Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Anhörung eines bestimmten Arztes. Entscheidung über die Kostentragungspflicht. unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen der Entscheidung über die endgültige Kostentragungspflicht nach § 109 Abs 1 S 2 SGG ist vor allem zu berücksichtigen, ob das Sachverständigengutachten die Sachaufklärung wesentlich gefördert hat.

2. Eine Kostenübernahme kann ferner ausnahmsweise angezeigt sein, wenn im Zusammenhang mit der Beweiserhebung eine objektiv unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht vorgelegen hat, z B weil es auf das Beweisthema nicht ankam.

3. Die Frage einer etwaig verfahrensrechtlich unrichtigen Sachbehandlung ist ausschließlich nach objektiven Kriterien zu beurteilen.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.03.2023 aufgehoben und die Kosten für das auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz eingeholte Gutachten des K vom 23.07.2018 auf die Staatskasse übernommen.

II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden auf die Staatskasse übernommen.

 

Gründe

I.

In dem zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren begehrte der Kläger, Berufungskläger und hiesige Antragsteller und Beschwerdeführer (nachfolgend: Kläger) von der Beklagten und Berufungsbeklagten (nachfolgend: Beklagte) die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; nachfolgend: BK 2108) sowie die Gewährung von Leistungen. Im vorliegenden Verfahren geht es um die Übernahme der Kosten eines auf Antrag des Klägers eingeholten Gutachtens gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Staatskasse.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht Bayreuth (SG) zunächst von Amts wegen (§ 106 SGG) das Gutachten des H (Chirurg, Unfallchirurg, Spezielle Unfallchirurgie, Sozialmedizin, Sportmedizin, Chirotherapie) vom 22.05.2017 eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger rezidivierende Lumbalgien und Lumboischialgien bei Osteochondrose und Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 bestünden. Unter Annahme einer ausreichenden beruflichen Exposition aufgrund der Tätigkeit des Klägers als Altenpfleger seit 1989 sei dennoch eine berufliche Verursachung des lumbalen Bandscheibenschadens nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen. Es handele sich um eine Konstellation B5 oder B6 der Konsensempfehlungen zur Begutachtung bei bandscheibenbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankungen (nachfolgend: Konsensempfehlungen). Eine BK 2108 könne nicht bejaht werden.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist anschließend das Gutachten des K (Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Sozialmedizin, Chirotherapie, Sportmedizin, Ernährungsmedizin, Schmerzmedizin) vom 23.07.2018 eingeholt worden. Der Sachverständige ist zu der Einschätzung gekommen, der Kläger leide unter einem degenerativen Lendenwirbelsäulensyndrom, welches auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen und damit als BK 2108 anzuerkennen sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.02.2019 (S 12 U 82/16) hat das SG die Klage abgewiesen. Auch unter Annahme des Vorliegens der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 seien jedenfalls die medizinischen Voraussetzungen dieser Berufskrankheit nicht erfüllt. Denn in der medizinischen Wissenschaft und unter Berücksichtigung der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) weiterhin maßgeblichen sog. Konsensempfehlungen bestehe hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Krankheitsbild des Klägers im Bereich der Wirbelsäule und seinen beruflichen Belastungen entweder kein Konsens oder ein solcher Zusammenhang werde als nicht wahrscheinlich angesehen. Das Gericht folge dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des H Dem Ergebnis der Bewertung durch K könne sich das Gericht demgegenüber nicht anschließen, weil der Sachverständige das Krankheitsbild des Klägers nicht unter Berücksichtigung der sog. Konsensempfehlungen einordne.

Im anschließenden Berufungsverfahren L 17 U 96/19 hat keine weitere Begutachtung stattgefunden. In einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 06.08.2019 hat der damals als Berichterstatter zuständige Vorsitzende Richter am Bayerischen Landessozialgericht (LSG) im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 23.04.2015 (B 2 U 6/13) auf die Unzulänglichkeiten der behördlichen Sachverhaltsaufklärung, der verfahrensgegenständlichen Bescheide und der eingeholten Gutachten hingewiesen; der medizinische Sachverhalt sollte weiter aufgeklärt werden. Mit einem gesonderten gerichtlichen Schreiben vom 12.09.2019 ist zudem mitgeteilt worden, dass die Anerkennung der Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers bereits am Fehlen der Tatbestandsvoraussetzung "Unterlassungszwang" scheitere. Auf der Grundlage eines Vergleichsvorschlags des LSG mit Beschluss vom 28.10.2019 hat sich die Beklagte daraufhin - für den Fall der Aufgabe aller wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten und nach entsprechender Antragstellu...

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