Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Altersversorgung durch Kapitalzuwendung

 

Normenkette

BetrAVG §§ 1-3, 7 Abs. 1; BGB §§ 133, 157, 242

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 20.11.1984; Aktenzeichen 6 Sa 769/84)

ArbG Köln (Urteil vom 10.04.1984; Aktenzeichen 16/12 Ca 8012/83)

 

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 20. November 1984 – 6 Sa 769/84 – wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger, geb. am 14. Februar 1934, war seit dem 9. Oktober 1961 bei der W. GmbH & Co. KG beschäftigt, und zwar zuletzt als Werkmeister. Er war, wie andere leitende Mitarbeiter, mit 2,5 % am Stammkapital der GmbH beteiligt. Das Unternehmen geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im Mai 1983 wurde das gerichtliche Vergleichsverfahren, am 23. Juni 1983 das Anschlußkonkursverfahren eröffnet. Am 31. Dezember 1983 schied der Kläger aufgrund einer Kündigung des Konkursverwalters aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Dem Kläger war am 10. Januar 1979 von der W. GmbH & Co. KG eine Zusage erteilt worden, die mit „Altersversorgung (Kapitalversorgung)” überschrieben war und wie folgt lautete:

„Als Anerkennung für Ihre bisher geleisteten Dienste geben wir Ihnen als sinnvolle Ergänzung zur Sozialversicherung folgende unabdingbare Versorgungskapitalzusage:

1. Mit Beginn des Jahres 1979 erhalten Sie einen jährlichen Kapitalzusagebetrag in Höhe von

DM 4.100,–

als Zuwachs. Dieser Betrag erhöht sich bis zum Ablauf der Dienstzeit um jährlich

DM 100,–

d. h.

für 1979

DM 4.100,–

für 1980

DM 4.200,–

DM 8.300,–

für 1981

DM 4.300,–

DM 12.600,–

usw.

2. Mit Erreichen der Altersgrenze (65 Jahre) beträgt der Betrag insgesamt

DM 111.300,–

3. Sollten Sie vorher aus dem Angestelltenverhältnis ausscheiden, aus welchen Gründen auch immer, oder versterben, dann erhalten Sie bzw. Ihre Erben den bis dahin aufgelaufenen Betrag ausgezahlt.

4. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht.

5. Es steht uns frei, zu unserer Rückdeckung einen entsprechenden Vertrag mit einer Versicherungsgesellschaft abzuschließen. Sämtliche Rechte und Ansprüche hieraus stehen jedoch ausschließlich uns zu.

6. Die Kapitalzusage hat den Zweck, Sie und Ihre Angehörigen vor wirtschaftlicher Not zu schützen. Der Kapitalbetrag wird daher nicht gezahlt, soweit ein Dritter irgendwelche Rechte auf sie geltend machen sollte, im besonderen aus einer Abtretung, Verpfändung oder Pfändung. Aus dem gleichen Grunde ist eine Bevorschussung oder Beleihung oder sonstige Verfügung über den Kapitalanspruch nicht zugelassen.

7. Die Unverfallbarkeit tritt ab 1.1.1979 in Kraft.

8. Die Versorgungszusage hat keinen Einfluß auf das allgemeine Kündigungsrecht.”

Mit Rücksicht auf die Insolvenz seiner früheren Arbeitgeberin meldete der Kläger seine Ansprüche aus der Zusage vom 10. Januar 1979 bei dem beklagten Pensionssicherungsverein (PSV) an. Dieser lehnte es ab, Zahlungen zu leisten. Er vertrat die Auffassung, die Zusage betreffe keine Leistungen der betrieblichen Altersversorgung.

Der Kläger hat in erster Linie Zahlung und – in der Berufungsinstanz – hilfsweise Feststellung des Bestehens einer insolvenzgesicherten Versorgungsanwartschaft verlangt. Er hat vorgetragen, zugesagt seien Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Das ergäben nicht nur die Überschrift und die Präambel, sondern auch der weitere Inhalt der Urkunde vom 10. Januar 1979. Die Bestimmung über die Auszahlung der aufgelaufenen Summe bei vorzeitigem Ausscheiden oder Tod (Nr. 3) stelle eine zulässige Abfindungsvereinbarung dar. Aber selbst wenn diese Regelung wegen § 3 BetrAVG nichtig sei, bleibe der übrige, Vertragsinhalt gültig und begründe einen Zahlungsanspruch mit der Vollendung seines 65. Lebensjahres. In diesem Falle gelte § 2 Abs. 1 BetrAVG mit der Folge, daß der erdiente Kapitalbetrag zeitanteilig berechnet werden müsse. Im übrigen habe der Beklagte anerkannt, daß es um Leistungen der betrieblichen Altersversorgung gehe; er habe am 13. Juli 1982 die Meldung der W. GmbH & Co. KG über das Bestehen einer betrieblichen Altersversorgung bestätigt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn am 1. März 1999 64.436,81 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 2. März 1999 zu zahlen,
  2. hilfsweise,

    festzustellen, daß aufgrund des Vertrages „Altersversorgung (Kapitalversorgung)” des Klägers mit der W. GmbH & Co. KG, R., vom 10.1.1979 der Kläger einen unverfallbaren Anspruch auf betriebliche Altersversorgung hat, für den der Beklagte gemäß § 7 BetrAVG einzustehen hat, wenn der Kläger die Altersgrenze (65 Jahre) erreicht oder der Kläger das vorgezogene Altersruhegeld in Anspruch nimmt und für die der Beklagte gegenüber den Erben des Klägers einzustehen hat, wenn der Kläger vor Erreichen der Altersgrenze oder Inanspruchnahme vorgezogenen Altersruhegeldes versterben sollte,

  3. weiter hilfsweise,

    den Beklagten zu verurteilen, an ihn 22.500,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 12. August 1983 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, dem Kläger sei keine Leistung der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden; die versprochene Leistung solle zumindest nicht ausschließlich der Sicherung des Unterhalts im Alter oder der Hinterbliebenen im Todesfall dienen. Die Kapitalabfindung könne auch dazu bestimmt sein, eine längere Zeit der Arbeitslosigkeit zu überbrücken. Vor allem die Regelung für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens (Nr. 3) zeige, daß der Kläger Ansprüche aus der Zusage ohne Rücksicht auf den Eintritt eines Versorgungsfalles habe erwerben sollen. An eine Abfindung im Sinne von § 3 BetrAVG sei nicht gedacht worden.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 64.436,84 DM am 1. März 1999 verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat dem hilfsweise gestellten Feststellungsantrag stattgegeben, Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens Klageabweisung erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht festgestellt, daß dem Kläger im Versorgungsfall ein insolvenzgeschützter Anspruch auf den erdienten Teil des zugesagten Kapitalbetrages zusteht.

Gemäß § 7 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG hat der beklagte PSV im Sicherungsfall nur für Ansprüche und Anwartschaften aus betrieblicher Altersversorgung einzustehen. Sonstige aus Anlaß eines Arbeitsverhältnisses begründete Rechte genießen den Insolvenzschutz des Betriebsrentengesetzes nicht. Im Streitfall hat das Berufungsgericht angenommen, daß dem Kläger eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden sei und mithin Insolvenzschutz bestehe. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.

1. Was unter „betrieblicher Altersversorgung” zu verstehen ist, bestimmt § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG: Es muß sich um Leistungen der Alters-, Invaliden- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlaß eines Arbeitsverhältnisses handeln. Auf die Versorgungsform kommt es nicht an; außer rentenförmigen Leistungen können auch Kapitalzuwendungen und selbst Gutschriften von Gewinnbeteiligungen die Merkmale der betrieblichen Altersversorgung erfüllen (BAG 34, 242, 245 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG, zu I 1 der Gründe; Blomeyer/Otto, BetrAVG, Einl. Rz 10 f., 243; Höfer/Abt, BetrAVG, Bd. I, 2. Aufl., ArbGr Rz 19, 24). Ob eine betriebliche Altersversorgung zugesagt ist, entscheidet sich allein danach, welcher Zweck mit der Zusage verfolgt wird: Soll der Arbeitnehmer im Alter oder bei Invalidität, also nach seinem Ausscheiden aus dem Berufs- oder aus dem Erwerbsleben, oder sollen seine Hinterbliebenen zusätzlich durch Leistungen des Arbeitgebers versorgt werden, so handelte es sich um Leistungen der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des Betriebsrentengesetzes (vgl. BT-Drucks. 7/1281 S. 19; BAG 34, 242, 245 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG, zu I 1 der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1986 – 3 AZR 312/84 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Durch diese Zwecksetzung unterscheidet sich die betriebliche Altersversorgung von sonstigen Zuwendungen, etwa Leistungen zur Vermögensbildung oder zur Überbrückung einer erwarteten Arbeitslosigkeit (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 24. Juni 1986 – 3 AZR 645/84 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. Im vorliegenden Rechtsstreit ist umstritten, weichem Zweck die zugesagte Kapitalzuwendung dienen sollte. Das Ergebnis ist durch Auslegung der Urkunde vom 10. Januar 1979 zu ermitteln. Die Auslegung des Berufungsgerichts, der Versorgungszweck sei maßgebend gewesen, läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen.

a) Das Berufungsgericht ist zutreffend vom Wortlaut ausgegangen. Es hat darauf hingewiesen, daß nach dem Vertragstext der zugesagte Kapitalbetrag für die Alters- oder Invalidenversorgung des Klägers bestimmt ist. Nummer 6 der Zusage enthält sogar eine Regelung, die verhindern soll, daß die Leistung zweckentfremdet verwendet wird. Auch die Erwähnung der Altersgrenze und die Betonung der Unverfallbarkeit sind deutliche Hinweise darauf, daß eine Versorgung im Sinne des Betriebsrentengesetzes zugewendet werden sollte.

b) Der Revision ist allerdings einzuräumen, daß nicht die Wortwahl entscheidend ist; die Parteien des Versorgungsvertrags können den gesetzlichen Insolvenzschutz nicht dadurch herbeiführen, daß sie eine in Wirklichkeit anderen Zwecken dienende Leistung als betriebliche Altersversorgung bezeichnen. Der Insolvenzschutz steht nicht zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien; daher können auch dessen Merkmale nicht abbedungen werden (vgl. auch hierzu Urteil des Senats vom 28. Januar 1986 – 3 AZR 312/84 –). Insoweit gibt Nr. 3 der Zusage vom 10. Januar 1979 Anlaß zu Bedenken: Nach dieser Vertragsbestimmung soll im Falle des vorzeitigen Ausscheidens oder des Todes des Arbeitnehmers der bis dahin aufgelaufene Betrag an den Arbeitnehmer oder dessen Erben ausgezahlt werden. Anders als in Nr. 6 der Zusage ausdrücklich bestimmt, ist für die in Nr. 3 genannten Fälle keine Vorkehrung getroffen, den im übrigen eindeutig bestimmten Versorgungszweck aufrecht zu erhalten. Auch ohne den Eintritt eines Versorgungsfalles sollen der Arbeitnehmer oder dessen Erben über das angesammelte Kapital frei verfügen können.

Das Berufungsgericht hat diesen Umstand nicht übersehen. Es hat aber angenommen, die Regelung in Nr. 3 falle aus dem im übrigen geschlossenen Rahmen einer Versorgungszusage heraus und sei für deren rechtliche Einordnung nicht entscheidend. In der Tat ist zu berücksichtigen, daß sich bei einer Kapitalzusage der Versorgungszweck, nämlich die Deckung eines Versorgungsbedarfs nach dem Ausscheiden aus dem Berufs- oder Erwerbsleben, weniger sichern läßt, als bei einer Rente. Kapitalzusagen sind deshalb für die betriebliche Altersversorgung untypisch und von Formen der Vermögensbeteiligung schwer abzugrenzen. Entscheidend ist, was nach dem Willen der Parteien die Zusage insgesamt kennzeichnet. Ist die Bindung der Leistung an den Versorgungszweck den Parteien so wichtig, daß sie sich den Regeln des Betriebsrentengesetzes unterwerfen und die gesetzlichen Einschränkungen ihrer Vertragsfreiheit hinnehmen wollen, so handelt es sich um eine betriebliche Altersversorgung i. S. des § 1 Abs. 1 BetrAVG. Läßt sich ein entsprechender Vertragswille feststellen, so kann eine einzelne Regelung, die den Versorgungszweck außer acht läßt, die rechtliche Einordnung der Zusage nicht beeinflussen.

c) Hieran gemessen ist das Berufungsurteil revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Wille der Parteien des Versorgungsvertrags dahin ging, in erster Linie eine Versorgung für den Fall des Alters, der Invalidität und des Todes zu schaffen. Selbst der Beklagte bestreitet nicht, daß die Zusage auch Versorgungscharakter hatte. Aber nach seiner Auffassung soll es sich nur dann um betriebliche Altersversorgung handeln, wenn eine Zusage ausschließlich dem Versorgungszweck dient. Dem kann der Senat nicht folgen. Die verschiedenen Zwecke betrieblicher Sozialleistungen lassen sich oft nicht so eindeutig bestimmen, wie der Beklagte meint, und schließen sich auch nicht wechselseitig aus. Es muß genügen, daß der Versorgungszweck die Leistung und deren Regelung prägt und deshalb die Anwendung der Schutzvorschriften des Betriebsrentengesetzes gebietet.

Die Regelung in Nr. 3 der Zusage über die Auskehrung des bei vorzeitigem Ausscheiden oder im Todesfalle aufgelaufenen Betrags erweist sich damit als eine Abfindungsregelung, die mit § 3 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG nicht vereinbar ist. Die Gesetzesvorschrift verlangt in jedem Falle, daß die Abfindung dem Barwert der nach § 2 BetrAVG bemessenen künftigen Versorgungsleistung im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entspricht. Der im Versorgungsfall erreichbare und zeitanteilig gekürzte Kapitalbetrag muß daher auf den Zeitpunkt der Abfindung „abgezinst” werden. Die unter Nr. 3 der Zusage vorgesehene Berechnungsweise ist unzulässig, weil der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgelaufene Betrag wegen der vorgesehenen Steigerungsrate unter dem Barwert des zeitanteilig gekürzten Höchstbetrages der Kapitalzusage liegt. Ob Nr. 3 der Zusage auch die zeitlichen Voraussetzungen einer Abfindung nach § 3 Abs. 1 BetrAVG verfehlt und ob eine vorweggenommene Zustimmung des Klägers vorlag und wirksam war, kann dahinstehen.

Der Beklagte kann sich auf die unwirksame Abfindungsregelung der Parteien in Nr. 3 der Zusage vom 10. Januar 1979 nicht berufen. Er muß für die Versorgungsanwartschaft in der Höhe eintreten, die das Betriebsrentengesetz dem Arbeitnehmer garantiert. Die Frage, ob er eine Regelung hinnehmen müßte, die für Arbeitnehmer im Vergleich zum Betriebsrentengesetz günstiger ist, etwa einen vorgezogenen Fälligkeitstermin, stellt sich im Streitfall nicht.

 

Unterschriften

Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Dr. Kiefer, Falkenstein

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951782

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