Entscheidungsstichwort (Thema)

Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung. Gleichbehandlung

 

Orientierungssatz

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsteht selbst dann, wenn die übertarifliche Zulage über einen längeren Zeitraum vorbehaltlos zum Tariflohn gezahlt und nicht mit Tariflohnerhöhungen verrechnet worden ist, kein Vertrauenstatbestand dahin, daß die übertarifliche Zulage auch in Zukunft ungeschmälert weitergezahlt wird.

2. Gewährt ein Arbeitgeber die übertariflichen Leistungen nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip oder vollzieht er danach die Anrechung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage, steht den übergangenen Arbeitnehmern bei willkürlicher Behandlung ein Anspruch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung zu.

 

Normenkette

TVG § 4; BGB § 242

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 10.07.1984; Aktenzeichen 7 Sa 473/82)

ArbG Köln (Entscheidung vom 12.03.1982; Aktenzeichen 2 Ca 5961/81)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist seit 1953 bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Die Parteien sind beide tarifgebunden. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Gehaltsabkommen Anwendung, die zwischen der Wirtschaftsvereinigung Groß- und Außenhandel Köln und der Gewerkschaft HBV sowie der DAG abgeschlossen werden.

Von den ca. 100 Arbeitnehmern der Beklagten sind die Hälfte Angestellte, die andere Hälfte sind gewerbliche Arbeitnehmer. Die Beklagte zahlt an alle ihre Arbeitnehmer eine nicht näher bezeichnete übertarifliche Zulage. Mit Wirkung vom 1. April 1981 wurden die Tariflöhne und Gehälter neu festgesetzt; die Erhöhung betrug 4,9 %. Den gewerblichen Arbeitnehmern gab die Beklagte die Tariflohnerhöhung ungekürzt weiter. Die Gehälter der Angestellten hat die Beklagte dagegen lediglich um einen Betrag von zwei Dritteln von 4,9 % des jeweiligen Tarifgehaltes angehoben und die tarifliche Erhöhung im übrigen mit der übertariflichen Zulage verrechnet. Bei der Klägerin sind 19,-- DM monatlich angerechnet worden.

Die tariflichen Gehaltsabkommen ab dem Jahre 1971 enthalten alle eine Klausel folgenden Inhalts:

"Aus Anlaß des Inkrafttretens dieses Gehaltsabkommens

tritt eine Gehaltserhöhung nur für die Angestellten

ein, die bisher einschließlich etwaiger Zulagen ein

niedrigeres Gehalt erhielten als die in diesem Ge-

haltsabkommen vereinbarten Mindesttarifgehälter.

Leistungszulagen bleiben davon unberührt."

Die Beklagte hat erstmals im Jahre 1981 bei den Angestellten die Tariflohnerhöhung teilweise verrechnet. In allen Jahren vorher hatte sie bei den gewerblichen Arbeitnehmern und bei den Angestellten die übertariflichen Zulagen neben den erhöhten Tariflöhnen bzw. -gehältern gezahlt.

Die Klägerin hat sich gegen die teilweise Anrechnung der Tariferhöhung auf die übertarifliche Zulage gewandt und mit ihrer Klage die Zahlung weiterer 19,-- DM monatlich ab 1. April 1981 von der Beklagten begehrt. Sie hat geltend gemacht, weil die Beklagte die Tariflohnerhöhung bisher immer uneingeschränkt gezahlt habe, liege eine arbeitsvertraglich vereinbarte Zulage vor. Zudem habe die Beklagte den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht beachtet, weil sie bei den Angestellten die Tariflohnerhöhung teilweise verrechnet, sie den gewerblichen Arbeitnehmern jedoch voll weitergegeben habe.

Die Beklagte hat bestritten mit der Klägerin vereinbart zu haben, die Tariflohnerhöhungen nicht anzurechnen. Sie hat weiter geltend gemacht, der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt, weil die Differenzierung sachlich gerechtfertigt gewesen sei. Die übertariflichen Zulagen bei den Angestellten hätten im Durchschnitt 26,47 % des Tarifgehalts betragen, bei den gewerblichen Arbeitnehmern jedoch nur ca. 13,67 %. Die unterschiedliche Verrechnung habe der Angleichung der Durchschnittswerte dienen sollen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Durch Urteil vom 8. September 1982 hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Auf die zugelassene Revision hat der erkennende Senat durch Urteil vom 21. März 1984 das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 8. September 1982 aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Revisionsurteils wird Bezug genommen.

Nach der Zurückverweisung hat die Klägerin weiter vorgetragen, bei den Gehaltsvereinbarungen habe Einigkeit darüber bestanden, daß Tariferhöhungen im vollen Umfang aufgestockt werden sollten. Die Beklagte hat eine vertragliche Zulage weiterhin bestritten und die Auffassung vertreten, sie könne übertarifliche Zulagen auch dann verrechnen, wenn sie jahrelang vorbehaltlos gezahlt worden seien.

Durch Urteil vom 10. Juli 1984 hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 19,-- DM monatlich ab 1. April 1981 zu zahlen mit 4 % Zinsen jeweils ab Fälligkeit.

Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte ihr ab 1. April 1981 monatlich ein um 19,-- DM höheres Gehalt zahlt. Der Klägerin steht ein solcher Anspruch weder aus Vertrag (I) noch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (II) zu.

I. 1. Das Berufungsgericht hat, nachdem der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden war, nach Beweisaufnahme festgestellt, daß die Parteien keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen haben, wonach die Verrechnung der Tariflohnerhöhung mit der außertariflichen Zulage ausgeschlossen sein sollte. An diese Feststellung ist der Senat gebunden, auch wenn sie sich zu Lasten der Revisionsbeklagten auswirkt (§ 561 Abs. 2 ZPO). Die Revisionsbeklagte hat, obgleich die Möglichkeit hierzu gegeben war (vgl. BAG 17, 236, 238 = AP Nr. 2 zu § 276 BGB Vertragsbruch), insoweit keine Verfahrensrüge erhoben.

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht eine stillschweigende Vereinbarung über ein Anrechnungsverbot verneint. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteil vom 4. Juni 1980 - 4 AZR 530/78 - AP Nr. 13 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung; Urteil vom 8. Dezember 1982 - 4 AZR 481/80 - AP Nr. 15 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung) entsteht selbst dann, wenn die übertarifliche Zulage über einen längeren Zeitraum vorbehaltlos zum Tariflohn gezahlt und nicht mit Tariflohnerhöhungen verrechnet worden ist, kein Vertrauenstatbestand dahin, daß die übertarifliche Zulage auch in Zukunft ungeschmälert weitergezahlt wird. Von diesen Rechtsgrundsätzen, die schon dem Urteil des Senats vom 21. März 1984 zugrunde lagen, hatte das Berufungsgericht in seiner Entscheidung auszugehen (§ 565 Abs. 2 ZPO), da die rechtserheblichen tatsächlichen Feststellungen unverändert blieben. Im erneuten Revisionsverfahren ist der Senat insoweit ebenfalls gebunden (BAG 10, 355 = AP Nr. 1 zu § 565 ZPO; vgl. ferner Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluß vom 6. Februar 1973 - GemS-OGB 1/72 - AP Nr. 1 zu § 4 RsprEinhG).

II. Der Anspruch der Klägerin rechtfertigt sich auch nicht aus einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.

1. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz ist es dem Arbeitgeber verwehrt, in seinem Betrieb einzelne oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen auszunehmen. Der Arbeitgeber, der seinen Arbeitnehmern freiwillige Leistungen zuwendet, muß die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, daß nicht ein Teil der Arbeitnehmer sachwidrig oder willkürlich von den Vergünstigungen ausgeschlossen bleibt. Die Frage, ob eine sachgerechte Abgrenzung erfolgt ist, ist nach dem Zweck der freiwilligen Leistungen zu beurteilen. Diesen Zweck kann der Arbeitgeber zwar frei bestimmen. Jedoch ist auch insoweit zu prüfen, ob der mit den Leistungen verfolgte Zweck nicht sachwidrig ist (vgl. BAG 39, 133, 135 = AP Nr. 51 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu 2 der Gründe; BAG 45, 76, 80 und BAG 45, 86, 90 = AP Nr. 67 und 68 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, jeweils zu I 2 der Gründe).

Übertarifliche Zulagen zum Tariflohn sind solche freiwilligen Leistungen. Der Arbeitgeber hat daher bei einer an sich zulässigen Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf den übertariflichen Teil der Löhne und Gehälter den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten (BAG Urteil vom 22. August 1979 - 5 AZR 769/79 - AP Nr. 11 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung, zu 2 b der Gründe; BAG 38, 118, 125 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Entgegen der Auffassung der Revision ist die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dabei nicht dann ausgeschlossen, wenn eine Gruppe von Arbeitnehmern "nur bevorzugt" wird. Gewährt der Arbeitgeber die übertariflichen Leistungen nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip oder vollzieht er danach die Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage, steht den übergangenen Arbeitnehmern bei willkürlicher Behandlung ein Anspruch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung zu. Lediglich wenn der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer bevorzugt, kann der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht angewendet werden (vgl. zuletzt BAG 45, 66, 73 = AP Nr. 66, zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu I 3 b der Gründe, m.w.N.).

2. Entgegen der in dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung hat die Beklagte mit der Teilanrechnung der Tariflohnerhöhung auf die übertarifliche Zulage bei den Angestellten nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.

a) Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers eine Ungleichbehandlung zwischen der Gruppe der Angestellten und der der Arbeiter nicht schon allein deshalb als sachgerecht angesehen werden kann, weil die Gruppenzugehörigkeit als solche eine Differenzierung rechtfertige. Es ist vielmehr jeweils zu prüfen, ob der mit der Leistung verfolgte Zweck die unterschiedliche Behandlung sachlich rechtfertigt (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. zuletzt BAG 45, 66, 72 = AP Nr. 66 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu I 2 der Gründe). Auf die Gruppenzugehörigkeit der Arbeitnehmer hat die Beklagte die Anrechnung bzw. Nichtanrechnung der Tariflohnerhöhung jedoch nicht gestützt.

b) Das Berufungsgericht hat ferner zutreffend angenommen, daß auch der der Tariflohnerhöhung zugrunde gelegte Zweck, nämlich die Verteuerung der Lebenshaltungskosten auszugleichen, eine differenzierte Behandlung der Arbeiter und Angestellten nicht rechtfertigen könnte. Denn die Verteuerung der Lebenshaltungskosten trifft beide Arbeitnehmergruppen in gleichem Maße, und zwar regelmäßig in dem gleichen prozentualen Verhältnis der ihnen jeweils effektiv gezahlten Löhne und Gehälter.

c) Die Beklagte hat die Teilanrechnung der Tariflohnerhöhungen auf die übertarifliche Zulage bei den Angestellten jedoch ausdrücklich mit dem Zweck verbunden, eine angemessene Lohndifferenz zwischen den beiden Arbeitnehmergruppen herstellen zu wollen. Damit hat sie die unterschiedliche Behandlung auf einen sachlichen Differenzierungsgrund im Sinne des Gleichbehandlungsgebots gestützt.

Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Maßstäben ein Arbeitgeber ein einmal in seinem Betrieb eingeführtes Lohngefüge im Rahmen von Tariflohnerhöhungen umgestalten kann, ohne damit den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verletzen. Bei Lohn- und Gehaltsanpassungen im übertariflichen Bereich steht es ihm jedenfalls frei, auch in das Lohngefüge einzugreifen, soweit dies dem mit den Lohnanhebungen verbundenen Zweck entspricht und generelle, objektive Merkmale zugrunde gelegt werden. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, die bestehenden Vergütungsdifferenzen beizubehalten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Arbeitgeber auch andere Gründe als die Arbeitsleistung für eine differenzierte Lohnanhebung anführen. Der vom Landesarbeitsgericht allein zugelassene sachliche Differenzierungsgrund, nämlich die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, schränkt die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers in unzulässigem Maße ein. Ein derart eingeschränktes Differenzierungsrecht würde dazu führen, daß die übertariflichen Vergütungsbestandteile und - als Ergebnis davon - die Einkommensdifferenzen zwischen den Arbeitnehmern dauerhaft "zementiert" werden. Dies wiederum aber würde dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen.

Nach der Rechtsprechung des Senats hat der Arbeitgeber das Recht, überdurchschnittlich hohe Zahlungen an eine Arbeitnehmergruppe, die ohne besondere Zweckbindung gewährt werden, durch Zahlungen an eine andere Arbeitnehmergruppe auszugleichen, um eine Benachteiligung dieser Arbeitnehmergruppe zu vermeiden (BAG 45, 86, 89 = AP Nr. 68 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu III 2 a der Gründe). Dementsprechend handelt der Arbeitgeber auch dann sachlich gerechtfertigt, wenn er die Tariflohnerhöhungen zum Anlaß nimmt, durch eine unterschiedliche Erhöhung der Effektivlöhne die Lohn- und Gehaltsdifferenzen im Betrieb zu vermindern, um damit zu verhindern, daß sich die Löhne und Gehälter durch prozentuale Lohnerhöhungen immer weiter auseinander entwickeln. Die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmergruppen im übertariflichen Bereich ist also dann sachlich begründet, wenn ungleiche Verhältnisse zwischen den Arbeitnehmern vermieden und beseitigt werden sollen.

3. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhalten die bei der Beklagten beschäftigten Angestellten eine übertarifliche Zulage, die im Durchschnitt 26,47 % des tariflichen Gehalts beträgt, während sich die der gewerblichen Arbeitnehmer durchschnittlich nur auf 13,67 % des Tariflohns beläuft. Angesichts dieser Einkommensdifferenzen war es der Beklagten erlaubt, die übertariflichen Leistungen an die Angestellten durch eine überdurchschnittliche Erhöhung der Effektivlöhne der gewerblichen Arbeitnehmer auszugleichen, um eine angemessenere Lohndifferenz herzustellen. Die Beklagte ist dabei auch nach einer einheitlichen Regel vorgegangen, indem sie allen gewerblichen Arbeitnehmern die Tariflohnerhöhung ungekürzt weitergab, während sie diese bei den Angestellten jeweils zu einem Drittel mit der übertariflichen Zulage verrechnete. Die im Durchschnitt erheblich höheren übertariflichen Zulagen für die Gehaltsempfänger erlaubten es der Beklagten, eine differenzierte Erhöhung der Effektivlöhne anhand der Entgeltform, also Gehalt oder Lohn, vorzunehmen.

Dr. Thomas Michels-Holl Schneider

Liebsch Werner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440222

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