Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn und Ende der Arbeitszeit. öffentlicher Dienst
Normenkette
BAT § 15 Abs. 7, § 17 Abs. 1, 5, § 35 Abs. 1, 3; Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7; 66. Änderungstarifvertrag zum BAT § 1 Nr. 8 Buchst.c
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 20.12.1993; Aktenzeichen 17 Sa 686/93) |
ArbG Detmold (Urteil vom 12.01.1993; Aktenzeichen 2 Ca 825/92) |
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. Dezember 1993 – 17 Sa 686/93 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Beginn und Ende der Arbeitszeit der Klägerin.
Die Klägerin ist als Krankenschwester im Krankenhaus L. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Dessen § 15 Abs. 7 lautet:
„Die Arbeitszeit beginnt und endet an der Arbeitsstelle …”
Die Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT (künftig Protokollnotiz) lautete bis zum 31. März 1991:
„Der Begriff der Arbeitsstelle ist weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes. Er umfaßt z.B. die Dienststelle oder den Betrieb, während unter dem Arbeitsplatz der Platz zu verstehen ist, an dem der Angestellte tatsächlich arbeitet.”
Durch § 1 Nr. 8 Buchst. c des 66. Änderungstarifvertrages zum BAT vom 24. April 1991, gültig ab 1. April 1991, wurde Satz 2 der Protokollnotiz geändert. Dieser Satz lautet jetzt wie folgt:
„Er umfaßt z.B. den Verwaltungs-/Betriebsbereich in dem Gebäude/Gebäudeteil, in dem der Angestellte arbeitet.”
Die Klägerin arbeitet auf Station 19. Die Dienstkleidung, die sie während der Arbeitszeit trägt, wechselt sie zu Beginn und Ende der Schicht in einem dafür bestimmten innerhalb der Station gelegenen Umkleideraum. Die Dienstkleidung wird vom Beklagten kostenlos zur Verfügung gestellt und gereinigt. Sie darf von den Arbeitnehmern nicht mit nach Hause genommen werden.
Nach den Dienstplänen beginnt und endet die Schicht mit Aufnahme und Beendigung der Tätigkeit auf Station in Dienstkleidung. Durch das Ableisten der Schicht erbringt die Klägerin bereits die regelmäßige Wochenarbeitszeit, so daß die Umkleidezeit und Wegezeit innerhalb des Gebäudes über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehen.
Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Dezember 1991 insgesamt 1.208,84 DM brutto als Überstundenvergütung für Umkleide- und Wegezeiten und für Duschzeiten begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, daß auch nach Änderung der Protokollnotiz ihre Arbeitszeit mit dem Betreten des Klinikgebäudes beginne und mit dem Verlassen desselben ende, zumindest aber die Zeit für Aus- und Umkleiden auf der Station und die von ihr aufgewendete Duschzeit als Arbeitszeit anzusehen seien.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.208,84 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, durch Neufassung der Protokollnotiz sei klargestellt, daß in einem Krankenhaus Arbeitsstelle nur noch die jeweilige Station sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat unter Abweisung der Klage im übrigen den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 379,77 DM als Überstundenvergütung für die Umkleidezeit zu zahlen. Mit der zugelassenen Revision bittet der Beklagte um Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.
I. Der Anspruch der Klägerin auf Überstundenvergütung ist gem. § 17 Abs. 1 und 5, § 35 Abs. 1 und 3 BAT begründet. Die Arbeitszeit der Klägerin beginnt und endet mit dem Betreten und Verlassen des innerhalb der Station 19 gelegenen Umkleideraums. Die ihrer Dauer nach unstreitigen Zeiten für das Umkleiden, die allein Gegenstand des Revisionsverfahrens sind, sind somit zur Arbeitszeit zu rechnen und als Überstunden in Höhe des unstreitigen Betrags von 379,77 DM zu vergüten. Dies hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen.
II. Nach § 15 Abs. 7 BAT beginnt und endet die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle. Der Raum innerhalb der Station, den die Klägerin zum Zwecke des Umkleidens vor Aufnahme und nach Beendigung ihrer Tätigkeit auf Station aufsuchen muß, ist Teil der Arbeitsstelle der Klägerin.
1. Nach Satz 1 der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT ist der Begriff der Arbeitsstelle weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes. Demgemäß hat der Senat in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß der Begriff der Arbeitsstelle nicht mit dem des Arbeitsplatzes identisch ist, sondern einen gegenüber diesem weiteren räumlichen Bereich umfaßt (vgl. Beschluß vom 29. April 1982 – 6 ABR 54/79 – AP Nr. 4 zu § 15 BAT; Urteile vom 15. September 1988 – 6 AZR 637/86 – BAGE 59, 335 = AP Nr. 12 zu § 15 BAT und vom 18. Januar 1990 – 6 AZR 386/89 – BAGE 65, 1 = AP Nr. 16 zu § 15 BAT und – 6 AZR 551/88 –, n.v., sowie zuletzt Urteil vom 11. März 1993 – 6 AZR 234/91 –, n.v.). Diese Rechtsprechung hat auch nach Änderung der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT durch § 1 Nr. 8 Buchst. c des 66. Änderungstarifvertrags zum BAT Gültigkeit. § 15 Abs. 7 ist unverändert geblieben, so daß die Arbeitszeit nach wie vor an der Arbeitsstelle beginnt und endet. Ferner ist Satz 1 der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 nicht geändert worden, der besagt, daß der Begriff der Arbeitsstelle weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes ist. Die Schwierigkeiten bei der Organisation der ablösenden Dienste, die der erkennende Senat durchaus gesehen hat (vgl. BAGE 65, 1, 14 = AP Nr. 16 zu § 15 BAT, zu II 3 g der Gründe), haben die Tarifparteien nicht zu einer Regelung veranlaßt, die für Beginn und Ende der Arbeitszeit künftig statt auf die Arbeitsstelle auf den Arbeitsplatz abstellt (wie z.B. § 15 Abs. 1 BMT-G II oder § 15 Abs. 7 BAT-O). Es bleibt deshalb dabei, daß im Geltungsbereich des BAT als Arbeitszeit auch die Zeit zu bezahlen ist, die der Arbeitnehmer nach Erreichen der Arbeitsstelle benötigt, um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen.
2. Gleichwohl ist der räumliche Bereich der Arbeitsstelle durch die Neufassung der Protokollnotiz verändert worden.
In Satz 2 der Protokollnotiz wird die Arbeitsstelle zunächst – worauf es vorliegend allerdings nicht ankommt – auf das Gebäude oder den Gebäudeteil beschränkt, in dem der Angestellte arbeitet. Anders als in der Vorgängerfassung wird außerdem der Begriff der Arbeitsstelle nicht mehr beispielhaft als „Dienststelle” oder „Betrieb” erläutert, sondern als „Verwaltungs-/Betriebsbereich”. Was daraus folgt, ist bisher nicht entschieden.
Betriebsbereich und Verwaltungsbereich sind gegenüber Betrieb und Dienststelle die engeren Begriffe. Während als Dienststelle i.S. des vom erkennenden Senat mit umfangreicher Begründung befürworteten personalvertretungsrechtlichen Dienststellenbegriffs eine tatsächliche und organisatorisch verselbständigte Verwaltungseinheit anzusehen ist, der ein örtlich und sachlich bestimmtes Aufgabengebiet zur Wahrnehmung zugewiesen ist und die ihren inneren Betriebsablauf eigenverantwortlich bestimmt (vgl. BAGE 65, 1, 10 = AP Nr. 16 zu § 15 BAT, zu II 3 c 2 der Gründe), ist unter einem Verwaltungsbereich oder Betriebsbereich eine Organisationseinheit zu verstehen, die üblicherweise Bestandteil einer Dienststelle oder eines Betriebs ist, jedenfalls nicht die ganze Dienststelle oder den ganzen Betrieb und auch nicht das ganze Gebäude oder den ganzen Gebäudeteil umfassen muß, in dem sie sich befindet. Das folgt daraus, daß die Tarifparteien, indem sie die Begriffe „Betrieb” und „Dienststelle” durch die nunmehr gewählten Begriffe ersetzt haben, die weitreichenden vergütungsrechtlichen Folgen künftig vermeiden wollten, die sich daraus ergaben, daß nach der alten Fassung der Protokollnotiz das gesamte Gelände einer Klinik Arbeitsstelle sein konnte. Nicht zu folgen ist der Auffassung von Pieper (ZTR 1992, 318, 319), soweit dieser leugnet, daß in dem Begriff des Verwaltungs-/Betriebsbereichs eine Veränderung gegenüber dem Begriff der Dienststelle liegt. Pieper versteht unter dem „Verwaltungsbereich” den „Verwaltungszweig” und meint, damit sei nur klargestellt, daß es z.B. in einem Großgebäude mit Abteilungen verschiedener Ministerien keine „ressortübergreifenden” Arbeitsstellen geben könne. Diese Auslegung findet im Tarifwortlaut keine Stütze. Auch die Tarifgeschichte spricht gegen sie. Die Ressortzuständigkeit führte bisher bei der Definition der Arbeitsstelle nicht zu Problemen. Sie ist im Hinblick auf den nach wie vor räumlich-organisatorischen Inhalt des Arbeitsstellenbegriffs auch unwesentlich.
Das Landesarbeitsgericht hat aufgrund der Neufassung des Satzes 2 der Protokollnotiz als Arbeitsstelle i.S. des § 15 Abs. 7 BAT die Gesamtheit der Räumlichkeiten derjenigen Organisationseinheit innerhalb der Dienststelle/des Betriebes angesehen, der der Angestellte angehört und in der sich sein Arbeitsplatz befindet. Es hat als typische Beispiele für den so eingegrenzten Begriff der Arbeitsstelle das Dezernat, die Abteilung, die Werkstatt oder im Krankenhausbereich die Station angesehen. Damit ist das Landesarbeitsgericht im Ergebnis der Auffassung des Bundesministers des Innern im Rundschreiben vom 4. Juni 1991 (zitiert bei Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Juli 1994, § 15 Rz 83 b) gefolgt, die für den vorliegenden Fall auch von Kiefer (ZTR 1992, 323, 324) vertreten wird. Auch den erkennenden Senat überzeugt diese Auslegung des Arbeitsstellenbegriffs im hier vorliegenden Fall. Die Station als organisatorische Einheit innerhalb eines Klinikgebäudes ist regelmäßig die Arbeitsstelle einer im Krankenhaus beschäftigten Krankenschwester. Die Station als den Verwaltungs-/Betriebsbereich anzusehen, in dem eine Krankenschwester arbeitet, entspricht dem Zweck der Neufassung der Protokollnotiz. Soweit der Senat unter Geltung der früheren Fassung der Protokollnotiz angenommen hat, die Station sei der Arbeitsplatz, nicht aber die Arbeitsstelle der dort arbeitenden Angestellten (BAGE 65, 1, 12 f. = AP, a.a.O., zu II 3 f 2 der Gründe) ist daran nicht festzuhalten, nachdem nunmehr als Arbeitsstelle grundsätzlich eine Organisationseinheit unterhalb der Ebene der Dienststelle geregelt ist. Arbeitsplatz einer Krankenschwester ist innerhalb der Station z.B. das Krankenbett, an dem die Krankenschwester Pflegeleistungen erbringt, das Schwesternzimmer oder die Teeküche. Der Senat hat diese Auslegung bereits im Urteil vom 18. Januar 1990 (BAGE 65, 1, 13 = AP, a.a.O., zu II 3 f 2 der Gründe) als gedanklich möglich bezeichnet. Ihr ist nach Änderung des Satzes 2 der Protokollnotiz zu folgen.
3. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber im vorliegenden Fall als Arbeitsstelle nicht allein die Räume der Station angesehen, in der die Klägerin ihren Dienst als Krankenpflegerin zu verrichten hat, sondern auch das innerhalb der Station gelegene Zimmer zur Arbeitsstelle gerechnet, in dem die Klägerin sich vor und nach dem Stationsdienst umzieht.
a) In Satz 2 der Protokollnotiz sind Betriebs- und Verwaltungsbereich nur beispielhaft als Arbeitsstelle bezeichnet. Daraus folgt, daß letztlich durch die konkrete Arbeitgeberentscheidung die Grenzen der Arbeitsstelle bestimmt werden und diese im Einzelfall auch die als typische Arbeitsstellenbeispiele anzusehenden Organisationseinheiten (Dezernat, Abteilung, Werkstatt, Station) überschreiten können. Die Arbeitszeit beginnt dort, wo der Angestellte zum Zweck der Arbeitsaufnahme zu erscheinen hat und endet an der Stelle, von der aus er nach geleisteter Arbeit den Heimweg antreten darf. Dies kommt in der Protokollnotiz nach wie vor dadurch zum Ausdruck, daß für Beginn und Ende der Arbeitszeit auf das Erreichen und Verlassen der Arbeitsstelle abgestellt wird. Der Senat hat deshalb in der am gleichen Tag entschiedenen Sache 6 AZR 220/94 ein außerhalb der Station gelegenes Umkleidezimmer zur Arbeitsstelle gerechnet. Ist angeordnet, daß das Umkleiden innerhalb der Station aber zum Beginn und nach Ende der Schicht zu erfolgen hat, kann nichts anderes gelten. Das bedeutet, daß auch die Zeit des Umkleidens als Arbeitszeit anzusehen ist.
b) Das Landesarbeitsgericht hat das Umkleidezimmer deshalb zur Arbeitsstelle gerechnet, weil die Klägerin dort Arbeit zu leisten habe, denn das Umkleiden sei bereits als Arbeitsleistung anzusehen. Ob dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen ist, daß die Klägerin, indem sie sich umzieht, bereits Arbeit verrichtet, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls hat der Beklagte die Arbeit so organisiert, daß die Klägerin – wie festgestellt – 360 Sekunden mehr benötigt als die reine Schichtzeit, um ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Zu diesen gehört das vom Arbeitgeber angeordnete Umkleiden.
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Klägerin einzelvertraglich verpflichtet ist, die Dienstkleidung, die der Beklagte unentgeltlich zur Verfügung stellt und reinigt, in dem dafür eingerichteten Umkleideraum zu wechseln, während des Dienstes zu tragen und nicht mit nach Hause zu nehmen. Damit hat der Beklagte die Arbeit so organisiert, daß das Umkleiden als arbeitsvertragliche Verpflichtung anzusehen ist, die nicht irgendwann und irgendwo, sondern unmittelbar vor Erreichen des Arbeitsplatzes „an Ort und Stelle” und unmittelbar nach Beendigung der Schicht zu erfüllen ist. Weil der Beklagte die Klägerin aufgrund des so ausgeübten Direktionsrechts rechtlich zwingt, sich in dem Umkleidezimmer umzukleiden, hat er die Arbeitsstelle so organisiert, daß dieser Raum zu ihr gehört und somit dort die Arbeitszeit der Klägerin beginnt und endet. Hieraus ergibt sich, daß die Zeit des Umkleidens zur Arbeitszeit zu rechnen ist.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, R. Winterholler, Kapitza
Fundstellen