Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Eilverfahren gegen die volle Minderung des Arbeitslosengeldes. Anforderungen an die Interessenabwägung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Abwägung ist die gesetzgeberische Grundentscheidung zu berücksichtigen. Bei geringer Erfolgswahrscheinlichkeit der Hauptsache fällt die nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung mit sofortiger Wirkung eintretende Folge in der richterlichen Abwägungsentscheidung grundsätzlich nicht zugunsten der Antragsteller ins Gewicht. Das heißt, die Folgen, die sich für die Antragsteller mit dem Sofortvollzug verbinden, sind grundsätzlich nur insoweit beachtlich, als sie nicht schon als regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden haben (zur VwGO BVerfG, 10. Oktober 2003, 1 BvR 2025/03 juris Rn 22). Bei wahrscheinlicher Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts und deshalb gegebener hoher Erfolgswahrscheinlichkeit der Hauptsache kann jedoch auch die nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung sofort geltende Folge zugunsten der Antragsteller berücksichtigt werden. Dies steht nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Maßgabe der sofortigen Geltung der entsprechenden Belastung, weil der Gesetzgeber von der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts ausgegangen ist.
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsteller hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. September 2016 abgeändert und die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller auch gegen die Bescheide vom 24.08.2016 betreffend die Minderung der Alg II - Ansprüche der Antragsteller auf 0 und gegen die Bescheide vom 24.08.2016, soweit darin ein Auszahlungsanspruch für die Monate September bis November 2016 abgelehnt wird, angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das erstinstanzliche Eilverfahren und für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Im vorliegenden Eilverfahren - Beschwerdeverfahren - geht es um die Frage, ob die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen belastende Verwaltungsakte des Antragsgegners anzuordnen ist, mit denen das bewilligte Arbeitslosengeld II (Alg II) für den Zeitraum vom 01.09.2016 bis 30.11.2016 aufgehoben, die Leistungen "auf Null" gemindert und entsprechende Auszahlungsansprüche abgelehnt wurden.
Die 1964 geborene Antragstellerin zu 1, gelernte Altenpflegerin, und der 1966 geborene Antragsteller zu 2, Diplom-Psychologe, beziehen seit 01.08.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II). Seit 01.08.2014 ist das Arbeitslosengeld II aufgrund von Sanktionierungen weggefallen. Die Antragsteller erhielten aufgrund von Sanktionen insbesondere im Zeitraum vom 01.01.2016 bis 30.11.2016 kein Arbeitslosengeld II ausgezahlt, sondern auf Antrag Lebensmittelgutscheine vom Antragsgegner.
In Eingliederungsverwaltungsakten vom 25.05.2016 (Geltungsdauer 25.05.2016 bis 24.11.2016) verpflichtete der Antragsgegner die Antragsteller, das Beratungsangebot der Arbeitsvermittlung des Jobcenters wahrzunehmen, auf Einladung zu erscheinen, Bewerbungsunterlagen und bisherige Bewerbungsbemühungen bis zum 30.06.2016 vorzulegen sowie während der Gültigkeitsdauer des Eingliederungsverwaltungsaktes fünf eigenständige Bewerbungsbemühungen im Turnus von jeweils vier Wochen zu unternehmen. Die Inhalte nach § 15 Abs. 1 SGB II seien als Verwaltungsakt zu erlassen, weil eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande gekommen sei. Gegen die Eingliederungsverwaltungsakte vom 25.05.2016 erhoben die Antragsteller keinen Widerspruch.
Mit Bescheiden vom 06.07.2016 stellte der Antragsgegner wegen Meldeversäumnissen beider Antragsteller am 12.05.2016 jeweils eine Minderung des Arbeitslosengeldes II der Antragsteller im Zeitraum 01.08.2016 bis 31.10.2016 in Höhe von 10 % der Regelleistung fest und hob insoweit den Bescheid vom 14.12.2015 auf. Ausweislich eines Aktenvermerks über in der Akte nicht vorhandene Schreiben "kündigte" der Antragsgegner mit Schreiben vom 02.08.2016 "die Eingliederungsvereinbarung" vom 25.05.2016, da das Ziel der Eingliederungsvereinbarung nicht mehr erreicht werden könne.
Mit Bescheiden vom 24.08.2016 stellte der Antragsgegner nach entsprechender Anhörung einen Wegfall des Arbeitslosengeldes II der Antragsteller im Zeitraum vom 01.09.2016 bis 30.11.2016 fest, wodurch sich das den Antragstellern jeweils zustehende Arbeitslosengeld II um 364,00 € mindere. Der Antragsgegner hob einen Bewilligungsbescheid vom 14.12.2015 für den Zeitraum vom 01.09.2016 bis 30.11.2016 ganz auf. Zur Begründung führte er aus, die Antragsteller seien trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen der Vereinbarung nicht nachgekommen, da sie nicht zu der Einladung am 30.06.2016 erschienen seien, keine Bewerbungsunterlagen bis zum 30.06.2016 vorgelegt oder Bewerbungsbemühungen bis zum 30.06.2016 na...