Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung eines Arbeiters in einer Fernheizanlage
Normenkette
MTL II § 21; Lohngruppenverzeichnis zum MTL II Lohngruppe IX; ZPO §§ 144, 286
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 1987 – 13 Sa 170/87 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der der Gewerkschaft ÖTV angehörende Kläger ist gelernter Maschinenschlosser. Nachdem er zuvor als gewerblicher Arbeiter in den Diensten der Stadt F. gestanden hatte, war er vom 1. Januar 1967 bis 31. Juli 1985 Arbeiter des beklagten Landes. Der Kläger erhielt Vergütung nach Lohngruppe VIII a MTL II. Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien sieht in § 5 vor:
„Auf das Arbeitsverhältnis wird das für den bisherigen Arbeitgeber jeweils geltende Tarifrecht für Arbeiter solange angewandt, bis der Arbeiter diese Nebenabrede widerruft. Der Widerruf wird zum Ende des Kalendermonats wirksam, in dem er ausgesprochen wird.”
Der Kläger war in der Energiezentrale des Klinikums der … Universität in F. tätig, die den Gesamtbereich der Universität mit Wärme, Kälte, Brauchwasser und Reindampf versorgt. Der Kläger hat Wechselschichtarbeit verrichtet und war widerruflich zum Vorarbeiter bestellt worden. Ihm waren zwei weitere Arbeiter unterstellt. In der Energiezentrale findet keine Wärmeerzeugung durch Verbrennung (etwa fossiler Brennstoffe), durch Nutzung elektrischer Energie oder atomare Umwandlungsprozesse statt. Vielmehr handelt es sich bei der Energiezentrale um eine Fernheizverteilungs- und Reindampferzeugungsanlage, die vom Heizkraftwerk der Stadt F. von außen mit hochgespanntem Heißdampf (17 atü, 260 Grad) beliefert bzw. beschickt wird. In der Energiezentrale erfolgt die Dampfverteilung und Dampfreduzierung auf 11 atü für Heizwasser und 1 atü für Kältemaschinen bei einer Kapazität von 75 Millionen kcal/h. Die Wärmeabnahme der Energiezentrale und deren Versorgungsleistung entsprechen dem Verbrauch von 5.000 Einfamilienhäusern oder 15.000 Einwohnern.
Nachdem er diese Forderung mit Schreiben vom 17. Dezember 1981 erfolglos geltend gemacht hatte, hat der Kläger mit der Klage die Feststellung der Verpflichtung des beklagten Landes begehrt, an ihn ab 1. Juli 1981 Lohn nach Lohngruppe IX MTL II zu zahlen und die rückständigen Differenzbeträge mit 4 v.H. zu verzinsen. Dazu hat der Kläger vorgetragen, bei der Energiezentrale des Klinikums der Universität F. handele es sich um eine Hochdruckkesselanlage und eine Fernheizanlage im tariflichen Sinne. Dabei komme es nicht darauf an, ob darin Wärme erzeugt werde oder nicht. Jedenfalls müsse die Energiezentrale als Teil einer Fernheizanlage angesehen werden, weil sie vom Fernheizwerk der Stadt F. Primärenergie beziehe und mit diesem einen Verbund bilde. Damit kämen für ihn die Fallgruppen 14.2, 14.3 und 14.4 der Lohngruppe IX MTL II in Betracht. Da er als Schalttafelwärter tätig gewesen sei, gelte für ihn die Fallgruppe 14.2. Für die Fallgruppe 14.3 gelte dasselbe, weil er selbständig und verantwortlich die Anlagen betrieben habe und deswegen als Schichtführer im tariflichen Sinne anzusehen sei. Zu seinen Aufgaben habe gehört die Wartung und Instandhaltung der gesamten Hochdruckdampfanlage mit den vier Reduzierstationen, der kompletten Heißwassererzeugungsanlage, der Warmwassererzeugungsanlage mit Speichern, Wasserkühler, Kondensatkühler und Sicherheitsabschaltung bei Temperaturüberschreitung, der gesamten kältetechnischen Einrichtungen mit zwei Absorptions-Kälteanlagen sowie des gesamten Kältekreislaufes mit 2 × 4.000.000 kcal/h Kälteleistung einschließlich der Kühltürme und Pumpen und der gesamten Steuer- und Regeleinrichtung. An der Hochdruckdampfanlage habe er die Dampfabnahme auf den erforderlichen Verbrauch eingefahren, die Kondensateinspritzungen überwacht die Funktionsprüfung der Magnetventile, der elektrisch angetriebenen Stellantriebe, der Regeleinrichtungen, der Sicherheitsventile und der Hochdruck-Reduzieranlagen vorgenommen. An der Warmwassererzeugungsanlage habe ihm die Kontrolle und Schaltung u.a. der Zirkulationspumpen sowie die Messung der elektrolytischen Schutzeinrichtung für Boiler obgelegen. Im Hinblick darauf sei er auch als Kesselwärter im tariflichen Sinne anzusehen. Aufgrund seiner Funktion als „Schichtführer an Hochdruckkesselanlagen” komme für ihn schließlich auch die Fallgruppe 14.4 der Lohngruppe IX MTL II in Betracht. Demgemäß hat der Kläger beantragt
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, an den Kläger ab 1. Juli 1981 Lohn nach Lohngruppe IX MTL II zu zahlen und die rückständigen Differenzbeträge mit 4 v.H. zu verzinsen.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und erwidert, für das Klagebegehren fehle es an einer Rechtsgrundlage. Die Lohngruppe IX MTL II komme schon deswegen zu Gunsten des Klägers nicht in Betracht, weil die Energiezentrale der Universität F. die Wärme nicht selbst erzeuge, sondern von dem städtischen Fernheizwerk damit beliefert werde. Deswegen komme es auch auf die Einzelheiten der Tätigkeit des Klägers nicht an. Er sei aber auch weder als Schalttafelwärter noch als Schichtführer tätig gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger seine Zinsforderung auf Prozeßzinsen seit Rechtshängigkeit (29. Dezember 1982) aus den den eingeklagten Bruttobeträgen entsprechenden Nettobeträgen beschränkt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Wegen seines Ausscheidens aus den Diensten des beklagten Landes hat der Kläger in der Revisionsinstanz die Klageforderung auf den Anspruchszeitraum bis zum 31. Juli 1985 beschränkt. Mit dieser Beschränkung verfolgt er mit der Revision sein Klagebegehren weiter. Das beklagte Land beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.
Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung galt zwischen den Parteien der MTL II (dessen Geltung sie außerdem auch noch einzelvertraglich vereinbart hatten) gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Zwar hatten die Parteien für eine noch nicht beendete Übergangszeit in ihrem schriftlichen Arbeitsvertrag auch noch die Geltung des für Arbeiter der Kommunen heranzuziehenden Tarifrechts des Landes Hessen vereinbart. Dadurch wird jedoch, wie das Landesarbeitsgericht insoweit zutreffend ausführt, entgegen der Rechtsauffassung des beklagten Landes die unmittelbare und zwingende Geltung des MTL II gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG nicht beeinträchtigt. Zudem haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, daß auch bei Geltung des Tarifrechts für die Kommunen der Kläger eine niedrigere Vergütung erhalten würde, als er sie mit der Klage begehrt. Eine Besserstellung nach dem Tarifrecht für die hessischen Kommunen, die der Kläger aufgrund der einzelvertraglichen Vereinbarung der Parteien verlangen könnte, kommt nach den Ausführungen der Parteien dagegen nur in anderen Rechtsbereichen, insbesondere bei bestimmten Zulagen, in Betracht. Solche sind aber nicht streitbefangen.
Daher ist weiter mit dem Landesarbeitsgericht von § 21 Abs. 1 MTL II auszugehen, wonach sich der Lohn der Arbeiter nach der Tätigkeit, der Dienstzeit und dem Lebensalter richtet. Damit ist auf § 2 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Lohngruppenverzeichnis zum MTL II verwiesen, wonach, soweit sich nicht aus den Tätigkeitsmerkmalen etwas anderes ergibt, auf die überwiegende Tätigkeit des Arbeiters abzustellen ist. Damit ist grundsätzlich diejenige Tätigkeit des Arbeiters tarifrechtlich zu beurteilen, die mehr als die Hälfte seiner Gesamtarbeitszeit in Anspruch nimmt. Dagegen ist der Begriff des „Arbeitsvorganges” (§ 22 BAT) in die Tarifwerke für die Arbeiter des öffentlichen Dienstes nicht eingegangen und daher auch vorliegend nicht zu verwenden (vgl. die Urteile des Senats BAGE 41, 358, 361 = AP Nr. 1 zu § 21 MTL II sowie vom 18. Februar 1970 – 4 AZR 257/69 – AP Nr. 1 zu § 21 MTB II, 22. Februar 1978 – 4 AZR 553/76 – AP Nr. 3 zu § 21 MTB II und 4. Juni 1980 – 4 AZR 497/78 – AP Nr. 4 zu § 21 MTB II).
Nach Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 sind zu vergüten
Kesselwärter (Heizer)
- mit abgeschlossener Ausbildung als Schlosser oder in einem artverwandten anerkannten metallverarbeitenden oder in einem anerkannten elektrotechnischen Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens zweieinhalb Jahren oder
- mit Kesselwärterprüfung
an Hochdruckkesselanlagen, die zugleich Schalttafelwärter sind.
Unstreitig erfüllt, wie auch das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, der Kläger als Maschinenschlosser die vorgenannten subjektiven tariflichen Erfordernisse.
Dennoch hält das Landesarbeitsgericht die vorstehenden tariflichen Tätigkeitsmerkmale deswegen nicht für anwendbar, weil von diesen aus Gründen des tariflichen Gesamtzusammenhanges und insbesondere im Hinblick auf die Regelung in Lohngruppe VIII MTL II Fallgruppe 14.3.3 lediglich Schalttafelwärter in Heizkraftwerken erfaßt würden, zu denen die Energiezentrale der Universität F. unstreitig nicht gehöre. Dazu bezieht sich das Landesarbeitsgericht auf die entsprechende Rechtsprechung einer anderen Kammer des Landesarbeitsgerichts Frankfurt a.M. sowie ein nicht veröffentlichtes Urteil des erkennenden Senats.
Dabei weist das Landesarbeitsgericht richtig darauf hin, daß der erkennende Senat, ohne diese Rechtsfrage bisher definitiv zu entscheiden, in den beiden unveröffentlichten Urteilen vom 6. März 1985 – 4 AZR 380/83 – und 8. Juni 1988 – 4 AZR 89/88 –, die vergleichbare Arbeiter in den Fernheizwerken der hessischen Universitäten M. und G. betreffen, ausgeführt hat, es spreche aus Gründen des tariflichen Gesamtzusammenhanges, insbesondere aufgrund der einschlägigen Regelungen im Bereich der Lohngruppe VIII, viel dafür, den Geltungsbereich der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 auf Arbeiter in Heizkraftwerken zu beschränken.
Hieran hält der Senat jedoch nach nochmaliger Überprüfung der Rechtslage nicht fest. Er ist vielmehr zu der Überzeugung gelangt, daß von der Fallgruppe 14.2 der Lohngruppe IX MTL II nicht nur Arbeiter in Heizkraftwerken, sondern auch solche in Fernheizwerken erfaßt werden, sofern sie die sonstigen tariflichen Erfordernisse erfüllen. Das ergibt sich sowohl aus dem Tarifwortlaut, dem Sinn und Zweck der Tarifnorm als auch dem tariflichen Gesamtzusammenhang, auf die es bei der Tarifauslegung mit gleichem Gewicht entscheidend ankommt (vgl. BAGE 46, 308, 313 = – AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Dabei mißt der Senat maßgebliches Gewicht dem Umstand bei, daß nach dem Inhalt ihrer eindeutigen Überschrift („In Fernheiz- und Heizkraftwerken”) die Fallgruppe 14 der Lohngruppe IX MTL II ausdrücklich von den Tarifvertragsparteien auch auf entsprechende Arbeiter in Fernheizwerken ausgedehnt wird. Auch die Merkmale selbst enthalten eine diese allgemeine Geltung wieder irgendwie einschränkende Regelung nicht. Gegenteiliges kann entgegen der ursprünglichen Annahme des Senats auch nicht etwa aus der Regelung in Lohngruppe VIII Fallgruppe 14.3.3 hergeleitet werden, wonach zu vergüten sind
Schalttafelwärter in Heizkraftwerken, soweit nicht in die Lohngruppe VIII a eingereiht.
Zwar beschränkt sich diese tarifliche Regelung auf Schalttafelwärter in Heizkraftwerken. Aus ihr kann jedoch eine entsprechende Einschränkung auch für den Regelungsbereich der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 nicht entnommen werden. Dasselbe gilt für die entsprechende Regelung in Lohngruppe VIII a MTL II Fallgruppe 14.2.2. Beide Regelungen betreffen nämlich Arbeiter, die in Heizkraftwerken die Funktion eines Schalttafelwärters innehaben. Demgegenüber erfaßt die Regelung in Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 unter der eindeutigen Überschrift „In Fernheiz- und Heizkraftwerken” Arbeiter, die an Hochdruckkesselanlagen zugleich als Kesselwärter und Schalttafelwärter tätig sind, also eine Doppelfunktion innehaben, die notwendigerweise eine erhöhte Qualifikation erfordert und auch eine herausgehobene Verantwortlichkeit begründet. Diese besonderen Erschwernisse, die die aufgezeigte Doppelfunktion mit sich bringt, wollen die Tarifvertragsparteien mit der Zuweisung dieser Tätigkeit in die Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 honorieren, wobei es ihnen – anders als in den niedrigeren Lohngruppen – nicht darauf ankommt, ob die Tätigkeit in einem Fernheizwerk oder einem Heizkraftwerk geleistet wird. Auch aus den allgemeinen Merkmalen der Lohngruppen VIII MTL II Fallgruppen 3.1 und 3.2 bzw. VIII a MTL II Fallgruppen 2.1 und 2.2 kann nichts Gegenteiliges hergeleitet werden. Sie betreffen nämlich lediglich Kesselwärter mit näher beschriebenen Aufgaben und lassen keine Schlüsse zur Auslegung der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 zu.
Damit hängt die weitere Beurteilung davon ab, ob es sich bei der Energiezentrale der Universität F. um ein „Fernheizwerk” im tariflichen Sinne handelt. Nach seinen weiteren Ausführungen wird auch das vom Landesarbeitsgericht verneint. Dazu führt das Landesarbeitsgericht aus, eine Heizanlage wie die Energiezentrale der Universität F. falle deswegen unter diesen Begriff nicht, weil darin keine Wärme erzeugt werde, sondern unter Druckverminderung lediglich – vergleichbar der Funktion eines Umspann- oder Transformatorenwerkes – angelieferte Wärme zur Verteilung gelange.
Dieser Beurteilung des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Wie die Revision zutreffend ausführt, unterscheiden vielmehr die Tarifvertragsparteien in den anzuwendenden tariflichen Bestimmungen genau zwischen drei verschiedenen Begriffen, nämlich denen des „Fernheizwerkes”, des „Heizkraftwerkes” und der „Fernheizanlage”. Da die Tarifvertragsparteien diese Begriffe weder selbst definieren noch dazu ihrerseits – etwa in Protokollnotizen – Erläuterungen geben, ist davon auszugehen, daß sie insoweit diese Begriffe in ihrer fachtechnischen Bedeutung verwenden und angewendet wissen wollen (vgl. dazu die Urteile des Senats BAGE 42, 349, 360 = AP Nr. 21 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, BAGE 42, 272, 277 = AP Nr. 61 zu § 616 BGB, BAGE 45, 330, 335 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Musiker sowie vom 8. Februar 1984 – 4 AZR 369/83 – AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel und 4. Dezember 1974 – 4 AZR 120/74 – AP Nr. 5 zu § 611 BGB Musiker). Dieser Rechtsgrundsatz gilt nach der angezogenen ständigen Senatsrechtsprechung immer dann, wenn die Tarifvertragsparteien Fachbegriffe einer bestimmten Sparte oder Branche in tariflichen Regelungen verwenden, also auch – wie vorliegend – für technische Fachbegriffe.
Demgemäß ist als „Heizkraftwerk” ein Kraftwerk anzusehen, in dem über dessen allgemeine Funktionen hinaus elektrischer Strom zum Zwecke der Wärmenutzung gewonnen wird (vgl. Begriffsbestimmungen der Energiewirtschaft, Teil 2 (Begriffe der Fernwärmewirtschaft), 5. Aufl. 1981, S. 12; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band 3, S. 465; Enzyklopädie Naturwissenschaft und Technik, Band 5, S. 4958 sowie Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 8, S. 655). Da in der Energiezentrale der Universität F. kein Strom erzeugt wird, handelt es sich dabei auch nicht um ein Heizkraftwerk im technischen und tariflichen Sinne, wie insoweit zutreffend das Landesarbeitsgericht hervorhebt. Demgegenüber ist ein „Fernheizwerk” im technischen und damit auch im tariflichen Sinne ein Kraftwerk, in dem Heizwärme für eine Fernheizung erzeugt bzw. aus anderen Energieformen gewonnen wird (vgl. Begriffsbestimmungen in der Energiewirtschaft, Teil 2 (Begriffe der Fernwärmewirtschaft), a.a.O., S. 12; Brockhaus/Wahrig, a.a.O., Band 2, S. 713; Brockhaus der Naturwissenschaften und Technik, 7. Aufl., S. 237; Enzyklopädie Naturwissenschaft und Technik, a.a.O., Band 5, S. 4956 sowie Meyers Enzyklopädisches Lexikon, a.a.O., Band 8, S. 655 und Band 14, S. 285). Damit steht fest, daß die Energiezentrale der Universität F. auch kein „Fernheizwerk” im technischen und tariflichen Sinne ist, weil dort Heizwärme nicht gewonnen, sondern lediglich der vom Heizkraftwerk der Stadt F. gelieferte Heißdampf unter Reduzierung zur Verteilung gelangt.
Gleichwohl kommen jedoch zugunsten des Klägers die Merkmale der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 in Betracht. Das ergibt sich aus der Vorbemerkung Nr. 3 zum Lohngruppenverzeichnis, der sowohl das Landesarbeitsgericht als auch das beklagte Land eine unrichtige rechtliche Bedeutung beimessen. In der Vorbemerkung bestimmen die Tarifvertragsparteien:
Fernheizwerke im Sinne des Lohngruppenverzeichnisses sind auch Fernheizanlagen mit einer Kapazität von mindestens 62,802 Mio kJ/h (15 Mio kcal/h).
Da sie auch bei diesem Begriff von einer eigenen Definition und Erläuterung absehen, ist aus den dargelegten Rechtsgründen davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien auch den Rechtsbegriff der „Fernheizanlage” im Sinne des entsprechenden technischen Fachbegriffes verwenden. Anknüpfend an den allgemeinen Begriff der „Heizanlage” (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, S. 465) wird im technischen Sinne unter einer Fernheizanlage eine Anlage verstanden, die der zentralen Beheizung von Gebäudegruppen dient, wobei von einer zentralen Heizstelle die verschiedenen Gebäude durch Rohrleitungen mit Wärme versorgt werden und als Wärmeträger Warmwasser, Heißwasser und Dampf in Betracht kommen (vgl. Kammerer, Hans, Netzbau und Hausanschlüsse von Fernheizanlagen, Hänchen und Jäh 1959, S. 3 ff., S. 11 ff. und S. 19 ff. sowie Meyers Enzyklopädisches Lexikon, a.a.O., Band 8, S. 655). Damit halten die Tarifvertragsparteien streng an dem jeweiligen fachtechnischen Unterschied zwischen den von ihnen herangezogenen Begriffen der Heizkraftwerke, Fernheizwerke und Fernheizanlagen fest. Sie stellen jedoch im Rahmen ihrer autonomen Rechtssetzungsmöglichkeiten ungeachtet der technischen Unterschiede in der Vorbemerkung Nr. 3 zum Lohngruppenverzeichnis Fernheizwerke und Fernheizanlagen rechtlich gleich, wobei sie freilich diese rechtliche Gleichstellung auf Fernheizanlagen einer besonders weitreichenden Größenordnung bzw. Kapazität von 15 Mio kcal/h beschränken, während sonst in anderen tariflichen Bestimmungen auch Heizungsanlagen geringerer Kapazität ausreichen (vgl. Lohngruppe VIII a MTL II Fallgruppen 2.1 und 2.2). Dabei gehen die Tarifvertragsparteien ersichtlich davon aus, daß in den besonders großen und leistungsfähigen Fernheizanlagen an das Bedienungspersonal höhere Anforderungen gestellt werden.
Damit ist entgegen der Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts und des beklagten Landes die Energiezentrale der Universität F. als rechtlich gleichgestellte „Fernheizanlage” im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 zum Lohngruppenverzeichnis zum MTL II anzusehen. Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts entsprechen auch ihre Größe und Kapazität, die über die Ausmaße entsprechender kommunaler Einrichtungen sogar in Großstädten weit hinausgehen, den tariflichen Erfordernissen. Somit sind grundsätzlich auf die Tätigkeit des Klägers auch die Merkmale der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 anwendbar.
Das Landesarbeitsgericht wird daher nunmehr Feststellungen dazu zu treffen und darüber zu entscheiden haben, ob der Kläger als Kesselwärter und Schalttafelwärter tätig gewesen ist. Wenn die Tarifvertragsparteien in der Fallgruppe 14.2 der Lohngruppe
IX MTL II fordern, daß der betreffende Arbeiter Kesselwärter und „zugleich Schalttafelwärter” sein muß, dann ist aus dem Wortlaut der Norm, dem tariflichen Gesamtzusammenhang und insbesondere dem Sinn und Zweck der Regelung, die bei der Tarifauslegung gleichgewichtig und gleichbedeutend zu berücksichtigen sind (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), zu folgern, daß zur Erfüllung der tariflichen Anforderungen beide Funktionen gleichzeitig nebeneinander ausgeübt werden müssen. Das begründet sich aus der erhöhten Verantwortung eines Arbeiters, der zugleich nebeneinander die Aufgaben eines Kesselwärters und eines Schalttafelwärters wahrnimmt (vgl. die entsprechenden Ausführungen in dem unveröffentlichten Urteil des Senats vom 8. Juni 1988 – 4 AZR 89/88 –, das einen Schalttafelwärter im Fernheizwerk der Universität G. betrifft). Schließlich wird das Landesarbeitsgericht auch noch festzustellen haben, ob der Kläger an „Hochdruckkesselanlagen” tätig war, wobei ebenfalls vom entsprechenden technischen Fachbegriff auszugehen ist.
Nach Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.3, auf die sich der Kläger zur Begründung des Klagebegehrens ebenfalls stützt, sind zu vergüten
Kesselwärter (Heizer)
- mit abgeschlossener Ausbildung als Schlosser oder einem artverwandten anerkannten metallverarbeitenden oder einem anerkannten elektrotechnischen Ausbildungsberuf mit einer Ausbildung von mindestens zweieinhalb Jahren oder
- mit Kesselwärterprüfung
an Hochdruckkesselanlagen, die zugleich Schichtführer sind.
Auch die Anwendung dieser tariflichen Tätigkeitsmerkmale verneint das Landesarbeitsgericht mit der Begründung, die Energiezentrale der Universität F. sei weder ein Fernheizwerk noch eine Fernheizanlage im tariflichen Sinne.
Auch diese Beurteilung des Landesarbeitsgerichts ist aus den dargelegten Gründen rechtsfehlerhaft, wobei darauf hinzuweisen ist, daß sich die Merkmale der Fallgruppen 14.2 und 14.3 der Lohngruppe IX MTL II nur dadurch unterscheiden, daß der Arbeiter im ersten Falle Kesselwärter und Schalttafelwärter und im zweiten Falle Kesselwärter und Schichtführer sein muß.
Demgemäß wird das Landesarbeitsgericht auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Fallgruppe 14.3 der Lohngruppe IX MTL II nur noch zu prüfen haben, ob der Kläger Kesselwärter und zugleich Schichtführer gewesen ist. Auch hier müssen beide Funktionen gleichzeitig nebeneinander ausgeübt werden (vgl. auch dazu das unveröffentlichte Urteil des Senats vom 8. Juni 1988 – 4 AZR 89/88 –). Sollte das, wie in Parallelprozessen vorgetragen worden ist, aufgrund der fortgeschrittenen technischen Entwicklung in der Arbeitspraxis nur noch selten oder ausnahmsweise der Fall sein, so ist eine entsprechende Anpassung oder Änderung der Tarifnormen ausschließliche Angelegenheit der Tarifvertragsparteien und nicht Sache der staatlichen Gerichte für Arbeitssachen (vgl. das Urteil des Senats vom 10. Februar 1988 – 4 AZR 538/87 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Im übrigen wird das Landesarbeitsgericht Bedacht darauf zu nehmen haben, daß unter einem Schichtführer ein Arbeiter zu verstehen ist, der einem oder mehreren Arbeitern (Arbeitsgruppe) vorsteht, oder der die Verantwortung für die während seiner Schicht anfallenden Aufgaben trägt, ohne daß ihm jemand unterstellt ist (vgl. BAGE 41, 358, 363 = AP Nr. 1 zu § 21 MTL II sowie die unveröffentlichten Urteile des Senats vom 6. März 1985 – 4 AZR 380/85 – und 8. Juni 1988 – 4 AZR 89/88 –).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen wird das Landesarbeitsgericht schließlich noch zu überprüfen haben, ob der Kläger die Merkmale der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.4 erfüllte, wonach zu vergüten sind
Schichtführer an Hochdruckkesselanlagen.
Da aus Gründen des materiellen Rechts die Zurückverweisung der Sache geboten ist, kommt es auf die prozessualen Rügen der Revision nicht mehr an. Ohnehin ist entgegen der Rechtsauffassung des Klägers vorliegend für prozessuale Rügen nach § 286 ZPO deswegen kein Raum, weil der Sachverhalt unstreitig ist (vgl. die Urteile des Senats BAGE 46, 292, 307 = AP Nr. 93 zu §§ 22, 23 BAT 1975 sowie vom 28. April 1982 – 4 AZR 707/79 – AP Nr. 62 zu §§ 22, 23 BAT 1975 m.w.N.). Indessen weist die Revision zutreffend darauf hin, daß es trotz des insoweit bestehenden weiten Ermessensbereiches der Instanzgerichte (vgl. die Urteile des Senats BAGE 46, 292, 307 = AP Nr. 93 zu §§ 22, 23 BAT 1975 sowie vom 1. September 1982 – 4 AZR 1134/79 – AP Nr. 68 zu §§ 22, 23 BAT 1975 m.w.N.) je nach den Umständen geboten sein kann, daß sich das Landesarbeitsgericht bei der Aufklärung besonders schwieriger und ungewöhnlicher technischer Fachbegriffe bzw. technischer Zusammenhänge gemäß § 144 ZPO sachverständiger Hilfe zu bedienen hat.
Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mitzuentscheiden haben.
Unterschriften
Dr. Neumann, Dr. Freitag, Dr. Feller, Lehmann, Wax
Fundstellen