholungsurlaub anzurechnen, soweit der gesetzliche Mindesturlaub nicht unterschritten wurde. Die Vorschrift war für die Dauer ihrer Geltung mit dem Grundgesetz vereinbar, wie das BVerfG für alle Gerichte verbindlich festgestellt hat (3. April 2001– 1 BvL 32/97 – BVerfGE 103, 293). Die Vorschrift berechtigte den Arbeitgeber auch zur Anrechnung auf übergesetzlichen Tarifurlaub, den der Arbeitnehmer auf Grund bereits am 1. Oktober 1996 bestehenden Tarifverträgen beanspruchen konnte.
- Die Anrechnungserklärung konnte rechtswirksam auch nach Antritt der Rehabilitationsmaßnahme abgegeben werden. Sie bewirkte keine “Freistellung” des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht. Die angerechneten Tage “galten” nur als Urlaub.
- Die Tarifvertragsparteien konnten nach dem unveränderten § 13 Abs. 1 BUrlG ein Anrechnungsverbot vereinbaren. Ob ein solches Anrechnungsverbot im Tarifvertrag ausdrücklich formuliert sein muß oder ob es sich auch aus dem Gesamtzusammenhang des Tarifvertrags ergeben kann, hat der Senat nicht entschieden. Aus dem Umstand, daß die Tarifvertragsparteien die Entgeltfortzahlung bei der Teilnahme an einer Kur-Maßnahme eigenständig regeln, genügt zur Annahme eines Anrechnungsverbots nicht.
Normenkette
Bundesurlaubsgesetz i.d.F. des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1476; BUrlG i.d.F. ArbBeschFG) § 10 Abs. 1 S. 1; BUrlG § 13; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bahn AG vom 23. Dezember 1993 § 10; Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV) vom 1. November 1960 § 27; Tarifvertrag über die Sicherung der Einkommen und Arbeitsbedingungen für die zur Bahn AG übergeleiteten Arbeitnehmer (ÜTV) vom 23. Dezember 1993 §§ 2, 11; ZPO § 256
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 01.03.1999; Aktenzeichen 1 Sa 1191/98) |
ArbG München (Urteil vom 24.09.1998; Aktenzeichen 9 Ca 12616/97) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 1. März 1999 – 1 Sa 1191/98 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 24. September 1998 – 9 Ca 12616/97 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anrechnung einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation auf den Urlaub des Klägers.
Der Kläger war seit 1972 zunächst bei der Deutschen Bundesbahn (DB) als Elektriker beschäftigt und ist nunmehr für deren Rechtsnachfolgerin tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind die für den Arbeitgeber jeweils geltenden Tarifverträge anzuwenden. Bis zum 31. Dezember 1993 war das der Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV) vom 1. November 1960. Seit dem 1. Januar 1994 ist der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bahn AG (MTV) vom 23. Dezember 1993 anzuwenden. Zur Sicherung des Besitzstandes haben die Tarifvertragsparteien vereinbart, daß die am 31. Dezember 1993 gültigen Bestimmungen des LTV maßgeblich sind, sofern in dem Tarifvertrag über die Sicherung der Einkommen und Arbeitsbedingungen für die zur Beklagten übergeleiteten Arbeitnehmer (ÜTV) vom 23. Dezember 1993 auf sie Bezug genommen wird (§ 2 ÜTV).
In § 11 ÜTV ist unter der Überschrift “Dauer des Erholungsurlaubs in besonderen Fällen/Abgeltung” bestimmt:
“Hat der Arbeitnehmer nach den in § 2 genannten Tarifverträgen einen über den nach § 10 Abs. 2 oder 3 MTV hinausgehenden Anspruch auf Erholungsurlaub, richtet sich dieser und ein evtl. Abgeltungsanspruch nach den Regelungen der in § 2 genannten Tarifverträge.”
Mit Wirkung zum 1. Juli 1998 ist diese Vorschrift ergänzt worden. Danach können gemäß den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen Tage auf den Erholungsurlaub angerechnet werden, an denen der Arbeitnehmer infolge einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation (§ 9 Abs. 1 EFZG) an seiner Arbeitsleistung verhindert ist.
In § 10 Abs. 2 und Abs. 3 MTV ist die nach dem Alter des Arbeitnehmers gestaffelte und an die Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit gebundene Dauer des Erholungsurlaubs geregelt. Der Urlaubsanspruch des Klägers beträgt danach 30 Arbeitstage.
Im ÜTV ist weiter ua. geregelt:
Ҥ 15
Krankenbezüge
Sofern in den in § 2 genannten Tarifverträgen für den Arbeitnehmer ein über den gesetzlichen Anspruch hinausgehender Entgeltfortzahlungsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit vereinbart ist, bleibt dieser Anspruch gewahrt.
§ 16
Krankengeldzuschuß
Hat der Arbeitnehmer nach den in § 2 genannten Tarifverträgen Anspruch auf Zahlung eines Krankengeldzuschusses, bleibt dieser Anspruch gewahrt.”
Der LTV enthält ua. folgende Regelungen zur Entgeltfortzahlung:
Ҥ 27
Arbeitsversäumnis, Krankenbezüge
…
B. Krankenbezüge, Fortzahlung des Lohns, Krankengeldzuschuß
…
Hat ein Träger der Sozialversicherung, eine Versorgungsbehörde oder ein sonstiger Sozialleistungsträger eine Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur verordnet, gelten die Abs. 6 und 7 entsprechend. Eine solche Kur steht einer Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung gleich.
Die Bestimmungen des Abs. 7 gelten sinngemäß mit der Maßgabe, daß bei der Bemessung des Krankengeldzuschusses von den Barleistungen der gesetzlichen Krankenkasse entsprechenden Leistungen des Kurträgers auszugehen ist, wenn die gesetzliche Krankenkasse Barleistungen nicht erbringt. …”
Nach § 27 Abs. 7 Nr. 6 LTV beträgt der Krankengeldzuschuß 100 vH des Nettoarbeitsentgelts, vermindert um die Barleistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung. In § 27 Abs. 7 Nr. 7 LTV wird der Begriff des Nettoarbeitsentgelts definiert. In den Ausführungsbestimmungen zu Abs. 8 Nr. 1 ist unter 11. festgelegt, wann eine Kur im Sinne der Tarifbestimmung vorliegt.
Der Kläger nahm vom 12. März bis 9. April 1997 an einer von der Bahnversicherungsanstalt durchgeführten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation teil. Hierauf rechnete die Beklagte unter Hinweis auf § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 BUrlG in der vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1998 geltenden Fassung sechs Tage auf den Tarifurlaub an. Damit war der Kläger nicht einverstanden.
Mit seiner im September 1997 erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, die Anrechnung von “Kur-Tagen” sei nach dem Inhalt der im Jahr 1997 geltenden Fassung des § 11 ÜTV auf den Erholungsurlaub unzulässig. Anzuwenden seien die ihm günstigeren Bestimmungen des LTV.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Anrechnung von sechs Urlaubstagen des Jahresurlaubsanspruchs des Jahres 1997 des Klägers auf die Kurmaßnahmen in der Zeit vom 12. März 1997 bis zum 9. April 1997 rechtsunwirksam ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Der Kläger beantragt deren Zurückweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Die Klage ist zulässig.
Zwischen den Parteien ist ein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO im Streit. Nach dem Wortlaut des Klageantrags soll die Berechtigung der Beklagten zur Anrechnung der “Kur-Tage” auf den Erholungsurlaub des Jahres 1997 festgestellt werden. Seine gebotene Auslegung ergibt jedoch, daß der Kläger nicht nur diese Vorfrage sondern das Bestehen des Urlaubsanspruch klären lassen will. Hierfür hat er auch das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Die Klage betrifft keinen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt, aus dem sich keine Rechtsfolgen für die Gegenwart oder die Zukunft ergäben (vgl. Senat 21. September 1993 – 9 AZR 580/90 – BAGE 74, 201). Sie dient vielmehr der Durchsetzung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf ersatzweise bezahlte Freistellung für den mit Ende des Urlaubsjahres oder spätestens des Übertragungszeitraums untergegangenen Urlaubsanspruchs (BAG 8. Mai 2001 – 9 AZR 240/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Blumenbinder Nr. 1 = EzA BurlG § 3 Nr. 22).
Die Klage ist unbegründet.
Mit Beginn des Jahres 1997 war zwar nach § 10 MTV ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf 30 Tage Urlaub entstanden. Der geltend gemachte Anspruch auf sechs Tage Resturlaub ist jedoch in Folge der im April 1997 erklärten Anrechnung von sechs Tagen der vom 12. März bis 9. April 1997 durchgeführten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB). Ersatzansprüche für den 1997 erloschenen Anspruch kommen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.
Rechtsgrundlage für die Anrechnungserklärung der Beklagten war § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG in der Fassung des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 (BGBl. I S 1476; künftig: BUrlG idF ArbBeschFG), das zum 1. Oktober 1996 in Kraft getreten und durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S 3843) zum 31. Dezember 1998 aufgehoben worden ist. Die Vorschrift lautete auszugsweise:
“Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation
Der Arbeitgeber ist berechtigt, von je fünf Tagen, an denen der Arbeitnehmer infolge einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation (§ 9 Abs. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes) an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, die ersten zwei Tage auf den Erholungsurlaub anzurechnen. Die angerechneten Tage gelten als Urlaubstage; insoweit besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Satz 1 gilt nicht
- Durch Anrechnung nach Absatz 1 dürfen der gesetzliche Jahresurlaub nach § 3 Abs. 1, § 19 des Jugendarbeitsschutzgesetzes und den §§ 53, 54 des Seemannsgesetzes sowie der Zusatzurlaub nach § 47 des Schwerbehindertengesetzes nicht unterschritten werden.
- (…)”
Verfassungsrechtliche Bedenken können gegen die Wirksamkeit von § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden.
- Nach dem Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (– 1 BvL 32/97 – BVerfGE 103, 293) war die Vorschrift für die Dauer ihrer Geltung mit dem Grundgesetz vereinbar. Die dem Arbeitgeber eingeräumte Anrechnungsbefugnis griff zwar in die den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifautonomie ein. Die Regelung war aber durch die mit ihr verfolgten Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geeignet und verhältnismäßig. Das hat das Bundesverfassungsgericht für alle Gerichte verbindlich (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) festgestellt.
- Nach dieser Entscheidung ist auch kein Raum für die von einem Teil der Rechtsprechung geforderte verfassungsrechtlich gebotene einschränkende Auslegung des § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG (LAG Brandenburg 20. Februar 1998 – 4 Sa 817/97 – LAGE BUrlG § 10 Nr. 3). Das Gesetz ist deshalb auch auf Tarifverträge anzuwenden, die zur Zeit des Inkrafttretens des ArbBeschFG zum 1. Oktober 1996 bereits bestanden.
Die Anrechnung der Beklagten erfüllt die gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen.
- Die Anwendungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG sind erfüllt. Der Kläger hat an einer von einem Sozialversicherungsträger durchgeführten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation teilgenommen. Die Beklagte hat nicht mehr als die jeweils ersten zwei Wochentage der insgesamt dreiwöchigen Rehabilitation angerechnet.
- Es lag keiner der Ausschlußtatbestände des § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 4 BUrlG idF ArbBeschFG vor. Der Kläger war weder arbeitsunfähig erkrankt noch nahm er an einer der besonderen Rehabilitationsmaßnahmen teil, die eine Anrechnung nicht zulassen.
- Der Tarifurlaub hatte eine Dauer von 30 Arbeitstagen (in der 5-Tage-Woche). Die Anrechnung der ersten zwei Wochentage der dreiwöchigen Rehabilitation auf sechs Urlaubstage hat den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen (§ 3 Abs. 1 BUrlG) nicht berührt.
Die Beklagte hat auch von ihrer Berechtigung zur Anrechnung zulässig Gebrauch gemacht. Sie hat gegenüber dem Kläger die Anrechnung erklärt. Diese Erklärung hat nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BUrlG idF ArbBeschFG bewirkt, daß die jeweils ersten zwei Tage der dreiwöchigen medizinischen Rehabilitation als Urlaubstage gelten. Dabei ist unerheblich, daß die Beklagte ihre Anrechnungserklärung erst abgegeben hat, nachdem der Kläger die Rehabilitationsmaßnahme bereits angetreten hatte.
Das ist mit der Rechtsprechung des Senats zur rückwirkenden Freistellung vereinbar. Der Senat vertritt zwar die Auffassung, ein Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer für die Dauer einer nicht von einem Sozialversicherungsträger angeordneten Kurmaßnahme Urlaub iSv. § 7 Abs. 1 BUrlG erteilen wolle, müsse den Urlaub vor Kurantritt gewähren (BAG 1. Oktober 1991 – 9 AZR 290/90 – BAGE 68, 309 mwN). Für die Anrechnungsbefugnis des Arbeitgebers nach § 10 Abs. 1 BUrlG idF ArbBeschFG gilt das aber nicht (vgl. Senat 30. April 2002 – 9 AZR 434/97 – zVv.).
Im Unterschied zur Freistellungserklärung bewirkte eine Anrechnungserklärung iSv. § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG idF ArbBeschFG nicht, daß der Arbeitnehmer für die jeweils ersten zwei Tage der Woche einer Rehabilitationsmaßnahme von seiner Arbeitspflicht befreit wurde. Dem Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubs und zugleich Schuldner der Entgeltfortzahlung wurde vielmehr eine Ersetzungsbefugnis eingeräumt. Das Gesetz berechtigte ihn, Tage der Arbeitsverhinderung, für die er an sich Entgeltfortzahlung nach § 9 Abs. 1 iVm. § 3 Abs. 1 EFZG schuldete, auf den Urlaubsanspruch erfüllungshalber anzurechnen (Leinemann BB 1996, 1381). Zur Anrechnung war deshalb lediglich eine hierauf gerichtete Erklärung über die Inanspruchnahme der gesetzlichen Berechtigung erforderlich. Diese Erklärung war keine Urlaubserteilung nach § 7 Abs. 1 BUrlG. An den so angerechneten Tagen wurde der Arbeitnehmer nicht zum Erholungsurlaub freigestellt. Die angerechneten Tage “galten” nur als Urlaubstage. Der Arbeitnehmer war bereits kraft Gesetzes, nämlich “infolge einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation … an seiner Arbeitsleistung verhindert”.
Dieses Ergebnis wird im Umkehrschluß durch die Regelung des § 4a Abs. 1 Satz 1 EFZG in der Fassung des BeschFG 1996 bestätigt (vgl. ErfK/Dörner 1. Aufl. § 10 BUrlG Rn. 11). Danach konnte der Arbeitnehmer bis zum dritten Arbeitstag nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit sein Wahlrecht ausüben und zur Vermeidung einer auf 80 % des Entgelts abgesenkten Fortzahlung die Anrechnung von Urlaub verlangen. Dagegen enthielt § 10 Abs. 1 BUrlG für die Anrechnungsbefugnis des Arbeitgebers keine entsprechende zeitliche Begrenzung.
Die Anrechnung war auch nicht tarifvertraglich ausgeschlossen.
- Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Zwanziger, Reinecke, Fox, Gaber
Fundstellen
Haufe-Index 838708 |
BAGE 2003, 177 |
BB 2003, 108 |
DB 2002, 2226 |
ARST 2003, 117 |
FA 2002, 395 |
NZA 2003, 109 |
SAE 2003, 66 |
StuB 2003, 480 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 4 |
EzA |
AUR 2002, 437 |
SPA 2002, 6 |