Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Ermessensausübung hinsichtlich einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss in einem Impfschadenverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Entscheidung kann gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss erfolgen, wenn die relevanten tatsächlichen Umstände nicht mehr streitig sind und die Gutachtenslage nach Abschluss der Ermittlungen (übereinstimmende Feststellungen der Gutachter gemäß § 106 SGG und § 109 SGG) eindeutig ist, also der Fall nach Abschluss der Ermittlungen als einfach gelagert zu bezeichnen ist.

2. Gegen eine Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss spricht nicht der Umfang der Entscheidung, wenn dieser ohnehin unterdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Impfschadenverfahren ist und zudem wesentlich dadurch bedingt ist, dass auf weitestgehend nicht entscheidungsrelevantes Vorbringen der Klägerin und über 70, für die Entscheidung bedeutungslose Anträge einzugehen ist.

3. Ist nicht ansatzweise ersichtlich, warum eine mündliche Verhandlung zur weiteren Sachaufklärung führen könnte, kommt eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG in Betracht.

 

Normenkette

SGG § 153 Abs. 4, §§ 106, 109, 160 Abs. 2 Nrn. 1-2; IfSG § 2 Nr. 11, § 60 Abs. 1 S. 1, § 61 Sätze 1-2; BSeuchG § 51 Abs. 1 S. 1, § 52 Abs. 2 Sätze 1-3; KOVVfG § 15; BVG § 1 Abs. 3

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.06.2019; Aktenzeichen B 9 V 38/18 B)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 7. April 1995 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung eines Impfschadens und die Gewährung von Versorgung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) bzw. dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) wegen einer Pockenschutzimpfung im Jahr 1957.

Die Klägerin ist 1955 geboren. Sie leidet unter den Folgen einer Kinderlähmung.

Die Pockenschutzimpfung unterlag im Jahre 1957 der Impfpflicht.

Mit Formblattantrag vom 29.09.1990 beantragte die Klägerin, Polio und Allergien als Impfschaden festzustellen. Sie sei im Mai 1956 vom Gesundheitsamt R. gegen Pocken geimpft worden, wobei sie das im Datum in einer mitgesandten Anlage II vom 29.09.1990 auf Mai 1957 korrigierte. Die Impfung sei im Gasthaus F. in R. durchgeführt worden. Ein Impfschein oder ein Impfbuch über die Pockenschutzimpfung sei ihren Eltern nicht ausgehändigt worden.

Unterlagen über eine Impfung der Klägerin waren sowohl beim Gesundheitsamt R. als auch der Stadt R. nicht auffindbar.

Der Beklagte zog zunächst diverse medizinische Unterlagen über die Klägerin bei, u.a. auch den Bericht über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 16.07.1954 bis zum 02.09.1957 in der Städt. Kinderklinik R.. Dort heißt es, dass die Klägerin acht Tage zuvor eine eitrige Mandelentzündung gehabt habe und nach drei Tagen medikamentöser Behandlung wieder beschwerdefrei gewesen sei. Am Morgen des Tages vor der Aufnahme in der Klinik habe es plötzlich eine Schwäche des rechten Beins gegeben; die Klägerin habe nicht mehr auf dem rechten Bein stehen können. Als Hauptdiagnose wurde Poliomyelitis genannt.

Am 24.09.1991 wurde die Mutter der Klägerin beim Beklagten befragt. Dabei gab sie an, dass die Klägerin im Mai 1957 im Gasthaus Sch. (Anmerkung des Senats: Der Wirt des Gasthauses F. führt nach den vorliegenden Unterlagen den Namen Sch.) in R. wahrscheinlich durch das Gesundheitsamt R. eine Pockenschutzimpfung am Arm erhalten habe. Im Juli 1957 sei die Klägerin an Kinderlähmung erkrankt und sofort in die Kinderklinik R. eingewiesen worden. Ein bis zwei Wochen vor dem Auftreten der Kinderlähmung sei die Klägerin an einer Mandelentzündung erkrankt gewesen.

Die anschließend mit der Frage eines Impfschadens befassten Versorgungsärzte kamen in den drei Gutachten vom 20.02.1992 übereinstimmend zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin keine Gesundheitsstörungen vorlägen, welche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Pockenschutzimpfung zurückzuführen seien. In einer weiteren nervenärztlichen Stellungnahme wies die Versorgungsärztin Dr. Sch. am 13.05.1993 darauf hin, dass, auch wenn man von der Richtigkeit des angegebenen, aber nicht nachgewiesenen Impfzeitpunkts ausgehen würde, die im Juli 1957 aufgetretene Polioerkrankung sich schon wegen des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs nicht in ursächlichen Zusammenhang mit der angeschuldigten Pockenschutzimpfung bringen lasse.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21.07.1993 hat die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem BSeuchG abgelehnt.

Den dagegen mit Schreiben vom 07.08.1993 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.1993 zurück.

Am 25.10.1993 haben die damaligen anwaltlichen Bevollmächtigten der Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Landshut erhoben.

In der mündlichen Verhandlung vom 07.04.1995 vor dem SG ist die Mutter der Klägerin befragt worden. Sie hat dabei angegeben, dass die Pockenschutzimp...

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