Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Vorrang sog. Neumasseschulden. Vollstreckungsgegenklage gegen gerichtlichen Vergleich. Einwand der Masseunzulänglichkeit; keine Unterscheidung zwischen Alt- und Neumasseschulden (wie BGH Urteil vom 15. Februar 1984 – VIII ZR 213/82 – ZIP 1984, 612). keine Rechtsfortbildung bei Vorbereitung gesetzlicher Regelung
Leitsatz (amtlich)
Nach Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründete Masseschulden (sogenannte Neumasseschulden) sind nach der Rangordnung des § 60 Abs 1 Nr 1 KO quotenmäßig zu befriedigen und nicht vorweg zu berichtigen (wie BGH Urteil vom 15. Februar 1984 – VIII ZR 213/82).
Normenkette
KO § 60; ZPO § 767
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 22.12.1988; Aktenzeichen 4 Sa 826/88) |
ArbG Trier (Urteil vom 02.08.1988; Aktenzeichen 2 Ca 638/88) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Dezember 1988 – 4 Sa 826/88 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Beklagten sind im Betrieb der Gemeinschuldnerin, der Firma Peter B…, beschäftigt. Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde am 1. November 1980 das Konkursverfahren eröffnet. Zunächst wurde der Steuerberater Werner K… zum Konkursverwalter bestellt, der den Betrieb der Gemeinschuldnerin bis Anfang 1987 fortführte. Anfang 1987 machten die Beklagten Lohnansprüche aus den Monaten Oktober, November und Dezember 1986 gegen den Konkursverwalter Kootz gerichtlich geltend.
Der Kläger wurde am 26. Februar 1987 zum neuen Konkursverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin bestellt. Nach seiner Bestellung hat er als damaliger Beklagter die Rechtsstreite mit den damaligen Klägern (jetzigen Beklagten) aufgenommen. Im Kammertermin vom 24. März 1987 machte er Masseunzulänglichkeit geltend. Danach wurden die Rechtsstreite durch folgenden Vergleich erledigt:
“
- …
- Der Beklagte zahlt an der Kläger einen Betrag von x DM brutto, in Worten … abzüglich x DM netto.
- Der Ausgleich der Forderung nach Ziff. 2 erfolgt nach konkursrechtlichen Vorschriften.
- Die Leistung erfolgt unter dem Vorbehalt, daß kein Anspruch auf Zahlung von Konkursausfallgeld besteht.
- Damit sind sämtliche gegenseitigen geldwerten Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung abgegolten.
- …
”
Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Trier haben die Beklagten in das Konkursanderkonto des Klägers bei der Kreissparkasse … gepfändet.
Der Kläger hält die Zwangsvollstreckung aus den Prozeßvergleichen für unzulässig. Er hat vorgetragen, wegen der Masseunzulänglichkeit könnten nach § 60 KO alle geltend gemachten Masseschulden nur quotenmäßig befriedigt werden. Im Termin vom 24. März 1987 habe er dargelegt, daß Zahlung an die Beklagten nur dann möglich sei, wenn die Masseunzulänglichkeit beseitigt werden könne. Im Hinblick darauf sei dann die Regelung unter Ziff. 3 in den Vergleich aufgenommen worden, daß der Ausgleich der Forderungen nach konkursrechtlichen Vorschriften erfolge. Auf die Unterscheidung zwischen den sogenannten Neu- und Altmasseschulden komme es nicht an; denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seien auch Neumasseschulden im Rahmen des § 60 KO nicht vorweg zu befriedigen. Abgesehen davon sei vor dem 24. März 1987 die Masseunzulänglichkeit nicht öffentlich bekannt gemacht worden; auch habe sie der frühere Konkursverwalter … nicht bekannt gemacht. Schließlich sei die Zwangsvollstreckung auch deshalb unzulässig, weil die Zahlung nach dem Vergleich unter dem Vorbehalt stehe, daß kein Anspruch auf Zahlung von Konkursausfallgeld bestehe. Entsprechende Klagen auf Gewährung von Konkursausfallgeld der Beklagten dieses Rechtsstreits seien noch rechtshängig.
Der Kläger hat beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus den vollstreckbaren Vergleichen des Arbeitsgerichts Trier vom 24.03.1987, Az.: 2 Ca 114/87, 2 Ca 113/87, 2 Ca 108/87, 2 Ca 109/87, 2 Ca 110/87, 2 Ca 107/87, 2 Ca 119/87, 2 Ca 112/87, 2 Ca 111/87, 2 Ca 106/87, 2 Ca 479/87, 2 Ca 157/87, 2 Ca 116/87, 2 Ca 115/87 und 2 Ca 117/87 für unzulässig zu erklären.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben vorgetragen, bei ihren Forderungen handele es sich um sogenannte Neumasseschulden, die außerhalb der Rangordnung des § 60 KO vorab voll zu befriedigen seien. Die Forderungen seien nach Bekanntgabe der Massearmut durch den früheren Konkursverwalter begründet worden. Darüber hinaus seien die Forderungen nach der Bekanntgabe der Massearmut durch den Kläger im Kammertermin vom 24. März 1987 auf eine neue Grundlage gestellt worden, indem der Kläger die strittigen Prozeßvergleiche abgeschlossen habe. Im übrigen hingen Neumasseschulden nicht von der Bekanntgabe der Masseunzulänglichkeit ab. Es genüge insoweit, daß sich entsprechend § 60 KO die Masseunzulänglichkeit herausgestellt habe. Es könne allenfalls darauf abgestellt werden, wann dem Konkursverwalter die Masseunzulänglichkeit erkennbar war. Die unstreitige Masseunzulänglichkeit habe der frühere Konkursverwalter lange vor Entstehung der mit der Zwangsvollstreckung verfolgten Lohnansprüche der Beklagten erkannt. Ferner sei gerade im Hinblick auf die Masseunzulänglichkeit durch den Abschluß des Vergleichs die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung dem Streit entzogen worden. Dem Kläger sei bei Vergleichsabschluß bekannt gewesen, daß er die Zahlung habe verweigern und sich auf die Feststellung der Höhe der Forderungen habe beschränken können. Dennoch habe er die Verpflichtung zur Zahlung gewählt. Nach dem Prozeßvergleich hänge die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung nicht davon ab, daß rechtskräftig kein Anspruch auf Zahlung von Konkursausfallgeld an die Beklagten bestehe. Vielmehr stehe dem Kläger bei Zahlung von Konkursausfallgeld nur ein Rückzahlungsanspruch zu.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben nur die Beklagten zu 1) bis 11) und 14) bis 15) Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten zu 1), 2), 7), 8), 11) und 15) ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die übrigen Beklagten haben keine Revision eingelegt. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der in der Revisionsinstanz noch anhängigen Klage mit Recht stattgegeben. Die Zwangsvollstreckung aus den vollstreckbaren Vergleichen des Arbeitsgerichts Trier zugunsten der Beklagten zu 1), 2), 7), 8), 11) und 15) ist unzulässig. Denn wegen Unzulänglichkeit der Konkursmasse kommt nur eine quotenmäßige Befriedigung der Beklagten als Massegläubiger in Betracht, so daß die Beklagten ihre titulierte Masseforderung nicht in vollem Umfang vollstrecken dürfen.
Die vom Kläger erhobene Klage ist zulässig. Mit ihr macht er als Schuldner die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus Prozeßvergleichen geltend. Diese Möglichkeit eröffnet § 767 ZPO. Mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO können Einwendungen gegen den durch das Urteil festgestellten Anspruch geltend gemacht werden. § 767 ZPO findet auf Prozeßvergleiche entsprechende Anwendung (§ 795 in Verb. mit § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Damit läßt § 767 ZPO bei einer Vollstreckungsgegenklage gegen einen Prozeßvergleich Einwendungen gegen den durch den Vergleich festgestellten Anspruch zu. Hierzu zählt auch der Einwand der Masseunzulänglichkeit durch den Konkursverwalter. Bei Unzulänglichkeit der Masse bleibt zwar die Forderung selbst unberührt; es wird jedoch die Leistungspflicht des Konkursverwalters und damit zugleich das Forderungsrecht des Gläubigers eingeschränkt. Denn nach § 60 Abs. 1 KO kommt bei Unzulänglichkeit der Masse nur eine quotenmäßige Befriedigung der Massegläubiger in Betracht. Insofern kommt dem § 60 Abs. 1 KO auch eine materiell-rechtliche Wirkung zu, so daß § 767 ZPO eingreift (BAGE 31, 288 = AP Nr. 1 zu § 60 KO).
§ 767 Abs. 2 ZPO steht dem Einwand der Masseunzulänglichkeit nicht entgegen. Denn die Vorschrift des § 767 Abs. 2 ZPO ist auf Prozeßvergleiche nicht anwendbar. Nach dieser Vorschrift sind Einwendungen gegen einen durch Urteil festgestellten Anspruch nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung entstanden sind, in der Einwendungen nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung spätestens hätten geltend gemacht werden müssen und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können. Die Vorschriften der §§ 724 bis 793 ZPO, also auch § 767 ZPO, sind auf Prozeßvergleiche zwar grundsätzlich anwendbar. Auch besteht keine gesetzliche Vorschrift, die die Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO auf Prozeßvergleiche ausschließt, obwohl eine entsprechende Regelung, wie etwa in § 797 Abs. 4 ZPO, hätte erwartet werden können. Gleichwohl findet die Vorschrift des § 767 Abs. 2 ZPO wegen ihrer spezifischen Zweckbestimmung auf Prozeßvergleiche keine Anwendung; denn Prozeßvergleiche erwachsen nicht wie Urteile in materielle Rechtskraft. Die materielle Rechtskraft ist aber der alleinige Rechtfertigungsgrund für § 767 Abs. 2 ZPO. Der Zweck der materiellen Rechtskraft besteht darin, den Bestand einer getroffenen gerichtlichen Entscheidung zu sichern. Deshalb werden die Parteien mit Tatsachen (klagebegründende Tatsachen, Einwendungen, Einreden), die zur Zeit der letzten Tatsachenverhandlung schon bestanden, aber nicht in den Prozeß eingeführt wurden, dann ausgeschlossen, wenn diese Tatsachen auf eine abweichende Darstellung oder Beurteilung des früheren Prozeßstoffes abzielen. Somit folgt schon aus dem Wesen der materiellen Rechtskraft, daß der Vollstreckungsgegenkläger mit solchen Tatsachen ausgeschlossen ist, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestanden. § 767 Abs. 2 ZPO regelt damit einen Teilbereich der Rechtskraftwirkung eines Urteils. Das Gesetz hat die Vorschrift des § 322 ZPO für die materielle Rechtskraft von Urteilen jedoch auf Prozeßvergleiche nicht für entsprechend anwendbar erklärt. Die prozessuale Wirkung eines Prozeßvergleichs besteht nur darin, daß er einen Rechtsstreit beendet und einen Vollstreckungstitel bildet. Alle prozessualen Wirkungen, die auf der Rechtskraft eines Urteils beruhen, gelten für Prozeßvergleiche nicht. Daher ist § 767 Abs. 2 ZPO auf Prozeßvergleiche nicht anwendbar (BAGE 32, 96, 98 f. = AP Nr. 10 zu § 850 ZPO, mit weiteren Nachweisen).
Dem Einwand der Masseunzulänglichkeit steht auch nicht der Prozeßvergleich vom 24. März 1987 entgegen. Entgegen der Auffassung der Beklagten läßt sich dem Prozeßvergleich nicht entnehmen, daß der Kläger Zahlung unabhängig von der Masseunzulänglichkeit habe leisten wollen. Der Prozeßvergleich ist als Prozeßhandlung vom Revisionsgericht unbeschränkt und selbständig auslegbar (BAGE 42, 244, 249 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II, mit weiteren Nachweisen). Das Revisionsgericht ist daher nicht darauf beschränkt, die Auslegung der Vorinstanzen auf einen Verstoß gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze und Auslegungsgrundsätze zu überprüfen. In dem Prozeßvergleich ist ausdrücklich festgelegt worden, daß der Ausgleich der von dem Kläger zu zahlenden Forderung “nach konkursrechtlichen Vorschriften” erfolgt. Zu den konkursrechtlichen Vorschriften gehört auch § 60 KO. Damit besagt der Vergleich nach seinem Inhalt selbst, daß bei Masseunzulänglichkeit die Masseforderungen nur quotenmäßig befriedigt werden sollen. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger unabhängig von der Masseunzulänglichkeit volle Zahlung habe leisten wollen, enthält der Vergleich nicht. Auch der Hinweis des Klägers auf die Masseunzulänglichkeit vor Abschluß des Vergleichs besagt nicht, daß er die Verpflichtungen aus dem Vergleich unabhängig von der Masseunzulänglichkeit voll erfüllen wollte. Gerade der Hinweis auf die konkursrechtlichen Vorschriften in dem Vergleich führt zu einer Einschränkung der Leistungspflicht des Klägers nach § 60 KO. Ist die Leistungspflicht des Klägers aber nach § 60 KO begrenzt, kann er auch den Einwand der Masseunzulänglichkeit erheben.
Andererseits kann nicht der Auffassung des Arbeitsgerichts gefolgt werden, daß durch den Hinweis auf die konkursrechtlichen Vorschriften zum Ausdruck gebracht worden sei, daß beim Ausgleich der Forderungen aus dem Vergleich die Rangordnung und das Verteilungsverfahren des § 60 KO zu berücksichtigen sind. Dem Kläger ist zwar durch den Prozeßvergleich der Einwand der Masseunzulänglichkeit nicht abgeschnitten worden. Andererseits enthält der Prozeßvergleich aber auch entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Forderungen aus dem Vergleich nach § 60 KO zu befriedigen sind. Die Anwendung des § 60 KO hängt vielmehr davon ab, ob dessen Voraussetzungen vorliegen.
Die Voraussetzungen des § 60 KO, der bei Masseunzulänglichkeit die quotenmäßige Befriedigung der im Rang gleichen Massegläubiger vorsieht und damit den Einwand der Masseunzulänglichkeit gegen die Zwangsvollstreckung aus einer titulierten Masseforderung begründet, sind im vorliegenden Fall erfüllt. Bei den titulierten Forderungen der Beklagten aus den Prozeßvergleichen handelt es sich um Masseschulden im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO. Masseschulden im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO sind die Ansprüche aus zweiseitigen Verträgen, deren Erfüllung zur Konkursmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Verfahrens erfolgen muß. Die Ansprüche der Beklagten stammen aus zweiseitigen Verträgen (Arbeitsverträgen), deren Erfüllung zur Konkursmasse verlangt wurde. Der Konkurs war bereits im Jahre 1980 eröffnet worden. Die Lohnansprüche der Beklagten stammen aus dem Jahre 1986. Damit fallen nach dem Wortlaut des Gesetzes die Forderungen der Beklagten als Masseschulden im Sinne von § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO unter die Rangordnung des § 60 Abs. 1 Nr. 1 KO. Da die Masse unstreitig nicht zur Befriedigung aller Masseschulden im Range des § 60 Abs. 1 Nr. 1 KO ausreicht, kommt damit nur eine quotenmäßige Befriedigung der Beklagten in Betracht. Deshalb dürfen die Beklagten aus den Prozeßvergleichen, mit denen eine volle und nicht nur eine quotenmäßige Befriedigung erreicht werden soll, nicht vollstrecken.
Auch wenn es sich bei den Forderungen der Beklagten um sogegenannte Neumasseschulden handeln sollte, weil sie nach Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet wurden, was vorliegend offen bleiben kann, haben die Beklagten keinen Anspruch darauf, daß ihre Masseforderungen im Range vor § 60 KO vorab zu berichtigen sind. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH Urteil vom 15. Februar 1984 – VIII ZR 213/82 – ZIP 1984, 612). Das Gesetz kennt eine Differenzierung zwischen sogenannten Altmasseschulden und Neumasseschulden nicht. Es stellt vielmehr für alle Masseschulden in § 60 KO eine bestimmte Rangordnung auf, die auch für die Forderungen der Beklagten gilt. Eine Differenzierung zwischen sogenannten Altmasseschulden und Neumasseschulden könnte daher nur kraft Richterrechts vorgenommen werden. Der richterlichen Rechtsfortbildung sind jedoch durch den Grundsatz der Rechts- und Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) Grenzen gesetzt (BVerfG Beschluß vom 19. Oktober 1983 – 2 BvR 485, 486/80 –, BVerfGE 65, 182 = AP Nr. 22 zu § 112 BetrVG 1972). Diese Grenzen würden durch Anerkennung einer vorrangigen Befriedigung der Neumasseschulden überschritten. Denn eine gesetzliche Regelungslücke, die es dem Richter erlaubte, bestimmte Massegläubiger vor den übrigen zu privilegieren, besteht nicht.
Es ist zwar nicht zu verkennen, daß dieses Ergebnis unbefriedigend ist und eine ordnungsgemäße Abwicklung von Konkursen erschwert (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Aufl., § 60 Rz 2b ff.). Es kann jedoch nicht Aufgabe der Gerichte sein, eine rechtlich unbefriedigende Regelung zu ignorieren und durch Richterrecht hiervon abweichende, die Praxis befriedigende Regelungen aufzustellen. Vielmehr ist hier der Gesetzgeber aufgerufen, Abhilfe zu schaffen.
Eine richterliche Rechtsfortbildung ist dem Senat auch deshalb verwehrt, weil der Gesetzgeber inzwischen das Problem der “Neumasseschulden” erkannt hat und eine gesetzliche Regelung vorbereitet. Im Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz einer Insolvenzordnung (EInsO) ist in § 310 vorgesehen, daß nach den Kosten des Insolvenzverfahrens “die Masseverbindlichkeiten, die nach dem Antrag auf Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind”, im Range vor den übrigen Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind. Damit wird den Neumasseverbindlichkeiten (Neumasseschulden) ein besonderer Rang zugewiesen. Ferner sieht der Diskussionsentwurf in § 68 eine Verpflichtung des Insolvenzverwalters zum Schadenersatz vor, wenn “eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden” kann. Unter diesen Umständen würde der Senat dem Gesetzgeber vorgreifen, wenn er neue Rechtsgrundsätze zu Neumasseverbindlichkeiten aufstellen würde. Es muß den gesetzgebenden Organen überlassen bleiben, aufgrund des Diskussionsentwurfs eine sachgerechte Lösung zu finden. Der Senat würde sich in unzulässiger Weise unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 GG, der eine Trennung von Gesetzgebung und Rechtsprechung vorschreibt, in den Gesetzgebungsgang einschalten, wenn er zu Neumasseschulden neue – vom bisherigen Gesetz nicht bedachte – Rechtsgrundsätze aufstellte.
Die Beklagten haben gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Neumann, Dr. Freitag, Dr. Etzel, Dr. Börner, H. Hauk
Fundstellen
Haufe-Index 872365 |
BAGE, 338 |
JR 1990, 176 |
RdA 1990, 61 |
ZIP 1989, 1590 |