Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff der völlig ruhenden Arbeit
Leitsatz (amtlich)
Völlig ruhende Arbeit iS von § 6 Nr 1.3 des Tarifvertrages für Poliere und Schachtmeister liegt vor, wenn dem Polier oder Schachtmeister weder eine Arbeit als Polier oder Schachtmeister noch eine andere Arbeit übertragen werden kann. Die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen, Betriebsratssitzungen oder Wahlvorstandssitzungen ist keine Unterbrechung der völlig ruhenden Arbeit.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Bau; RTV für die Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes § 6; BetrVG § 37
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 20.01.1988; Aktenzeichen 15 Sa 1573/87) |
ArbG Solingen (Urteil vom 01.09.1987; Aktenzeichen 2 Ca 898/87) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Januar 1988 – 15 Sa 1573/87 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger steht seit 1979 als Schachtmeister in den Diensten des beklagten Bauunternehmens. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Rahmentarifvertrag für die Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin vom 12. Juni 1978 (RTV Poliere), der im Klagezeitraum in der Fassung vom 26. September 1984 galt, Anwendung.
Von Anfang Januar bis März 1987 wurde auf der Baustelle, auf der die Beklagte den Kläger in R…-Ü… eingesetzt hatte, aus witterungsbedingten Gründen nicht gearbeitet. Während dieser Zeit besuchte der Kläger, der Mitglied des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrates war, vom 19. bis zum 31. Januar 1987 eine Schulungsveranstaltung für Betriebsratsmitglieder. Am 12. und am 16. Februar 1987 nahm er an Betriebsratssitzungen teil, sowie am 24. Februar 1987 an einer Sitzung des Wahlvorstandes zur Betriebsratswahl. Ferner wurde der Kläger am 13. Februar 1987 auf der Baustelle der Beklagten in S…, für drei Stunden eingewiesen. Zu einer weiteren Arbeitsaufnahme kam es dort jedoch nicht.
Die Beklagte kürzte das Monatsgehalt des Klägers für die Zeit vom 19. Januar bis 28. Februar 1987 auf 7/10 unter Berufung auf § 6 Nr. 1.3 RTV Poliere. Mit der Klage macht der Kläger die Differenzbeträge in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 1.215,52 DM brutto geltend.
Der Kläger hat vorgetragen, seine Teilnahme an der Schulungsveranstaltung sowie an den verschiedenen Sitzungen sei ebenso als Arbeitsleistung anzusehen wie sein dreistündiger Arbeitseinsatz am 13. Februar 1987. Für diese Zeiten stehe ihm deshalb der volle Gehaltsanspruch zu. Außerdem sei durch diese Tätigkeiten jeweils erneut die Wochenfrist für eine unverminderte Gehaltsfortzahlung bei völlig ruhender Arbeit gemäß § 6 Nr. 1.3 Satz 2 RTV Poliere ausgelöst worden. Im übrigen habe die Arbeit während jener Zeit nicht im gesamten Betrieb der Beklagten geruht. So sei etwa auf der Baustelle R…-E… gearbeitet worden. Auf anderen Baustellen hätten Schachtmeister Überwachungsarbeiten durchgeführt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.215,52 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 27. Mai 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die vom Kläger aufgeführten Tätigkeiten seien lediglich nach dem Lohnausfallprinzip zu vergüten. Wegen “allgemeiner Betriebsruhe” könne der Kläger deshalb nur ein auf 7/10 gekürztes Gehalt beanspruchen. Auf Baustellen der Beklagten seien zwar gelegentlich bei scheinbarer Wetterverbesserung Einrichtungsarbeiten begonnen worden. Diese seien jedoch jeweils spätestens nach ein bis zwei Tagen wieder abgebrochen worden. Dieser Umstand könne der Annahme “völlig ruhender Arbeit” i. S. von § 6 Nr. 1.3 RTV Poliere nicht entgegenstehen. Gleiches gelte für vereinzelte Gerätewartungs-, Aufräumungs- und Betriebsaufrechterhaltungsarbeiten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 15,36 DM brutto nebst Zinsen für die drei Arbeitsstunden vom 13. Februar 1987 stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen den klagabweisenden Teil des Urteils des Arbeitsgerichts zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen in der Berufungsinstanz gestellten Klageantrag unter Beschränkung des Zinsanspruchs auf den Nettobetrag weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den in der Revisionsinstanz noch anhängigen Teil der Klage mit Recht abgewiesen. Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Zahlung von weiteren 1.200,16 DM brutto nebst Zinsen für die Zeit vom 19. Januar bis 28. Februar 1987 verlangen. Dem Kläger steht für die im genannten Zeitraum noch streitbefangene Zeit nur 7/10 seines vertraglichen oder tariflichen Gehalts zu. 7/10 des Gehalts hat die Beklagte aber unstreitig gezahlt.
Die Befugnis der Beklagten zur Kürzung des Gehalts des Klägers auf 7/10 folgt aus § 6 Nr. 1.3 RTV Poliere, der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien unstreitig Anwendung findet. § 6 Nr. 1.3 RTV Poliere lautet:
“Falls dem Polier oder Schachtmeister keine oder nicht ausreichende Arbeit als Polier oder Schachtmeister zugewiesen werden kann, können ihm andere Arbeiten unter Fortzahlung seines Gehalts übertragen werden. Bei völlig ruhender Arbeit ist das Gehalt für die erste Woche weiterzuzahlen. Für die weitere Zeit kann das Gehalt ohne Rücksicht auf die Kündigungsfrist auf 7/10 vermindert werden. Poliere und Schachtmeister, denen aus vorstehenden Gründen gekündigt wird, erhalten während der Kündigungsfrist das volle Gehalt.”
Die Beklagte war danach zur Kürzung des Gehalts auf 7/10 berechtigt, weil bei Beginn des Klagezeitraums die Arbeit im tariflichen Sinne seit mehr als einer Woche völlig ruhte und das völlige Ruhen der Arbeit während des gesamten Klagezeitraumes fortbestand. Die Teilnahme des Klägers an Schulungsveranstaltungen, Betriebsratssitzungen und Wahlvorstandssitzungen stehen weder einer Arbeitsleistung im tariflichen Sinne gleich noch führten sie zu einer Unterbrechung der völlig ruhenden Arbeit. Auch die dreistündige Tätigkeit des Klägers am 13. Februar 1987 auf der Baustelle der Beklagten in S… ist nicht als Unterbrechung der völlig ruhenden Arbeit anzusehen.
Was unter “völlig ruhender Arbeit” im Sinne von § 6 Nr. 1.3 RTV Poliere zu verstehen ist, ist entsprechend den Grundsätzen der Tarifauslegung in erster Linie nach dem Tarifwortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang zu ermitteln (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Der Wortlaut der tariflichen Bestimmung ist im vorliegenden Fall nicht eindeutig. Er läßt sowohl die Auslegung zu, daß völlig ruhende Arbeit dann vorliegt, wenn im gesamten Betrieb des Arbeitgebers nicht gearbeitet wird, als auch die Auslegung, daß die Arbeit bereits dann völlig ruht, wenn für den betreffenden Polier oder Schachtmeister keine Arbeit vorhanden ist. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, daß nur die letztere Auslegungsmöglichkeit dem Willen der Tarifvertragsparteien gerecht wird.
Wenn § 6 Nr. 1.3 RTV Poliere in Satz 1 zunächst den Fall regelt, daß dem Polier oder Schachtmeister keine oder nicht ausreichende Arbeit als Polier oder Schachtmeister zugewiesen werden kann, setzt diese Vorschrift damit stillschweigend ein entsprechendes Direktionsrecht des Arbeitgebers zur Zuweisung von Arbeiten als Polier oder Schachtmeister voraus. Dies wird auch der Praxis des Arbeits- und Wirtschaftslebens gerecht, da die Tätigkeit eines Poliers oder Schachtmeisters auf einer Baustelle in aller Regel zeitlich begrenzt ist und er danach auf einer anderen Baustelle eingesetzt werden muß. Falls im Betrieb keine Arbeit als Polier oder Schachtmeister vorhanden ist, räumt § 6 Nr. 1.3 RTV Poliere dem Arbeitgeber das weitere Recht ein, dem Polier oder Schachtmeister andere Arbeiten unter Fortzahlung seines Gehalts zu übertragen. Wenn dann im folgenden Satz des § 6 Nr. 1.3 RTV Poliere von “völlig ruhender Arbeit” die Rede ist, knüpft diese Bestimmung an die vorausgehende Regelung des Satzes 1 an. Daraus wird folgender Sinn und Zweck ersichtlich: Dem Polier oder Schachtmeister, der auf einer Baustelle nicht mehr als Polier oder Schachtmeister weiterbeschäftigt werden kann, ist eine andere Arbeit als Polier oder Schachtmeister zuzuweisen. Ist dies nicht möglich, können ihm auch andere Arbeiten (unter Fortzahlung seines Gehalts) übertragen werden. Ist auch dies nicht möglich, ist ein Fall der völlig ruhenden Arbeit gegeben, der die in § 6 Nr. 1.3 Satz 2 bis 4 geregelten Rechtsfolgen auslöst. Der Fall der “völlig ruhenden Arbeit” im tariflichen Sinne liegt damit dann vor, wenn dem Polier oder Schachtmeister weder eine Arbeit als Polier oder Schachtmeister noch eine andere Arbeit übertragen werden kann.
Diese Regelung ergibt auch einen vernünftigen Sinn. Wollte man den Begriff der “völlig ruhenden Arbeit” auf das völlige Ruhen der Betriebstätigkeit beschränken, wäre gerade der vorliegende Fall, der in der Praxis nicht selten vorkommen dürfte, tariflich ungeregelt. Dann bliebe tariflich offen, in welcher Höhe dem Polier oder Schachtmeister Gehalt zusteht, wenn ihm weder Arbeit als Polier oder Schachtmeister noch eine andere Arbeit übertragen werden kann, aber anderweitige Arbeiten im Betrieb durch andere Arbeitnehmer noch ausgeführt werden können. Darüber hinaus ergibt die Regelung in § 6 Nr. 1.3 Satz 4 RTV Poliere, nach der Polieren und Schachtmeistern “aus vorstehenden Gründen” gekündigt werden kann, nur dann einen vernünftigen Sinn, wenn damit gerade auch der Fall erfaßt wird, daß ihnen trotz nicht völligen Ruhens der Betriebstätigkeit keine Arbeit zugewiesen werden kann. Somit entspricht die Auslegung durch den Senat auch dem Grundsatz, daß im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben ist, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAGE 46, 308, 316 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, m.w.N.).
Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von dem vorstehend bestimmten Begriff der “völlig ruhenden Arbeit” ausgegangen. Es stellt dann fest, für den Kläger habe im Klagezeitraum im Betrieb der Beklagten keine Einsatzmöglichkeit bestanden, weil für die von der Beklagten aufgeführten Arbeiten auf einzelnen Baustellen bereits Arbeitnehmer vorhanden waren. An diese tatsächliche Feststellung ist der Senat gebunden (§ 561 ZPO). Aus ihr folgt, daß im Klagezeitraum die Arbeit für den Kläger im Sinne von § 6 Nr. 1.3 RTV Poliere völlig ruhte.
Die Einwendungen der Revision gegen die tatsächliche Feststellung des Landesarbeitsgerichts, daß für den Kläger im Betrieb der Beklagten keine Einsatzmöglichkeit bestand, sind unbegründet. Der Revision ist einzuräumen, daß die Beklagte als Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, daß für den Polier oder Schachtmeister die Arbeit völlig ruht, d. h. für ihn keine Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Beklagte jedoch ihrer Darlegungslast nachgekommen. Es genügt insoweit, daß die Beklagte vortrug, auf der Baustelle, auf der der Kläger als Schachtmeister eingesetzt war, habe die Arbeit von Anfang Januar 1987 bis März 1987 völlig geruht und auf anderen Baustellen habe keine Einsatzmöglichkeit für ihn bestanden. Es wäre dann Sache des Klägers gewesen, Anhaltspunkte für das Bestehen einer tatsächlichen Einsatzmöglichkeit des Klägers zu nennen, damit die Beklagte dann den entsprechenden Vortrag des Klägers hätte widerlegen können. Der Kläger hat jedoch nur unter Beweis gestellt, daß auf einer Reihe von Baustellen der Beklagten gearbeitet worden ist. Daraus folgt jedoch noch nicht eine anderweitige Einsatzmöglichkeit des Klägers. Wenn die auf anderen Baustellen vorhandene Arbeit von den dort vorhandenen Arbeitskräften erledigt werden konnte, konnte der Kläger nicht verlangen, daß die Beklagte anderen Arbeitnehmern die ihnen obliegende Arbeit entzog, um dem Kläger eine Beschäftigungsmöglichkeit zu bieten. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Beklagte den Kläger anderweitig hätte einsetzen können, ohne dort beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeit zu entziehen. Die in diesem Zusammenhang von der Revision erhobene Verfahrensrüge nach § 139 ZPO ist unzulässig, weil die Revision nicht dargelegt hat, was sie auf entsprechende Fragen des Gerichts geantwortet hätte (vgl. BAG Urteil vom 23. Februar 1962 – 1 AZR 49/61 – AP Nr. 8 zu § 322 ZPO).
Der Kläger kann auch nicht für die Zeiten der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung für Betriebsratsmitglieder, an Betriebsratssitzungen und an Wahlvorstandssitzungen die anteilige Zahlung seines vollen Gehalts verlangen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt insoweit das Lohnausfallprinzip, d. h.: Für die Vergütung von Betriebsratstätigkeit ist immer nur danach zu fragen, was das Betriebsratsmitglied verdient hätte, wenn es keine Betriebsratstätigkeit ausgeübt hätte. Die Vergütung der Betriebsratstätigkeit wie reguläre Arbeit würde dem Charakter des Betriebsratsamtes als Ehrenamt widersprechen (BAG Urteil vom 31. Juli 1986 – 6 AZR 298/84 – AP Nr. 55 zu § 37 BetrVG 1972, m. w. N.). Ohne Betriebsratstätigkeit hätte dem Kläger jedoch kein voller Gehaltsanspruch zugestanden, weil insoweit für ihn die Arbeit völlig ruhte.
Die Betriebsratstätigkeit führte auch nicht zu einer Unterbrechung der völlig ruhenden Arbeit, so daß in der jeweils darauffolgenden Woche gemäß § 6 Nr. 1.3 Satz 2 RTV Poliere das volle Gehalt von der Beklagten zu zahlen gewesen wäre. Die Betriebsratstätigkeit steht nach dem Gesetz einer Arbeitsleistung nicht gleich, weil sie eine ehrenamtliche Tätigkeit ist. Dann kann sie auch nicht zu einer Unterbrechung einer “völlig ruhenden Arbeit” führen.
Auch für die Zeit vom 16. bis 20. Februar 1987 kann der Kläger kein volles Gehalt nach § 6 Nr. 1.3 Satz 2 RTV Poliere verlangen. Denn die dreistündige Tätigkeit des Klägers am 13. Februar 1987 führte nicht zur Unterbrechung der “völlig ruhenden Arbeit” mit der Folge, daß in der darauffolgenden Woche das volle Gehalt zu zahlen gewesen wäre. Bei der dreistündigen Tätigkeit des Klägers auf der Baustelle in S… am 13. Februar 1987 handelte es sich nur um die Einweisung des Klägers in die Tätigkeit auf dieser Baustelle, d. h. nur um die bloße Vorbereitung zur Aufnahme einer Bautätigkeit, ohne daß es zu einer tatsächlichen Arbeitsaufnahme auf der Baustelle kam. Solche bloße Vorbereitungstätigkeiten können noch nicht als Unterbrechung der völlig ruhenden Arbeit angesehen werden, auch wenn der Arbeitgeber die Vorbereitungstätigkeiten vergüten muß, wie das Arbeitsgericht rechtskräftig entschieden hat.
Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Neumann, Dr. Freitag, Dr. Etzel, Dr. Börner, H. Hauk
Fundstellen
Haufe-Index 872075 |
RdA 1989, 384 |