Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung
Leitsatz (amtlich)
Kein satzungsmäßiger Ausschluss von unter 15-jährigen von der hausarztzentrierten Versorgung
Tenor
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 01.07.2010 wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Antragstellerin.
III. Der Streitwert wird auf 62.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Ast) ist ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Als bundesweit geöffnete Krankenkasse versichert sie allein in Bayern 4.368 Kinder und Jugendliche unter dem vollendeten 15. Lebensjahr (Kinder und Jugendliche). An der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmende Ärzte erhalten von ihr pauschal für jeden eingeschriebenen Versicherten pro Jahr 65,00 EUR, ohne dass hierzu ein Kontakt zwischen Arzt und Versicherten notwendig wäre. Der Verwaltungsrat der Antragstellerin hat mit Umlaufbeschluss vom 28.05.2010 einstimmig beschlossen, Art. I § 16b Abs.1 Satz 1 des 27. Satzungsnachtrages wie folgt zu ändern: "Die HVB BKK bietet ihren Versicherten ab dem 15. Lebensjahr eine hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b SGB V auf Grundlage von regionalen Verträgen mit Hausärzten, Gemeinschaften von Hausärzten, Medizinischen Versorgungszentren oder Kassenärztlichen Vereinigungen an, soweit diese von Gemeinschaften von Hausärzten dazu ermächtigt wurden".
Die Satzungsgenehmigung wurde am 01.06.2010 von der Ast bei der Antragsgegnerin (Ag) beantragt.
Mit Bescheid vom 10.06.2010 wurde die Satzungsänderung mit Ausnahme der Worte "ab dem vollendeten 15. Lebensjahr" bei Art.I § 16b Abs.1 Satz sowie Art.I § 16b Abs.2 Satz 10 mit den Worten "mit Ausnahme der Altersgrenze in Abs.1 Satz 1" genehmigt.
Die Ag begründete die Entscheidung damit, dass die in Art.I § 16b Abs.1 Satz 1 vorgesehene Altersgrenze nicht in Einklang mit § 73b Abs.1 SGB V stehe, da die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung uneingeschränkt allen Versicherten zu ermöglichen sei. Da die Altersgrenze nicht genehmigt werde, könne auch die Bezugnahme auf diese Altersgrenze in Art.I § 16b Abs.2 Satz 10 nicht genehmigt werden.
Die Ast beantragte mit Schriftsatz vom 1.7.2010 den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bayerische Landessozialgericht den sie damit begründete, dass das Recht, das Nähere zur Durchführung der Teilnahme der Versicherten an der hausarztzentrierten Versorgung zu regeln, der Satzungsautonomie der Ast unterliege (§ 73b Abs.3 Satz 4 SGB V). Die Genehmigung der Aufsichtsbehörde könne nur versagt werden, wenn die beantragte Satzungsänderung formell oder materiell rechtswidrig sei. Beides sei hier nicht der Fall. Der Wortlaut von § 73b Abs.1 SGB V lasse keinen Rückschluss darauf zu, dass eine Altersbeschränkung für die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung ausgeschlossen sei. Der Gesetzgeber habe mit dem GKV-WSG vom 01.04.2007 (BT-Drucksache 16/3100) Mindestanforderungen geregelt mit dem Ziel, die Versorgungsqualität der Versicherten zu verbessern (sog. Lotsenfunktion des Hausarztes) und Wirtschaftlichkeitsreserven der Krankenkassen zu erschließen.
Kinder und Jugendliche frequentierten üblicherweise zunächst einen Kinderarzt, ohne vorher einen Hausarzt konsultiert zu haben. Diese Möglichkeit werde ihnen auch durch § 73b Abs.3 Satz 2 SGB V eingeräumt. Die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in die hausarztzentrierte Versorgung widerspreche dem Zweck des vom Gesetzgeber Gewollten. Der Hausarzt nehme keine Lotsenfunktion wahr, da Kinder und Jugendliche direkt den Kinderarzt in Anspruch nähmen. Die Krankenkasse könne keine Wirtschaftlichkeitspotenziale nutzen. Ganz im Gegenteil würden Kosten für die Teilnahme an der Hausarztzentrierten Versorgung für Kinder und Jugendliche entstehen, weil der Hausarzt pauschal pro Jahr 65,00 EUR für jedes Kind bzw. Jugendlichen erhielte, im Gegensatz dazu aber keine vom Zweck des § 73b SGB V gewollte Leistung erbringe. Der Zweck des Gesetzes werde durch die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen nicht erfüllt. Es sei daher konsequent von der Ast, die Satzung nach dem Zweck des Gesetzes zu ändern.
Ein Anordnungsgrund liege vor, da eine Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig sei. Ohne die von der Antragstellerin begehrte Satzungsgenehmigung habe die Ast erhebliche finanzielle Einbußen. Mit Schriftsatz vom 23.11.2010 trug die Ast vor, dass im Jahr 2008 bei ihr in Bayern 5.303 Kinder und Jugendliche versichert gewesen seien. Nach Abzug des Erstattungsbetrages der Kassenärztlichen Vereinigung verblieben bei der Ast Kosten in Höhe von 125.362,92 Euro, wenn die Satzungsänderung nicht genehmigt würde. Dies stelle einen wesentlichen Nachteil für die Ast dar.
Mit der einstweiligen Anordnung werde auch nicht die Hauptsache endgültig vorweggenommen, was der Natur einer einstweiligen Anordnung zuwiderlaufen würde. Die Ag werde lediglich verpflichtet, der Ast vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung über deren Satzungsänderungsantrag, als...