Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistungen. Grundleistungen. Anspruchseinschränkung. Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen Zuständigkeit eines anderen Staates für die Durchführung des Asylverfahrens. Erforderlichkeit eines vorwerfbaren Verhaltens des Leistungsberechtigten. Zumutbarkeit der Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat. verfassungskonforme Auslegung des § 1a Abs 1 S 2 und 3 AsylbLG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 7 AsylbLG setzt ein vorwerfbares Verhalten des Leistungsberechtigten voraus.

2. Der Leistungsberechtigten muss die Leistungseinschränkung durch eigenes zumutbares Tun abwenden können; insbesondere muss die Rückkehr in den nach der Dublin III-Verordnung (juris: EUV 604/2013) zuständigen Mitgliedstaat - hier Bulgarien - zumutbar sein.

3. Die Rechtsfolge des § 1a Abs 1 S 2 und 3 AsylbLG bedarf der verfassungskonformen Auslegung.

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 7. Juli 2022 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B, B Straße, B beigeordnet.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit ab Juli 2022, insbesondere wendet er sich gegen eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG.

Der 1990 geborene Antragsteller, nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 2021 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Er wurde einer Aufnahmeeinrichtung in A zugewiesen. Auf seinen Antrag hin bewilligte der Antragsgegner für die Zeit ab 17.12.2021 Leistungen nach dem AsylbLG. Zuletzt mit Bescheid vom 04.01.2022 wurden für die Zeit vom 01.01.2022 bis zum 31.12.2022 Grundleistungen in Höhe von monatlich 122 € bewilligt. Der Bedarf für Ernährung, Unterkunft und Heizung, Wohnungsinstandhaltung, Haushaltsenergie, Kleidung, Körperpflege- und Hygieneartikel sowie WLAN wurde durch Sachleistungen gedeckt. Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 20.04.2022 als unzulässig ab, weil Bulgarien gemäß der Verordnung 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) für das Asylverfahren zuständig sei. Die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien wurde angeordnet. Dies teilte die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken dem Antragsgegner mit E-Mail vom 26.04.2022 mit. Gegen die Ablehnung hat der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht Würzburg erhoben (W 1 K 22.50136). Einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat der Antragsteller nicht gestellt.

Mit Schreiben vom 09.06.2022 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Einschränkung der Leistungen an. Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig. Der Asylantrag sei als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet worden. Ihm stünden daher bis zur Ausreise lediglich eingeschränkte Leistungen nach dem AsylbLG zu. Die Anhörung enthielt den Hinweis, dass die Leistungseinschränkung durch freiwillige Ausreise abgewendet werden könne, sofern dies mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei. Eine Äußerung des Antragstellers erfolgte nicht.

Der Antragsgegner stellte mit Bescheid vom 22.06.2022 fest, dass der Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 01.07.2022 bis zum 31.12.2022 nach § 1a Abs. 7 AsylbLG eingeschränkt sei. Der Leistungsantrag nach § 3 AsylbLG wurde für die Zeit vom 01.07.2022 bis 31.12.2022 abgelehnt. Dem Antragsteller wurden für diesen Zeitraum Sachleistungen nach § 1a Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AsylbLG bewilligt. Der Bedarf an Ernährung, Bekleidung, Unterkunft und Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege werde in der Ankereinrichtung sichergestellt. Der Bescheid verliere bei Auszug aus der Ankereinrichtung aufgrund einer behördlichen Entscheidung und/oder Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus automatisch seine Gültigkeit, ohne dass es eines besonderen Einstellungsbescheides bedürfe. Aufgrund des als unzulässig abgelehnten Asylantrags erfülle der Antragsteller die Voraussetzungen des § 1a Abs. 7 AsylbLG für eine Anspruchseinschränkung.

Dagegen legte der Antragsteller am 29.06.2022 Widerspruch ein, den er im Wesentlichen damit begründete, dass eine Anspruchseinschränkung aus verfassungsrechtlichen Gründen nur zulässig sei, wenn ihm ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Er habe sich aber weder pflichtwidrig in die Bundesrepublik Deutschland begeben noch verweile er hier pflichtwidrig. Insbesondere stelle die Einreise nach Deutschland über Bulgarien kein pflichtwidriges Verhalten dar.

Mit einem weiteren Schriftsatz vom 29.06.2022 - beim Sozialgericht Würzburg (SG) eingegangen am 01.07.2022 - ...

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