Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme der Einkommensteuer auf Übergangsgeld durch Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
- Mit der Zusage, Übergangsleistungen an den Arbeitnehmer “steuerfrei” zu erbringen, verpflichtet sich ein Arbeitgeber noch nicht, auch die steuerliche Belastung zu übernehmen, die durch den Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 2 EStG verursacht wird (Bestätigung Senat 8. September 1998 – 9 AZR 255/97 – AP BGB § 611 Nettolohn Nr. 10 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 32).
- Verpflichtet sich der Arbeitgeber ausdrücklich für die Dauer der Arbeitslosigkeit, die Steuern zu übernehmen, soweit sie “für das Übergangsgeld anfallen”, so beinhaltet das, den ausgeschiedenen Arbeitnehmer steuerlich auch von der Mehrbelastung durch den Progressionsvorbehalt frei zu stellen. Die den Nettobetrag des zugesagten Übergangsgelds mindernde Steuerbelastung hat danach der Arbeitgeber zu übernehmen, soweit sie auf der Berücksichtigung der bezogenen Arbeitslosenunterstützung bei der Einkommensteuer beruht.
Orientierungssatz
- Mit der Zusage, “steuerfreie” Zahlungen an den Arbeitnehmer zu erbringen, verpflichtet sich der Arbeitgeber nicht ohne weiteres, auch die steuerliche Mehrbelastungen zu übernehmen, die sich für das zu versteuernde Einkommen auf Grund der Erhöhung des Steuersatzes entsprechend dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 2 EStG ergeben.
- Verpflichtet sich ein Arbeitgeber in einem Aufhebungsvertrag für die Dauer der Arbeitslosigkeit ausdrücklich Steuern zu übernehmen, soweit sie auf ein einzelvertraglich vereinbartes Übergangsgeld anfallen, so beinhaltet das bereits nach dem Wortlaut die Erklärung, den ausgeschiedenen Arbeitnehmer steuerlich von den Belastungen frei zu stellen. Das bedeutet: Der Arbeitgeber hat die den Nettobetrag des zugesagten Übergangsgelds mindernde Steuerlast zu übernehmen, soweit sie einkommenssteuerrechtlich auf Berücksichtigung des Bezugs von Arbeitslosenunterstützung beruht. Dies gilt insbesondere für die Steuerschuld, die erst durch den Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG entsteht, weil das nach § 3 Nr. 2 EStG steuerfreie Arbeitslosengeld berücksichtigt wird.
- Das nachträgliche Verhalten der Vertragspartner kann Anhaltspunkte für den tatsächlich erklärten Verpflichtungswillen enthalten und somit für die Auslegung von Bedeutung sein.
Normenkette
EStG § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 32a Abs. 1, § 32b Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 21. November 2001 – 2 Sa 72/01 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger steuerliche Belastungen zu erstatten, die auf dem Progressionsvorbehalt gem. § 32b EStG beruhen.
Die Parteien vereinbarten am 4. September 1995 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 1996. In der Vereinbarung heißt es ua.:
“2. Für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Bank Herrn K… in Anwendung der Vereinbarung vom 11.12.1990 (§ 111 BetrVG) eine Abfindung.
Die Zahlung der Abfindung erfolgt gemäß Abschnitt II Ziffer 3d) der Vereinbarung vom 11.12.1990 in monatlichen Raten als Übergangsgeld.
Die Höhe des Übergangsgeldes ergibt sich aus dem Differenzbetrag zwischen 90 % (= z.Zt. DM 3.643,60) des sich zum Zeitpunkt des Ausscheidens unter Zugrundelegung der Steuerklasse 3/0 ergebenden fiktiven monatlichen Nettoeinkommens einerseits und den im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes bei Zugrundelegung der gleichen Steuerklasse und bei Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen oder im Falle der Erkrankung der ersatzweise von der Krankenkasse zustehenden Leistungen andererseits. Für Zeiträume, für die von Herrn K… Beiträge zur Krankenversicherung zu entrichten sind, wird der Aufwand gegen entsprechenden Nachweis zusätzlich erstattet.
…
Soweit auf das Übergangsgeld Steuern anfallen, übernimmt die Bank die anfallenden Steuern unter Zugrundelegung der Steuerklasse, die der Ermittlung des Übergangsgeldes zugrunde lag.
…”
Der Kläger reichte der Beklagten seinen Steuerbescheid für das Jahr 1997 zur Erstattung der Einkommenssteuer und Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 1.033,30 DM ein. Wie auch in anderen Fällen erstattete die Beklagte diesen Betrag. Die Sachbearbeiterin vermerkte auf dem Steuerbescheid handschriftlich:
“Dieser Betrag ist zu erstatten, da außer Übergangsgeld keine weiteren Einkünfte vorhanden sind.”
In den Erläuterungen zu dem Steuerbescheid heißt es unter Ziff. 2:
“Leistungen nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG (z.B. Lohnersatzleistungen) wurden in Höhe von 29515 DM in die Berechnung des Steuersatzes einbezogen (Progressionsvorbehalt)”
Für das Jahr 1998 machte der Kläger gegenüber der Beklagten eine erneute Erstattung in Höhe von 1.145,55 DM geltend. Die Beklagte lehnte diese Erstattung mit der Begründung ab, auf Grund des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 1998 – 9 AZR 255/97 – (AP BGB § 611 Nettolohn Nr. 10 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 32) habe man im laufenden Jahr die bisherige Verfahrensweise geändert.
Mit der am 5. Juli 2000 beim Arbeitsgericht erhobenen Klage hat der Kläger die Erstattung der von ihm für 1998 zu entrichtenden Steuern verlangt. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.145,55 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. September 1999 für die Zeit bis zum 30. April 2000 sowie in Höhe von 8,42 % Zinsen für die Zeit ab dem 1. Mai 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision den Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.
I. Der Kläger hat nach der zwingend vorgeschriebenen Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG wegen des Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG für 1998 in der eingeklagten Höhe Einkommensteuern nachentrichten müssen. Diese Steuerpflicht entstand nach § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG. Danach wird das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen (hier Übergangsgeld) um die Beträge nach § 3 Nr. 2 EStG (Arbeitslosengeld) vermehrt. Durch diese Zusammenrechnung wurde das Übergangsgeld des Klägers steuerpflichtig, weil der Freibetrag nach § 32a EStG überschritten wurde. Er hat nach Ziff. 2 Abs. 4 des Aufhebungsvertrages der Parteien vom 4. September 1995 Anspruch darauf, daß die Beklagte die sich aus dem Progressionsvorbehalt ergebende Steuerschuld “übernimmt”. Da der Kläger bereits die Steuerschuld getilgt hat, kann er anstelle der Freistellung Zahlung an sich selbst verlangen.
1. Der Senat stimmt der Auslegung des Landesarbeitsgerichts, nach der die Beklagte die Übernahme der Steuerschuld vertraglich zugesagt hat, zu. Dabei kann dahin stehen, ob die Auslegung des Vertrages eingeschränkt revisionsrechtlich überprüfbar ist, weil, wie der Kläger geltend macht, mit ihm ein Aufhebungsvertrag individuell ausgehandelt worden sei. Das Auslegungsergebnis des Landesarbeitsgerichts ist auch dann nicht zu beanstanden, wenn es zu Gunsten der Revision einer uneingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung unterzogen wird.
2. In Ziff. 2 Abs. 4 der Aufhebungsvereinbarung hat die Beklagte ausdrücklich zugesagt, Steuern, soweit sie auf das Übergangsgeld anfallen, zu übernehmen; das heißt: Den ausgeschiedenen Arbeitnehmer von der steuerlichen Belastung, die mit dem Bezug des Übergangsgelds verbunden ist, vollständig frei zu stellen. Anhaltspunkte für die Beschränkung der Übernahmeverpflichtung sind nicht ersichtlich.
a) Die Auffassung der Revision, es seien nur Steuern auf das Übergangsgeld zu erstatten, soweit sie sich unmittelbar aus dem monatlichen laufenden Bezug ergäben, verkennt die steuerlichen Auswirkungen der im Aufhebungsvertrag geregelten Kombination des Bezuges von Übergangsgeld und von Leistungen “im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes”.
aa) Die auf Grund des Aufhebungsvertrages vom Arbeitgeber 1998 erbrachten Übergangsleistungen waren weder nach § 3 Nr. 9 und 10 EStG in der für 1998 maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 6. August 1998 steuerbefreit, noch gehörten sie zu den Entschädigungen iSd. § 24 Nr. 1 Buchst. a und b EStG, die steuerlich als außerordentliche Einkünfte nach § 34 EStG zu behandeln waren (vgl. BFH 18. September 1991 – XI R 8/90 – BFHE 165, 285). Dennoch fiel 1998 bei der Auszahlung des Übergangsgelds keine vom Arbeitgeber abzuführende Lohnsteuer an, weil der maßgebliche Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG idF vom 16. April 1997 von 12.095,00 DM nicht erreicht wurde.
bb) Den Parteien war das auf Grund der von ihnen durchgeführten Berechnungen bereits bei Abschluß des Aufhebungsvertrages 1995 bekannt. Sie wußten daher, daß für das Übergangsgeld allein betrachtet keine Einkommensteuern anfallen konnten. Der Kläger konnte davon ausgehen, daß eine in Fragen des Wirtschafts- und Steuerrechts nicht unerfahrene Großbank mit der Zusicherung der Übernahme der auf das Übergangsgeld anfallenden Steuern die Freistellung von der Progressionslast erklären wollte. Er konnte deshalb die Zusage in Ziff. 2 Abs. 4 des Aufhebungsvertrages so verstehen, daß die Beklagte auch die den Nettobetrag des zugesagten Übergangsgelds mindernde Steuerlast ausgleicht, soweit sie auf der Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes im Rahmen der Steuerprogression nach § 32b EStG beruht.
b) Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung der vertraglichen Zusicherung auch zu Recht das Verhalten der Beklagten, insbesondere ihr Schreiben vom 30. September 1999, bei der Auslegung berücksichtigt.
aa) Das nachträgliche Verhalten der Vertragspartner kann zwar den bei Vertragsschluß zum Ausdruck gebrachten objektiven Gehalt der wechselseitigen Vertragserklärungen nicht mehr beeinflussen (BGH 24. Juni 1988 – V ZR 49/87 – NJW 1988, 2878, 2879). Es kann aber Anhaltspunkte für den tatsächlichen Vertragswillen enthalten und somit für die Auslegung von Bedeutung sein (BAG 30. Januar 1991 – 7 AZR 497/89 – BAGE 67, 124, 135; BGH 16. Oktober 1997 – IX ZR 164/96 – BB 1997, 2609).
bb) Die Beklagte hat mit ihrem Schreibens vom 30. September 1999 zu erkennen gegeben, daß sie sich im Aufhebungsvertrag zur Erstattung der progressionsbedingten steuerlichen Mehrbelastungen verpflichten wollte. Dem steht das Fehlen einer ausdrücklichen Verpflichtung im Aufhebungsvertrag nicht entgegen. Auslegungsziel ist bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen zwar nicht der innere Wille des Erklärenden, sondern das was der Adressat nach seinem Empfängerhorizont als Willen des Erklärenden verstehen konnte (Staudinger/Roth BGB (1996) § 157 Rn. 3; MünchKommBGB/Mayer-Maly/Busche § 133 Rn. 10). Entscheidend ist dabei der vereinbarte Sinn der Erklärung. Dieser kann vom objektiven Sinn des Erklärungstatbestandes abweichen (Staudinger-Dilcher BGB 12. Aufl. §§ 133, 157 Rn. 20).
cc) Die Beklagte hat selbst noch mit ihrem Schreiben an den Kläger vom 30. September 1999 eingeräumt, daß sie sich 1995 im Aufhebungsvertrag zur Übernahme der Steuern verpflichten wollte. Sie hat unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 8. September 1998 darauf hingewiesen, ihre bisherige Verfahrensweise ändern zu wollen und künftig keine progressionsbedingten Steuern mehr zu erstatten. In dieser Entscheidung (Senat 8. September 1998 – 9 AZR 255/97 – AP BGB § 611 Nettolohn Nr. 10 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 32) hat der Senat für eine Zusage, das Arbeitslosengeld bis zu 90 % des früheren Nettoentgelts aufzustocken, die Übernahme einer Ausgleichspflicht des Arbeitgebers für progressionsbedingte Steuernachteile verneint. Zu Unrecht meint die Beklagte, diese Entscheidung habe auch für die Auslegung ihrer Vertragsklausel Bedeutung. Im Unterschied zu der Entscheidung hat sich die Beklagte ausdrücklich nicht nur zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes durch das sog. Übergangsgeld, sondern auch zur Übernahme der für das Übergangsgeld anfallenden Steuern verpflichtet. So hat sie auch selbst die Vereinbarung ursprünglich verstanden. Sie verkennt, daß hier nicht die Auslegung einer auf das Arbeitsverhältnis einwirkenden Norm, sondern die Auslegung einer eigenen Erklärung in Frage steht. Sie kann sich daher nicht nachträglich eine für sie günstigere Auslegung zu eigen machen.
dd) Diese Auslegung wird schließlich auch durch die tatsächliche Erstattung im Jahre 1997 bestätigt. Die zuständige Sachbearbeiterin hat die Erstattung in Kenntnis des Steuerbescheides wegen der Auswirkungen des Progressionsvorbehalts für Lohnersatzleistungen verfügt.
Die auf eine Verletzung der §§ 286, 139 ZPO gestützte Revisionsrüge der Beklagten ist unbegründet. Selbst wenn die Sachbearbeiterin die Erstattung an den Kläger für 1997 entgegen einer ausdrücklichen Weisung des zentralen Bereichs Arbeitsrecht der Beklagten, keine Steuererstattungen mehr vorzunehmen, vorgenommen hatte, rechtfertigt dies keine andere Auslegung. Die behauptete Weisung der Zentrale bestätigt vielmehr, daß die Beklagte von ihrem eigenen Verständnis einer eingegangenen Verpflichtung abrücken wollte.
II. Der Zinsanspruch ergibt sich der Höhe nach bis zum 30. April 2000 aus § 288 Abs. 1 BGB idF bis zum 30. April 2000 und ab dem 1. Mai 2000 aus § 288 Abs. 1 BGB nF.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Düwell, Zwanziger, Krasshöfer, Furche, Trümner
Fundstellen
Haufe-Index 980914 |
BFH/NV Beilage 2004, 198 |
BAGE 2005, 119 |
BB 2003, 2464 |
DB 2003, 2341 |
HFR 2004, 268 |
NJW 2003, 3797 |
NWB 2003, 3274 |
BuW 2003, 1055 |
BuW 2003, 836 |
ARST 2004, 116 |
EStB 2003, 380 |
FA 2004, 24 |
NZA 2003, 1276 |
SAE 2004, 149 |
StuB 2003, 1004 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 6 |
EzA |
MDR 2004, 283 |
PERSONAL 2003, 60 |
PersR 2004, 365 |
BFH/NV-Beilage 2004, 198 |