Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheitsgesuch. Sachverständiger
Leitsatz (amtlich)
Nach §§ 406 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen.
Normenkette
SGG § 118 Abs. 1; ZPO § 406 Abs. 1-2, § 411 Abs. 1, § 42 Abs. 1-2
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 3. November 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Sachverständigen Dr. W. besteht.
Die 1964 geborene Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) begehrt im Klageverfahren vor dem Sozialgericht München die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 31.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2009 ab.
Das Sozialgericht hat mit Beweisanordnung vom 31.08.2009 den Facharzt für Orthopädie Dr. W. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 22.10.2009 nach ambulanter Untersuchung zum Ergebnis gekommen, dass bei der Bf. eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung nicht eingetreten ist. Ein GdB von 50 liege nicht vor. Dieses Gutachten wurde den Beteiligten mit Schreiben vom 28.10.2009 zur Kenntnis und dem Klägerbevollmächtigen zur Stellungnahme innerhalb zwei Wochen zugeleitet. Am 09.11.2009 wurde dem Klägerbevollmächtigten Fristverlängerung bis 24.11.2009 gewährt. Am 22.11.2009 hat er Antrag gemäß § 109 SGG auf Anhörung des Facharztes für Orthopädie Dr. L. gestellt. Mit Schreiben vom 24.11.2009 hat der Bevollmächtigte der Bf. beantragt, ergänzende Stellungnahmen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. W. einzuholen. Dieser hat am 07.12.2009 zu den Einwendungen der Bf. Stellung genommen und ist im Ergebnis bei seiner Einschätzung geblieben.
Der Sachverständige Dr. L. ist in seinem Gutachten zum Ergebnis gekommen, dass ein GdB von 50 festzusetzen sei. Daraufhin hat Dr. W. im Auftrag des Gerichts am 18.03.2010 erneut Stellung genommen. Er ist bei seiner Einschätzung geblieben. Eine zusätzliche Begutachtung auf neurologischem Fachgebiet werde nicht empfohlen. Die ergänzende Stellungnahme wurde den Beteiligten binnen vier Wochen zur Kenntnis, bzw. dem Klägerbevollmächtigten auch zur Stellungnahme übersandt.
Mit Schreiben vom 15.04.2010 hat der Bevollmächtigte der Bf. einen Befangenheitsantrag gegen den Gutachter Dr. W. gestellt. Er hat im Wesentlichen vorgetragen, dass Dr. W. sich nicht unvoreingenommen mit den von Dr. L. in seinem Gutachten vorgetragenen Thesen auseinandergesetzt habe. Andernfalls hätte er erkannt, dass die Behinderung von 50 nicht lediglich auf der Feststellung schmerzhafter Druckpunkte beruhe.
Dr. W. habe den Eindruck vermittelt, dass er die Fibromyalgie als Krankheitsbild generell ablehne. In einer weiteren Stellungnahme vom 03.05.2010 ist Dr. W. bei seiner Einschätzung geblieben.
Auf Antrag der Bf. hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. am 17.02.2011 ein weiteres Gutachten erstellt. Es seien bei der Bf. Gesundheitsstörungen aufgetreten, die im Bescheid vom 22.11.2002 nicht vollständig erfasst, mit einem Gesamt-GdB von 20 aber zutreffend bewertet seien.
Das Sozialgericht hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 03.11.2010 zurückgewiesen. Die Besorgnis der Befangenheit könne nicht darauf gestützt werden, dass sich der Sachverständige Dr. W. nach Meinung der Bf. nicht ausreichend mit dem Gutachten des Dr. L. auseinandergesetzt habe. Ein Ablehnungsgesuch sei grundsätzlich kein geeignetes Mittel, sich gegen ein fachlich für fehlerhaft gehaltenes Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen zu wehren.
Gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 03.11.2010 hat die Bf. Beschwerde eingelegt. Die Stellungnahme des Dr. W. sei ersichtlich von dem Gedanken getragen, eine besonders restriktive Herangehensweise bei der Feststellung von Fibromyalgie anzumerken. Anderenfalls läge eine vielfach unberechtigte Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs für Behinderte vor. Er mache sich erkennbar zum Sachverwalter öffentlicher Interessen, die sein hier gefordertes rein medizinisches Sachwissen deutlich überlagern.
Der Beklagte hat sich in der Sache nicht geäußert.
II.
Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist unbegründet.
Nach § 118 Abs. 1 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren über die Ablehnung eines Sachverständigen die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) anzuwenden. Nach §§ 406 Abs. 2 Satz 1, 411 Abs. 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht oder dem Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen - zu einem späteren Zeitpunkt nach § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur dann, wenn der Antragsteller Gründe nennen kann, dass er die Befangenheit ohne...