Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinder- und Jugendhilfe. Erstattung nach § 89 SGB VIII. Anwendbarkeit von § 86 Abs. 6 SGB VIII. Zuständigkeitswechsel erforderlich. Kinder- und Jugendhilferechts. Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 5. Juli 2004
Normenkette
SGB VIII §§ 89, 86 Abs. 6, § 89a
Verfahrensgang
VG Würzburg (Urteil vom 05.07.2004; Aktenzeichen W 6 K 03.939) |
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt vom Beklagten Kostenerstattung für von ihr in der Zeit vom 7. Juni 2002 bis zum 30. Juni 2003 aufgewendete Jugendhilfeleistungen.
Das am 20. Mai 2000 in W. geborene Kind M.S. wurde am 7. Juni 2000 aus der Kinderklinik entlassen und in die Pflegefamilie R./L. im Bereich der Klägerin vermittelt, wo es sich seitdem befindet und auch weiterhin verbleiben soll. Die Klägerin leistet für M.S. seit der Geburt Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege, weil die Eltern des Kindes verschiedene gewöhnliche Aufenthalte hatten und sich das Kind vor Beginn der Leistung in ihrem Bereich tatsächlich aufhielt (§ 86 Abs. 2 Satz 4 letzter Halbsatz SGB VIII). Mit Schreiben vom 18. Juli 2000 sicherte der Beklagte als überörtlicher Träger der Jugendhilfe der Klägerin die Kostenerstattung nach § 89 SGB VIII ab dem 7. Juni 2000 zu.
Mit Schreiben vom 2. Juni 2003 lehnte der Beklagte gegenüber der Klägerin eine (weitere) Kostenerstattung ab dem 7. Juni 2002 ab, weil er nicht mehr nach § 89 SGB VIII zur Kostenerstattung verpflichtet sei. Die örtliche Zuständigkeit für die Jugendhilfeleistung richte sich nunmehr gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeeltern. Nachdem die örtliche Zuständigkeit bei der Klägerin verblieben, ein Zuständigkeitswechsel also nicht eingetreten sei, käme auch eine Erstattungspflicht nach § 89 a SGB VIII nicht in Betracht.
Auf die entsprechende Klage der Klägerin vom 13. August 2003 verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beklagten mit Urteil vom 5. Juli 2004, an die Klägerin 7.453,48 EUR (für die Unterbringung des Kindes M.S. in der Zeit vom 7. Juni 2002 bis 30. Juni 2003) nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit dem 13. August 2003 zu zahlen. Die Klägerin habe gegen den Beklagten den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch unmittelbar aus § 89 a Abs. 2 SGB VIII, weil die Voraussetzungen des § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorlägen. Der Eintritt der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII verbunden mit dem Wegfall der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII sei ein Wechsel der Zuständigkeit.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung bekämpft der Beklagte dieses Urteil. Er beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, er sei ab dem 7. Juni 2002 nicht mehr nach § 89 SGB VIII zur Kostenerstattung verpflichtet, weil sich ab diesem Zeitpunkt die örtliche Zuständigkeit nicht mehr nach dem tatsächlichen Aufenthalt des Kindes, sondern nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegefamilie richte. Eine Kostenerstattung nach § 89 a SGB VIII komme nicht in Betracht, weil die örtliche Zuständigkeit nicht gewechselt habe. Die Klägerin sei nach wie vor örtlich zuständig, wenn auch nunmehr nach einer anderen Vorschrift.
Die Klägerin ist der Berufung entgegengetreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Die zulässige Berufung, über die der Verwaltungsgerichtshof mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht zur Kostenerstattung in der ausgesprochenen Höhe nebst Zinsen verpflichtet.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch nach § 89 SGB VIII zu. Die örtliche Zuständigkeit für den vorliegenden Jugendhilfefall richtete sich gemäß § 86 Abs. 2 Satz 4 letzter Halbsatz SGB VIII nach dem „tatsächlichen Aufenthalt” des Kindes vor Beginn der Leistung. Nachdem das Kind kurz nach der Geburt in der Pflegefamilie untergebracht worden war und es in der Geburtsklinik keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatte, knüpft die Zuständigkeit wegen der verschiedenen gewöhnlichen Aufenthalte der leiblichen Eltern an den tatsächlichen Aufenthalt des Kindes vor Beginn der Leistung an (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII).
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Erstattungsanspruch nicht auf die ersten zwei Jahre begrenzt, in denen das Kind in der Pflegefamilie lebte. Denn § 86 Abs. 6 SGB VIII, der die örtliche Zuständigkeit an den „gewöhnlichen Aufenthalt” der Pflegeperson anknüpft und damit einem Erstattungsanspruch nach § 89 SGB VIII entgegenstünde, ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII ist oder wird abweichend von den Absätzen 1 bis 5...