Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiende Lebensversicherung. Erlöschen des Anspruchs auf Vorruhestandsgeld
Leitsatz (amtlich)
Leistungen aus einer befreienden Lebensversicherung sind nicht bereits dann vergleichbare Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 VRG, wenn sie nach ihrem Zweck bei Eintritt eines Versorgungsfalls wie die gesetzliche Rente der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen (Anschluß an das Urteil des BSG vom 31. Oktober 1991 – 7 RAr 84/90 –; Aufgabe von BAGE 63, 111 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Vorruhestand).
Die Leistungen aus einer Versicherung sind erst dann mit den in § 2 Abs. 1 Nr. 1b VRG genannten Leistungen vergleichbar, wenn die Einbuße bei vorzeitigem Bezug der Minderung entspricht, die bei Inanspruchnahme vorgezogenen Altersruhegeldes hinzunehmen wäre.
Der Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlischt nach § 8 VRTV-Bau frühestens zu diesem Zeitpunkt.
Normenkette
VRG §§ 2, 5; Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984 (VRTV-Bau) i.d.F. des Änderungstarifvertrages vom 27. Oktober 1988 § 8
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.08.1990; Aktenzeichen 15 Sa 46/90) |
ArbG Stuttgart (Urteil vom 07.03.1990; Aktenzeichen 2 Ca 5526/89) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten und die Anschlußrevision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. August 1990 – 15 Sa 46/90 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vorruhestandsgeld. Der im April 1928 geborene Kläger war bis Februar 1989 beim beklagten Bauunternehmen als Kalkulator beschäftigt. Er war von 1945 bis zu seiner Befreiung von der Versicherungspflicht zu Beginn des Jahres 1968 in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Seither zahlt er Beiträge in eine befreiende Lebensversicherung, die mit Vollendung des 65. Lebensjahres im Mai 1993 fällig sein wird. Die Parteien führten Anfang November 1988 Gespräche über den Eintritt des Klägers in den Vorruhestand nach den Vorschriften des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984 (VRTV-Bau). Der § 8 Abs. 1 VRTV-Bau lautete zu dieser Zeit:
“
Erlöschen und Ruhen des Anspruches
Der Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlischt mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Monat, von dem an der ausgeschiedene Arbeitnehmer Altersruhegeld vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder eine andere der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) und Abs. 2 VRG genannten Leistungen beanspruchen kann, spätestens mit Ablauf des Kalendermonats, in dem der ausgeschiedene Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr vollendet. Stirbt der ausgeschiedene Arbeitnehmer, so erlischt der Anspruch mit Ablauf des Sterbemonats.
Der ausgeschiedene Arbeitnehmer hat frühestmöglichst den Antrag auf Umwandlung in bzw. auf Altersruhegeld oder auf andere der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) und Abs. 2 VRG genannten Leistungen zu stellen.
…”
Die Tarifvertragsparteien hatten § 8 VRTV-Bau bereits am 27. Oktober 1988 geändert. Er hat seither mit Wirkung vom 15. November 1988 folgenden Wortlaut:
“
Erlöschen und Ruhen des Anspruchs
- Der Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlischt mit dem Ablauf des Kalendermonats vor dem Monat, von dem an der ausgeschiedene Arbeitnehmer eine der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) und Abs. 2 VRG genannten Leistungen beanspruchen kann bzw. – im Falle einer Leistung gemäß § 2 Abs. 2 VRG – vor Fälligkeit in Anspruch nimmt, wenn sie die Hauptversorgung des ausgeschiedenen Arbeitnehmers darstellt oder als Hauptversorgung anzusehen ist, weil neben ihr keine weitere dieser Leistungen beansprucht werden kann. Wird eine Leistung gemäß § 2 Abs. 2 VRG vor Fälligkeit in Anspruch genommen, so erlischt der Anspruch auf Vorruhestandsgeld bei Fälligkeit dieser Leistung. Ist die Leistung erst nach Vollendung des 63. Lebensjahres fällig, so erlischt der Anspruch spätestens zu dem Zeitpunkt, zu welchem ihre Inanspruchnahme vor Fälligkeit dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer zumutbar ist. Die Prüfung, welche von mehreren Leistungen im Sinne des Satzes 1 die Hauptversorgung darstellt, ist gemäß den Absätzen 2 und 3 vorzunehmen. Die Prüfung, ob die Inanspruchnahme einer Leistung gemäß § 2 Abs. 2 VRG vor Fälligkeit zumutbar ist, ist gemäß Abs. 4 vorzunehmen.
- Kann der ausgeschiedene Arbeitnehmer mehrere der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) VRG genannten Leistungen beanspruchen, so stellt, wenn mehrere Altersrenten beansprucht werden können, diejenige Altersrente die Hauptversorgung dar, für deren Berechnung mehr als die Hälfte der insgesamt zurückgelegten Zeiten der Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung (nur Zeiten mit Pflichtbeiträgen, keine Ausfall- oder Ersatzzeiten, keine Zeiten mit freiwilligen Beiträgen) zugrunde gelegt werden muß. Dabei ist auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem frühestens eine der Altersrenten beansprucht werden kann; bei Beginn des Vorruhestandes zu einem späteren Zeitpunkt ist dieser maßgebend. Kann neben einer Altersrente eine Beamtenversorgung oder eine vergleichbare Versorgung beansprucht werden, gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.
- Kann der ausgeschiedene Arbeitnehmer sowohl eine Leistung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) VRG als auch eine Leistung gemäß § 2 Abs. 2 VRG beanspruchen, so ist die Leistung aus dem Versicherungs- bzw. Versorgungsvertrag gemäß § 2 Abs. 2 VRG die Hauptversorgung, wenn die zeitliche Dauer des Versicherungs- bzw. Versorgungsvertrages bis zu der tatsächlichen oder zumutbaren Inanspruchnahme, längstens bis zur Fälligkeit, länger ist als die Zeit der Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (nur Zeiten mit Pflichtbeiträgen, keine Ausfall- bzw. Ersatzzeiten, keine Zeiten mit freiwilligen Beiträgen).
- Die Inanspruchnahme einer Leistung gemäß § 2 Abs. 2 VRG vor Fälligkeit ist dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer ab Vollendung des 63. Lebensjahres zumutbar, sobald er mit oder nach diesem Zeitpunkt ohne die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht einen Anspruch auf flexibles Altersruhegeld erworben haben würde.
…”
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 6. November 1988 an die Beklagte Vorruhestand zum 1. März 1989. Diese erklärte unter dem 11. November 1988 ihr Einverständnis. Seit März 1989 bezieht der Kläger Vorruhestandsgeld.
Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK), die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten ist, teilte durch Vorbescheid nach § 6 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe vom 12. Dezember 1984 mit, daß der Kläger nach ihrer Auffassung nur bis zum 30. April 1991 Anspruch auf Vorruhestandsgeld habe. Die Beklagte schloß sich dieser Auffassung an. Demgegenüber hat der Kläger gemeint, er habe Anspruch auf Vorruhestandsgeld bis zum 30. April 1993. Auf das Vorruhestandsverhältnis sei der § 8 VRTV-Bau a.F. anzuwenden. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Lebensversicherung nach § 8 VRTV-Bau a.F. sei für ihn nicht zumutbar. Sollte § 8 VRTV-Bau in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 27. Oktober 1988 anzuwenden sein, sei die befreiende Lebensversicherung nicht die Hauptversorgung. Hilfsweise hat der Kläger einen Schadenersatzanspruch wegen falscher Auskunft und Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Beklagte geltend gemacht.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger über den 30. April 1991 bis zum 30. April 1993 Vorruhestandsgeld nach dem Tarifvertrag für den Vorruhestand im Baugewerbe zu zahlen;
- hilfsweise
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger in der Zeit vom 1. Mai 1991 bis zum 29. Februar 1992 monatlich 4.648,90 DM, vom 1. März 1992 bis zum 28. Februar 1993 monatlich 4.718,60 DM, vom 1. März 1993 bis zum 30. April 1993 monatlich 4.789,40 DM zu zahlen,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, in der Zeit vom 1. Mai 1991 bis zum 30. April 1993 an den Kläger monatlich Zahlungen in Höhe der Differenz zwischen den jeweiligen Beträgen aus dem Antrag zu 2.a) und dem sich aus dem jeweils gültigen Tarifvertrag für den Vorruhestand im Baugewerbe ergebenden Vorruhestandsgeld zu leisten.
Die Beklagte und die Streithelferin haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht dem Hauptantrag teilweise entsprochen und die Berufung im übrigen zurückgewiesen. Mit ihren Revisionen wenden sich beide Parteien und die Streithelferin gegen dieses Urteil. Der Kläger verfolgt weiter sein erstinstanzliches Klageziel der uneingeschränkten Verurteilung der Beklagten. Die Beklagte und die Streithelferin verlangen Klageabweisung insgesamt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen über den 30. April 1991 hinausgehenden Anspruch auf Vorruhestandsgeld. Der Anspruch erlischt nicht bereits zu diesem, sondern zu einem späteren, vom Landesarbeitsgericht noch festzustellenden Zeitpunkt.
I. Der Klageantrag zu 1) ist unzulässig. Für die vom Kläger begehrte Feststellung hat er kein Rechtsschutzinteresse nach § 256 ZPO. Wie sein zulässiger Zahlungshilfsantrag zu 2a) zeigt, kann er sein Klageziel durch eine Klage auf künftige Leistung nach §§ 257, 258 ZPO erreichen. Auch wenn die Möglichkeit einer Klage auf künftige Leistung einer Feststellungsklage nicht entgegensteht (BGH NJW 1986, 2507), so ist aber ein Feststellungsantrag unstatthaft, der denselben Streitgegenstand betrifft wie der daneben gestellte Leistungsantrag. Im übrigen geht der Leistungsantrag des Klägers weiter als der Feststellungsantrag. Er umfaßt sowohl den Anspruch auf Weiterzahlung des Vorruhestandsgeldes als auch den auf Schadenersatz, während der Feststellungsantrag sich ausdrücklich nur auf den Anspruch auf Vorruhestandsgeld bezieht.
Der Hilfsantrag zu 2b) ist ebenfalls unzulässig. Auch für ihn besteht kein Rechtsschutzinteresse. Mit dem Antrag soll eine etwaige Änderung der Dynamisierungsvorschrift des § 6 VRTV-Bau erfaßt werden. Für eine von den Tarifvertragsparteien beabsichtigte Änderung der Vorschrift bis zum vereinbarten Ende des Tarifvertrages am 31. Dezember 1995 konnte der Kläger keine Anhaltspunkte vortragen.
II. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Vorruhestandsgeld nach den Bestimmungen des VRTV-Bau in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 27. Oktober 1988 erworben.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht § 8 VRTV-Bau in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 27. Oktober 1988 angewendet. Für ein Vorruhestandsverhältnis im Baugewerbe, das tarifrechtlich wie ein Arbeitsverhältnis zu behandeln ist (BAGE 63, 100 = AP Nr. 3 zu § 1 TVG Vorruhestand), gelten nach § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 4 TVG die Rechtsnormen des VRTV-Bau unmittelbar und zwingend in ihrer jeweils gültigen Fassung (BAG, aaO; BAGE 41, 163 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Besitzstand; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 149 ff.). Für die Geltung ist nicht maßgeblich, wann das Vorruhestandsverhältnis begründet bzw. beantragt ist. Auch wenn das nach dem Inkrafttreten des Änderungstarifvertrages begründete Vorruhestandsverhältnis der Parteien vor der Änderung des Tarifvertrages begonnen hätte, unterläge es den veränderten Rechtsnormen.
2. Das Arbeitsverhältnis des Klägers fällt unter den persönlichen Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten Vorruhestandstarifvertrages, § 1 Abs. 3 VRTV-Bau. Es erfüllt weiter die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 VRTV-Bau zum Lebensalter, zur Betriebszugehörigkeitsdauer und zum Versicherungsrecht.
III. Der Anspruch des Klägers ist nicht mit Ablauf des Monats ganz oder teilweise erloschen, in dem er das 63. Lebensjahr vollendet hat. Denn der Kläger konnte zu dieser Zeit keine vergleichbare Leistung nach § 2 Abs. 2 VRG beanspruchen, wie es die Erlöschensvorschriften des § 8 VRTV-Bau verlangen. Der Anspruch erlischt zu einem späteren, jetzt noch nicht feststehenden Zeitpunkt gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 und 4 VRTV-Bau oder gemäß § 8 Abs. 5 sogar erst mit Ablauf des 65. Lebensjahres.
1. § 8 Abs. 1 VRTV-Bau und daran anschließend die Vorschriften über die Hauptversorgung und die Zumutbarkeit in § 8 Abs. 3 und § 8 Abs. 4 VRTV-Bau bestimmen, daß der Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlischt, wenn der Vorruheständler vergleichbare Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 VRG erhält. Nach Auffassung des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 60, 22 = AP Nr. 1 zu § 5 VRG; BAGE 60, 38 = AP Nr. 2 zu § 5 VRG; BAGE 63, 111 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Vorruhestand) waren Leistungen aus einer befreienden Lebensversicherung unabhängig von der Auszahlungsform (Kapital oder Rente), vom Zeitpunkt der Auszahlung und von der Höhe des Versicherungsbetrages vergleichbare Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 VRG, wenn sie nach ihrem Zweck bei Eintritt eines Versorgungsfalls wie die gesetzliche Rente der Sicherung des Lebensunterhaltes dienten.
2. Das Bundessozialgericht (Urteil vom 31. Oktober 1991 – 7 RAr 84/90 – NZA 1992, 524) ist dem bei der Auslegung der Erlöschensvorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 2 VRG nicht gefolgt. Danach erlischt der Anspruch auf den Zuschuß des Arbeitgebers gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit mit Beginn des Monats, für den der ausgeschiedene Arbeitnehmer u.a. eine Leistung beanspruchen kann, die nach § 2 Abs. 2 VRG den Altersrenten oder Altersbezügen gleichgestellt ist. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts bewirkt nicht jede Leistung einer Versicherungsgesellschaft das Erlöschen des Anspruchs auf Zuschuß, sondern nur vergleichbare Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 VRG. Die Leistungen einer Versicherungsgesellschaft sind aber solange nicht mit den in § 2 Abs. 1 Nr. 1b) VRG genannten Leistungen vergleichbar, als der Versicherungsnehmer Einbußen von nahezu 1/5 seines zu erwartenden Versicherungsbetrages hinnehmen muß. Denn der Rentner, der vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nimmt, muß lediglich eine Einbuße von weniger als 10 % akzeptieren. Sie folgt aus der Minderung des Steigerungssatzes, mit dem zur Errechnung des Jahresbetrages der Rente die persönliche Rentenbemessungsgrundlage vervielfältigt wird und der für jedes anrechnungsfähige Versicherungsjahr in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten 1,5 % beträgt, bei Inanspruchnahme des Altersruhegeldes unmittelbar nach Vollendung des 63. Lebensjahres um 3 %. Die Auswirkungen dieser Minderung sind unterschiedlich, weil sie vom tatsächlich erreichten Steigerungssatz abhängen.
3.a) Der nunmehr für Fragen des Vorruhestands allein zuständige Neunte Senat hält an der bisherigen Auffassung des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts (aaO) nicht fest, sondern folgt bei der Auslegung des Gesetzesbegriffs “vergleichbare Leistungen” in § 2 Abs. 2 VRG dem Siebten Senat des Bundessozialgerichts. Die Leistungen aus einer befreienden Lebensversicherung sind erst dann mit den Leistungen auf vorgezogenes Altersruhegeld, Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art nach § 2 Abs. 1b) VRG vergleichbar im Sinne des § 2 Abs. 2 VRG, wenn die Minderung der Alterseinkünfte eines Privatversicherten aus der Lebensversicherung der Minderung der gesetzlichen Rente bei Bezug vorgezogenen Altersruhegeldes prozentual entspricht.
b) Für die Anwendung der Tarifvorschriften des § 8 VRTV-Bau in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 27. Oktober 1988 hat dieses Verständnis des § 2 Abs. 2 VRG zur Folge, daß der Erlöschenstatbestand des § 8 Abs. 1 VRTV-Bau nicht vor diesem Zeitpunkt erfüllt sein kann. Denn die Tarifvertragsparteien knüpfen in dieser Vorschrift ebenso wie der Gesetzgeber in § 5 VRG an den Bezug einer vergleichbaren Leistung an. Auf das Vorliegen der weiteren Erlöschensvoraussetzungen, insbesondere zur Hauptversorgung und zur Zumutbarkeit nach § 8 Abs. 3 und 4 VRTV-Bau kommt es zunächst nicht an.
c) Allerdings kann auf die Feststellung, welche Versorgung bei Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1b) VRG einerseits und Leistungen nach § 2 Abs. 2 VRG andererseits die Hauptversorgung darstellt, tarifrechtlich nicht verzichtet werden. Anders als in § 5 VRG ist das Erlöschen des Anspruchs nach § 8 Abs. 1 VRTV-Bau u. a. an den Erhalt einer Hauptversorgung i. S. des § 8 Abs. 3 VRTV-Bau geknüpft. Eine Auslegung des Tarifvertrages, wie sie das Bundessozialgericht zu § 5 VRG vorgenommen hat, wonach die Leistungen aus der befreienden Lebensversicherung dann keine vergleichbaren Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 VRG sein können, wenn sie nur eine Teilleistung im Rahmen der gesamten Altersversorgung des ausgeschiedenen Arbeitnehmers darstellen, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts des Tarifvertrages, seiner Systematik und seiner Geschichte nicht möglich.
IV. So konnte das Urteil des Landesarbeitsgerichts keinen Bestand haben. Es mußte aufgehoben und der Rechtsstreit mußte zurückverwiesen werden. In der erneuten Berufungsverhandlung wird das Landesarbeitsgericht folgendes zu beachten haben:
1. Nach entsprechendem Vortrag der Parteien ist der Minderungsbetrag in prozentualer Höhe festzustellen, den der Kläger hätte hinnehmen müssen, wäre er in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert geblieben und hätte er mit Vollendung des 63. Lebensjahres vorgezogenes Altersruhegeld bezogen.
2. Danach sind die Rechtsgrundlagen und Daten der befreienden Lebensversicherung zu prüfen. Das Landesarbeitsgericht hat festzustellen, welchen konkreten Kapital- oder Rentenbetrag der Kläger bei Vollendung des 65. Lebensjahres zu erwarten hat. Danach ist zu untersuchen, ob und zu welchen Zeitpunkten der Kläger die Leistungen vorzeitig in Anspruch nehmen kann und welche Abschläge er dabei zu welcher Zeit hinnehmen muß. In diese Untersuchung sind etwaige versicherungsrechtliche Vergünstigungen wie Verzicht auf den Stornoabzug und etwaige Boni (Gewinnanteile) einzubeziehen. In diesem Zusammenhang wird der Beklagten Gelegenheit zu geben sein, ihre Rechnung näher zu begründen, warum die wahre wirtschaftliche Differenz zwischen beiden Minderungen bei einer Gesamtbetrachtung über die Laufzeit von 30 Jahren keine 14 Prozentpunkte ausmachen soll.
3. Sollte das Landesarbeitsgericht feststellen, daß der Kläger in der Zeit zwischen der Vollendung des 63. Lebensjahres und der Vollendung des 65. Lebensjahres aus der befreienden Lebensversicherung eine vergleichbare Leistung im Sinne des § 2 Abs. 2 VRG beziehen kann, wird es die weiteren Erlöschensvoraussetzungen des § 8 VRTV-Bau zu prüfen haben. Sind sie gegeben und ist deshalb der Anspruch des Klägers auf Vorruhestandsgeld vor dem 30. April 1993 untergegangen, so wird das Landesarbeitsgericht erneut einen Schadenersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung zu prüfen haben. Dabei hat es zu beachten, daß seine bisherigen Ausführungen zum mangelhaften Vortrag des Klägers über den Tag des vorbereitenden Gesprächs nach dem Akteninhalt nicht vertretbar sind. Die weitere Beurteilung des Schadenersatzanspruchs richtet sich nach dem ergänzenden Vortrag der Parteien. Diese werden darauf hingewiesen, daß das Verfahren über den Eintritt in den Vorruhestand im Baugewerbe nach den Bestimmungen des Tarifvertrages über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe vom 12. Dezember 1984 stark formalisiert ist und der Kläger anhand von Antragsformularen und Merkblättern in der Lage gewesen sein könnte, sich über die Tariflage zu informieren. Dabei könnte von Bedeutung sein, daß nach der damaligen Fassung des § 2 VRTV-Bau das Vorruhestandsverhältnis im Baugewerbe nicht durch eine Vereinbarung der Parteien, sondern durch die Ausübung eines tarifvertraglich vorgesehenen Antragsrechts entstand und daß der Antrag anders als eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung bis zum Eintritt in den Vorruhestand hätte zurückgenommen werden können.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dörner, Dr. Lipke, Jansen, Brocksiepe
Fundstellen
Haufe-Index 846798 |
BB 1992, 1565 |
BB 1993, 294 |
NZA 1993, 185 |
RdA 1992, 405 |