Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Verfahrensgebühr. Nichtanwendbarkeit des verminderten Gebührenrahmens der Nr 3103 RVG-VV bei über Beratungshilfe abgerechneter Tätigkeit im Vorverfahren. Anrechnung der Beratungshilfegebühr. Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anwendung des reduzierten Gebührenrahmens nach Nr 3103 VV RVG ist ausgeschlossen, wenn gemäß Nr 2503 Abs 2 S 1 VV RVG die Geschäftsgebühr, die im Rahmen einer von Beratungshilfe umfassten Tätigkeit entstanden ist, auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist.
2. Die darin geregelte Anrechnung einer nach Nr 2300 bis Nr 2303 VV RVG entstandenen Geschäftsgebühr erfolgt ohne Differenzierung danach, ob sie innerhalb oder außerhalb eines behördlichen Verfahrens entstanden ist (aA LSG Essen vom 18.3.2008 - L 1 B 21/07 AL = NJW-Spezial 2008, 507).
3. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit der Rechtsanwaltsvergütung ist verletzt, wenn die Tätigkeit eines Rechtsanwalts im Vorverfahren, die von Beratungshilfe umfasst war, aufgrund einer Kürzung der Gebühr für das nachfolgende gerichtliche Verfahren im Ergebnis keine zusätzliche Honorierung erfährt.
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 9. Juli 2008 abgeändert und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung der Beschwerdeführerin unter Abänderung der Kostenfestsetzung vom 20. August 2007 auf insgesamt 279,65 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Am 30.10.2006 erhob B. B. (B), vertreten durch die Beschwerdeführerin (Bf), in einer schwerbehindertenrechtlichen Angelegenheit Klage beim Sozialgericht München (S 33 SB 1141/06). Gleichzeitig beantragte sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung des der Bf angehörenden Rechtsanwalts K.. Mit Beschluss vom 21.12.2006 entsprach das Sozialgericht diesem Antrag. Am 29.06.2007 nahm B die Klage zurück.
Die Bf hatte B auch in dem der Klage vorangegangenen Widerspruchsverfahren im Rahmen der Beratungshilfe vertreten. An Gebühren hatte sie dafür von der Staatskasse eine Geschäftsgebühr von 70 EUR nach Nr. 2503 VV RVG sowie von B (vgl. § 44 Satz 2 RVG) eine Beratungshilfegebühr von 10 EUR nach Nr. 2500 VV RVG erhalten.
Am 02.07.2007 stellte die Bf beim Sozialgericht einen Kostenfestsetzungsantrag. Sie veranschlagte eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 250 EUR, eine Pauschale für Post und Telekommunikation sowie die gesetzliche Mehrwertsteuer, so dass sie auf einen Betrag von insgesamt 321,30 EUR kam. Das Sozialgericht setzte mit Beschluss vom 20.08.2007 die aus der Landeskasse zu gewährende Vergütung auf 184,45 EUR fest. Es veranschlagte eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG in Höhe von 170 EUR (Mittelgebühr) und subtrahierte davon die Hälfte des Ansatzes bei Nr. 2503 VV RVG. Die Heranziehung von Nr. 3103 VV RVG anstatt Nr. 3102 VV RVG begründete es damit, der mit der Klage angegriffene Widerspruchsbescheid sei an einen anderen Anwalt zugestellt worden, welcher der Bf angehöre.
Am 03.09.2007 legte die Bf Erinnerung ein. Sie monierte, die Anrechnung des Vorverfahrens sei doppelt erfolgt. Zum Einen sei der niedrigere Gebührenrahmen von Nr. 3103 VV RVG angewandt worden, zum Anderen sei gemäß Nr. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG eine erneute Absetzung erfolgt. Die Bf wies darauf hin, die Tätigkeit im Vorverfahren sei nicht von B vergütet worden, weil gerade Beratungshilfe bewilligt gewesen sei. Richtig sei vielmehr, nur die Hälfteanrechnung nach Nr. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG vorzunehmen, im Übrigen aber den höheren Gebührenrahmen nach Nr. 3102 VV RVG heranzuziehen.
Die zuständige Kammer beim Sozialgericht hat der Erinnerung teilweise stattgegeben, indem sie mit Beschluss vom 09.07.2008 die aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 226,10 EUR festgesetzt hat. Die Kammer hat sich der Auffassung des Kostenbeamten angeschlossen, wonach Nr. 3103 VV RVG maßgebend sei. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vergütungsregelung, so die Kammer in der Begründung, müsse daneben der Abzug nach Nr. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG erfolgen. Das sei aber nicht sachgerecht. Dem sei dadurch abzuhelfen, dass innerhalb des maßgebenden Gebührenrahmens die anzusetzende Gebühr entsprechend erhöht werde, so dass der Abzug nach Nr. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG dadurch eine Kompensierung erfahre. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage hat die Kammer die Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht zugelassen.
Gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 09.07.2008 hat die Bf am 21.07.2008 Beschwerde eingelegt und beantragt, den erstattungspflichtigen Betrag auf 279,65 EUR festzusetzen. Sie vertritt die Ansicht, die Tätigkeit im Vorverfahren müsse über den Abzug nach Nr. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG erfolgen. Eine Verschiebung des Gebührenrahmens sei rechtswidrig.
Eine Abhilfe der Beschwerde durch das Sozialgericht ist nicht erfolgt.
Mit Beschluss vom 04.10.2010 hat der Berichterstatter das Verfahren auf den Senat als Gesamtspruch...