Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsschaden
Normenkette
BGB §§ 276, 252, 615
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 25.11.1992; Aktenzeichen 11 Sa 320/92) |
AG Oberhausen (Teilurteil vom 22.01.1992; Aktenzeichen 4 Ca 2453/91) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 25. November 1992 – 11 Sa 320/92 – aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 22. Januar 1992 – 4 Ca 2453/91 – wird zurückgewiesen.
2. Die Anschlußrevision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 25. November 1992 – 11 Sa 320/92 – wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der im Jahre 1936 geborene Kläger war bis Anfang 1970 als Ingenieur und Architekt tätig. Er wurde auf der Grundlage der als Arbeitsvertrag bezeichneten Vereinbarung vom 17./31. März 1970 ab 1. April 1970 als Aushilfslehrer im Berufsschuldienst des Beklagten beschäftigt. Mit Beginn des Wintersemesters 1970/71 nahm er ein Hochschulstudium für das Lehramt an berufsbildenden Schulen auf. Für die Dauer des Studiums erhielt er Vergütung nach Vergütungsgruppe V b BAT.
Mit Schreiben vom 8. April und 15. Mai 1974 teilte der Beklagte dem Kläger mit, daß der Kläger die erste Staatsprüfung bis zum 31. März 1975 abgelegt haben müsse, andernfalls die Zahlung der Vergütung eingestellt werden würde. Tatsächlich wurde die Vergütungszahlung mit Ablauf des Monats April 1975 eingestellt.
Der Kläger legte kein Examen ab. Die Klage des Beklagten auf Rückzahlung der Vergütung für die Zeit vom 1. Oktober 1970 bis zum 30. April 1975 in Höhe von 120.070,33 DM wurde rechtskräftig abgewiesen.
Mit der am 2. Januar 1990 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage nimmt der Kläger den Beklagten auf Zahlung der Differenz zwischen tatsächlich erzieltem und dem ihm seiner Auffassung nach entgangenen Einkommen in Anspruch.
Er hat vorgetragen, der Beklagte habe den Studienabschluß durch die vertragswidrige Einstellung der Vergütungszahlung verhindert. Ihm sei nicht zuzumuten gewesen, sich bereits am 15. Juli 1974 zu einer Prüfung zu melden, zu der er zwar zugelassen worden wäre, die er aber nicht bis zum 31. März 1975 hätte abschließen können. Für die Zeit nach dem 31. März 1975 hätte ihm und seiner Familie die finanzielle Grundlage gefehlt, was notwendigerweise den Abbruch und das Nichtbestehen der ersten Staatsprüfung bedeutet hätte. Seine Ehefrau habe wegen der drei minderjährigen Kinder keiner Berufstätigkeit nachgehen können. Die Aufnahme eines Darlehens von ca. 15.000,00 DM sei ihm wegen fehlender Sicherheiten unmöglich gewesen. Ab Mai 1975 sei er zunächst freiberuflich für seinen früheren Arbeitgeber tätig gewesen. Ab 15. Januar 1976 sei er wieder in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden.
Nach der ersten Staatsprüfung, an deren Bestehen aufgrund der bis dahin erbrachten überdurchschnittlichen Studienleistungen kein Zweifel bestanden hätte, wäre er im Schuldienst des Beklagten geblieben. Sein Ausbildungsweg sei eine Sondermaßnahme des Beklagten gewesen, die auf die Gewinnung von Lehrkräften für die berufsbildenden Schulen gerichtet gewesen sei. Er habe sich bei Vertragsschluß ausdrücklich verpflichten müssen, nach Abschluß der Staatsprüfung in den Schuldienst des Beklagten einzutreten und dort mindestens fünf Jahre zu verbleiben. Laufbahngemäß wäre zunächst die Einstellung in den Vorbereitungsdienst unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erfolgt. Nach dem Abschluß des Vorbereitungsdienstes hätte er die zweite Staatsprüfung für das Lehramt an berufsbildenden Schulen abgelegt. Danach wäre die Einstellung in den Schuldienst erfolgt. Im Regelfall hätten die vergleichbaren Teilnehmer der damaligen Sonderaktion ihr erstes und zweites Staatsexamen bestanden. Er wäre wie sie verbeamtet und spätestens 1987 zum Oberstudienrat befördert worden.
Entsprechend diesem gewöhnlichen Lauf der Dinge sei er mindestens so zu stellen, wie er bei ungehindertem Laufbahnverlauf gegenwärtig einzustufen wäre. Spätestens mit Ablauf des Jahres 1986 hätte sein fiktives Einkommen als Lehrer über seinem tatsächlich erzielten Einkommen gelegen. Sein jährlicher Nettoschaden habe sich auf 24.000,00 DM belaufen. Für die Zeit vom 1. Januar 1987 bis 31. Dezember 1990 ergebe das den mit der Teilklage geltend gemachten Betrag von 96.000,00 DM.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 96.000,00 DM netto nebst 4 % Zinsen von einem jeweiligen monatlichen Teilbetrag von 2.000,00 DM ab dem 1. Januar 1987 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat geltend gemacht, Ansprüche des Klägers wegen Annahme Verzuges bestünden nicht, denn er erfülle die Voraussetzungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht. Schadensersatzansprüche bestünden nicht, weil aus dem Arbeitsvertrag kein Rechtsanspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis hergeleitet werden könne. Zudem habe der Kläger völlig ungewöhnlich reagiert. Es wäre ihm möglich gewesen, eine Entscheidung des Arbeitsgerichts zu erwirken, um dadurch die Fortzahlung der Bezüge für die Dauer des Prüfungsverfahrens sicherzustellen. Zumindest treffe ihn insoweit ein Mitverschulden. Ein Zurückbehaltungsrecht habe dem Kläger nicht zugestanden.
Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage durch Teil-Urteil abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht unter Zurückweisung der Berufung im übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und den Beklagten verurteilt, an den Kläger 64.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 19. November 1991 zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Der Beklagte erstrebt mit seiner Revision die Abweisung der Klage in vollem Umfang. Mit der Anschlußrevision verfolgt der Kläger den zweitinstanzlich abgewiesenen Teil der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Berufungsgericht hat das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht abgeändert, denn dem Kläger steht der erhobene Anspruch in Höhe von 96.000,– DM nebst Zinsen nicht zu. Dementsprechend ist die Anschlußrevision des Klägers unbegründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, die Klage sei unter dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung teilweise begründet. Der Beklagte habe schuldhaft gegen die vertragliche Pflicht verstoßen, dem Kläger Vergütung für die Studienzeit und die Dauer der Prüfung zu zahlen. Erstere betrage sechs bis acht Semester, letztere zwölf Monate.
Es hindere den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Pflichtverstoß und dem Schaden nicht, daß der Kläger durch eigenen Willensentschluß sein Studium abgebrochen habe. Die Handlung des Klägers sei durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert worden und stelle sich angesichts seiner familiären Situation nicht als ungewöhnliche Reaktion dar.
Der Kläger könne gem. § 252 BGB entgangenen Verdienst eines beamteten Berufsschullehrers abzüglich anderweitigen Verdienstes ersetzt verlangen. Aufgrund der Umstände sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß er beide Examina bestanden hätte und nach seiner Verbeamtung im Schuldienst geblieben wäre.
Hinsichtlich der Schadenshöhe könne vom Rechenwerk des Klägers ausgegangen werden. Der Kläger müsse jedoch wegen seines Mitverschuldens ein Drittel des Schadens selber tragen, weil er es unterlassen habe, den Beklagten bereits seinerzeit mit arbeitsgerichtlicher Hilfe zur Vergütungszahlung zu bewegen.
B. Die Klage ist unbegründet.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf den geltend gemachten Betrag unter dem Gesichtspunkt des Annahme Verzuges (§ 615 BGB). Es kann zu seinen Gunsten unterstellt werden, daß es sich bei der als „Arbeitsvertrag” bezeichneten Vereinbarung vom 17./31. März 1970 tatsächlich um einen solchen handelt. Nach § 1 Abs. 3 des Vertrages könnte der Beklagte jedoch allenfalls mit der Annahme der Dienste des Klägers als Aushilfslehrer in Verzug gekommen und gem. § 615 Satz 1 BGB zur Zahlung der dafür vereinbarten Vergütung abzüglich anderweitigen Einkommens verpflichtet sein. Demgegenüber begehrt der Kläger die Besoldung eines Oberstudienrates, für die § 615 BGB als Anspruchsgrundlage ausscheidet.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf den Klagebetrag wegen positiver Forderungsverletzung.
a) Das Berufungsgericht hat die dazu notwendige Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht durch den Beklagten in der zum 30. April 1975 erfolgten Zahlungseinstellung gesehen. Das Berufungsgericht ist jedoch rechtsfehlerhaft von der Kausalität der in der Zahlungseinstellung liegenden Pflichtverletzung für den streitgegenständlichen Erwerbsschaden ausgegangen. Der Erwerbsschaden des Klägers wurde nicht äquivalent kausal durch die Zahlungseinstellung zum Ende des neunten Semesters verursacht. Zwischen dieser Zahlungseinstellung und dem unterbliebenen erfolgreichen Abschluß des Studiums besteht kein Zusammenhang im Sinne der Gleichwertigkeit aller Bedingungen. Die Fortsetzung der Vergütungszahlung bis zum Ende des zehnten Semesters (September 1975) kann hinzugedacht werden, ohne daß der Erfolg (kein Bestehen des ersten Staatsexamens) entfiele. Ursache des Nichtbestehens innerhalb der vom Berufungsgericht mit Recht angenommenen Gesamtförderungsdauer einschließlich Prüfungszeit von zehn Semestern war vielmehr, daß der Kläger die nach seiner eigenen Auffassung gebotene Anmeldung zum regulären ersten Staatsexamen im Juli 1974 aus eigenem Willensentschluß unterließ. Damit war nach der vom Kläger erwarteten Prüfungsdauer von zwölf Monaten ein Abschluß des Staatsexamens noch innerhalb der Gesamtförderungsdauer von zehn Semestern ausgeschlossen.
b) Die Zahlungseinstellung mit Ablauf des neunten Semesters ist auch nicht dadurch ursächlich für den eingetretenen Erwerbsschaden geworden, daß der Kläger nach April 1975 keine Meldung zum ersten Staatsexamen abgegeben hat. Insofern fehlt es gleichfalls an der notwendigen Kausalität, denn hätte der Beklagte seine Vertragspflicht zur Vergütung einer zwölfmonatigen Prüfungsdauer vollständig erbracht, hätte der Kläger gleichwohl das erste Staatsexamen nicht ablegen können, weil ein Teil der Prüfungsdauer ohne Vergütungsanspruch geblieben wäre. Der Beklagte hatte nämlich von der Gesamtprüfungsdauer bereits sieben Monate Vergütung der Prüfungsdauer geleistet und schuldete somit nur noch die Vergütung für fünf Monate. Demzufolge hätte der Kläger bei angenommener Prüfungsdauer von zwölf Monaten mindestens sieben Monate ohne Vergütungsanspruch leisten müssen. Dieses hat er jedoch abgelehnt.
c) Der Willensentschluß des Klägers, sich nicht bis Ende Juli 1974 zum Examen zu melden, wurde nicht durch die Schreiben des Regierungspräsidenten in Düsseldorf vom 8. April und 15. Mai 1974 in zurechenbarer Weise herausgefordert. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Ankündigung der späteren Zahlungseinstellung überhaupt eine Pflichtverletzung im Sinne der positiven Forderungsverletzung darstellte, zumal der Beklagte mit den Schreiben vom 8. April und 15. Mai 1974 lediglich eine rechtlich vertretbare Auslegung des Arbeitsvertrages mitteilte.
Aber auch bei Annahme einer in der Ankündigung der Zahlungseinstellung liegenden Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Beklagten wurde durch diese (unterstellte) Pflichtverletzung der streitgegenständliche Schaden in keiner rechtlich zurechenbaren Weise verursacht. Insofern fehlt es bereits an der substantiierten Darlegung durch den Kläger. Dieser hat schriftsätzlich keine Erklärung zu der Frage abgegeben, ob er sich bei unterstelltem Ausbleiben der Schreiben vom 8. April und 15. Mai 1974 im Sommer 1974 tatsächlich zur ersten Staatsprüfung gemeldet hätte. Wird auch dieses zu seinen Gunsten unterstellt, würde einer Zurechnung des unterbliebenen Examens der eigene Willensentschluß des Klägers, von der Meldung zum Examen wegen der angekündigten Zahlungseinstellung zum 31. März 1975 bereits im Juli 1974 Abstand zu nehmen, entgegenstehen. Eine Schadensersatzpflicht kann zwar auch für Schäden in Betracht kommen, die erst durch eine Handlung oder Unterlassung entstanden sind, welche auf einem Willensentschluß des Verletzten oder eines Dritten beruhen (sog. psychische Kausalität). Eine Zurechnung solcher Schäden setzt aber voraus, daß die Handlung oder Unterlassung des Verletzten oder des Dritten durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert worden ist. Eine solche herausgeforderte Reaktion, die zum Schaden führt, verlangt, daß der Schädiger durch in diesem Zusammenhang vorwerfbares Tun beim Geschädigten eine mindestens im Ansatz billigenswerte Motivation zu selbstgefährdendem Verhalten gesetzt hat, die etwa auf Pflichterfüllung, Abwehr oder Nothilfe beruhen kann (vgl. BGH Urteil vom 14. November 1989 – X ZR 106/88 – NJW-RR 1990, 308, 309; Urteil vom 3. Juli 1990 – VI ZR 33/90 – NJW 1990, 2885; Urteil vom 4. Mai 1993 – VI ZR 283/92 – NJW 1993, 2234). Die Reaktion des Klägers, die dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechende Meldung zum regulären ersten Staatsexamen zu unterlassen und statt dessen Anträge zu stellen, deren Erfolgsaussicht der Kläger selbst bezweifelte, und damit vergütete Prüfungszeit nutzlos verstreichen zu lassen, war durch die Schreiben des Beklagten nicht herausgefordert worden, sondern beruhte auf keiner billigenswerten Motivation. Der Beklagte hatte den Kläger mit den Schreiben vom 8. April und 15. Mai 1974 an seine im intensiven und konzentrierten Studium liegende Arbeitspflicht erinnert und ihn auf den Endtermin der Vergütungspflicht hingewiesen. Daß der Kläger hierauf mit einem im Ergebnis dem Ausstieg gleichkommenden Verhalten reagierte, lag außerhalb aller billigenswerten Möglichkeiten und kann dem Beklagten nicht zugerechnet werden.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Harnack, Brückmann
Fundstellen