1 Leitsatz
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann einen Wohnungseigentümer ermächtigen, die Mängelrechte gegen den Bauträger, die sie selbst ausführen müsste, in eigenem Namen durchzusetzen.
2 Normenkette
§§ 9a Abs. 2, 19 Abs. 1 WEG
3 Das Problem
K kauft im Jahr 2014 von Bauträger B ein Wohnungseigentum. Im Jahr 2016 macht K, der im Übrigen noch nicht im Grundbuch eingetragen ist (= werdender Wohnungseigentümer), im Namen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer klageweise "Erfüllungs- und Mängelansprüche" geltend. Im Jahr 2020 ermächtigen die übrigen Wohnungseigentümer K, die bereits klageweise geltend gemachten Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen. B hält die Klage dennoch für unzulässig. Er meint, K sei nicht prozessführungsbefugt. Denn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer habe im Jahr 2016 beschlossen, die Ansprüche gemeinsam zu verfolgen. Jedenfalls sei durch die Einholung eines außergerichtlichen Sachverständigengutachtens und die mehrfachen Mängelbeseitigungsaufforderungen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer von einer konkludenten Vergemeinschaftung auszugehen.
4 Die Entscheidung
Das OLG sieht es wie K und meint, dieser sei prozessführungsbefugt! Dies gelte auch, soweit K Rechte verfolge, die auf die mangelfreie Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums gerichtet seien. § 9a Abs. 2 WEG stehe der Geltendmachung dieser Rechte durch K nicht entgegen. Dabei könne offenbleiben, ob die Geltendmachung primärer Mängelrechte aus einem Bauträgervertrag (= Nacherfüllung, Selbstvornahme und das Verlangen eines Kostenvorschusses) überhaupt in den Anwendungsbereich von § 9a Abs. 2 WEG fiele. Denn nach der BGH-Rechtsprechung gelte eine ursprüngliche Prozessführungsbefugnis für die bereits vor dem 1.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG fort, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht werde (Hinweis auf BGH, Urteil v. 7.5.2021, V ZR 299/19). Gemeinschaftsbezogene Interessen der anderen Wohnungseigentümer seien im Fall nicht beeinträchtigt, da auch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zum Ausdruck gebracht habe, mit der Bauleistung nicht einverstanden zu sein. Die Möglichkeit zur Geltendmachung seiner Rechte sei dem K auch nicht durch einen Vergemeinschaftungsbeschluss entzogen worden. Denn ein solcher könne nicht in die außergerichtlichen auf Mangelfeststellung und Mängelbeseitigung gerichteten rechtsgeschäftlichen Handlungen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hineingelesen werden. Aus dem Inhalt formloser Schreiben mit Mängelbeseitigungsverlangen oder rechtsgeschäftlichem Tätigwerden bei einem Vertragsschluss mit einem Sachverständigen könne eine – konkludente – Beschlussfassung nicht hergeleitet werden. Unabhängig hiervon hätten die übrigen Wohnungseigentümer K jedenfalls zur prozessualen Durchsetzung der Rechte im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft ermächtigt.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall klagt ein Wohnungseigentümer gegen den Bauträger. Zu fragen ist, wer für die Geltendmachung der Mängelrechte in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum zuständig ist.
Primäre Mängelrechte
Die primären Mängelrechte (= Nacherfüllung, Selbstvornahme und das Verlangen eines Kostenvorschusses) kann jeder Wohnungseigentümer selbst durchsetzen. Dies galt vor der WEG-Reform und gilt auch jetzt. Die Wohnungseigentümer waren und sind aber berechtigt, diese Rechte nach § 19 Abs. 1 WEG der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zuzuweisen (Vergemeinschaftungsbeschluss).
Sekundäre Mängelrechte
Die sekundären Mängelrechte (Minderung und kleiner Schadensersatz) unterfallen nach h. M. § 9a Abs. 2 WEG. Im Recht, dass bis zum 30.11.2020 galt, war es nicht anders. Auch dort waren diese Rechte der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zugeordnet und konnten nur von ihr durchgesetzt werden.
Rücktritt, großer Schadensersatz
Die Frage, ob sich ein Wohnungseigentümer von dem Bauträgervertrag durch Rücktritt oder den großen Schadensersatz lösen will, kann nur der Wohnungseigentümer selbst beantworten.
Ermächtigung
Das OLG entscheidet sich dafür, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer einen einzelnen Wohnungseigentümer ermächtigen kann, auch solche Rechte durchzusetzen, die § 9a Abs. 2 WEG unterfallen. Diese Sichtweise entspricht der derzeit h. M.
Konkludente Beschlussfassungen
Das OLG überlegt, ob es konkludente Beschlüsse geben könnte. Die Antwort lautet: nein! Jeder Beschluss muss durch den Versammlungsleiter festgestellt und verkündet werden. Konkludente Beschlüsse sind daher nicht vorstellbar. Etwas Anderes gilt nur für Geschäftsordnungsbeschlüsse. Hier meine ich selbst allerdings auch, es handele sich nicht um Beschlüsse im eigentlichen Sinne.
Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?
Die Verwaltung muss wissen, dass konkludente Beschlussfassungen nicht vorstellbar sind! Ferner muss jede Verwaltung wissen, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer einen Wohnungseigentümer ermächtig...