1 Leitsatz
Eine vom Bauträger verwendete Abnahmeklausel, wonach das gemeinschaftliche Eigentum durch einen von der Versammlung zu wählenden vereidigten Sachverständigen abgenommen wird, ist unwirksam.
2 Normenkette
§§ 633, 634 BGB
3 Das Problem
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer K macht gegen Bauträger B einen Vorschussanspruch für Mangelbeseitigungskosten sowie Schadensersatz wegen behaupteter Mängel geltend. B hatte die Wohnungseigentumsanlage im Jahr 1988 errichtet. In den mit den Erwerbern abgeschlossenen Kaufverträgen ist zur Abnahme das Folgende geregelt: "Das gemeinschaftliche Eigentum wird für die Wohnungseigentümer durch einen vereidigten Sachverständigen abgenommen. Bei Wohnanlagen, die aus mehreren Gebäuden bestehen, kann jedes Gebäude einzeln abgenommen werden (Teilabnahme). Der Sachverständige soll auch die Beseitigung der bei der Abnahme festgestellten Mängel bestätigen. Die Kosten des Sachverständigen sind im Kaufpreis berücksichtigt. Der Sachverständige ist in der ersten Wohnungseigentümerversammlung durch Beschluss zu bestellen; er führt die Abnahme in Vertretung der einzelnen Wohnungseigentümer für diese durch, wozu er heute schon vom Käufer bevollmächtigt wird." Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer beauftragt daher im Jahr 2000 den Sachverständigen S. Dieser nimmt das gemeinschaftliche Eigentum im Jahr 2000 ab. Im Jahr 2019 verklagt K den B. Fraglich ist unter anderem, ob die werkvertraglichen Ansprüche überhaupt noch durchsetzbar sind.
4 Die Entscheidung
Das OLG bejaht die Frage! Denn die Abnahmeerklärung des S sei unwirksam. Eine Vertragsklausel zur Abnahme durch einen von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu bestimmenden Sachverständigen sei jedenfalls dann unwirksam, wenn sie dem einzelnen Erwerber nicht die Möglichkeit offenlasse, das gemeinschaftliche Eigentum selbst abzunehmen oder von einer Vertrauensperson eigener Wahl abnehmen zu lassen. Es liege auch keine konkludente Abnahme vor.
Der Anspruch sei auch nicht verjährt (Hinweis auf die andere Ansicht des OLG Stuttgart, Urteil v. 2.4.2024, 10 U 13/23). Eine Verjährung von Gewährleistungsansprüchen mit Ablauf der Verjährungshöchstfrist des Erfüllungsanspruchs könne nicht mit der Begründung angenommen werden, dass es ansonsten zu für den Bauträger untragbaren Ergebnissen komme. Der Anspruch sei auch nicht verwirkt.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach über 18 Jahren namens der Wohnungseigentümer noch Rechte gegen den Bauträger geltend machen kann.
Mängelrechte
Der Vorschussanspruch ist ein Mängelrecht, welches 5 Jahre nach der Abnahme verjährt. Gibt es keine Abnahme, gibt es auch keine Verjährung. Allerdings gibt es dann eigentlich auch keine Mängelrechte. Der BGH meint hier seit Langem, der Bauträger dürfe sich auf diesen Umstand nicht berufen (= es gibt Mängelrechte, obwohl es das Gesetz anders sieht).
Abnahmeklauseln
Es ist nach §§ 640, 641 BGB Sache der einzelnen Erwerber, eine vom Bauträger geschuldete Leistung entgegenzunehmen und über ihre Ordnungsmäßigkeit zu entscheiden. Das gilt auch für das gemeinschaftliche Eigentum. Bauträger haben jedoch ein Interesse daran, dass das gemeinschaftliche Eigentum zeitgleich und einheitlich durch eine Person rechtlich abgenommen wird. Viele Bauträgerverträge sehen daher – wie hier – die Abnahme durch einen Sachverständigen vor. Die Gerichte halten das, wie der Fall zeigt, für unwirksam. Beanstandet wird insbesondere Folgendes:
- Verdrängungseffekt: Unwirksam sind Klauseln, die dem Erwerber faktisch jede Möglichkeit nehmen, eine Abnahme durch den Bevollmächtigten zu verhindern – insbesondere durch unwiderrufliche Vollmachten oder einen (scheinbaren) Ausschluss des originären Rechts, selbst die Abnahme zu erklären.
- Mangelnde Neutralität: Der Erwerber wird unangemessen benachteiligt, wenn der Abnehmende nicht unabhängig und neutral ist, sondern "aus dem Lager" des Bauträgers kommt.
Beschlusskompetenz
Die Rechte wegen Mängeln des gemeinschaftlichen Eigentums aus den mit dem Bauträger geschlossenen Verträgen stehen sämtlichen Wohnungseigentümern als Erwerbern zu. Jeder Erwerber von Wohnungseigentum ist grundsätzlich berechtigt, seine individuellen Rechte aus dem Vertrag mit dem Bauträger selbständig zu verfolgen, solange durch sein Vorgehen gemeinschaftsbezogene Interessen der Wohnungseigentümer oder schützenswerte Interessen des Bauträgers nicht beeinträchtigt sind. So kann der Erwerber die nicht gemeinschaftsbezogenen Rechte auf großen Schadensersatz oder Rücktritt selbständig geltend machen. Aber auch die auf ordnungsmäßige Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums gerichteten Mängelansprüche kann der Erwerber grundsätzlich selbständig verfolgen.
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist hingegen für die Geltendmachung und Durchsetzung solcher Rechte zuständig, die ihrer Natur nach gemeinschaftsbezogen sind und ein eigenständiges Vorgehen des einzelnen Wohnungseigentümers nicht zulassen. Das betrifft die Rechte auf Minderung und auf kleinen Schadensersatz.
Darüber hinaus kann die Gemeinsch...