1 Leitsatz
Ein Wohnungseigentümer kann als Sondereigentümer baurechtliche Nachbarrechte nur geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums in Frage steht.
2 Normenkette
§ 42 Abs. 2 VwGO
3 Das Problem
Wohnungseigentümer K geht gegen eine Baugenehmigung für den Grundstücksnachbarn N vor. K ist der Ansicht, es liege ein Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme vor. Die von N geplante Bebauung füge sich nicht ein. Außerdem seien die Abstandsflächen nicht eingehalten.
Fraglich ist, ob K Rechte auch wegen des Schutzes des gemeinschaftlichen Eigentums geltend machen kann.
4 Die Entscheidung
Das VG verneint die Frage! Die Anfechtungsklage sei unzulässig, soweit eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme aufgrund der Tiefgaragenzufahrt und eine Verletzung von Abstandflächen geltend gemacht werden, die nicht an das Sondereigentum des K grenzen.
Insoweit fehle K die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. K könne als Sondereigentümer gem. § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 WEG baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nur geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums infrage stehe. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn das Sondereigentum im Bereich der Abstandsflächen liege oder das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot gerade das Sondereigentum betreffe.
Die frühere teilweise anderslautende Rechtsprechung, wonach es sich bei der Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Nachbaransprüche auch im Hinblick auf das gemeinschaftliche Eigentum lediglich um eine "gekorene" Ausübungsbefugnis handele (Hinweis auf BVerwG, Urteil v. 10.4.2019, 9 A 24/18 und VGH Mannheim, Urteil v. 13.7.2017, 5 S 2602/15), sei durch § 9a Abs. 2 WEG veraltet. Die Befugnis, öffentlich-rechtliche Nachbaransprüche im Hinblick auf das gemeinschaftliche Eigentum geltend zu machen, stehe danach nur der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu (Hinweis u. a. auf VGH Mannheim, Beschluss v. 24.2.2021 und Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 9a Rn. 99).
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht ein Wohnungseigentümer gegen eine seinem Grundstücksnachbarn erteilte Baugenehmigung vor. Für seine Klagebefugnis wird fraglich, ob er auch wegen einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums Rechte geltend machen kann.
Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums bei Nachbarbauvorhaben
Nach § 18 Abs. 1 WEG ist es die Aufgabe der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, das gemeinschaftliche Eigentum zu verwalten. Ferner nimmt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach § 9a Abs. 2 WEG für die Wohnungseigentümer die Rechte aus dem gemeinschaftlichen Eigentum war. Zu diesen Rechten gehört u. a. das Recht, bei einem Nachbarbauvorhaben angemessen beteiligt zu werden und gegen dieses vorzugehen. Nach § 9a Abs. 2 WEG sind daher nicht mehr die Wohnungseigentümer, sondern die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer als Verwaltungstreuhänderin und Standschafterin bei einem Bauvorhaben zu beteiligen und ist berechtigt und verpflichtet, bei Beeinträchtigungen gegen das Bauvorhaben vorzugehen. Die Wohnungseigentümer werden an dieser Stelle in ihrer Rechtswahrnehmung vollständig verdrängt. Denn nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann sich nach § 9a Abs. 2 Fall 1 WEG für das gemeinschaftliche Eigentum erklären. Eine Erklärung der Wohnungseigentümer als Eigentümer ginge ins Leere.
Der Wille der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum wird bei Nachbarbauvorhaben nach § 19 Abs. 1 WEG durch Beschluss von den Wohnungseigentümern gebildet. Der Verwalter hat nach § 27 Abs. 1 WEG hingegen keine Rechte. Die Wohnungseigentümer können nach § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG etwas anderes vereinbaren.
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer wird nach § 9b Abs. 1 Satz 1 WEG durch den Verwalter vertreten. Seine Vertretungsmacht ist nicht davon abhängig, dass eine Willensbildung stattgefunden hat.
Verwaltung des Sondereigentums bei Nachbarbauvorhaben
Das Sondereigentum wird ausschließlich von seinem Eigentümer verwaltet. Wird Sondereigentum durch ein Bauvorhaben beeinträchtigt, ist daher nur sein Eigentümer berechtigt, gegen diese Rechtsverletzung vorzugehen.
6 Entscheidung
VG München, Beschluss v. 31.8.2021, M 9 SN 21.976