Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstzeit. Grundwehrdienst bei Grenztruppen der DDR
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. Urteil des Senats vom 23. Juni 1994 – 6 AZR 911/93 – (AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) zum entsprechenden Problem der Anrechnung des bei den Grenztruppen der DDR abgeleisteten Grundwehrdienstes auf die Postdienstzeit.
Normenkette
Übergangsvorschriften zu § 9 TV Arb-O Nr. 1; GG Art. 3, 20
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 23.02.1994; Aktenzeichen 8 Sa 135/93) |
ArbG Berlin (Urteil vom 20.08.1993; Aktenzeichen 95 Ca 13698/93) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 23. Februar 1994 – 8 Sa 135/93 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 20. August 1993 – 95 Ca 13698/93 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger seinen bei den Grenztruppen der ehemaligen DDR geleisteten Grundwehrdienst als Dienstzeit anzurechnen.
Der Kläger ist seit 1954 bei der Deutschen Reichsbahn tätig. Kraft Tarifbindung findet auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Reichsbahn vom 30. September 1992 (AnTV-DR) Anwendung.
§ 12 (Dienstzeit) lautet u.a.:
„(1)
Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) ist die in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis bei der Deutschen Reichsbahn zurückgelegte Zeit.
…
- …
- …
Von der Berücksichtigung als Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) sind ausgeschlossen
- Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (einschl. der Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit),
- Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR (AB 2),
Zeiten einer Tätigkeit bei der Deutschen Reichsbahn, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war.
Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe wird insbesondere vermutet, wenn der Angestellte
aa) vor oder bei der Übertragung der Tätigkeit eine hauptamtliche oder hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED, dem FDGB, der FDJ oder einer vergleichbar systemunterstützenden Partei oder Organisation inne hatte,
bb) als obere oder mittlere Führungskraft in zentralen Staatsorganen, als obere Führungskraft des Rates eines Bezirkes, als Vorsitzender des Rates des Kreises oder einer kreisfreien Stadt (Oberbürgermeister) oder in einer vergleichbaren Funktion tätig war oder
cc) hauptamtlich Lehrender an den Bildungseinrichtungen der staatstragenden Parteien oder einer Massen- oder gesellschaftlichen Organisation war oder
dd) Absolvent der Akademie für Staat und Recht oder einer vergleichbaren Bildungseinrichtung ist.
Der Angestellte kann die Vermutung widerlegen.
…
(2) 1. Die allgemeine Dienstzeit umfaßt die Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) (Abs. 1) und die nach den Nrn. 2 bis 6 anzurechnenden Zeiten, soweit diese nicht schon als Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) berücksichtigt sind.
2–5. …
6. Anzurechnen sind ferner die Zeiten des Wehrdienstes im Soldatenverhältnis in der Bundeswehr (aktive Dienstpflicht, Übungen und freiwilliges Dienen), …
Den Zeiten erfüllter Dienstpflicht in der Bundeswehr stehen Zeiten des Grundwehrdienstes in der NVA (einschließlich Baueinheiten) … soweit sie der Ableistung des Grundwehrdienstes entsprachen, gleich. Abs. 2 Nr. 4 gilt.”
Der Kläger hat in der Zeit vom 4. November 1964 bis zum 29. April 1966 seinen Grundwehrdienst als Wehrpflichtiger bei den Grenztruppen der Nationalen Volksarmee der DDR geleistet. Diese Zeit wurde ihm nicht als Eisenbahndienstzeit und auch nicht als allgemeine Dienstzeit angerechnet.
Der Kläger hat die Anrechnung verlangt, weil er auf die Einberufung zu den Grenztruppen keinen Einfluß gehabt habe. Die Ungleichbehandlung gegenüber sonstigen Wehrpflichtigen der NVA sei sachlich nicht gerechtfertigt.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm die im Grundwehrdienst verbrachte Zeit vom 4. November 1964 bis zum 29. April 1966 als Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) bei der Dienstzeitberechnung anzurechnen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Aufgabenstellung der Grenztruppen habe sich grundsätzlich von der der NVA unterschieden. Insbesondere die Sicherung der Staatsgrenze „nach innen” unter Einschluß des Schußwaffengebrauchs habe die Grenztruppen als besonderes Unterdrückungsorgan gekennzeichnet. Dies rechtfertige es, eine dort verbrachte Zeit von der Dienstzeitanrechnung auszunehmen, und zwar auch dann, wenn es sich dabei um den Grundwehrdienst gehandelt habe. Die Anrechnung stehe im Widerspruch zum Erscheinungsbild des öffentlichen Dienstes in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann nicht verlangen, daß die Zeit vom 4. November 1964 bis zum 29. April 1966, in der er seinen Wehrdienst bei den Grenztruppen abgeleistet hat, als allgemeine Dienstzeit berücksichtigt wird.
I. Die Klage ist allerdings nicht schon deshalb unbegründet, weil der Kläger nach dem Wortlaut des Klageantrags die Zeit des Wehrdienstes als „Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit)” angerechnet haben möchte. Als solche kann sie schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht unter die in § 12 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 Unterabs. 2 AnTV-DR bezeichneten Zeiten fällt. Der Klageantrag ist jedoch dahingehend auszulegen – und so ist er offenbar auch von den Vorinstanzen verstanden worden –, daß der Kläger Anrechnung auf die „allgemeine Dienstzeit” im Sinne des § 12 Abs. 2 AnTV-DR begehrt, was für Zeiten des Wehrdienstes unter den in Nr. 6 dieser Bestimmung geregelten Voraussetzungen vorgesehen ist.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 6 Unterabs. 1 AnTV-DR sind neben der nach Nr. 1 zu berücksichtigenden Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) die Zeiten des Wehrdienstes im Soldatenverhältnis der Bundeswehr anzurechnen. Zeiten erfüllter Dienstpflicht bei der Bundeswehr stehen Zeiten des Grundwehrdienstes in der NVA gleich, soweit sie der Ableistung des Grundwehrdienstes entsprachen (§ 12 Abs. 2 Nr. 6 Unterabs. 2 Satz 1 AnTV-DR).
1. Der Kläger war in der genannten Zeit zum Grundwehrdienst der NVA eingezogen worden. Dennoch kann diese Zeit nicht als allgemeine Dienstzeit angerechnet werden. Dies folgt aus § 12 Abs. 2 Nr. 6 Unterabs. 2 Satz 2 AnTV-DR.
2. Nach dieser Bestimmung gilt Abs. 2 Nr. 4. Danach sind Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR von der Anrechnung als allgemeine Dienstzeit ausgeschlossen.
a) Der Kläger war während des Grundwehrdienstes Angehöriger der Grenztruppen der DDR. Unter dem Begriff „Angehöriger” fielen Wehrdienstleistende auch dann, wenn sie zur Ableistung der allgemeinen Wehrpflicht einberufen waren (vgl. BAG Urteil vom 23. Juni 1994 – 6 AZR 911/93 – AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR, zu I 3 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Obwohl der Kläger als Wehrpflichtiger zur NVA eingezogen war, gehörte er zu den Grenztruppen der DDR. Nach § 14 Abs. 2 der Musterungsordnung vom 24. Januar 1962 (GBl. I S. 15) waren die gemusterten Wehrpflichtigen für den aktiven Wehrdienst aufzuteilen, u.a. für die Truppenteile (a) und Spezialeinheiten (b) der Nationalen Volksarmee und für die Grenztruppen (d). Daraus ergibt sich, daß die Grenztruppen ein eigenständiger Bestandteil der NVA der DDR waren. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff „Grenztruppen der DDR” anders verstanden haben als in diesem DDR-amtlichen Sinn.
b) Zwar sind nach Nr. 2 der Ausführungsbestimmungen zu der mit § 12 Abs. 2 Nr. 4 übereinstimmenden Nr. 4 des Abs. 1 Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR nicht von der Anrechnung ausgeschlossen, wenn der Angestellte nach der Einberufung als Wehrpflichtiger bei den Grenztruppen nur die Grundausbildung geleistet hat und im unmittelbaren Anschluß daran vom Grenztruppendienst freigestellt oder vorzeitig entlassen worden ist, um bei der DR wieder Arbeit im Lokfahrdienst oder in anderen im einzelnen bezeichneten Diensten zu leisten. Der Kläger hat jedoch nicht geltend gemacht, daß diese Ausnahme in seinem Fall vorliegt.
II. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts verstößt § 12 Abs. 2 Nr. 4 b AnTV-DR nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
1. Der Tarifvertrag stellt für den Umfang von Leistungen auf die zurückgelegte allgemeine Dienstzeit ab und damit auf die Eisenbahndienstzeit (Beschäftigungszeit) als deren Bestandteil. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 6 Unterabs. 1 und 2 AnTV-DR wird auch die Zeit der Einberufung zum aktiven Wehrdienst, durch die ein Arbeitsverhältnis bei der Deutschen Reichsbahn unterbrochen wurde, als allgemeine Dienstzeit angerechnet. Der Arbeitnehmer soll durch die Ableistung dieses Dienstes bei der Berechnung seiner Dienstzeit keinen Nachteil erleiden. Damit haben die Tarifvertragsparteien sich für ein System entschieden, bei dem neben der Betriebszugehörigkeit auch andere für den Staat geleistete Dienste als Voraussetzung für tarifliche Leistungen maßgebend sein sollen. In einem solchen System ist es nicht von vornherein sachwidrig, die Anrechnung solcher Dienste von dem Inhalt der Tätigkeit abhängig zu machen, sofern die Differenzierung sachgerecht erfolgt (vgl. Urteil des Senats vom 23. Juni 1994 – 6 AZR 911/93 –, a.a.O., zu II 2 a der Gründe).
2. Die Tarifregelung ist nicht gleichheitswidrig, weil die Tarifvertragsparteien die Arbeitnehmer, die ihren Grundwehrdienst bei den Grenztruppen abgeleistet haben ungünstiger behandelt haben, als die entsprechenden sonstigen Angehörigen der NVA.
Der Senat hat in dem vorgenannten Urteil, in dem es um die Anrechnung eines bei den Grenztruppen abgeleisteten Grundwehrdienstes auf die Postdienstzeit nach § 9 TV Arb-O ging, zu der dem § 12 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b AnTV-DR entsprechenden Bestimmung der Nr. 1 Buchst. b der Übergangsvorschriften zu § 9 TV Arb-O ausgeführt:
„Den Tarifparteien steht bei Ausübung der Tarifautonomie grundsätzlich ein weiter Regelungsspielraum zur Verfügung. Gleichwohl bestehen verfassungsrechtliche Grenzen. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, in einem Tarifvertrag gleiche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln (vgl. BAGE 1, 258, 262 ff. = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAGE 29, 122 = AP Nr. 111 zu Art. 3 GG; BAGE 50, 137, 141 ff. = AP Nr. 136 zu Art. 3 GG). Eine verbotene Ungleichbehandlung liegt vor, wenn sich für die gewählte Differenzierung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstwie einleuchtender Grund nicht finden läßt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich anzusehen ist (vgl. BVerfGE 1, 14, 52; 33, 367, 384; 71, 39, 58). Dabei genügt es im Hinblick auf die Gestaltungsfreiheit der Tarifparteien, wenn sich für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt (BVerfGE 3, 58, 135; 33, 44, 51; 54, 11, 25 f. = AP Nr. 116 zu Art. 3 GG, zu B I 1 der Gründe; BVerfGE 71, 39, 58; 75, 108, 157).
Nach § 9 Abs. 1 TV Arb-O ist Postdienstzeit Beschäftigungszeit im öffentlichen Dienst. Das belegt besonders § 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b TV Arb-O, wo als Postdienstzeit bei Post- und Fernmeldeverwaltungen im Ausland zurückgelegte Zeiten fingiert werden, „soweit sie dort öffentlicher Dienst sind”. Stellt aber die Postdienstzeit grundsätzlich Beschäftigungsdauer im öffentlichen Dienst dar, so ist es nicht sachwidrig, als Zeiten der Unterbrechung i.S. des § 9 Abs. 2 Unterabs. 1 TV Arb-O solche Zeiten unberücksichtigt zu lassen, die den Anforderungen des öffentlichen Dienstes, wie er in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung verstanden wird, nicht gerecht wurden. Dies trifft für die Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR grundsätzlich zu.
Die Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR zielte u.a. darauf ab, elementare Menschen- und Grundrechte zu verletzen, wie z.B. das Recht der Selbstbestimmung, das Recht der Freizügigkeit und das Recht auf Leben. Die Entscheidung der Tarifparteien, diese Tätigkeit nicht Zeiten gleichzustellen, die im öffentlichen Dienst verbracht wurden, ist frei von Willkür. Daß sich der Grenztruppendienst durch die genannte Zielsetzung von der Tätigkeit in den anderen militärischen Verbänden der DDR unterschied, denen, ebenso wie den Armeen anderer Staaten, die herkömmliche Landesverteidigung oblag, ist ein sachlich vertretbarer Grund für die unterschiedliche Behandlung. In einem Anrechnungssystem, das für den Anspruch auf tarifliche Leistungen grundsätzlich auf Dienstzeiten abstellt, die im öffentlichen Dienst und damit in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten Verwaltung (Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG) abgeleistet wurden, ist es konsequent, diese Anforderungen auch an Tätigkeiten zu stellen, durch die Arbeitsverhältnisse unterbrochen wurden, sofern die Zeiten der Unterbrechung angerechnet werden sollen. Dies stellt im Grundsatz auch der Kläger nicht in Abrede, der seine Angriffe gegen die Wirksamkeit von Nr. 1 Buchst. b der Übergangsvorschriften auf die Nichtberücksichtigung der Zeiten der allgemeinen Wehrpflicht beschränkt.
Der Kläger hat gemeint, und auch das Landesarbeitsgericht hat diesen Gesichtspunkt unterstützend herangezogen, die Tätigkeit bei den Grenztruppen könne deshalb nicht anders behandelt werden als die Tätigkeit bei der NVA, weil sie für die Aufgabenerledigung bei der Post ebensowenig von Nutzen gewesen sei wie diese. Daran ist zwar richtig, daß es sachlich vertretbar wäre, eine das Arbeitsverhältnis zur Post unterbrechende Tätigkeit nur dann als Postdienstzeit zu berücksichtigen, wenn sie für die Arbeit bei der Post nützlich war. Die Tarifparteien des Postdienstes sind jedoch in ihren sachlichen Erwägungen auf diesen Gesichtspunkt nicht beschränkt. Auch bei Regelungen über die Berücksichtigung von Zeiten, durch die ein Arbeitsverhältnis unterbrochen wird, dürfen sie die Besonderheiten des Postdienstes als öffentlicher Dienst berücksichtigen, die darin bestehen, daß es sich bei ihm um den Dienst in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung handelt.
Nr. 1 Buchst. b der Übergangsvorschriften hält auch insoweit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG stand, als er die Arbeiter, die ihre allgemeine Wehrpflicht bei den Grenztruppen erfüllt haben, ungünstiger behandelt als die, die ihren Wehrdienst bei der NVA abgeleistet haben.
Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Letztere gilt insbesondere bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen. Dies folgt daraus, daß der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind (Art. 3 Abs. 1 GG), in erster Linie eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Personen verhindern soll. Anders als beim Willkürverbot reicht hier nicht aus, daß die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist. Für die Unterscheidung müssen vielmehr Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Eine Personengruppe wird auch dann ungleich behandelt, wenn die Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar die Ungleichbehandlung dieser Personengruppe bewirkt (BVerfGE 88, 87, 96).
Die Gruppe der Arbeiter, die ihren Grundwehrdienst bei den Grenztruppen abgeleistet haben, wird gegenüber ehemaligen Wehrpflichtigen der NVA dadurch ungleich behandelt, daß die Tarifregelung alle Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen einschließlich des Grundwehrdienstes von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausschließt. Den Tarifparteien kam es ersichtlich darauf an, die Tätigkeit bei den Grenztruppen als Voraussetzung tariflicher Leistungen einheitlich negativ zu bewerten. Dies kann den einzelnen ehemaligen Wehrpflichtigen besonders hart treffen, weil die Regelung ohne Rücksicht darauf gilt, ob er selbst in Menschenrechtsverletzungen verwickelt war oder nicht. Die Gründe für diese Tarifregelung müssen bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise erklären, warum Wehrpflichtige, obwohl sie nicht wählen konnten, ob sie ihren Wehrdienst bei der NVA oder den Grenztruppen ableisteten, unter die Ausnahmeregelung fallen.
Die Übergangsvorschriften, die neben der Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen auch die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit und Tätigkeiten, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden waren, erfassen, bezwecken erkennbar die Rücksichtnahme auf die Opfer der Menschenrechtsverletzungen, zu denen es unter der SED-Herrschaft gekommen ist. Als die Hauptrepressionsorgane der ehemaligen DDR, von denen diese Aktivitäten ausgingen, sind in Nr. 1 Buchst. a und b der Übergangsvorschriften das Ministerium für Staatssicherheit und die Grenztruppen genannt. Wer diesen Organen angehörte, unter deren Amtsführung andere zu leiden hatten, soll davon nicht dadurch profitieren, daß ihm die dort zurückgelegten Zeiten als Postdienstzeit anerkannt werden. Die darin liegende Rücksichtnahme auf die Opfer, die die Anrechnung nur schwer verstehen könnten, stellt einen gewichtigen Grund dar, der es sachlich vertretbar erscheinen läßt, bei den Grenztruppen zurückgelegte Zeiten auch insoweit nicht als Postdienstzeit anzuerkennen, als der Dienst nicht freiwillig, sondern zum Zwecke der Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht geleistet wurde. Die Organisation der Grenztruppen stand als Ganzes für den ihr übertragenen Auftrag, und als mögliche Teilnehmer an Menschenrechtsverletzungen kamen aus der Sicht der Opfer alle Grenztruppenangehörigen in Betracht, ohne Rücksicht darauf, ob sie freiwillig oder zur Erfüllung ihrer allgemeinen Wehrpflicht dorthin gelangt waren. Ob ein ehemaliger Angehöriger der Grenztruppen selbst in Unrechtshandlungen verwickelt war, ist nachträglich wegen Zeitablaufs oder im Hinblick auf Beweisschwierigkeiten schwer festzustellen. Die Rücksichtnahme auf die Interessen der Opfer ließ es daher vertretbar erscheinen, in der Tarifregelung nicht nach der Art des Zugangs zu den Grenztruppen zu unterscheiden und von schwer durchführbaren Ausnahmeregelungen abzusehen, die zu möglicherweise streitig bleibenden Einzelentscheidungen führen könnten. Im Hinblick auf diesen Zweck ist die Bestimmung gegenüber den betroffenen ehemaligen Wehrpflichtigen jedenfalls insoweit zumutbar, als sie nur die vergleichsweise kurze Zeit des grundsätzlich achtzehnmonatigen Grundwehrdienstes betrifft.
Der Senat hatte nicht darüber zu befinden, ob deshalb, weil viele Grenztruppenangehörige nicht persönlich in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren, auch eine Regelung wirksam gewesen wäre, die die Wehrpflichtigen der Grenztruppen denen der NVA gleichstellt oder sie ähnlich der in Nr. 1 Buchst. c der Übergangsvorschriften geregelten Personengruppe nur unter bestimmten Voraussetzungen benachteiligt. Das Gericht hat nicht nachzuprüfen, ob eine von mehreren denkbaren Lösungen, die die Tarifparteien gewählt haben, die gerechteste und zweckmäßigste ist (vgl. BAG Urteil vom 1. Juni 1983 – 4 AZR 566/80 – AP Nr. 5 zu § 611 BGB Deputat m.w.N.).”
Diese Erwägungen gelten für die hier zu beurteilende Tarifregelung entsprechend. Der Kläger hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die den Senat zur Änderung seiner Auffassung veranlassen könnten.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Steinhäuser, Reimann
Fundstellen