Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt durch einstweiligen Rechtsschutz für einen EU-Ausländer
Leitsatz (amtlich)
1. Eine grundsätzliche Ermessensreduzierung auf Null ist alleine wegen der existenzsichernden Zielrichtung der Leistungen im Rahmen einer Entscheidung nach § 41 a Abs. 7 Nr. 1 SGB II nicht gegeben.
2. § 23 Abs. 3 SGB XII ist europarechts- und verfassungskonform.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 11. April 2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen begehren im einstweiligen Rechtsschutz die vorläufige Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII.
Die 1978 geborene Antragstellerin zu 1) (die Bezeichnung der Beteiligten der ersten Instanz wird beibehalten) besitzt die rumänische Staatsbürgerschaft und reiste am 02.11.2015 aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Tochter der Antragstellerin zu 1), die Antragstellerin zu 2) wurde am 20.07.2016 geboren. Der Vater der Antragstellerin zu 2) und Ehemann der Antragstellerin zu 1), der ebenfalls rumänischer Staatsangehöriger ist, lebt von den Antragstellerinnen getrennt. Im Zeitraum 15.11.2015 bis 08.02.2016 ging die Antragstellerin zu 1) einer geringfügigen Beschäftigung nach. Das Beschäftigungsverhältnis wurde am 08.02.2016 durch den Arbeitgeber gekündigt. Die Antragstellerinnen wohnen in einer Wohnung mit 73 m² zu einer Gesamtmiete von 310.-Euro. Die Antragstellerin zu 1) hat Einkünfte in Form von Kindergeld für die Antragstellerin zu 2) in Höhe von 190.-Euro sowie Elterngeld in Höhe von 300.-Euro. Weitere Einkünfte oder Vermögen sind nicht vorhanden.
Im Zeitraum 01.02.2016 bis 31.10.2016 erhielt die Antragstellerin zu 1) Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter A-Stadt-Stadt aufgrund eines Beschlusses des Sozialgerichts Landshut (SG) in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 11 AS 259/16 ER).
Am 12.12.2016 beantragten die Antragstellerinnen bei der Antragsgegnerin schriftlich die Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII. Dabei wurde angegeben, dass die Antragstellerin zu 1) aufgrund einer Arbeitsaufnahme nach Deutschland gezogen sei. Zuvor hatten sie bereits am 09.11.2016 bei der Antragsgegnerin vorgesprochen und mündlich Leistungen nach dem SGB XII beantragt. Nach Aussage der Antragstellerin zu 1) sei sie dort jedoch weggeschickt und aufgefordert worden, ihre Freizügigkeitsberechtigung von der Ausländerbehörde prüfen zu lassen. Im Folgenden hatten die Antragstellerinnen die Antragsgegnerin am 23.11.2016 schriftlich aufgefordert, über ihren Anspruch zu entscheiden.
Mit Bescheid vom 25.01.2017 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellerinnen Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt im Zeitraum 23.11.2016 bis 31.12.2016. Mit weiterem Bescheid vom 01.02.2017 wurden für den gleichen Zeitraum höhere Leistungen aufgrund einer Korrektur des anzurechnenden Kindergeldes bewilligt.
Gegen den Bescheid vom 25.01.2017 legten die Antragstellerinnen am 05.02.2017 Widerspruch ein. Die Antragstellerinnen hätten Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII über den 28.12.2016 hinaus. Das Ermessen des Sozialhilfeträgers sei im Rahmen des § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert, da sich der Aufenthalt der Antragstellerinnen aufgrund eines mehr als sechsmonatigen Aufenthalts in Deutschland verfestigt habe. Dem stehe auch § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII neue Fassung nicht entgegen, denn die am 29.12.2016 in Kraft getretene Vorschrift sei evident verfassungswidrig. Nach dem Bundesverfassungsgericht stünde das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus habe das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt. Für eine abweichende Bedarfsbestimmung komme es darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Dies lasse sich bei einem Aufenthaltsrecht alleine zum Zwecke der Arbeitssuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei einem verfestigten Aufenthalt. Sei die Zeitspanne eines Kurzaufenthaltes deutlich überschritten, sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen vorzusehen.
Über den Widerspruch wurde bis dato nicht entschieden.
Am 06.02.2017 haben die Antragstellerinnen das SG angerufen und beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflicht...